TAPE 4《Welcome to the lion's den》

»Warum... warum wehrst du dich so sehr dagegen? Gib's zu... du willst, dass ich dich küsse«, hauchte er mir gegen die Lippen. Mit den von Muskeln gekennzeichneten Armen stützte er sich daraufhin an beiden Seiten des Bettpfostens ab und betrachtete mich im Schein des Mondlichts stillschweigend, bis er sich schließlich in einem qualvoll langsamen Tempo zu mir runterbückte. Damit wiedersetzte er sich der Subordination meines Lebens zu seinem, der kleinen wie auch großen Distanz zwischen ihm und mir und einer zu überschreiten drohenden Grenze, die niemals von einem von uns beiden aufgehoben werden durfte, der er aber sichtlich die Stirn bot. Mir blieb – völlig hypnotisiert von seinem eindringlichen Blick, keinerlei Gelegenheit mich von dieser unbekannten, Furcht einflößenden Nähe zu wappnen, da umfassten seine großen, mich aber zärtlich wiegenden Hände nämlich mein winziges Gesicht. Diese Nähe überraschte mich, genauso sehr wie seine darauffolgende Berührung, indem er mit dem Daumen eine präzise Linie über meine geöffneten Lippen zog.

»Du willst es. Du willst mich.« Ein heißer Luftzug gefolgt von der Feuchtigkeit meines Ohrläppchens – ein eindeutiges Resultat seiner Zunge, entsandte meinen bereits anormalen Puls von der Himmelsphäre aus in eine andere Galaxie. Der Klang seiner ausdrucksstarken Stimme stellte meinen Körper derart in Aufruhr, dass ich ernsthaft daran zweifelte je Herr meiner eigenen Sinne gewesen zu sein. Folglich ertappte ich mich sogar bei dem Gedanken daran, dass ein fremdes Wesen Besitz von meinem eigenen Fleisch und Blut ergriffen hatte. Denn anders konnte ich mir die schwankenden Temperaturen, denen ich ausgeliefert war, nicht erklären. Körperstellen, die mit ihm in Kontakt gekommen waren, glühten wie die Nachmittagssonne am Äquator, wohingegen unberührte Glieder zu einem Eisklotz wie in der Antarktis erfroren. Ein überaus kalter Schweißausbruch nach dem nächsten, die in einer Gänsehaut mündeten, bildeten eine perlenartige Schicht über meine Haut. Statt meiner entstandenen Anspannung als Tarnung zur dienen, hoben sich die Flecken von meinem Teint deutlich ab. Ihm entging dieses kleine, aber alles offenbarende Detail nicht. Natürlich nicht. Im Nu gewann sein Grinsen an Breite und seine dunklen Augen verweilten unmittelbar danach erneut an meinen Lippen. Meine Verlegenheit wuchs mit jedem stärker zu Ausdruck kommenden Verlangen in ihnen.

»Dass du dich krampfhaft dagegen sträubst, macht es umso reizvoller...«, fügte er mit Nachdruck hinzu und fuhr mit seinen Fingerspitzen runter mein Schlüsselbein entlang. Ein Feuer glühte dabei dem Ausbruch nahe in meinem flatternden Magen, dem ich äußerlich nur schwer Einhalt gebot. Ungewollt stieß ich letztlich doch ein tiefes Keuchen aus meiner Kehle raus. Unnatürlich stockend verlief mein Atem, mein Körper zitterte von der Sehnsucht und Irritierung geplagt die weiche Haut seiner Lippen zu spüren. Diese viel zu verführerischen, viel zu sanften Lippen, die wie nachgezeichnet aussahen, um ihrerseits die reinste Perfektion zu erschaffen. Ich wollte es, wollte eins dieser Kreationen werden, wollte mich durch ihn besonders, einmalig fühlen. Ein Unikat, das seine Unterschrift trug. Das Einzige, wonach ich mich verzerrte war er... Von Tag zu Tag, Stunde für Stunde und Sekunde für Sekunde.

Aber würde geschehen, wenn er mich wirklich küsste?

Wenn er mich küsst, dann würde ich mich verlieren, Ich würde mich verlieren in der pechschwarzen Nacht seiner Augen. Umherirren, ohne Ziel oder Ausweg. Mein Körper, mein Herz, meine Seele, alles war verloren, denn sie galten als die Seine.

Passierte das jedem, der der Leidenschaft maßlos verfallen war? Bedeutete das Liebe?

Eine Symbiose aus sanften sowie harten Klängen umhüllte meine Sinne. Sie klangen wie das Umhertanzen der Wellen in einem gleichmäßigen, dynamischen Takt, der mit dem Zusammenspiel der Luft vereint wurde. Ist es das laute Prasseln des Wasserfalls, der meine Vernunft trübte, oder etwa mein Herz, da so laut vor sich hinschlug? Ein verschmitztes Lächeln trat in mein Blickfeld und auf der Stelle horchte ich auf.

»Aber soll ich dir ein Geheimnis verraten?«, raunte er von dem neckischen Tonfall keine Spur mehr übrig.

»Ich verzerre mich genauso sehr nach dir, wie du mich willst. Der feine Unterschied besteht nur darin, dass ich im Gegensatz zu dir nicht zu zähmen bin«, beendete er den Satz und vereinte unsere Lippen in einem harten Kuss miteinander.

Schweißgebadet saß ich abrupt auf meiner Matratze. Die Erschöpfung sowie der Schlafbedarf warfen mich aus meiner zuvor noch vorhandenen Arglosigkeit. Es war ein Traum, nur ein Traum, Aurora, redete ich mit allmählich wach werdend ein und bemühte mich meine Atmung zu regenerieren. Nachdem ich erfolgreich einige Atemzüge genommen und diese wieder ausgestoßen hatte, suchte ich noch leicht benommen nach dem Schalter meiner Nachttischlampe und betätigte diese mit meiner bebenden Hand. Das spärliche Licht, das augenblicklich anging, fiel dabei auf meinen kleinen Wecker. Beim Erblicken der Uhrzeit vergrub ich seufzend das Gesicht in meinen Händen und verfluchte alles und jeden. 3:05 Uhr. Super.

Dass ich bis zum heutigen Tage schon einigen harte Hürden zu bewältigen hatte, reichte dem Schicksal anscheinend noch nicht aus. Nein, statt dass mir morgen mein erster Arbeitstag bevorstand, wurde dieser mit einem zusätzlichen Anhang ersetzt, nämlich der erste Arbeitstag plus eine schlaflose Nacht oben drauf. Womit hatte ich diese Großzügigkeit nur verdient?

In der Stille lauschte ich meinen überaus ungesund klingenden Herzschlägen, während ich in meinem gemütlichen Bett auf meine Decke schielte, die mir die Kälte auch nicht aus den Gliedern treiben konnte.

Warum hatten diese Träume wieder angefangen ... warum? All diese Erinnerungen, die damit verwobenen intensiven Gefühle von damals... Verdammt, was war los mit mir? Eine derartige Schwäche nach dem ersten Zusammentreffen vorzulegen, stellte eine derbe Enttäuschung dar. Verärgert über mich selbst und mein unstatthaftes Verhalten konnte ich den Wunsch an Schlaf fürs Erste gänzlich verwerfen.

Kakao. Die Lösung all meiner Probleme war eine Tasse Kakao.

Meine Plüschpantoffeln übergestreift, bannte ich mir in der Dunkelheit einen Weg Richtung Küche. Das betätigte Licht, das in besagten Raum aufflackerte, sorgte dafür, dass ich mehrmals die Augen zusammenkneifen musste, bevor ich auch nur einigermaßen meine Umgebung erkennen konnte.

Vom Halbschlaf umwickelt nahm ich den Wasserkocher in die Hand und hielt es unter den Hahn, welche ich dann an seinem rechtmäßigen Platz wieder abstellte und den roten Knopf zum Aufkochen betätigte. Das Kakaopulver auf den Marmortresen abstellend, lehnte ich mich schließlich mit verschränkten Armen an die Platte. In der nächtlichen Stille lauschte ich dem Brodeln des Wassers, ehe ich dem Druck in meiner Brust mit einem mehr als müden Seufzer endlich den nötigen Freiraum erschuf.

Wieso träumte ich davon? Das Vorstellungsgespräch fand vor zwei Tagen statt, trotzdem tauchen seit jeher diese undurchdringlichen Augen vor mir auf. Ich rieb mit erschöpft über die Lider, weil mich diese Tatsache verrückt machte. Zum Durchdrehen verrückt. Vielleicht redete ich beschwichtigend auf mich ein, hatte das Wiedersehen nach all den Jahren irgendwelche Gefühle durcheinander gebracht, die unter meinem Herzen für immer vergraben geglaubt waren, sich aber aufgrund der aktuellsten Ereignisse nun einen Weg an die Oberfläche erkämpften. Ganz gleich was auch diese Verwirrung herbeiführte, eins stand glasklar fest: Es musste schleunigst eliminiert werden. Diesen Entschluss fassend, steuerte ich mit dem fertig zubereiteten Kakao das Wohnzimmer an. Das Licht brauchte ich in diesem Falle nicht anzuschalten, denn die Beleuchtung der hoch herausragenden Gebäude vom Fenster aus, erwiesen sich ganz passabel für meine Sehverhältnisse, sodass ich die Möbel um mich herum zumindest im groben ausmachen konnte. Den Blick flüchtig über den viel zu großen Raum wandern lassen, schüttelte ich abermals den Kopf. Dieses Apartment war eindeutig zu groß für einen einzigen Erwachsenen. Und das wiederum war so typisch für ihn, dass ich mir hätte denken können in keiner gewöhnlichen Wohnung zu landen, wie es für die normal verdienende Mittelschicht üblich war. Nein, diese Räumlichkeiten übertrafen selbst die exklusivsten Suiten der Pariser Fünf Sterne Hotels. Mich mit diesem Versäumnis nicht mehr länger befassen wollend, stellte ich mich vor das weit ausgeschnittene Fenster und blickte runter in das Meer der Lichter das mir aus dieser Höhe zu Füßen lag. Auch wenn die Uhr bereits 3:00 geschlagen hatte, galten in einer Metropole wie Chicago ganz andere Zeiteinheiten. Schlafen gehen stand hier nicht zur Debatte, das Nachtleben kündigte sich in vollen Zügen an.

Sowohl in den großen und teuersten VIP - Vierteln, als auch irgendwo da draußen in den kleinen versteckten Gassen hatten sie eine selbstzufriedene, lockere Haltung eingenommen.... Ein Menschentrichter gefüllt voller Lebensfreude, Adrenalin und Zusammenhalt erstreckte sich über die ganze Stadt, während mich hier, einige tausend Meter über Ihnen die reinste Einsamkeit umzingelte. Eine bedrückende Stimmung machte sich unverzüglich breit, verschluckt, ebenfalls von der Dunkelheit, in der ich mich befand.

Wahrscheinlich waren die Menschen einige tausend Meter unter mir jünger als ich, noch wahrscheinlicher war der Großteil von Ihnen in meiner Altersgruppe. Umgeben von einem Haufen Menschen, die sie mit Liebe und Zuneigung überschütteten, stand ich hier oben, ganz allein. Wieder einmal. Aber bestand nicht das Leben aus trostloser Einsamkeit? Die Realität, die niemand wahrhaben wollte, der sie sich aber mehr als bewusst waren? Sicher. Von außen aus betrachtet sahen sie glücklicher aus als ich, aber galten Familie, Freunde, Bekannte nicht nur als hübsche Accessoires einer Illusion des Lebens, welche die Tatsachen verzerren sollte damit es weniger hässlich aussah? Ein Ventil, das die Wahrheit kaschierte und in jene Falle die Menschheit dennoch jedes Mal aufs Neue bei klarem Verstand tappte.

Ich war dem Alleinsein von vornherein gewohnt, schon von klein auf. Doch sobald man auch nur ein Tropfen von der Zusammengehörigkeit kostete, erwies es sich ganz schwer den alten Weg wieder einzuschlagen. Nicht die Traurigkeit stürzte uns für gewöhnlich in die Miesere, es waren die hohen Erwartungen an uns selbst das Isolationsvakuum das uns umzingelte zu entkommen.

Ich fokussierte meinen Blick weiterhin auf die jungen Leute der gegenüberliegenden Straßenseite und ein leichtes Lächeln zierte meine Lippen. Das Maskenspiel einer Fehlvorstellung der Menschen unter mir amüsierte mich schrecklich. Ihr zwanghaftes Bestreben das Gefühl der Liebe und Geborgenheit in eine Kapsel gefangen nehmen zu können, ganz gleich mit welchem Mitteln auch immer, erinnerte mich ein mein 18-Jähriges naives ich. Nun stellte sich also die Frage was besser von beiden war, sich einer Illusion hinzugeben und in einer Lüge zu leben, aber dafür glücklich zu sein oder der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, dafür aber die Einsamkeit und die Trauer in Kauf zu nehmen?

Ein leises Klingeln riss mich so plötzlich aus meinen Gedanken, dass ich einen Moment brauchte, um mich wieder meiner Umgebung vertraut zu machen. Nach einem anfänglich kurzen Zögern, fanden meine Augen das auf dem Tisch liegende Handy. Der Name auf dem Display entlockt mir ein Schmunzeln. Als hätte er geahnt, dass ich gerade über ihn hergezogen hatte.

»Allô

»Ma chérie. Ich bin nicht davon ausgegangen dich, um diese Uhrzeit noch zu erreichen«, erklang die muntere, ausdrucksstarke Stimme am Ende det Leitung und meine Laune erhellte sich auf Anhieb.

»Ja. Ich... ich konnte nicht einschlafen«, log ich und hoffte er würde nichts bemerken. Diesmal gab ich mich mit einer Lüge als das kleinere Übel zufrieden. Denn die Wahrheit würde mich in fremde Gewässer führen und peinigen. Mit ernsterem Tonfall fragte er:

»Hast du dich schon einleben können? Gab es Komplikationen?«

»Alles läuft nach Plan«, antwortete ich und hoffte, ihn auf diese Weise von meiner Nervosität ablenken zu können.

»Meine Kritik gilt lediglich diesem Apartment. Du kannst mir doch nicht allen Ernstes sowas zur Verfügung stellen. Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass diese Wohnung in meinem Umkreis Fragen aufwerfen wird. Warum kannst du nicht einmal einen Gang runter schalten?«

»Weil ich reichlich Geld zum Ausgeben habe, chérie

»Ja, was aber umgekehrt nicht bedeutet, dass du es aus dem Fenster schmeißen musst. Es gibt Menschen, die Tag täglich Hungern und...«

Ein erheitertes Lachen war am anderen Ende der Leitung auszumachen, weshalb ich gereizt mitten in meinem Satz verstummte. Wieso lachte er?
Doch leider war ich nicht immun gegen sein Lachen und mein Ärger löste sich ungewollt in Luft auf. Es folgte eine kleine Pause, die schlussendlich wieder durch ihn unterbrochen wurde.

»Wie ist es gelaufen?« Er hatte sich bemüht sachlich zu klingen, trotzdem konnte er mich nicht täuschen. Die Neugierde registrierte ich sofort. Bei diesen Worten schloss ich für einen Moment die Augen. Wie sehr ich mich wünschte er würde mich mit dieser Frage verschonen, aber mir war bewusst, dass es zur Sprache kommen musste.

»Gut«, sagte ich deshalb kurz angebunden.

»Gut? Mehr hast du diesbezüglich nicht zu sagen?« Meine Antwort stellte ihn nicht ansatzweise zufrieden. Doch wie üblich reagierte ich auch hier nicht auf seinen Tonfall, sondern bestätigte mit fester Stimme:

»Ja gut. Er hat sich kaum verändert.«

Erneute Stille am anderen Ende der Leitung.

»Aurora...«, begann er seinen Satz ohne den neckischen spielerischen Ton in seiner Stimme, der wiederum seinen französischen Akzent stark zum Vorschein brachte.

»... Gefühle können schwer zu bändigen sein. Insbesondere wenn so unglaublich große und gegensätzliche Gefühle...«

»Keine Sorge«, schob ich schnell ein und beendete seinen unvollständigen Satz. Nach dem Traum gerade hatte ich nicht den nötigen Nerv, mir auch noch seine Predigt anzuhören.

»Es gibt wirklich keinen Grund zu Sorge. Ich weiß, weshalb ich hier bin und ich weiß auch was ich tun muss. Er wird bezahlen für das was er mir damals angetan hat. Ich verliere nicht mein Ziel vor Augen. Das schwöre ich dir.«

Ein letztes Mal überprüfte ich im Spiegel meine Haare, die zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden waren.Die khakifarbige enganliegende Jacke, welche an den Schultern leicht nach oben befördert war, hatte ich mit einer schlichten Schlaghose kombiniert. Zudem trug ich darunter hochhackige Boots, die den ganzen Look in einem Ausgleich zwischen Eleganz und maskuliner Förmlichkeit behielt. Selbstzufrieden zog ich meinen Lippenstift nach und musterte mein Spiegelbild. Im Gegensatz zu meiner Darbietung am Montag wirkte ich mit den bedeckten Armen und Beinen zurückhaltender, was aber angesichts des Stoffes, die sich an den richtigen Stellen schmiegte, ebenso seinen Reiz hatte.

Wie würde er reagieren? fragte ich mich. Würde er es überhaupt bemerken? Würde es ihn verwirren, wenn er mich verschlossener zu Gesicht bekam? Ich hoffte es inständig, denn wie bereits vorher gesagt hatte ich nicht vor meine körperlichen Reize so schnell auszuspielen. Zu allererst musste ich ihn ungeduldig stimmen und genau diese Ungeduld würde ich dann zu meinem Vorteil nutzen. Bei dem Gedanken daran hoben sich meine Mundwinkel schlagartig. Es kann losgehen, Aurora. Du schaffst das.

Nachdem ich den Empfang nun das zweite Mal betrat, fühlte ich mich für einen kurzen Augenblick in die Lage am Montag zurück katapultiert. Nur, dass die Mitarbeiter um mich herum dieses Mal weites gehend beruhigter und entspannter wirkten. Mir nichts mehr dabei denkend, wollte ich gerade meinen Weg an den Empfang fortsetzen, stoppte jedoch, als ich plötzlich von einer Stimme unterbrochen wurde.

»Ms... Ms. Duront. Sind Sie das?« Über die Schulter hinweg erblickte ich die junge Dame mit den zarten Konturen, die mich vor Shane gewarnt hatte. Auch heute trug sie einen für ihr Alter viel zu strengen Anzug, der für ihr glatte, blasse Haut recht unvorteilhaft wirkte.

Erstaunt blickte sie mich von oben nach unten an, als könnte ich mich jeden Moment in Luft auflösen.

»Ja, Hallo«, erwiderte ich höflich und setzte ein freundliches Lächeln auf.

»Also stimmt es wirklich... Sie haben die Stelle«, gab sie erstaunt, doch zugleich bewundernd von sich.

Ein Lächeln huschte über meine untere Gesichtspartie.

»Finden Sie das so schlimm?«

»Oh nein, nein Madame, Sie verstehen mich falsch. Es ist nur irgendwie unüblich wissen Sie und nach ihrem Abgang war Mr. Caprino auch... Mhh wie soll ich es ausdrücken... er war nicht recht entzückt von Ihrem Verhalten, um es noch milde auszudrücken.«

Ha! Er war also doch sauer gewesen. Exakt wie ich vermutet hatte.

»Dann muss ich Glück gehabt haben. Denn irgendwie bin ich doch hier gelandet.«

»Ich freue mich für Sie. Willkommen. Wenn Sie Fragen haben sollten, können Sie sich jederzeit an mich wenden. Auch wenn ichzuversichtlich bin, dass sie sich schnell einleben werden.«

»Danke schön, Miss...«

»Elvana. Aber bitte nennen Sie mich kurz und knapp einfach Ela« Aus ihr sprühte regelrecht eine positive Energie aus, die so gar nicht zu der vorgestrigen eingeschüchterten Haltung passte, weshalb die Fragezeichen in meinem Kopf immer größer wurden.

Irgendetwas war doch gewaltig komisch an der Sache.

»Stimmt etwas nicht Miss?«

Oh Mist. Ich hatte nicht auf meine Miene geachtet.

»Mich wundert es nur wie sie beziehungsweise all die Mitarbeiter... nun wie drücke ich es am besten aus. Ihre Reaktionen und ihr Verhalten sind heute ganz unterschiedlich. Das letzte Mal hatte ich einen ganz anderen Eindruck gesammelt. Es ist aber gut möglich, dass mein Gefühl mich getäuscht haben.«

Nun ist sie diejenige die sich schwer ein Lachen zu verkneifen versucht.

»Das haben sie sehr gut beobachtet, Miss. Was für einen Eindruck haben Sie denn ursprünglich gehabt?«

»Viele haben mir einen überheblichen, beinahe arroganten Eindruck übermittelt. Zudem war da diese Hektik und Panik gewesen.«

»Sie liegen überhaupt nicht falsch mit ihrer Vermutung, Miss. Aber soll ich Ihnen etwas verraten? Diese Haltung kommt erst zum Vorschein, wenn Mr. Caprino anwesend ist.«

Ich runzelte die Stirn.

»Wie meinen Sie das?«

Ohne mich eines Blickes zu würdigen, sah sie auf ihre Armbanduhr.

»In zwei Minuten, um Punkt acht ist er da. Ich sag's Ihnen in ungefähr 30 Sekunden bricht hier das reinste Chaos aus.« Als hätte sie ein Startsignal abgegeben, hörte ich bereits die Reifen von draußen, die immer lauter wurden und an Geschwindigkeit und Nähe zunahmen auf das Gebäude zurasen. Abrupt hielt ein mattschwarzer Porsche vor der Eingangstür, ehe die Türen wie auf Kommando zu beiden Seiten aufschwangen. Meine Aufmerksamkeit galt jedoch wieder den Mitarbeitern, die vor meinen Augen einem 180 Grad Wendung vollführten. Frauen zupften an ihren bereits perfekt frisierten Haaren, Männer fummelten energisch an ihren eintönigen Krawatten herum, hie und da wurden Akten durch die Gegend getragen und das Tempo nach der sie ihren Beschäftigung nachgingen nahm von Mal zu Mal immer mehr zu, bis ich irgendwann komplett den Überblick verlor.

Du meine Güte... würde jeden Morgen bei seinem Anblick solch ein Chaos ausbrechen? Diese Frage erübrigte sich mit dem Eintreten besagter Person in das Foyer. Die Zeit schien still zu stehen. Ausnahmslos alle Blicke in diesem Saal zielten auf diesen charismatischen, jungen Mann vor dem Eingang. Sein maßgeschneiderter Anzug, der spießiger nicht hätte sein können, wurde durch sein selbstbewusstes Auftreten schamlos aus der Reihe gedrängt.

Er wirkte machtvoll, stark und unerreichbar, wie jedes Mal und während er sich von den Blicken nicht einengen oder aus der Fassung bringen ließ, warf er in einer aufrechten Position stehend einen flüchtigen Blick über den Raum bis er an einer Stelle einen Zwischenstopp einlegte. Bildete ich mir das ein oder blickte er geradewegs in meine Richtung? Diese Vermutung verifizierte sich, als

er plötzlich seinen Blick von meinem Körper hinuntergleiten ließ und sich dabei ein erstaunter Ausdruck in seinen Gesichtszügen ausbreitete.

Tja, ich sagte doch, so leicht wird es nicht werden Shane Caprino.

Den kleinen Triumph nicht ansatzweise auskostend könnend, nahm er da bereits seinen Blick von mir und schritt den Gang entlang, mitten durch etliche Augenpaare hindurch. Einige bemühten sich, das Gesicht in die Akten gesteckt, den Eindruck zu übermitteln in die Arbeit vertieft zu sein, während sie ihrem Vorgesetzten mit den Blicken auf Schritt und Tritt folgten. Andere wiederum hielten sich selbst dabei nicht zurück.

»Das war genug Showeinlage«, kam er nun von Elvana, die wieder ihre ernste Sekretärinnen Miene aufgesetzt hatte.

»Wir müssen jetzt an die Arbeit.«

»Läuft das jeden Morgen so ab?«, fragte ich im Aufzug.

»Leider ja. Manchmal ist es sogar erheblich schlimmer als heute«, gab sie mit einem entschuldigenden Seitenblick zu verstehen.

Als die Aufzugstür zur Seite schwangen, trat mir als allererstes dieselbe große Tür ins Blickfeld, aus der ich aufgelöst geflüchtet war. Shanes Büro. Ansonsten erstreckte sich wie auch zuvor unverändert, der exklusiv und äußerst luxuriös gestaltete Vorraum. Alleinig eine Kleinigkeit stellte im Gegensatz zu vor paar Tagen eine Änderung dar, nämlich, dass vor Shanes Bürotür auf der linken Seite nicht mehr ein Schreibtisch positioniert war, sondern ein weiterer auf der gegenüberliegenden Seite. Es war ein Duplikat des sterilen, aber modernen Schreibtisches von Elvana.

»Das ist dein eigenes Reich«, verkündete sie aufgeregt, als wäre es ihr und nicht mein erster Arbeitstag.

»Wenn Ihnen etwas fehlen sollte, oder Sie mit der Einstellung des Rechners nichtzurecht kommen, bin ich direkt gegenüber« Sie zeigte auf ihren Platz.

»Ich wiederhole mich aus dem Grund mehrmals, weil ich Sie bitten würde sich von Anfang an daran zu gewöhnen bei Fragen mich aufzusuchen, statt Mr. Caprino. Fragen sind bei Ihm ein absolutes Tabu und völlige Zeitverschwendung. Er kann diesbezüglich sehr gereizt werden. Also schlagen Sie es sich aus dem Kopf ihn mit Frage zu konfrontieren. Nicht einmal, wenn es darum geht in Erfahrung zu bringen, wie es ihm geht. Ich, ja. Er, nein.«

Ich musste bei ihrer Erläuterung Grinsen und folgte ihrem Beispiel, indem ich mich auf meinen Sessel setzte.

»Sie werden für seine Termine, Meetings, Geschäftsessen und Telefonate zuständig sein. Wenn er einen Kaffee in zwei Minuten haben möchte, besorgen sie ihm innerhalb dieser zwei Minuten einen Tasse Kaffee und keine Sekunde später. Will er plötzlich eine Reise nach Dubai machen, dann ermöglichen Sie ihm diese Reise auf der Stelle ohne Widerrede, verstanden?«

Ich nickte. Es brannte mir eine letzte Abschlussfrage auf der Zunge die wiederum seinerseits von dem Tönen eines 'Plings' weggescheucht wurde. Wir blickten beide in Richtung Aufzug, wo im nächsten Moment Shane vor uns hervorragte.

»Guten Morgen, Mr. Caprino«, setzte seine Sekretärin gut gelaunt an. Das Einzige was er erwiderte war ein knappes und unhöfliches 'Morgen', wobei er uns, zu meiner großen Verwunderung erneut keines Blickes würdigte und zielstrebig seinen Weg ins Büro ansteuerte.

»Ich möchte Sie in einer Minute in meinem Büro sehen Ms. Duront,« band er kurz an und ich nickte, merkte dann aber, dass der werte Herr ja gar nicht mitbekommen hatte, dass ich zugestimmt hatte.

»Ja Sir«, verkündete ich also letztendlich mit einer festen Stimme und da verschwand er auch schon hinter der großen Tür. Arrogantes Arschloch, dachte ich mir und verdrehte die Augen. Schnell suchte ich nach einem kleinen Block und einem Stift auf meinem Schreibtisch, schöpfte Kraft von Elvanas aufmunternden Blick, atmete ein letztes Mal vor der Tür tief ein und betrat dann erhobenen Hauptes die Höhle des Löwen. Erneut bewunderte ich diesen Raum, denn die Glaswand machte es mir unmöglich meinem Blick von der Außenwelt wegzunehmen. Die Aussicht war atemberaubend schön zugleich aber auch irgendwie deprimierend. Tag täglich saß man im Büro und musste arbeiten, während den Menschen und die wundersame Natur nur dieses dünne Glasstück voneinander trennte.

»Treten Sie hervor«, unterbrach mich eine Stimme und da bemerkte ich Shane, der nicht an seinem Schreibtisch saß, sondern in dem schwarzen Ledersofa auf der rechten Raumseite, einen Stift in der Hand hielt und etwas in sein Tablett eintippe, während er mich aufforderte zu ihm zu gehen.

Dass er mich auch dieses Mal keines Blickes würdigte, überraschte mich nicht.

»Sagen Sie den Termin mit der Vertragsfirma in Oslo ab und setzen Sie Sie in Kenntnis, dass wir an Ihr Angebot nicht interessiert sind. Reservieren sie um 15:30 Uhr einen Tisch in 'Bellezza' für meinen Agenten und mich. Rufen Sie außerdem Mr. Fritz an und informieren Sie ihn, dass der endgültige Preis 5 Millionen beträgt, ansonsten ist der Deal geplatzt. Übrigens will ich die Konferenz von nächster Woche Donnerstag, bereits auf diese Woche vorverlegt haben, suchen Sie einen geeigneten Termin und Raum dafür aus und zwar zügig. Des Weiteren erwarte ich, dass ich Jeff in 10 Minuten an der Leitung habe...«

Eilig kritzelte ich so schnell es ging alle Informationen auf das kleine Stück Papier, was zugegeben nicht einfach war, da er alles rauf und runter ratterte, sodass mir nicht einmal die Zeit dazu blieb ihm einen bösen Blick zuzuwerfen. Nicht dass er dem sonderlich Beachtung schenken würde, doch wenn ich das getan hätte, hätte ich den Faden sicherlich ganz verloren. Wie lautet die Telefonnummer von diesem Mr. Fritz? Wie sollte ich so schnell einen Tisch reserviert bekommen? Über welche Konferenz sprach dieser Typ und wer war Jeff?Als ob er meine Überforderung und meinen Ärger gespürt hätte, hob er abrupt den Blick und lehnte sich gelassen in seinem Sofa zurück. Dabei verengte er seine Augen und ein leichtes teuflisches Schmunzeln legte sich auf seine Lippen.

Moment... Das hat er mit Absicht gemacht!

»Noch Fragen?«

So war das also, du willst mich in die Irre führen. Na warte Freundchen.
»Nein alles verstanden. Ich werde ihre Aufforderungen unverzüglich umsetzten, Mr. Caprino.« Einer seiner Augenbrauen ging leicht nach oben.

Tja, ich werde hier definitiv nicht das verzweifelte Huhn spielen.

»Haben sie denn sonst keine weiteren Fragen?«, hackte er nochmal nach und ich hielt für einen Moment inne, als er mich mit seinem Blick durchbohrte.

Keine Fragen schoss mir Elvanas Warnung durch den Kopf. Mein Verstand fiel aber wie immer meinem Herzen zum Opfer, weshalb es mich nicht wunderte, dass ich doch zum Sprechen ansetzte.

»Tatsächlich wäre da noch was.«

Jetzt wurde er aufmerksam.

»Warum haben Sie mich eingestellt?« Das war eine berechtigte Frage wie ich fand. Denn mich interessierte es wirklich, warum er mich trotz meiner Frechheit und Zügellosigkeit eingestellt hatte. Sein Gesicht blieb ausdruckslos und er sah mich einige Sekunden lang an, ehe er sich eine Antwort zurechtgelegt hatte.

»Sie sind motiviert.« Verständnislos runzelte ich die Stirn, was ihm nicht entging.

»Sie sind recht frech, und unbeherrscht und völlig impulsiv... «

Ja danke, solche Komplimente höre ich liebend gern. Mach weiter so.

»... und trotz dieser Tatsachen habe ich den Willen in ihren Augen gesehen. Ich brauche ehrgeizige Menschen und in Ihnen sehe ich dieses Potenzial. Außerdem möchte ich sehen wie weit Sie es mit Ihrer Liebe zu Herausforderung schaffen.«

Ich schluckte. Ich brauchte einen Moment, um seine Worte zu verdauen.

»Aber... «, erklang nun von erneutem seine Stimme, wobei die raue und nun dunkle Tonlage mich veranlasste den Kopf senkrecht zu heben. Er hatte seine Augen auf mich gerichtet und die Leichtigkeit von vorhin war wie verfolgen.

»Falls Sie es je wieder wagen sollten, ohne meine Erlaubnis auch nur einen Fuß aus diesem Raum zu setzen... dann sind sie gefeuert. Fristlos«

Ich hielt den Atem an. Und diesmal war ich mir sicher, dass diese wutlodernden Augen es ernst meinten.

Ich hatte mich geirrt. Der schlafende Wolf war in Wahrheit ein angriffslustiger Löwe. Und so wie es aussah, hatte er bereits seine Krallen herausgefahren, jederzeit bereit sich in den Kampf zu stürzen.

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