TAPE 26《I'm here》

»Ok...«, sprach er ruhig atmend aus und blickte weit hinaus über das klar schimmernde Meer.

»Ok...«

Unsicher blickte ich ihn von der Seite an, denn eine strenge Haltung hatte sich in seinen Zügen ausgebreitet und nervös biss ich mir auf die Zunge. Doch als plötzlich ein Lächeln sein Gesicht bedeckte und seine feinen Grübchen zur Geltung kamen, fing mein Magen wie so oft in letzter Zeit heftig an zu toben und zu rebellieren. Dieses Lächeln stand ihm, dachte ich. Und genau dieses Lächeln machte mich glücklich.

»Ich gebe hiermit freilich bekannt...«, fing er an und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken.

»Dass ich, Shane Caprino, erstmals verloren habe und das gegen niemand geringeren als gegen dich, Aurora Cassani. Du hattest recht. Du hast mich besiegt«, sagte er gespielt betroffen, während ich mir im nächsten Moment die Hand vor dem Mund hielt und auf kicherte.

»Ich kann's nicht fassen...«, sagte ich begeistert und hoch erfreut, doch er schaute mich nach meiner Reaktion nur noch total entgeistert an. So als würde ich ihn gerade auf den Arm nehmen.

»Ist das die Art wie du dich darüber freust? War's das, ja? Ich... ich Shane Caprino habe gerade zum ersten Mal von meinem großen Ego abgesehen und zugegeben, dass ich verloren habe. Erweise mir also den nötigen Respekt und freu dich richtig«, sagte er beleidigt und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

»Aber... aber wie?«, fragte ich und meine Stimme war nur noch ein leises Flüstern.

Shane zuckte mit den Schultern.
»Schrei laut durch die Gegend.«

Ich riss geschockt die Augen auf und blickte mich in unserer Umgebung um.

»Hier?«, fragte ich und errötete.

Er verdrehte die Augen und bückte sich dann unerwartet zu mir runter.

»Du bist zu verklemmt, Aurora. Die Menschen hier kennen dich nicht. Also was hat es dich zu interessieren, was sie über dich sagen oder denken?«

Als keinerlei zustimmendes Gemurmel meinerseits erfolgte, schrie Shane plötzlich laut auf und streckte die Arme dabei aus. Einige Leute, die währenddessen an uns vorbeiliefen, warfen ihm von der Seite aus komische Blicke zu, was mich den Hals zusammenziehen ließ. Beschämt senkte ich den Blick und wandte den Kopf ab.

»Ich kenne ihn nicht...«, murmelte ich und trat einige Schritte zurück, die er aber mit seinen massiven Schritten schnell wieder beseitigte.

»Und jetzt du!«, sagte er euphorisch. Seine Wagen waren leicht gerötet, seine Lippen hingegen schienen von der Kälte unbeeinträchtigt, wirkten immer noch makellos, und seine dunklen Augen leuchteten auf, sodass wirkte, als würde ich weit in dieser Dunkelheit einen Ausweg, eine Lichtung finden.

»Shane... «, brachte ich panisch heraus.

»Aurora, vergiss einmal was andere von dir denken könnten und lebe. Lebe dein Leben. Genau jetzt, genau hier.« Ermutigend betrachtete er mich und auch ich erwiderte seinen Blick, ehe ich meinen ganzen Mut zusammennahm, die Augen zukniff und ebenfalls zu Schreien begann.

Es fühlte sich merkwürdig an. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich so an, als würde ich zum ersten Mal richtig atmen, zum ersten Mal richtig frei sein und das wahre Leben genießen. Als ich außer Atem stoppte, schenkte ich Shane ein vom Herzen kommendes Lächeln. Wenn er bei mir war sah ich ganz neue Facetten des Lebens und wenn er mich auch noch so betrachtete, wie jetzt, mit diesen geheimnisvollen Augen, mit diesem Blick, dann würde ich mich immerzu nur lebendig und vogelfrei fühlen.

»Nun sag schon, der Gewinner darf sich etwas wünschen. So lautete die Abmachung«, sagte er und gespannt waren seine Augen weiterhin auf mich gerichtet.

»Was willst du? Obwohl, ihr Mädchen seid doch alle gleich. Habt immer nur dasselbe im Kopf. Willst du mich küssen? Willst du, dass ich mit dir so ein kitschiges Päarchending durchziehe mit Blumen und Schokolade und all den Zeugs? Dich schön ausführe und dir anschließend Komplimente mache? Sag schon. Das ist kein Test wie in der Schule, hier gibt es kein richtig oder falsch.«

Ich überlegte einen Augenblick lang in Gedanken versunken. Alles war er aufgezählt hatte war zwar schön, aber es entsprach keineswegs meinen Vorstellungen. Was wollte ich denn von ihm? Ich hielt kurz inne als die Antwort dazu wie ein Blitz auf mich eintraf.
Es gab da etwas. Eine Sache, die ich wissen wollte und die mir seit dem Essen mit Victoria Caprino auf der Zunge lag, als ich sie auf das Klavier im Haus angesprochen hatte. Shane war danach wie ausgewechselt gewesen und Victoria Caprino, die an dem Abend sehr offenherzig und nett zu mir gewesen war, wurde mir einem Mal unheimlich nervös.

Ungeschickt blickte ich auf den Boden nieder und fragte ein erneutes Mal flüsternd:

»Ich darf mir wirklich alles wünschen?«

»Nun, wenn du mich nackt sehen möchtest dann lässt sich auch das regeln, aber nicht hier in der Öffentlichkeit. Ich will schließlich nicht in den Knast kommen«, antwortete er mit einem süffisanten Lächeln, wurde aber schlagartig dann wieder ernst, als er meine Ängstlichkeit spürte.

»Ja alles, Aurora. Sag schon, was ist es?«

Ok, Aurora. Shane hat gesagt es gibt kein richtig oder falsch. Trau dich! Sag es ihm einfach! rief ich mir innerlich ermutigend zu.

»Ich möchte, dass du spielst...«, flüsterte ich kaum hörbar und starrte auf meine Hände runter.

»Ich möchte, dass du mir etwas auf dem Klavier vorspielst.«

Und in dem Moment als ich den Blick langsam hob und seine pechschwarzen emotionskalten Augen begegnete, wusste ich, dass es doch ein Falsch gab.

Es gab eine falsche Antwort.

Ich schob mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und lief durch den langen Flur, während mich alte Erinnerungen plagten. Wo konnte er sein, wo konnte er sich aufhalten, überlegte ich fieberhaft und durchkämmte die Gegend. Eine Spur von ihm war hingegen nirgends auszumachen. Ich wurde panisch, dass sich Schweißflecken an mein Kleid bildeten. Irgendwo musste er sich doch aufhalten, alleine konnte er in diesem Zustand nicht bleiben. Das konnte nicht gut gehen.

Ich blieb an derselben Stelle stehen und hielt mir bekümmert mit der Hand an die warme Stirn, ehe ich gepresst aufseufzte.

Denk nach Aurora wo, wo, wo...

Plötzlich huschte mein Blick an der Rezeption nach vorne und von dort aus automatisch auf den Eingang zu, woraufhin ich wie auf Kommando ungeachtet, dass mir die Beine bereits von den zu hohen High Heels weh taten, drauf zusteuerte und innerlich hoffte ihn dort finden zu können.

Mich immer näher der Kälte herantastend, realisierte ich zwar, dass ich meine Jacke im Gebäude gelassen hatte und dass mit der kühlen Luft an diesem Abend nicht zu scherzen war, dies hielt mich aber dennoch nicht ab meinen Weg weiter zu beschreiten. Ich musste einfach wissen, wo er sich aufhielt, in was für einen Zustand er sich befand.

Ich trat raus vor das pompöse Restaurant, mein Körper bereits von der nächtlichen Kälte umworben und zitternd, derweilen ich so gut es ging, durch die Beleuchtungen der Straßenlaternen oder den Gebäuden, mich weites gehend in der Dunkelheit umorientierte und Ausschau nach seiner herausragenden Statur hielt. Verzweifelt wollte ich gerade erneut laut auf fluchen, doch etwas abseits auf einer Bank im Schatten sitzend konnte ich eine Silhouette ausmachen.

Mit langsamen und vorsichtigen Schritten lief ich darauf zu, indes ich dabei versuchte mich so unbemerkt es ging an die Person heranzuschleichen.
Ein kleiner, aber bedeutsamer Blick bestätigte mir kurz darauf, dass er es war und das spornte meine Entschlossenheit nur umso mehr an.

Shane bemerkte mich nicht. Er saß einfach allein auf dieser glatten Platte. Die angespannten muskulösen Arme, die sich durch sein weißes enges Hemd abzeichneten, hatte er an seinen Beinen abgestützt und seine Finger, die sich dabei in seinen Haaren vergraben hatten, während er nach vorne gebückt auf den Boden starrte, verleiteten mich dazu die Luft anzuhalten.

Shane sah einfach nur verloren und verwirrt aus.
Ich konnte nicht anders... ich musste zu ihm. Die Hände zu Fäusten geballt, schloss einen Augenblick lang die Augen zu und rang nach Selbstbeherrschung. Wenigstens in dieser Sache musste ich... ich musste ihm beistehen.

Als das Klackern meiner hohen Absätze kurz darauf hart auf dem Asphaltboden zu hören waren, zuckte Shane auf und ohne überhaupt um Erlaubnis zu bitten, setzte ich mich zu ihm auf die andere Seite der Bank.

Er hob den Kopf. Der Blick, den er mir daraufhin zu warf machte mir Angst. Er wirkte gerissen und die Augen hatten einen wilden Ausdruck angenommen. Wütend zog er seine Hände aus den Haaren. Es war der Moment als ich das Zittern seine Hände erfasste und ganz gleich wie bestrebt er auch war dies zu verbergen es gelang ihm nicht. Atemlos betrachtete er mich, nur schwer ließ er die Luft aus seiner Kehle heraus. Er versuchte sich zu konzentrieren, sich zu kontrollieren doch auch diesbezüglich scheiterte er kläglich. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, aber er wich von meiner Berührung zurück. Sein Gesicht war übermannt von einer gnadenlosen Angespanntheit und Aggressivität.

»Nicht«, knurrte er auf, seine Augen starr auf meine gerichtet.

»Gehen Sie wieder rein... gehen Sie!«, presste er heraus. Mich seiner Aufforderung wiedersetzend, schüttelte ich mehrmals übertrieben den Kopf.

»Nein.«

»Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um mich zu provozieren«, brummte er ein nach Beherrschung ringend, während er das Beben seiner Handgelenke zu unterbrechen versuchte.

»Ich sagte Sie sollen gehen!«

»Fuck«, brachte er fluchend heraus und fuhr sich aufgewühlt durch die Haare. Verdammt nochmal es hatte ihn wieder aus der Fassung gebracht, ihn wieder zurück katapultiert. Dieses beschissene Piano.

Sturköpfig wie ich war, weil ich wusste, was er in diesem Zustand alles anrichten konnte, rührte ich mich nicht von der Stelle. Nein. Es war falsch, was ich jetzt im Inbegriff war zu tun, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen, wusste ihn nicht anders zu bändigen. Dies war meine einzige Chance ihn zur Besinnung zu bringen.

Abrupt umfasste ich seine kalten, schweißgebadeten Hände, die er schnell aus meinem Griff zu entziehen versuchte, ich es aber nicht zuließ, sondern fester zudrückte.

Wütend schaute er mich an und ich schaute ihn an.

»Atmen Sie... atmen Sie ruhig... es ist alles gut«, sagte ich beherrscht und hoffte, dass ihn meine Stimme erreichen würde. Einige Sekunden lang geschah nichts. Ich spürte wie er sich meinem Griff immer noch entziehen wollte, doch irgendwann, nur Sekunden darauf, schienen meine Worte etwas in ihm ausgelöst zu haben, denn sein Blick wurde weicher, die Falten, die Anspannung aus seinem Gesicht, Körper nahmen mit einem Mal ab bis sie letztendlich wie eine unsichtbare Klette von ihm fielen.

Ich hatte es geschafft. Ich war zu ihm durchgedrungen. Und dann sog er meinen Ratschlag folgend tief die Luft ein und wieder aus.

»Ja, ja genauso«, sagte ich leise und fuhr sachte über seine wunderschönen zarten Hände.

»Sie sind hier, ich bin hier. Es existiert nur dieser Moment, halten Sie daran fest.«

Erneut verstrichen einige Sekunden gefolgt von Minuten und als sein sich beruhigender Herzschlag gegen meine Ohren schlug, wusste ich, dass ich zu ihm durchgedrungen war. Er blickte stumm gerade aus in die Dunkelheit, ich folgte diesem Beispiel widerstandslos, bis wir uns, ohne ein Wort gewechselt zu haben uns gemeinsam von unseren Plätzen erhoben und uns in das Gebäude begaben, so als wäre gerade rein gar nichts passiert. Das Klavierspiel hatte aufgehört und innerlich dankte ich Elvana für ihre Hilfe. Wie zuvor auch trat Shane als erster in den Saal rein. Ich folgte dem kurz darauf, während mich Gedanken plagten, wie ich aus dieser Sache wieder rauskommen sollte.

Dieses Mal war es anders... gefühlvoller, verständnisvoller. Shane würde dies nicht entgangen sein und ich musste mir schleunigst etwas plausibles einfallen lassen bevor ich in die Falle tappte.

Eine gute Sache gab es jedoch in diesem Chaos. Niemand hatte sich zu unserem Auftreten nacheinander geäußert. Außerdem schien niemand Shanes Panikattacke bemerkt zu haben, denn die Leute sprachen, tranken und protzen weiterhin mit ihren Geldern rum was das Zeug hielt. Ich befürchtete schon, dass ich mir das einige weitere Stunden anhören musste, doch da konnte ich von Glück sprechen, als kurz darauf das Abendessen für beendet erklärt wurde und jeder seinen Weg nach Hause antrat.

An der frischen Luft angelangt, stellte sich mit einigen Schritten Elvana neben mich und zog sich dabei ihre Jacke über. Als sie ihren festen Stand gefunden hatte, warf sie mir einen merkwürdig fragenden Blick zu, den ich vorerst keine Beachtung schenkte, indem ich den Blick hoch hinaus auf den von Sternen überwucherten Himmel richtete. Wie hätte ich auch denken können, dass ich die Kurve bekommen hatte. Elvana war eine Frau, natürlich war ihr nicht entgangen, dass ich sehr lang weg war. Genauso lang wie Shane. Jack indes, der im selben Moment hinaus vor das Restaurant trat, gesellte sich zu uns und schien keinen erdenklichen Gedanken daran verschwendet zu haben, was Shanes spätes Auftreten zu bedeuten hatte. Er fummelte sich, zeitgleich Shane gerade nach draußen kam, sein Jackett zurecht und drehte sich dann zu uns um.

»Ich kann Sie nach Hause fahren, Miss Duront«, sagte er und fügte geschickt hinzu:

»Und Sie natürlich ebenfalls, Miss Harvis.«

Ich war müde. Müde und erschöpft von seinen Versuchen mich um den Finger zu wickeln und müde von dem ganzen Abend, von den ganzen Ereignissen.

Lass es doch einfach gut sein Jack, dachte ich mir, setzte aber gezwungenermaßen dennoch ein halbwegs nettes Lächeln auf.

»Danke Sir, aber wir nehmen bereits ein Taxi.«

»Mein Chauffeur wird Sie fahren«, erklang die raue Stimme Shanes nun erstmals wieder. Er hatte nachdem wir reingekommen waren kaum ein Wort verloren und nun blickte er mich, die vollste Lebendigkeit in seinen Augen wiederspiegelnd, an. Ich nickte und brach den intensiven Blickkontakt ab. Elvana entging dies jedoch nicht. Scheiße, verdammt! Jetzt hatte ich zwei Probleme an der Backe kleben.

Aurora, was machst du nur? Es ist alles nur deine Schuld Jack!

Mit einer steifen Verabschiedung den Männern den Rücken zukehrend, setzte sich erst Elvana, dann ich mich ins Auto. Sobald das Auto gestartet wurde und der Chauffeur das Auto in Bewegung setzte, drehte meine Nachbarin sich blitzschnell zu mir um.

»Ok was war das?«

Ich seufzte auf.

»Ela muss das jetzt wirklich sein?« Ich wollte nicht lügen, nicht heute und auch an keinem anderen Tag danach. Ich hatte gerade keine Kraft dazu dies weiter fortzuführen.

»Eh ja ... habt ihr euch gestritten? Mr. Caprino sah wieder total angespannt aus. Er hat am Ende kaum noch gesprochen. Was hast du wieder angestellt Aurora?«

Hiermit revidiere ich meine Aussage von vorhin. Abgesehen von all den Gästen, war Elvana der Wandel ihres Chefs nicht entgangen. Das hat mir noch gefehlt...

Ich blickte erschöpft aus dem Fenster.

»Ich konnte mich nicht zurückhalten«, sagte ich und schloss die Augen.

Schon wieder nicht.

»Verdammt, verdammt, verdammt«, fluchte ich und drückte energisch einige Male hintereinander den Knopf des Aufzugs.

»Nun komm schon runter du blödes Ding. Komm schon.« Ein tiefes Brummen entfloh aus meiner Kehle und ich trat ungeduldig von einem Bein auf das andere, während meine Gedanken an gestern Nacht zurückschweiften. Die gestrige Nacht in der ich nicht wie gewünscht in einen ruhigen, friedlichen Traum versinken konnte. Mich von der einen Seite zur anderen hin und her wälzend, hatte sich eine schlaflose Nacht angekündigte, bis ich kurz nach fünf irgendwann doch vor Erschöpfung Erlösung gefunden hatte. Dieser Akt erwies sich am nächsten Morgen jedoch, wie ich schmerzhaft feststellen musste, als ein Fehler, denn verschlafen zu haben und zusätzlich diejenige zu sein, die zu spät zur Arbeit kam, war nicht Teil meines Plans gewesen.

Während ich also einen grässlichen Start am Morgen hinlegte und keinerlei Hoffnungen besaß, dass dieser Tag irgendwie noch zu retten war, blieb mich nichts anderes übrig als auf den Aufzug zu warten.

Doch plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Mein Handy klingelte. Mit dem Greifen in meine Hosentasche und dem Aufleuchten des Namens auf meinem Display ließ ich angestrengt die Luft aus meiner Lunge raus. Zu meiner Verwunderung ging die Aufzugstür abrupt vor mir auf, sodass ich reinflitzte und mein Handy zurück in meine Tasche verstaute. Was es auch immer er mit mir besprechen wollte, das konnte warten. Ein später gab es bekanntlich immer.

Durch das allzu bekannte 'Pling' in meiner Wunschetage angekommen, stürzte ich direkt aus der Puste auf Elvana zu und blieb vor ihr nach Halt suchend, ungeschickt stehen.

»Ist er schon da? Hat er sich schon beschwert, dass ich nicht da bin. Bin ich gefeuert?«, gab ich außer Atem von mir, doch bevor sie überhaupt zu einer Antwort ausholen konnte, rief besagter Chef aus seinem Büro nach mir.

»Miss Duront. Mein Kaffee.«

Elvana blickte mich entschuldigend an und flüsterte:

-"Ich habe gesagt du seist im Stau stecken geblieben.«

Ich nickte benommen und bedankte mich schließlich bei ihr. Sie hatte es dennoch versucht. Mehr konnte selbst sie nicht aus der Situation rausholen. Ich legte meine Handtasche auf meinen Tisch ab und warf meine Jacke auf meine Stuhllehne, ehe ich mich an meine Aufgabe begab meinem morgendlichen Ritual in der kleinen Küche, die direkt an den Vorraum mit unseren Schreibtischen anknüpfte, nachzugehen.

Zügig und fix arbeitend, betrat ich bereits fünf Minuten später sein Büro und stellte den brühenden Kaffee vorsichtig auf seinen Tisch ab. Er hob kurz seinen Blick und ließ diese über mein Gesicht gleiten. Ich wurde nervös und trat eilig einige Schritte zurück. Bitte, bitte sprich mich nicht auf gestern an. Bitte tu es nicht.

»Entschuldigen Sie die Verspätung, Sir. Mein Taxi steckte im Stau", fing ich an meine Verspätung zu erklären, als er mich weiterhin beobachtete und die Stille mich fast zu erdrücken drohte.

»Ok«, war schlicht seine einzige Reaktion daraufhin.

Erleichtert atmete ich aus und drehte mich um. Ich hatte es geschafft, sprach ich mir beruhigend zu und näherte mich der Tür, doch da hatte ich mich deutlich zu früh gefreut.

»Miss Duront?«

Ich stoppte und kehrte den Atem anhaltend wieder in seine Richtung um.

»Ja Sir?« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schien einen Augenblick lang zu überlegen, ehe er ein weiteres Mal seine Lippen bewegte.

»Warum waren Sie gestern draußen...bei mir. Woher wussten Sie wie Sie mich zu beruhigen hatten?« Die Worte kamen recht zögerlich aus ihm heraus, als hätte er die Situation hin und hergedreht, aber kein zufriedenstellendes Ergebnis bei seinen Entdeckungen erzielt. Toll. Ganz toll, da hast du es wieder geschafft Aurora. Wie kommst du jetzt aus der Angelegenheit wieder heraus? Konnte ich es ihm verübeln, dass er mir diese Frage stellte? Nein, selbstverständlich nicht. Das Ganze war mehr als bizarr gewesen und seine Fragen hatten dabei definitiv ins Schwarze getroffen.

»Ich... ich habe zufällig mitbekommen wie Sie auf den Klang des Klavierstücks reagiert haben«, gab ich ehrlich von mir, während ich meine Fingernägel gewaltsam in meine Innenhandfläche reindrückte.

Gut so Aurora. Sprich einfach weiter. Sei kreativ und lass dir was einfallen.

»Ich habe vor einigen Jahren, als ich gerade Spanisch zu lernen anfing, ein freiwilliges Jahr in einigen Organisationen absolviert, wie Sie immer noch anhand meiner Bewerbung, die ich Ihnen während unseres Bewerbungsgespräches gegeben hatte, ebenfalls nachlesen können. Die Betreuung von kleinen Spanierkindern gehörte dabei gleichermaßen zu meinen Tätigkeiten. In der Tagesordnung standen unterschiedliche Aktivitäten als Pflichtprogramme angegeben, die mit ihnen durchgeführt werden sollten, damit sie Freundschaften knüpfen und ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln konnten. Einer dieser Schwerpunkte war das Programm 'musikalische Entfaltung'. Wenn die Zeit jedes Mal anbrach Musik zu machen mit den Kindern, da gab es einen kleinen Jungen in der Gruppe der genauso reagiert hat wie Sie. Sie haben mich an ihn erinnert. Und da ich in so einer Situation gelernt hatte mit ihm umzugehen, nun da... da wusste ich auch wie ich Sie beruhigen kann.«

Puh, ok. Nicht schlecht klatschte mir mein innerliches ich zu und ich versuchte meine Atmung wieder in einen angemessenen Rhythmus zu bringen. Jetzt musste er mir diese kleine Geschichte nur noch abkaufen. Dann war die Sache erledigt.

Er hingegen bedachte mich mit einem prüfenden Blick.

»Sie sprechen Spanisch?«, war die einzige Frage, die er mir stellte und ich nickte.

»Ja. Ich habe es auf einer Abendschule vor einigen Jahren gelernt. Zum Kommunizieren reicht es auf jeden Fall aus«, sagte ich und diesmal war er es der nickte.

»Sie können gehen«, sagte er so plötzlich, dass ich einige Sekunden verdutzt dastand, ihn mit einem leeren Blick bedacht. Als mir dann letztendlich durchsickerte, dass ich dieser Befragung entkommen war, entriss ich mich von dieser Starre, drehte mich schnurstracks um und lief aus dem Raum, wohlwissend das sein Blick immer noch auf mir lag.

An meinem Platz angekommen ließ ich mich erstmal in meinem Sessel nieder und lehnte mich völlig kraftlos nach hinten.

»Du hast es überlebt«, zog mich Elvana grinsend auf.

Doch auf eine bissige Antwort konnte ich nicht ausholen, denn mein Handy vibrierte vom erneutem. Als ich in meine Tasche griff blinkte dieselbe Nummer auch dieses Mal auf. Ich zischte leise vor mich hin, drückte den Anruf weg und warf mein Handy zurück in die Tasche.

Jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für eine Unterhaltung, alter Mann.

»Lass uns an die Arbeit. Wir wollen ja nicht doch noch seinen Groll zu spüren bekommen«, meinte ich, weil ich so viel Normalität wie möglich wieder einbringen wollte.

Stunden harter Arbeit verstrichen dahin und ich war noch nicht mal annähernd mit den Aufgaben fertig, wie ich es hoffnungsvoll ersehnt hatte. Elvana streckte sich im Sessel mir gegenüber und hob die Arme in die Lüfte.

»Ich habe Hunger. Lass uns eine Pause einlegen«, quengelte sie und strich sich mit der Hand über ihren Bauch, doch ich schüttelte schnell den Kopf.

»Ich kann nicht Ela, ich habe zu viel zu tun.«

Sie verzog das Gesicht und begann vor mir rum zu schmollen. Als sie aber bemerkte, dass es nichts bringen würde, ließ sie nach und seufzte enttäuscht auf.

»Okeyyy. Soll ich dir denn etwas mitbringen?«

Ich hielt kurz inne und antwortete:

»Ein Donut wäre nicht schlecht.«

Belustigt schüttelte sie den Kopf, ehe sie sich ihre Handtasche und ihren Poncho schnappte und sich zum Aufzug begab.

»Wird erledigt«, sagte sie, ehe mit einem Mal Stille einkehrte.

Ich atmete erschöpft aus.

So viel Arbeit...
Das war heute einfach zu viel für mich, dachte ich doch auch dieses Mal wurde ich von der melancholischen Stimmung gerissen, als das nervende Vibrieren meines Handys meine Ohren attackierte.
Was war denn heute so dringend, dass er es nicht sein ließ?

Verärgert, als ich seinen Namen ein weiteres Mal aufblinken sah, nahm ich schließlich den Anruf an.

»Mensch... du bist aber heute echt hartnäckig.«

»Warum bist du nicht ran gegangen?" hörte ich seine angespannte Stimme und plötzlich richtete ich mich im Stuhl auf. Irgendwas stimmte nicht.

»Ich konnte nicht. Was ist denn? Ist was passiert?«

Es blieb in der Leitung Sekunden lang still.

»Oui und ob was passiert ist«, antwortete er verbissen.

Jetzt wurde ich nervös und runzelte die Stirn.

»Was ist los?«

»Letzte Woche hat jemand versucht Zugriff auf deine Akten zu bekommen", ertönte es je am anderen Ende der Leitung und völlig von der Nachricht mitgerissen weiteten sich meine Augen. Ich spürte wie meine Hand durch die Tragweite seiner Worte an Durchhaltevermögen verlor und ich regelrecht kurz davor war das Handy aus meiner Hand fallen zu lassen. Deutlich überrumpelt, versuchte ich die Fassung beizubehalten.

»Wie... wie meinst du das?«

»Ich meine, dass jemand hinter deiner wahren Identität her ist Aurora und ich bin ehrlich zu dir, indem ich sage, dass sie wirklich knapp davor waren, die verschlüsselten Akten in ihre Hände zu bekommen. Das müssen mächtige Leute sein... anders kann ich mir das Ganze nicht erklären. Wer könnte es wagen, darauf zu beharren? Fällt dir da jemand ein?«, fragte er nachdenklich, doch das Einzige was mir in Dauerschleife währenddessen durch den Kopf ging war:

Wer? Wer? Wer .... Wer könnte so etwas gewagt haben? Wer war derart besessen darauf mehr über mich in Erfahrung zu bringen? Was hatte ich übersehen, dass es zu diesem Punkt kam? Ich ließ einmal alles Revue passieren. Mia wusste von meiner wahren Identität Bescheid. Sie konnte es nicht sein und außerdem hatte sie unmöglich die nötigen Mittel in derart tiefe Regionen zu greifen; also schied sie aus. Aber wer und warum sollte dann...? Stopp, das konnte doch wohl nicht...

»Denkst du es war Shane?«, lenkte er meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ich verneinte sofort.

»Nein«, antwortete ich kühl. Nein, ihm gegenüber hatte ich mich nie soweit hinausgewagt beziehungsweise ihn nie so sehr an seine Grenzen gebracht, dass er auf solche Maßnahmen zurückgreifen würde. So wie ich Shane kannte tat er das nicht so leicht. Er war es nicht, aber wer es war lag bereits im nächsten Augenblick auf der Hand.

»Ich weiß wer es war. Mach dir keine Sorgen mehr. Ich werde mich darum kümmern«, sagte ich und legte, ohne auf eine Antwort zu warten wütend auf.

Das war also sein Plan gewesen. Von vornherein. Deshalb hatte er so selbstsicher geklungen.
»Verdammt«, knurrte ich leise vor mich hin, doch am liebsten hätte ich hart auf den Tisch geschlagen. Um Shane nicht skeptisch zu stimmen, presste ich meine Hände an meine Oberschenkel und zählte von 10 abwärts.

Also gut, er wollte es nicht anders haben...

Mit einem schnellen Ruck hatte ich mich über meinen Schreibtisch gebeugt und das Telefon zu mir gezogen. Ohne mit der Wimper zu zucken, drückte ich auf die Zahlen und wartete darauf, dass endlich jemand abhob.

Nach dem zweiten Klingeln ertönte eine fröhliche, attraktive Stimme in der Leitung.

»CK Enterprises, Gill Blake. Wie kann ich Ihnen behilflich sein.«

»Können sie mich bitte an Mr. Cunningford weiterleiten.«

»Mit wem spreche ich?«

Nach kurzem Zögern antwortete ich.

»Aurora reicht vollkommen...«, Schließlich kannte mich die Sekretärin nicht.

»Einen Augenblick Miss", sagte sie und ich warte geduldig, während ich mit meinen Fingernägeln auf den Schreibtisch klopfte.

»Miss hören Sie? Ich leite Sie nun weiter an Mr. Cunnigford.«

»Vielen Dank«, sagte ich und drang eine männliche Stimme zu mir durch.

»Miss Duront was erweist mir die Ehre ihre entzückende Stimme zu hören.«

Bereits von hier aus konnte ich sein siegessicheres Lächeln wahrnehmen. Na warte...

»Ich wollte nachfragen, ob das Angebot noch besteht«, gab ich offenkundig ohne jegliche Begrüßung und ohne auf seine Bemerkung einzugehen, direkt von mir.

Einige Sekunden lang folgte Stillschweigen.

»Welches Angebot?« Er klang leicht irritiert, was mir ein Schmunzeln abverlangte.

»Das Angebot fürs Abendessen.«

Erneutes Stillschweigen. Mein Grinsen wurde um ein tausendfaches größer, als dieser etwas länger anhielt. Ich hatte ihm die Sprache verschlagen.

»Mr. Cunningford sind sie noch dran?«

Wie als ob ich ihn durch einen Schuss geweckt hätte, folgte seine Antwort darauf wie aus einer Kanone geschossen:

»Ja... ja selbstverständlich. Ich bin schließlich ein Gentelman und ich stehe zu meinem Wort.«

Ich verdrehte die Augen. Oh ja, der Idiot was vollkommen in seinem Element.

»Gut. Ich habe nämlich meine Meinung geändert. Ich nehme ihre Einladung an.«

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