TAPE 22《The Virgin Codex》
Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
Kuchen mit Shane zu essen gehörte jedenfalls nicht im zu meinem planungsgemäßen Rachefeldzug. Ich sollte am besten schleunigst nach einem sicheren Hafen Ausschau halten und das Weite suchen; die Mauern, die unseren Kriegspfad markierten, wiederherstellen. Aber angesichts seines auf mich gerichteten dringlichen Blickes blieb mir keine andere Option übrig, als mich vor ihm am Pult langsam auf den Ledersessel niederzulassen und den Blickkontakt vermeiden, auf meine ineinander verschränkten Finger zu starren.
Das hast du jetzt davon, wenn du unüberlegt auf dummen Ideen kommst, klagte ich innerlich über mich selbst.
»Hier«, unterband Shanes Stimme meinen Monolog und ohne aufzublicken bemerkte ich wie er den Teller, welcher zuvor für ihn gedacht war, in meine Richtung schob. Den Kopf dezent bewegend erkannte ich, wie er den kleinen Kuchen entzwei geteilt und die eine Hälfte auf meinem Teller gelegt hatte. Aus Verwunderung dieser mir rätselhaften Geste, wagte ich es schließlich doch noch den Blickkontakt herzustellen. Dass das eine überaus schlechte Idee war, stellte sich mir jedoch beim Anblick eines Shanes heraus, der just dabei war seine Hälfte des geteilten Kuchens zu vernaschen.
Wie schafften es manche Menschen selbst beim Essen so unwiderstehlich gut auszusehen und... Was? Hatte ich das gerade wirklich gedacht? Schluss, jetzt reiß dich zusammen, Aurora!
Abwehrend beugte ich mich leicht nach hinten.
»Oh nein, nein Sir. Das ist für Sie, ich...«
»Sie haben die Tage genauso hart und pausenlos gearbeitet wie alle anderen Mitarbeiter auch. Ich bezweifle, dass Sie die Zeit gefunden haben etwas Anständiges zu essen«, schnitt er mir das Wort ab und blickte mir aufmerksam in die Augen, während er einen weiteren Happen zu seinen vollen Lippen führte. Ich runzelte die Stirn. Beobachtete er mich etwa?
»Außerdem ist das nur fair. Fifty fifty«, er deutetet mit seinem Zeigefinger auf den ungerührten Teller.
»Also essen Sie den gefälligst.« Der Drang mich geschmeichelt zu fühlen und das Bedürfnis ihm eine zu verpassen lagen in dem Augenblick nah beieinander. Selbst die nett gemeinten Worte klangen wie eine unausgesprochene Drohung aus seinem Munde. Tu es oder du bist tot! Nett zu sein gehörte eindeutig nicht zu seinen Attributen, wie ich ein weiteres Mal vor Augen geführt bekam.
Eine plötzliche Stille trat nach seinen Worten ein und vorsichtig nahm ich das kleine Stück vom Teller. Nachdem ich einen Bissen genommen hatte, schloss ich vom Genuss betäubt die Augen zu und ließ mich kurzzeitig von dieser Cremefüllung in eine andere Welt verführen. Köstlich und...
»Sie haben die Haare kürzer.«
Ein stockendes Husten erklang, das zunehmend an Lautstärke gewann. Meine Brust fühlte sich mit einem Mal so schwer an und angestrengt schlug ich mir die Hand zur Faust geballt gegen meine Brust. Ich hatte mich nur verschluckt, aber das Gefühl als würde ich jeden Moment ersticken beherbergte mich trotzdem. Shane wollte sich von seinem Sessel erheben, doch da streckte ich bereits die Hand aus und signalisierte ihm, dass es keinen Grund dazu gab, obwohl bereits schwarze Punkte in meinem Gesichtsfeld auftauchten. Verdammt was sollte das denn jetzt? Lass dir nichts anmerken, dachte ich mir, hätte mir aber bei der Ironie dieser Worte eine gewaltig Scheppern können. Dass ich mich verschluckt hatte und wie eine Irre nach Luft rang, hätte nicht verdächtiger sein können.
»Geht's wieder?« fragte Shane und seine Stimme war wie in den seltensten Fällen vollkommen neutral. Keine Belustigung, kein Spott oder jegliche bittere Note schwang darin. Ich nickte heftig und schlug mir ein letztes Mal dabei auf die Brust.
»Ja Sir, danke«, waren die einzigen Worte, die ich über meine Lippen brachte. »Also«, sagte er und fuhr sich mit der Hand durch seine geschmeidigen Haare. Sein Blick hingegen ließ er nicht eine Sekunde von mir weichen.
»Sie haben ihre Haare kürzer.«
Warum behaarte er darauf? Was war denn jetzt in ihn gefahren?
»Ja Sir, das habe ich«, gab ich, um einer klaren Stimme bemüht von mir. Es schien als wäre er beinahe enttäuscht von meiner lockeren Reaktion diesbezüglich. Ging er davon aus, dass ich Widerstand leisten würde? Mit diesem Gedanken war ich noch verwirrter als vorher.
Shane verzog die Augen zu schlitzen, fokussierte sich komplett auf mich.
»Warum?« fragte er messerscharf.
»Was warum?« fragte ich ahnungslos.
»Warum haben Sie ihre Haare kürzer?«
Er erinnerte sich, er erinnerte sich ganz bestimmt. Nach der Fragerei kam ich zu keiner plausibleren Erklärung.
»Einfach so. Mir war danach«, gab ich lässig die Schulter zuckend von mir. Nur die Ruhe bewahren, Aurora. Wenn ich das ganze runter spielte, bestand immer noch die Möglichkeit, dass er nicht weiter drauf einging. Die Illusion dessen, brachte ich mit den nächsten Worten in Erfahrung.
»Einfach so? Sie sind sich dabei ganz sicher?« Shane hatte die Hände an den Sitzlehnen gestemmt und fuhr mit den Fingern gleichmäßig über den leichten Stoff des imposanten Sessels, was mich noch unruhiger werden ließ.
»Ja, Sir.«
Er lehnte sich ganz nach hinten zurück.
»Sie sind an dem Abend noch geblieben Miss Duront. Nach der Charity Veranstaltung waren sie dabei.« Jetzt bin ich erledigt.
»Ich habe an dem Abend viel zu viel getrunken, mehr als mit lieb ist.
Deshalb erinnere ich mich an einige Ereignisse nur noch lückenhaft. Ich weiß nicht ob es sich bei einigen Aspekten um eine reine Einbildung handelt oder der Realität entspricht. Ich habe den reinsten Blackout. Das einzige woran ich mich erinnern kann ist, dass ich...« er zögerte kurz, was mich aufhorchen ließ.
»Das ich gewaltsam...mich grob Ihnen gegenüber verhalten habe.« Er atmete tief aus.
»Das ich Sie bedrängt habe.«
Ich hörte ihm aufmerksam zu, in der verkrampften Bemühung dabei einen monotonen Gesichtsausdruck darzulegen.
Er erinnerte sich nicht an den Kuss. Gut, das ist sehr gut.
Indessen ich innerlich tobte über die neu gewonnene Erkenntnis, versuchte ich nach außen den Eindruck darzulegen, als würde ich weiterhin aufmerksam seinen Worten lauschen. Dabei verzog ich keine Miene, um bei meinen gesprochenen Worten so unberührt wie möglich zu klingen.
-"Entschuldigen Sie Sir, aber ich weiß überhaupt nicht wovon die Rede ist. Nachdem Sie sich in Ihre Suite zurückgezogen haben, bin ich ebenfalls nach Hause gefahren.«
»Mein Chauffeur hat mir aber nichts davon erzählt, dass er Sie zuhause abgelassen aht«, konterte er skeptisch.
»Ich habe mir ein Taxi gerufen. Ich wollte Ihnen keine Umstände machen«, schob ich eilig dazwischen, erfasste wie er bei meiner Aussage fast unmerklich das Gesicht verzog. Was für ein Problem hatte er schon wieder?
»Und Sie bleiben bei ihrer Aussage, dass Sie nicht mit mir oben waren?«
»Definitiv.«
Er schwieg einige Sekunden, lehnte sich an seinem Sessel nach hinten und beäugte mich intensiv von oben nach unten. Kurz darauf öffnete er den Mund.
»Ich dachte Miss Harvis hätte Sie von vorn herein ausdrücklich gewarnt, dass ich es nicht toleriere, wenn mir schamlos ins Gesicht gelogen wird.«
Oh scheiße, das hatte sie wirklich an meinem Vorstellungsgespräch erwähnt. Verdammt.
»Ich...« Doch zu mehr kam ich nicht, denn plötzlich erklang ein auffällig lautes Klirren aus dem Flur und zeitgleich standen Shane als auch ich auf. Ich wandte mich zu ihm.
»Ich dachte die restlichen Mitarbeiter hätten bereits Feierabend«, sagte ich verwundert, doch Shanes Blick war weit3erhin geradeaus gerichtet.
»Richtig, so ist es auch. Wie es aussieht ist es jetzt nicht mehr der Fall«, fügte er spitz hinzu, umrundete mit festen Schritten sein Pult.
»Sie bleiben hier«, ordnete er mir mit einem leichten Kopfnicken an, doch bereits nachdem er einige Schritte zur Tür gesetzt hatte, erfüllten meine gleichsam den Raum. Beim Realisieren dieser blickte er verärgert über seine Schulter hinweg nach hinten zu mir.
»Was verstehen Sie nicht an meinen Anweisungen«, sprach er wütend aus und deutete mir mit einer Kopfbewegung zurück zu seinem Pult.
»Ich habe Sie verstanden«, gestand ich, hob den Kopf in seine Richtung hoch.
»Aber ich komme trotzdem.«
»Sie wiedersetzten sich meinem Wort?«
Warum immer nur diese rhetorischen Fragen, wenn die Antwort bereits auf der Hand lag? Ich wusste nicht was in mich gefahren war, aber ich blickte ihm tief in die Augen und brachte ein:
»Ja, das tue ich raus.« Zu einer Antwort auszuholen blieb keine Zeit, denn im nächsten Moment wurde die Tür so hart aufgeschwungen, dass ich zusammenzuckte, während mein Herzschlag sich um einiges beschleunigte.
»Guten Abend Liebling happy birth...« Die weibliche Stimme stoppte je und Shane als auch ich drehten uns zeitgleich zur Tür um. Vor Schreck als auch vor Erstaunen riss ich urplötzlich die Augen auf. Shanes lautes Luftschnappen konnte ich aus dieser Nähe ebenfalls deutlich wahrnehmen. Verstört drehte ich mich mit fragendem Ausdruck zu ihm um. Shane aber hatte die Kiefer fest aufeinandergepresst, sein Kinn angespannt nach vorne geschoben, die Augen an dezent zusammengekniffen, um immer noch zur Tür zu starren. Als mir bewusst wurde, dass ich von ihm keine Antwort erhalten würde, drehte ich mich seitlich dem Geschehen zu. Ich wünschte mir sofort, ich hätte es nicht getan.
Vor mir ragte eine hochgewachsene junge Frau, die wunderschöne braune Haare besaß und dessen rot geschminkten Lippen jedermanns Blickes auf sich zog. Besser gesagt fast auf sich zog. Auffälliger als ihre Lippen war nämlich nicht nur das an dieser Frau. Ich blickte runter und spürte wie mir die Röte unmittelbar ins Gesicht schoss. Die Unbekannte hatte sich an der Tür positioniert und die Hüfte seitlich ausgesteckt, zunächst nichts Ungewöhnliches an der Stellung, die sie angenommen hatte. Wäre da nicht das kleine Detail, dass sie in einem anzüglichen feuerroten Spitzendessou steckte, welcher umhüllt war in einem langen Mantel, den sie ausnahmsweise nach anhatte. Die ersten Sekunden der Überrumplung wusste ich nicht wohin ich schauen sollte, doch als ich mich gewagt hatte ihr nochmal ins ovale, anziehende Gesicht zu sehen, hob ich erstaunt die Augenbrauen in die Höhe als ich bemerkte das sie nicht ganz so unbekannt war wie ich zuvor dachte. Das war sie... die Frau, die am Eingang bei der Charity Veranstaltung mit Shane gestritten hatte.
»Valeria?«, durchbrach Shanes aufbrausende Stimme die Stille, doch die Frau, die zuvor erheitert den Raum betreten hatte, lächelte nicht mehr und blickte auch nicht mehr Shane an. Ihre Aufmerksamkeit lag ganz auf mir. Mit funkelnden Augen analysierte sie mich kritisch.
»Wer ist das?« fragte sie in einem gefährlichen Ton und instinktiv trat ich bei der Aggressivität ihrer Stimmfarbe einen Schritt zurück. Shane hingegen machte einen auf sie zu.
»Was hast du hier zu suchen?«, knurrte er und fasste sie am Arm, als sie energisch auf mich zukommen wollte.
»Ich habe dich was gefragt?«, zischte er sie an. Endlich nahm sie ihre Adleraugen von meinen und betrachtete ihn. Das Feuer in ihren Augen erlosch bei seinem Anblick augenblicklich und es zeichnete sich eine große Sehnsucht in ihnen aus. Pure Zuneigung und Sehnsucht. Benommen, wie versteinert stand ich da. In dieser Situation versuchte ich einen Faden zu finden an dem ich halten und einen sinnvollen Weg finden konnte, aber so sehr ich mich auch bemühte ich irrte weiterhin in einem Irrgarten rum.
»Ich wollte dir eine Überraschung zum Geburtstag machen«, sagte sie und schob ihren Mantel zur Seite, sodass ihre glatten langen Beine und das Dessous erneut zur Geltung kamen.
»Aber wie ich sehe, warst du ja anderweitig beschäftigt«, zischte sie und wandte sich schnurstracks wieder an mich.
»Bist du Jungfrau?« brachte sie die Wörter mit solch einer Wut raus, sodass ich ungläubig blinzeln musste, um zu vergewissern, dass diese Frage ernsthaft an mich gerichtet war. Ich starrte sie perplex an.
Was?
»Valeria. Hör auf, Sie hat nichts damit zu tun«, brummte Shane und stellte sich vor sie, ehe er über seine Schulter ein kurzer Blickkontakt zwischen uns herstellte.
»Ist sie noch Jungfrau, Shane?« schrie sie und deutete mit einem wutverzerrten Ausdruck in meine Richtung. Sie hatte die Hände gehoben und in allem, sei es ihr aufgewühlter Ausdruck, die weit aufgerissenen Augen oder ihre leicht gebeugte Körperhaltung, alles wies auf eine unkontrollierbare Unruhe ihrerseits hin. Shane blickte erneut zu mir nach hinten, die Augen viel dunkler als gewöhnlich.
»Gehen Sie«, befahl er. Obwohl ich immer noch nicht fassen konnte was hier vor sich ging, wollte ich um Himmels Willen keine größere Behinderung darstellen. Diese Blicke der Frau hatten nichts Gutes zu bedeuten. Ich hörte dieses Mal ohne Einwände zu erheben an seine Anweisung und setzte zügige Schritte zur Tür. Als ich aber an ihnen vorbeilaufen wollte, schrie die Frau namens Valeria hysterisch auf, packte mich grob am Oberarm und schubste mich gewaltsam gegen die Wand. Shane, der mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte reagierte schnell und wirbelte Valeria im nächsten Moment zu sich, bevor sie ihre Fingernägel noch tiefer in meinen Oberarm reindrücken konnte.
Ich spürte einen unglaublich dumpfen Schmerz am Arm und einen enormen Druck am Kopf, aber ich stand einfach regungslos da und betrachtete Shane, wie er Valeria nun komplett außer sich an den Schultern packte, sie umherwirbelte.
»Es reicht Valeria. Es reicht!«, schrie er sie an. Je mehr er die Stimme gegen sie erhob, desto mehr bebten ihre Lippen und ihren leuchtenden moosgrünen Kulleraugen füllten sich mit Tränen, derweilen sie seinen Blick beibehielt.
»Ich... ich wollte dich nur überraschen«, brachte sie brüchig heraus, derweilen einzelne Tränen ihre Wangenknochen runterkullerten. Erst da bemerkte ich wie erschöpft und fertig diese Frau eigentlich aussah. Auch Shanes angespannte Körperhaltung entwich und er seufzte tief auf, ehe er einsichtig antwortete:
»Ja... ich weiß.«
»Aber du wirst es nicht tun, oder? Du wirst nicht mit mir schlafen?«, fragte sie gequält. Auch von hier aus konnte ich die unterschwellige kleine Hoffnung, die zum Greifen nah war, heraushören.
Was? Was hatte nun das schon wieder zu bedeuten?
Ich war raus, ich verstand nun gar nichts mehr.
Auch dieses Mal seufzte Shane erschöpft auf und antwortete ruhig:
»Du kennst die Antwort Valeria. Mach es nicht noch komplizierter als es ist.«
Mit diesen Worten fing sie an zu weinen. Sie weinte still vor sich hin, den Kopf kraftlos gesenkt und die Schultern nach innen gebeugt. Bei dieser Gelegenheit wand sich Shane wieder mir zu.
»Rufen Sie Jack an«, sagte er sanfter und deutete seinen Platz. Aus meiner Starre gerissen, lief zurück zum Pult. Als ich den Hörer fest mit der Hand umschlungen hielt hörte ich es erneut und das Blut in meinen Adern erfror. Ich hörte wie das Wimmern der Frau sich mit ihrem verzweifelten Betteln vermischte.
»Bitte... bitte Shane tu es nicht. Nein! Nein ich will nicht gehen. Verlass mich nicht«, flehte sie ihn an und ihre Stimme wurde immer lauter und undeutlicher.
»Ich kann dir nicht das geben was du von mir verlangst«, versuchte Shane die Situation zurechtzubiegen und Zeit zu gewinnen, doch ich hielt das Telefon immer noch in meiner zitternden Hand und regte mich nicht. Der Druck an meinem Arm schmerzte selbst bei der kleinsten Bewegung und ein schreckliches Ziehen machte sie über meinen ganzen Arm bereit. Ich atmete vorsichtig aus und schaffte es mit knapper Not Jacks Nummer zu wählen und das Telefon an mein Ohr zu halten.
»Shane?«, erklang die erstaunte Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Mr. Cunnigford...«, brachte ich brüchig raus und auch von hier aus konnte ich spüren wie hellwach er bei meinem Stimmton wurde.
»Miss Duront? Was ist passiert? Wo ist Shane?« fragte er leicht panisch, doch bevor er mir weitere Fragen stellen konnte antwortete ich ganz schnell:
»Bitte kommen Sie ins Büro«, ehe ich das Pochen nicht mehr aushielt und auflegte.
»Ich hab's getan Shane. Ich hab's getan!«,
Shane als auch Valeria waren nun seitlich zu mir gedreht, was darauf hindeuten ließ, dass sie einen erneuten Versuch gestartet hatte auf mich zuzukommen. Was wollte diese Frau von mir?
»Ich bin keine Jungfrau mehr. Ich hab's getan. Es ... es herrscht kein Hindernis mehr hörst du. Kein Hindernis«, wiederhole sie enthusiastisch und klammerte sich mit so einem verzweifelten Gesichtsausdruck an seinen Kragen, dass ich scharf die Luft einzog. Shane ließen ihre schmerzerfüllten Augen jedoch unberührt. Er fasste ihre Hände und schob sie grob von sich weg. Nun war sie es wieder die sich wandelte. Das zerbrechliche Ding nahm einen gefährlichen Ausdruck an und eine Furie nahm Besitz von ihrer Seele. Sie wirkte wütend durch seinen kalten Akt.
»Hörst du mich nicht!« quengelte sie.
»Ich habe es getan. Warum willst du mich immer noch nicht?« Wie ein kleines Kind stampfte sie auf den Boden, ihre Bewegungen gerissener, unnatürlicher. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich das mal sagen würde, aber ich wünschte Jack wäre hier.
»Beruhig dich...«, brachte Shane mit zusammengebissenen Zähnen hervor und blickte zu ihr runter. Flehentlich klammerte sie sich erneut an seinem Kragen.
»Dein Codex wäre hiermit nicht gebrochen. Ich habe es für dich getan.«
»Nein«, sagte er kalt und schockiert betrachtete ich seine abgehärtete Miene. Wie konnte er nur so unsensibel sein? Die Frau vor mir war zwar definitiv nicht mehr bei Sinnen, aber dennoch, anstatt umsichtig mit ihr umzugehen und zu versuchen sie zu besänftigen, streute er noch mehr Salz in ihre Wunde. Bei seinen Worten wuchs ihre Verzweiflung und sie fiel noch mehr in sich hinein. Das sah ich in ihrem Blick, in ihrem sich öffnenden trockenen Mund, an dem letzten Atemzug, den sie machte und aus der auch die letzte verblieben Hoffnung herausströmte. Sie wollte etwas tun, etwas erwidern, da aber ertönte plötzlich hinter uns ein lautes Geräusch und Jack stürmte mit zwei Securitiy Männern in Shanes Büro herein.
Panisch blickte er sich um, betrachtete jeden von uns auf Verletzungen oder ähnlichem. Als sein Blick bei Valeria zum holpern kam, presste er hart die Lippen aufeinander und wandte sich Shane zu.
»Jack...«, war das Einzige, was Shane dazu sagte. Jack sofort, was zu tun war. Er gab den Männern ein Handzeichen, die sich daraufhin in Bewegung setzten und auf Shane zuliefen. Erschrocken riss die Frau die Augen auf als sie erkannte was da vor sich ging, ehe sie sich wieder zu Shane drehte.
»Shane... nein, nein bitte Shane«, weinte sie, aber da wurde sie auch schon von den Männern an den Armen gepackt und nach draußen geführt. Sie wehrte sich, schlug um sich und schrie, aber die Männer waren einfach zu stark, um dagegen anzukämpfen. Jack kam auf Shane zu und blickte ihn etwas zurückhaltend und einen gewissen Abstand haltend, aufmerksam an.
»Wie... wie ist sie hier reingekommen?«
Shane knurrte auf.
»Ich weiß es nicht. Anscheinend waren die Wachmänner nicht so aufmerksam wie ich ausdrücklich von ihnen verlangt hatte. Kümmere dich darum Jack und bring sie zurück«, behaarte er.
Zurück? Wohin?
Jack folgte den Männern, die mit der nun kreischenden Frau Richtung Aufzug gingen. Die daraufhin eintretende Stille erfüllte mich mit Unbehagen. Meine Gefühle schwirrten umher und ich versuchte sinnvoll meine Gedanken zu ordnen, aber es gelang mir nicht.
Plötzlich spürte ich wieder einen zischenden Schmerz am Arm. Shane war neben mich getreten und hatte meinen Arm umfasst. Erschrocken wich ich einige Schritte zurück. Seine zuvor in Falten gelegte Stirn wurde mit einem noch tieferen Stirnrunzeln belegt und sein Blick wirkte distanziert.
»Sie haben sich verletzt«, sagte er und zeigte auf die Stelle, die so schmerzlich pochte. Erst da bemerkte ich die leichten Kratzspuren, die beim gewaltsamen Schubsen an der Wand zustande gekommen sein mussten.
»Setzten Sie sich. Das muss gekühlt werden« Er machte Anstalten das Büro zu verlassen.
»Das ... das ist nicht nötig«, setzte ich mit dem wiederfinden meiner Stimme zum Protest an.
»Ich sagte Sie sollen sich setzen. Ich hasse es mich zu wiederholen«, barsch fuhr er mich an und verwundert hob ich hinter seinem Rücken erstaunt eine Augenbraue hoch. Na toll, so ich wie es aussah würde ich gleich wieder den ganzen Ärger abbekommen.
Schweigsam setzte ich mich also auf den Sessel und fing mit den Fingern an leicht über die leichte Röte zu streichen, zischte dann auf als der Schmerz sich dadurch intensivierte. Schritte machten sich kurze Zeit darauf bemerkbar und als Shane das Büro betrat kam er direkt auf mich zu und hielt mir mit einem gewissen Abstand einen Kühlpack entgegen.
»Legen Sie es sich auf den Arm«, befahl er mir mit einem fordernden Blick, ehe ich es mit den Fingern umschloss und er sich wieder um den Pult herum auf seinen Platz begab. Grob fasste er sich am Kragen und lockerte sich diese noch weiter, ehe er mich wieder wachsam dabei beobachtete wie verzweifelt ich mit der einen Hand den Kühlpack auf meinen Arm legte.
»Warum haben Sie ihre Haare geschnitten?« Auch bei dieser Frage klang seine Stimme bestimmt, kontrolliert und fest. Irritiert hob ich den Blick nur um seinen dunklen Augen zu begegnen, die mich voller Emotionslosigkeit anstarrten. Warum verdammt nochmal stellte er mir diese Frage! Und warum umspielte er das Thema von gerade eben damit? Ich funkelte ihn böse an und versuchte meine Stimme vom Beben zurückzuhalten.
»Nach all den Ereignissen kommen Sie mir ausgerechnet mit so einer Frage an?«
Ok nein, das klang keineswegs kontrolliert und zurückhaltend.
Auch er öffnete den Mund, doch da ich vor Wut meine Kraft unterschätzt und zu feste mit der Hand zugedrückt hatte zischte ich beim Schmerzempfinden auf und Shanes Augen blinzelten einen Moment lang erneut auf.
»Tut es weh?« fragte er.
Nein, ich mache das nur weil ich gerade Lust darauf habe, hätte ich am liebsten geantwortet, doch ich enthielt mich davon ab. Ein knappes 'Ja' als Antwort reichte vollkommen und ich senkte meinen Kopf, um das Kühlpack auf meinen Arm zu positionieren, während mich Fragen über Fragen plagten, die mein Denkvermögen deutlich belasteten.
Wer war diese Frau? Warum wollte sie wissen ob ich Jungfrau war? Und warum hatte Shane sie abgewiesen? Ich würde durchdrehen, wenn ich keine Antworten bekam.
»Fragen Sie«, erklang Shanes Stimme auffordernd und Stirn runzelnd hob ich den Blick.
Seine Hand ruhte an seiner Stuhllehne und er hatte sich etwas seitlich zurückgedreht, um mich so ganz in seinem Blickfeld zu haben.
»Ich verstehe nicht.«
»Ich sehe wie Sie sich mit innerlichen Fragen abquälen, auf die Sie verzweifelt eine Antwort suchen. Fragen Sie.«
Warum sollte er mir diese verraten? Fühlte er sich etwa schuldig, dass ich ein Teil dieses Szenarios wurde?
»Warum kommen Sie mir entgegen?« fragte ich, erntete dafür ein spöttisches Lächeln meines Gegenübers.
»Sie stellen die falschen Fragen. Wollen Sie nun Antworten oder nicht?«
Ich atmete tief aus. Dieser Typ machte mich verrückt. Also gut...
»Wer... wer war diese Frau?« Er seufzte.
»Sie war eine Frau, die Interesse an mir hatte und es immer noch hat."
»Sie etwa nicht?« fragte ich, obwohl ich durch meine Beobachtungen genug wusste.
»Hübsch ist sie nämlich. Groß, schlank.... Passt doch perfekt zu Ihnen.«
Seine Augen blinzelten auf und das spöttische Lächeln wurde größer, doch seine Augen erreichten sie keineswegs.
»Sie sollten nicht immer darauf vertrauen was die Medien sagen.«
Ich hob eine Augenbraue in die Lüfte. Ich wusste zu gut das er genau auf solche Stereotypen stand. Einmal hatte ich mich von dieser Lüge leiten lassen, ein zweites Mal würde mir das nicht wiederfahren.
»Dann klären Sie mich auf.« Ich lehnte mich ebenfalls nach hinten. Bewegte ich mich auf dünnem Eis? Oh ja, das tat ich, aber ich brauchte Antworten. Shane würde auf meine Provokationen zubeißen auf meinen Fraueninstinkt vertraute ich blind.
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Warum... warum hat die Frau...?«, fing ich an und bemerkte wie mir die Röte ins Gesicht schoss.
»Warum Sie gefragt hat ob sie noch Jungfrau sind?«
Ich nickte peinlich berührt.
»Ich bin geschäftlich oft unterwegs, Miss Duront. Ihnen ist demnach bestimmt bewusst, dass ich auch mit Mr. Cunnigford reichlich unterwegs bin, um eine kleine Pause einzulegen.«
Klar. Clubs, Bars... Sicher doch Shane. Wie damals so auch heute. Das Nachtleben gehört euch Jungs.
»Meinen Ruf kennen in den Medien kennen Sie und es ist nichts außergewöhnliches, dass ich in solchen Gegenden weibliche Bekanntschaften mache. Diese junge Frau, Valeria war einer dieser Bekanntschaften. Ich zwinge niemanden zu etwas. Jede von Ihnen weiß, wozu sie sich einlassen.«
Auf eine Nacht, hätte ich hinzugefügt, aber besann ich mich eines Besseren.
»Bei ihr war es aber anders?«, hackte ich nach.
Er überlegte einen kurzen Augenblick, ehe er wieder den Mund öffnete.
»Sie hatte einen entscheidenden Punkt nicht beachtet und ich war unvorsichtig gewesen, um es zu bemerken. So ein Fehler unterläuft mir sonst nie«, sprach er seine Gedanken laut aus, die ich anschließend mit einem noch irritierten Gesichtsausdruck quittierte. Dann aber fielen mir ihre Worte wieder ein und ich verstand abrupt.
»Sie war Jungfrau...«, sagte ich und schaute ihn an. Er erwiderte es, ehe er fortsetzte.
»Sie war nett. Ich hatte mich mit ihr und einigen anderen ganz gut begnügt, weshalb ich sie nicht näher ins Visier nahm. Ich traf sie erneut einige Abende darauf und sie wusste was der nächste Schritt sein würde.«
»Doch Sie bemerkten es rechtzeitig.« Er konnte deutlich die Abneigung in meiner Stimme ausfindig machen, denn er bedachte mich mit einem verspielten Ausdruck.
»Was erschreckt Sie so sehr daran Miss Duront? Sie scheinen nicht gerade begeistert darüber zu sein.«
Ich verstand nicht. Ich verstand nicht was das Ganze sollte...
»Ich weiß nicht was der ganze Sinn dabei sein soll«, gab ich offenkundig bekannt.
»Sie schlafen mit Frauen für eine Nacht, aber wenn es auf eine Jungfrau ankommt zögern Sie? Das leuchtet mir nicht ganz ein.«
»Ich habe bei solchen Arten von... Geschäften eine Regel, die ich festlege: keine Jungfrauen. Eine Frau sollte nicht die Unschuld an einem Mann verlieren, dessen Ruf ihm vorauseilt und dessen Prinzipien strickt festgelegt sind.«
Prinzipien? Wollte er mich ernsthaft in den Wahnsinn treiben? Das... das war das absurdeste was ich je gehört hatte. Nicht mit einer Jungfrau schlafen. Was sollte das bedeuten? Er hatte es getan. Er hatte es getan und ich wusste es. Aus meiner Wut heraus sprudelten die nächsten Worte einfach so aus mir heraus.
»Heißt das Sie würden auch nicht mit mir schlafen?«
Kurzeitig blinzelten rabenschwarzen Augen auf, ehe er mich wachsam beobachtete, seinen Blick über meinen Körper hinabwandern ließ und mir anschließend wieder in die Augen blickte.
»Sie sind meine Angestellte und außerdem sind Sie keine Jungfrau«, sprach er deutlich heraus. Die Autorität und die Dominanz zeichneten sich hinter diesen Zügen ab.
»Sind Sie sich ganz sicher? Woher wollen Sie das wissen?« Dachte er, er wäre mir überlegen? Chef hin oder her was sollten diese Aussagen?
»Ich erkenne es an Ihrer Körpersprache«, antwortete er ernst und bestimmt, während er mir, ohne eine Mimik zu verziehen intensiv in die Augen blickte.
Objekte. Wir Frauen waren reine Objekte für ihn, die ihre Funktionen erfüllten und dann als unverwertbar bezeichnet weggeschmissen werden konnten. Ich war erstaunt darüber, dass ich den Zorn in mir nicht bändigen konnte, denn ich hatte schon immer gewusst wie Shane zu Frauen stand. Vielleicht lag es an seiner Offenheit, dass er dies zum ersten Mal ohne jegliche Scham aussprach. Das war es nicht, protestierte meine innere Stimme, doch ich versuchte diese gekonnt zu unterdrücken.
Du weißt weshalb dein Zorn wächst...
»Sie hat es aber getan. Sie ist keine Jungfrau mehr, also warum geben Sie ihr nicht das wonach Sie sich sehnt?« hörte ich mich selber sagen.
»Weil ich nicht mehr interessiert an ihr bin. Valeria ist besessen und denkt nicht rational. Dass Sie ihre Unschuld wegen eines Mannes und das aufgrund eines Mannes wie mir ablegt ist erbärmlich.«
Wie konnte er nur so von ihr sprechen? Das als schwach und minderwertig anzusehen, war selbst unter seiner Würde. Ohne mich zu stoppen setzte ich einen drauf.
»Stimmt, sehr erbärmlich, wenn sie es wegen Ihnen getan hat.«
Mein bissiger Kommentar entging ihm nicht. Er presste die Kiefer hart aufeinander. Und trotzdem ging er auch jetzt nicht auf meinen Satz ein, sondern wiederholte sich ein weiteres Mal.
»Wie gesagt, meine Regeln stehen fest... ich tue es nicht."
»Sie haben also mit keiner Jungfrau geschlafen?« hackte ich noch ein letztes Mal nach. Kurzzeitig sah ich ihm an, dass meine Aufdringlichkeit ihn aus dem Konzept gebracht hatte und er zu deuten versuchte was in mir vorging. Ich hielt aber weiterhin seinen forschenden Blick stand und wartete gebannt auf eine Antwort.
»Nein.« Seine Antwort klang endgültig. Eine Stromwelle übermannte meine Sinne. Es schien plötzlich alles in meinen Inneren auf hundertachtzig gedreht zu sein, weshalb ich mir unbemerkt auf die Zunge biss damit ich nicht die Fassung verlor. Aber es nützte nichts und schlagartig wurde mir auch die Quelle meiner Wut bewusst. Es lag nicht an ihr, es lag nicht an Shanes Frauen, sondern es ging allein um mich. Bedeutete das, dass er dasselbe über mich auch gedacht hatte? Dass es erbärmlich war ihm zu vertrauen? Die Antwort lag auf der Hand. Ja, meine Naivität und Gutmütigkeit wurde mir zum Verhängnis, aber der noch entscheidendere Punkt hierbei war etwas ganz anderes.
Er verleugnete es. Er... er leugnete die Tatsachen. Denn wenn er nicht zu seinen Taten stand, dann bedeutete das auch das er nicht zu mir stand. Zu uns. Und das genau das machte mich wütend. Ich war dumm, ich war naiv, aber dennoch hatte ich dieses kleine bisschen Respekt verdient. Schämte er sich etwa dafür? Für mich? Für all das was wir gemeinsam erlebt hatten? Urplötzlich stoppte ich. Mein Chaos nahm zwar gewaltige Dimensionen an, aber trotzdem spürte ich wie sich ein Lächeln auf meinen Zügen bildete.
Shane hatte dies bemerkte. Verdutzt als auch etwas überrascht fuhr er sich fragend über die Lippen und ließ mich dabei kaum aus den Augen.
»Sie lächeln. Was hat das zu bedeuten?«
Ich warf ihm einen kalten Blick zu und spürte wie meine Hand sich zur Faust bildete, das Lächeln auf meinem Gesicht, aber immer noch bestand.
»Ich bin erstaunt darüber wie schnell sich das Blatt wenden kann, Sir. Denn nun tun Sie es.
»Was tue ich?«
»Sie lügen.«
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