Kapitel 13.4

»Du solltest nichts berühren«, bemerkte Eve leise, als Sezuna schon an einen Teppich herangetreten war, um ihn mit den Fingern zu erkunden. Schnell zog sie ihre Hand wieder zurück.

»Warum?«, wollte sie wissen und blickte fragend zu Eve. Diese lächelte schief.

»Mama Avaritia mag es nicht. Sie möchte damit verhindern, dass etwas kaputt geht oder gestohlen wird«, erklärte sie, wobei sie entschuldigend klang.

Sezuna trat von dem Teppich zurück und begnügte sich damit, ihn nur zu betrachten. Sie konnte durchaus verstehen, warum Avaritia so dachte. Das waren wirklich wunderschöne Stücke und sie würde an ihrer Stelle auch nicht wollen, dass jemand sie beschmutzte oder gar kaputt machte.

Sezuna ließ ihren Blick hin und her wandern, bis sie ein Deckengemälde in den Tunneln bemerkte und stehenblieb. Staunend starrte sie nach oben und betrachtete die fein gezeichnete Szene. Es war Nemesis, der scheinbar mit vier Frauen posierte. Im Himmel, was dem Bild schon fast etwas Surreales gab.

»Warum malt man ein solch schönes Gemälde in einen Tunnel?«, fragte sie, wobei Sezuna eher mit sich sprach. Dennoch antwortete Eve.

»Avaritia liebt schöne Dinge«, erklärte sie, als würde das ihre Frage beantworten, bevor sie zu Sezuna zurückkehrte, um sich abwartend neben sie zu stellen.

Das gefiel Sezuna nicht ganz so, weshalb sie mühsam ihren Blick abwandte und Eve zulächelte. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, während sie die Umgebung genau betrachtete.

Die Wandteppiche wurden von Mosaiken abgewechselt und manchmal erkannte Sezuna sogar Diamanten in den Wänden. Ob diese wirklich alle echt waren oder vielleicht sogar Illusionen?

Je weiter sie liefen, desto mehr Dinge erschienen an den Seiten und am Boden. Es wirkte, als wäre jeder freie Zentimeter mit irgendetwas Glänzendem, Schönem ausgeschmückt. Für Sezuna wirkte es mehr wie eine Schatzkammer und nicht wie ein Tunnel. Es war ihr einfach viel zu viel, um es noch als schön zu empfinden.

Zudem kamen irgendwann ganze Haufen voller Gold. Nicht nur Münzen, auch Schmuckgegenstände, Trinkgefäße und andere Dinge. Irgendwie taten diese Sezuna leid. Sie lagen hier und wirkten irgendwie zurückgelassen, dennoch nahm sie sich nichts. Es gehörte Avaritia und sie wäre dumm, wenn sie eine Herrin der Hölle bestehlen würde.

Schließlich liefen sie eine Treppe nach oben, die vergoldet war. Oder vielleicht bestanden die Stufen sogar aus ganzen Goldblöcken, das war schwer zu sagen. Sezuna fand sie eher geschmacklos.

Wie Avaritia wohl war? Eve hatte nicht viel über sie erzählt.

Plötzlich blieb die Dämonen vor der Tür, die scheinbar aus Diamanten gemacht worden war, stehen. »Egal was passiert: Als Gast des Höllenfürsten besitzt du Immunität. Du musst dir also keine Sorgen machen, sollte Mama ... irgendwas Komisches sagen«, begann sie zögerlich.

Sezuna runzelte die Stirn. Was meinte sie denn damit? War Avaritia vielleicht gefährlich? Wollte Eve sie vorwarnen, damit Sezuna die Fürstin der Hölle nicht verärgerte?

Langsam öffnete Eve die Tür, die scheinbar sehr schwer war, denn es ging nur langsam.

Geduldig wartete Sezuna und schnappte dann nach Luft. Hatte sie den Tunnel schon als Schatzkammer empfunden, so war es in dem Raum hinter der Tür noch schlimmer. Dabei wirkte es nur, wie ein Flur, da es große Fenster gab.

Sofort trat Sezuna auf diese zu und sah hinaus. Dass sogar die Fenster Kunstwerke waren, konnte sie gar nicht so richtig wahrnehmen, weil einfach alles zu vollgestopft war. Selbst draußen!

Eve kicherte leise. »Hätte ich dich vorwarnen sollen?«, wollte sie wissen, wobei sie belustigt klang. Hatte sie das absichtlich gemacht, um sie zu überfordern?

Sezuna schnaubte leise. »Es ist erdrückend«, bemerkte sie, weil ihr diese Umgebung irgendwie aufs Gemüt schlug. Es war viel zu viel.

Eve führte Sezuna weiter und so kamen sie schließlich in einen Raum, der weniger vollgestopft, dafür aber sehr elegant war. Dort wurden sie erwartet.

Ein Wesen mit zwei Oberkörpern wandte sich ihnen zu.

Sezuna musterte die Dämonin. Der eine Oberkörper war eindeutig weiblich. Sehr weiblich. Sie zeigte all ihre Vorzüge und trug Ketten als Kleidung und keine richtigen Sachen. Der andere Oberkörper hingegen wirkte eher jungenhaft, aber nicht wirklich männlich.

Ein überraschter Laut verließ die Lippen des Wesens, bevor es auf Sezuna zusprang. »Was für eine faszinierende Schönheit!«, rief sie aus. So laut und schnell, dass Sezuna heftig zucken musste, bevor sie sogar einen Schritt zurück machte. Das lag jedoch nur an der Überraschung, denn sie hielt ihre Worte für ein Kompliment. Daher war sie auch überrascht, als sie bemerkte, wie Eve sich verspannte.

»Mama. Sie ist ein Gast«, mahnte sie belehrend, was die Frau, die scheinbar Avaritia war, lachen ließ.

»Oh, wie schade. Ich hätte sie gern meiner Sammlung hinzugefügt«, sagte sie unumwunden, was Sezuna verwirrt blinzeln ließ. Sammlung? Was für eine Sammlung? Warum sorgte der Ton der Dämonin bei ihr für eine Gänsehaut?

»Mama«, mahnte Eve, die sogar ihre Hände in die Hüfte stemmte. Es war das erste Mal, dass sie wirklich aussah wie ein Kind. Das ließ Sezuna leicht schmunzeln.

»Aber sieh sie dir doch an!«, rief Avaritia, die eine Hand an Sezunas Wange legte. »Diese Augen. So schön golden. Und das Haar«, schwärmte sie, während sie Sezuna betrachtete, als wäre sie irgendeine Skulptur und sie würde den Künstler ehren, der diese erschaffen hatte. Dabei fuhr sie ihr sogar durch die Haare, um ihre Strähnen zu betrachten.

Das sorgte dafür, dass Sezuna sich zunehmend unwohler fühlte, sie hielt allerdings still.

»Sezuna. Sie heißt Sezuna und ist ein Gast«, wiederholte Eve, was dafür sorgte, dass Avaritia sofort von ihr abließ.

»Du bist also Sezuna«, sagte sie in ihrer aufgedrehten Art. Es mischte sich ihr anderer Oberkörper ein, der irgendwie müde und gelangweilt wirkte. »Natürlich ist sie das. Die Macht hätte dich warnen müssen«, sagte sie, wobei ihre Stimme schleppend klang.

Sezuna erinnerte das ein bisschen an den Cerberos. Seine drei Köpfe hatten etwas ähnlich Seltsames an sich, wenn sie sich unterhielten. Zum Glück war sie deshalb irgendwie vorgewarnt, sonst hätte sie das alles wohl noch weniger verkraftet. Zumindest waren diese Besuche genau das Richtige, um ihre anderen Gedanken zu verdrängen.

Avaritias weiblicher Teil lachte schallend und irgendwie sehr aufgeregt, dann hakte sie sich bei Sezuna ein. »Komm, mein Kind, ich zeige dir mein Reich«, sagte sie voll Tatendrang, wobei ihre dunklen Augen voller Vorfreude funkelten.

Sezuna wusste nicht genau, ob das gut oder schlecht war, ließ sich aber mitziehen.

Avaritia zeigte ihr viel mehr, als Sezuna erwartet hatte, allerdings wirkte es überall ähnlich. Es schien, als würde sie ihren Teil nutzen, um diesen mit Schätzen aller Art vollzustopfen. Selbst die Dämonen, die hier lebten, wirkten wie schön angezogene Puppen. Sie alle verneigten sich vor Avaritia, während diese Sezuna führte.

Für Sezuna war es schwer die Umgebung mit der Hölle in Einklang zu bringen. Es wirkte alles so surreal und fremd. Was war eigentlich Avaritias Aufgabe in der Hölle? Darüber schwieg sie leider, doch dafür sprach sie sehr viel über die Dinge, die sie sammelte.

Sie führte Sezuna sogar in einen Raum, der ihr Heiligtum war. Ein Raum voller Ausstellungsstücke, die Sezuna einen Schauer über den Rücken jagten. Überall waren in Kristalle eingefasste Wesen. Sie alle waren auf eine Art und Weise faszinierend, die sie wunderschön machten. Sezuna jagte dieser Raum einfach nur einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.

Das war also die Sammlung, in der Avaritia sie gernhätte. Laut Avaritia waren es lediglich Nachbildungen der ehemaligen Körper, doch nach ihren Worten glaubte Sezuna ihr nicht. Sie wollte sich aber auch nicht der Vorstellung hingeben, dass diese Wesen vielleicht sogar noch lebten.

Sezuna traute sich nicht, ihre Arme zu reiben oder sonstige Anzeichen darauf zu geben, wie sie sich fühlte. Sie wollte wegrennen und sich verstecken, doch sie hörte zu und versuchte, sich an die Dinge zu gewöhnen. Sezuna war in der Hölle. Das schien hier nicht unnormal zu sein. Sie sollte also nicht urteilen. Es war besser, wenn sie einfach versuchte, es so hinzunehmen, wie es war. Sie rechnete dennoch mit Albträumen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top