Zᴡᴇɪᴛᴇʀ Tᴀɢ
Keigo erwachte ziemlich früh, es war gerade einmal kurz nach vier. Der Grund dafür waren weder die typischen, städtischen Geräusche, die durch das Fenster zu ihm drangen, noch einer seiner nächtlichen Alpträume, die ihn während seines Krankenhausaufenthaltes beinahe jede Nacht heimgesucht hatten.
Er war es einfach gewohnt, um diese Uhrzeit wach zu werden, was nicht weniger mit seiner Arbeit verbunden war. An das anfängliche Aufstehen mit Hilfe eines Weckers, konnte er sich noch gut genug erinnern, nicht gerade etwas, was er gerne tat. Doch irgendwann hatte er sich daran gewöhnt, wodurch es ihm immer leichter fiel und das, ohne sich einen Wecker zu stellen. Dies war ab da nicht mal mehr nötig.
Der Blonde erwachte immer zur gleichen Zeit, ganz von sich aus, weshalb er den nervigen Klingelton, der sich ihm ins Gedächtnis gebrannt hatte, nicht mehr hören musste. Jedoch galt das ebenfalls für seine freien Tage, so wie an diesen frühen Morgen.
Im Grunde hätte er einfach die Position ändern und so seinen Schlummer fortsetzen können, doch darin sah er nicht den geringsten Bedarf. Er wusste, statt den ganzen Tag zu verschlafen, konnte er genauso gut etwas Produktives tun. Ihm war egal, dass der Arzt ihm klar und deutlich gesagt hatte, dass er sich die nächsten Tage noch schonen und lieber im Bett bleiben sollte.
Nachdem er sich im Badezimmer fertig gemacht hatte, zog er eine einfach, schwarze und bequeme Jogginghose über und dazu das erstbeste Shirt, das er aus seinem Schrank gezogen hatte. Danach ging er an die Arbeit und begann, seine Wohnung zu putzen, die es seiner Meinung nach dringend nötig hatte, so lange wie er abwesend gewesen war. Hunger hatte er ohnehin keinen, weshalb er lediglich die ihm verschriebene Medizin zu sich nahm und seine Putzaktion startete.
Es war nicht so, als wäre er besonders pedantisch, aber eine gewisse Ordnung musste in seiner Wohnung nun mal herrschen. Durch den langen Aufenthalt im Krankenhaus, hatte sich einiges an Staub angesammelt, wodurch ein spontaner Besucher sich denken könnte, dass Keigo entweder keine Lust zum Aufräumen hatte oder aber für eine lange Zeit nicht anwesend war.
Deshalb zögerte er nicht lange, bevor er alle benötigten Utensilien hervorholte und sich ans Werk machte. Als er dann endlich in der Küche angekommen war, entdeckte er die alte Verpackung von seinem Fastfood, dessen Reste nicht mehr an das erinnerten, was es einmal war. Weder die Pommes, noch das panierte Hähnchen, das er so gerne mochte.
Ehrlich gesagt wunderte ihn dieser Fund nicht besonders, immerhin hatte er so etwas bereits erwartet, nach so einer langen Zeit der Abwesenheit. Schließlich lag es ihm nicht gerade, direkt nach dem Essen alles wegzuräumen.
Nicht seine Faulheit war der Grund dafür, sondern Eile, mit der er immer seine Wohnung verließ, wenn man nach ihm rief. Und wenn er dann endlich Zuhause war, vergaß er es meistens einfach, wodurch die Reste dann bis zum nächsten Tag da lagen. Noch essbar. Doch diese hier warf er weg und schaute nicht einmal hin.
Etwas später, als er gerade mit dem Fensterputzen im Wohnzimmer fertig war, warf er einen Blick auf sein Telefon, das auf dem Couchtisch lag. Sein Blick kehrte zu dem Fenster zurück, dann trat er einen Schritt zurück, um sein Werk besser begutachten zu können und stellte mit großer Zufriedenheit fest, dass alle Verunreinigungen entfernt waren.
Der Raum war erfüllt von einem angenehmen, blumigen Geruch, den er dem Fensterreiniger zu verdanken hatte. Zudem musste er gestehen, dass seine Scheiben noch nie so sauber waren wie an diesem Tag. Eigentlich hing er sich sonst nie so sehr in diese Arbeit hinein. Nicht weil er keine Lust hatte, sondern weil ihm sonst immer die Zeit dafür fehlte.
Er verbrachte lediglich seine freien Tage zu Hause, oder aber, wenn er für ein paar Stunden zurückkam, um etwas zu essen oder zum Schlafen. Selten wann hatte er die Möglichkeit, sorglos auf dem Sofa zu entspannen und etwas fernzusehen oder etwas anderes zu unternehmen, was nicht gerade mit seinem Heldenberuf zu tun hatte.
Und als es für ihn hieß, dass er als Doppelagent ermitteln sollte, da war es mit seiner Freizeit gänzlich dahin gewesen. Selbst wenn er dann etwas Freizeit hatte, verbrachte er sie damit, irgendwelche Dokumente zu vervollständigen oder diese zu lesen.
Er legte das Putztuch in den Eimer mit Wasser und begab sich zu seinem Sofa, unsicher griff er nach seinem Handy. Als der Bildschrim aufleuchtete, verspürte er einen Anflug von Enttäuschung, hervorgerufen durch das Fehlen irgendwelcher Nachrichten.
Seufzend setzte er sich auf die Couch, die direkt hinter ihm stand und starrte einfach mit leerem Blick auf das Gerät. Wieso reagierte sein Herz nur auf diese Art und Weise? Vielleicht weil er sonst, wenn er dies tat, wenigstens diese eine Nachricht zu sehen bekam. Jene, die von dieser einen ganz bestimmten Person kam, mit der er so gerne geschrieben hatte.
Natürlich würde er es sich nicht eingestehen oder offen aussprechen. Die ganze Zeit versuchte er, seine Beziehung mit Dabi abzustreiten. Erneutes Seufzen, als er das Telefon an seinen vorherigen Platz beförderte. Fakt war, dass er jetzt wenigstens wusste, wie spät es war und das war immerhin ein kleiner Trost.
Keigo erhob sich, mit dem Ziel, das schmutzige Wasser wegzuschütten. Das Säubern aller vorhandenen Fenster hatte einiges an Zeit in Anspruch genommen, dafür musste man zugeben, dass es nun deutlich sauberer und vor allem heller in der Wohnung war.
In dem Moment, als er sich hinunter beugte, um den Eimer zu ergreifen, vernahm er ein leises Klopfen an seiner Haustür, das seinen Herzschlag direkt beschleunigen ließ. Er drehte sich in Richtung des Geräusches und blieb wie versteinert stehen.
Es war nicht die Tatsache, dass jemand sich entschieden hatte, ihm einen unangekündigten Besuch abzustatten, die ihm den Schrecken versetzte. Vielmehr war es das Wissen, dass es nur eine einzige Person gab, die nie die Klingel benutzt und immer zu leise an die Tür geklopft hatte. So wie in diesem Moment.
Er verzog die Lippen zu einer schmalen Linie, nicht wissend, was er nun machen sollte. Vorher, als er nur an den Schurken gedacht hatte, hatte ihn die Wut überwältigt und alle anderen Emotionen überschattet. Doch jetzt, wo es so weit war, war es keine Wut, sondern Angst, die Keigo verspürte. Er hatte Angst, ihm gegenüberzutreten und ins Gesicht zu sehen. In das Gesicht, das er hoffte, nie wieder sehen zu müssen.
In seinem Kopf malte er sich bereits die dunkelsten Szenarien aus, wieso und weshalb der Weißhaarige nun vor seiner Tür stehen könnte. Worum sollte es sonst gehen, wenn nicht um das Beenden dessen, was der Schurke beim ersten Mal nicht beendet hatte?
Er kannte seine Adresse schließlich und hatte nicht wenig Zeit bei ihm verbracht, deshalb konnte er jederzeit hier aufkreuzen. Aus Gewohnheit griff Keigo hinter sich, mit der Intention eine seiner Schwertfedern zu ergreifen, doch statt dieser, fasste er ins Leere.
Er seufzte kraftlos und die Erinnerungen an vergangene Wochen erschlugen ihn mit doppelter Stärke. Aber er konnte nicht einfach so aufgeben und als es erneut an seiner Tür klopfte, ging er schnellen Schrittes in die Küche und nahm eines der dort hängenden Messer in die Hand.
Kurz betrachtete der Blonde es, überlegte, ob es überhaupt ausreichen würde, doch als dann erneutes Klopfen zu hören war, umfasste er es so, als wäre es eine seiner Federn und ging in Richtung seiner Haustür. Er hatte nicht vor, ihm zu zeigen, dass er Angst hatte. Wenn er schon sterben musste, dann würde er das, aber als Hawks, wie man ihn kannte und wie er sich kannte.
Nachdem er das Schloss geöffnet hatte, legte er seine Hand auf die Klinke, drückte diese langsam hinunter und lugte anschließend durch den Spalt hindurch.
»Na bitte, ich wusste doch, dass du nicht schläfst.« Miruko lächelte sanft, als sie ihren Freund erblickte, den sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte. Eigentlich seit sie selbst das Krankenhaus verlassen hatte, was deutlich schneller war als bei Keigo. Doch als sie erfahren hatte, dass ihr Freund endlich entlassen wurde, musste sie ihn unbedingt besuchen kommen.
Sie hielt sich lediglich davon zurück, gleich am ersten Tag aufzutauchen, schließlich brauchte Hawks etwas, um selbst anzukommen. Aber heute, trotz der recht frühen Stunde, musste sie ihm endlich einen Besuch abstatten, um zu erfahren, wie es ihm ging.
Mit leerem Blick betrachtete Hawks die Frau und versteckte kurzerhand das Messer hinter seinem Rücken, er fühlte einerseits Erleichterung und andererseits Überraschung.
»Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen«, seufzte er, während er die Tür öffnete und die Weißhaarige herein ließ.
Jeglicher Stress verflog und beim Anblick seiner Freundin beruhigte er sich schließlich.
»Wieso, erwartest du sonst noch jemanden?«, fragte Rumi neugierig, dann betrat sie das Wohnzimmer und sah sich um, als wäre sie das erste Mal dort. Bereits beim Betreten der Wohnung hatte sie bemerkt, dass etwas anders war, doch andererseits schien alles immer noch so zu sein, wie zuvor.
Sie legte ihre Tasche auf die Couch und erblickte kurz darauf den in der Nähe stehenden Eimer, in dem sich neben dem schmutzigen Wasser ein grüner Lappen befand. »Warte, sag mir nicht, dass du gerade am Putzen warst?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den jungen Mann an, der gerade in dem Moment das Zimmer betreten hatte.
»Nein, ich erwarte niemand anderen. Eigentlich«, sagte er, während er letzteres so leise aussprach, dass Miruko, die sich gerade umsah, es gar nicht hätte hören können. Und selbst wenn sie es doch gehört hätte, könnte sie genauso gut denken, dass er irgendwelche penetranten Leute aus der Agentur meinte. »Und … Ja, bin gerade fertig geworden«, fügte er hinzu, stemmte die Hände in die Hüfte und sah sich – genauso wie sie – im Raum um.
Als er gerade damit angefangen hatte, kam es ihm gar nicht in den Sinn, dass jemand es tatsächlich bemerken könnte, doch war es anscheinend die Mühe wert gewesen. Miruko sah erneut zu ihm, nur um noch einmal sicher zu gehen, dass sie die gleiche Person vor sich hatte.
»Irgendwas haben sie mit deinem Kopf gemacht, während deines Aufenthalts, oder?« Nach kurzer Zeit erblickte Hawks ein Lächeln, das er schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte und das er ehrlich gesagt vermisst hatte. Es bewirkte, dass er selbst ebenfalls lächeln musste. Jedoch war das nicht das Lächeln, an das Miruko dachte.
Es war nicht jenes, mit dem er sie während ihrer gemeinsamen Missionen oder den Besuchen in der Kneipe bedachte. Voller Spott, Gelassenheit des geflügelten Helden und Ehrlichkeit. Dieses war lediglich eine billige Kopie davon. Kraftlos und erbärmlich, von jeglichen Emotionen verlassen.
»Um nicht drumherum zu reden, wie sieht es aus mit …« Unsicher zeigte sie mit dem Daumen hinter sich, direkt auf ihren Rücken, weshalb Keigo den Blick senkte und leise seufzte. Hauptsächlich deswegen war sie hier. Sie wollte unbedingt erfahren, wie es ihm ging und nicht weiterhin unwissend sein.
»Ich vergesse ständig, dass sie nicht mehr da sind«, murrte er. Im Grunde freute er sich über ihren Besuch. Endlich konnte er mit jemanden reden, sagen was er in Wirklichkeit fühlte. Rumi, als seine Freundin und jemand, der ähnliches durchlebt hatte, war die ideale Person dafür. »Als ich heute morgen ins Badezimmer ging, stand ich vor dem Spiegel und hoffte, dass ich sie erblicken würde. Aber sie sind nicht da …«
Der Heldin kam es für einen Moment so vor, als würde seine Stimme brechen, doch am Ende verstand sie, dass Keigo dadurch versuchte, die negativen Emotionen, die ihn bedrückten, loszuwerden. Sie lächelte innerlich.
Es war keine Option, dass er hier – direkt vor ihr – nachgab. Zu gut kannte sie ihn, er war nicht der Typ Mensch, der vor anderen weinte. Er war vielmehr jemand, der weinte, wenn niemand es sehen konnte. Wenn er es überhaupt tat. Zumindest hatte sie ihn noch nie dabei erwischt und wenn es doch einmal dazu kommen sollte, dann würde er auf sie zählen können.
Nach einer Weile erhob Keigo seinen traurigen Blick, schaute sie an, während seine Lippen ein leichtes Lächeln zierte.
»Ohne meine Flügel, fühle ich mich als würde mir eine Hand fehlen. Aber du selbst weißt ja, wie das ist.« Die Heldin schaute als Antwort zu ihrem Ärmel hinunter, wo sich vor nicht als zu langer Zeit noch ein Arm befunden hatte.
Sie lächelte erneut, nickte mit dem Kopf und kehrte mit dem Blick wieder zu ihm zurück. Auch wenn sie bald schon eine Prothese bekommen sollte, so würde sie seinen Schmerz für immer mit ihm teilen.
»Wir sitzen im gleichen Boot, Hühnchen.«
Hawks schnaubte, ohne sein Lächeln abzulegen, wodurch er eine Reihe von weißen Zähnen offenbarte. Wenn er wählen musste, zwischen der Stille, die ihn den ganzen Tag gequält hatte, und der fröhlichen Atmosphäre, die Rumi ausstrahlte, dann wählte er eindeutig letzteres.
Rumi war anders, als die ganzen Ärzte oder seine Besucher, die immer zu gesagt hatten, dass alles wieder gut werden würde. Sie hatte nichts dergleichen gesagt und dafür war er ihr wirklich sehr dankbar. »Und wenn wir schon bei Hühnchen sind«, begann sie, nahm kurz darauf einen Behälter aus ihrer Tasche heraus und drückte ihn Keigo in die Hände.
Er betrachtete ihn, spürte dabei die Wärme, die dieser ausstrahlte. »Ich hatte überlegt, was ich dir zaubern könnte. Mir ist bewusst, dass du in deinem aktuellen Zustand nichts ungesundes essen solltest, aber ich weiß, dass, wenn ich dir etwas ohne Hühnchen mitgebracht hätte, dann würdest du mich auf der Stelle umbringen …«
»Bingo«, kicherte der junge Mann und öffnete den Behälter.
»Also hab ich mich entschieden das Hühnchen mit etwas gesundem zu mischen und raus kam dabei das«, sagte sie und zeigte dabei mit geöffneter Hand auf das Essen, das Keigo gerade betrachtete. Sein Blick sagte deutlich, dass er dem neuen Gericht alles andere als traute. Nach einer Weile sah er mit erhobener Braue zu ihr auf, wartend, dass sie ihm eine Erklärung gab. »Hühnchen mit Zucchini.«
»Sicher, dass das essbar ist?«
»Hawks!«
Mirukos Besuch dauerte länger an, als er zu Anfang erwartet hatte. Sie kam etwa zehn nach acht zu ihm und gegangen war sie erst kurz vor fünfzehn Uhr. Die zwei brauchten nun wirklich nicht viel, um sich zu amüsieren. Es reichte lediglich ihre Anwesenheit, genauso wie ein Thema zum Reden und das war etwas, womit die Heldin am wenigsten Probleme hatte.
Obwohl gerade einmal dreißig Minuten vergangen waren, seit sie gegangen war, wich seine gute Laune kein Stück. Zumindest so lange, bis sein Hunger sich meldete. Den ganzen Tag lang war er viel zu beschäftigt gewesen, um ins Geschäft zu gehen und vernünftig einzukaufen.
So wie er es zuvor gesehen hatte, waren seine Schränke fast leer und von dem Inhalt seines Kühlschranks hatte er das meiste wegwerfen müssen. Mittlerweile dämmerte es draußen, wodurch die Lust zum Einkaufen immer mehr schwand. Vor allem, da ihm seine Flügel fehlten, mit denen er sich hätte schützen können, die ihm das Gefühl von Sicherheit gegeben hatten. Es gab also nur noch eine Option.
Die goldenen Augen betrachteten seit einigen Minuten das Essen, das Miruko mitgebrachte hatte und das sich nun in der Mikrowelle erwärmte. Zuvor hatte er es brav zur Seite gestellt, mit der Ausrede, dass er es später essen würde. Nun war wohl dieses Später gekommen und er hatte ohnehin keine andere Wahl.
Er entschied sich, dieses Möchtegern-Gericht zu essen, weil es Stückchen von gebratenen Hähnchen enthielt und das war nun mal eine seiner Lieblingsspeisen. Jedoch musste er wenig später feststellen, dass nicht das Huhn die entscheidende Rolle in diesem Gericht spielte. Und obwohl es aufgewärmt war, musste er zugeben, dass es ihm schmeckte, sehr sogar.
Er musste Rumi recht geben, was die Zucchini betraf, denn mit jedem Bissen erschien sie ihm besser zu schmecken. Außerdem verwarf er die Idee, die darin bestand das Fleisch heraus zu suchen und nach wenigen Minuten verschwand beinahe alles von seinem Teller.
Beinahe, denn als er gerade dabei war die letzten Bissen aufzusammeln, wurde er durch erneutes Klopfen an der Tür gestört. Mit der Gabel im Mund blickte er auf, direkt in den Flur, in dem er sich wenige Sekunden später befand. Er war sich sicher, dass es Miruko war, die womöglich etwas vergessen hatte, denn das wäre nicht das erste Mal.
Doch etwas verwirrte ihn dabei. Wieso sollte sie erneut klopfen? Zuvor hatte sie es getan, weil sie dachte, dass er noch schlafen würde und wenn sie dann geklingelt hätte, hätte sie ihn unnötigerweise geweckt. Schließlich wusste sie, dass er sich ausruhen sollte. Doch als Keigo die Tür öffnete, hätte er wissen müssen, dass er sich besser vorbereitet hätte, so wie zuvor schon.
Als er vor dem Nutzer der blauen Flammen stand, die ihm in dem Moment vor dem inneren Auge erschienen, öffnete er leicht seinen Mund. Seine goldenen Augen konzentrierten sich auf die, mit der Farbe Türkis, die genauso waren, wie das letzte Mal, als er sie gesehen hatte. Genauso wie der vor ihm stehende, nur wenige Zentimeter größere Mann, in dessen Gesicht man nicht eine einzige Emotion erkennen konnte.
Sogesehen hatte sich fast nichts an ihm verändert. Lediglich die Haarfarbe. Er war ruhig, ähnlich wie Keigo, dessen Gesicht nichts darüber verriet, was in dem Moment in ihm vorging oder was er fühlte. Und er fühlte einiges.
»Du bist also zurück«, sagte Dabi. Ohne den Blick von ihm abzuwenden, steckte er seine Hände in die Taschen. Hawks hatte keine Ahnung, was ihn dazu getrieben hatte, vor seiner Wohnung aufzutauchen, doch nun empfand er keinen Bedarf mehr, eine Klinge in seiner Hand zu halten. Egal ob es nun ein Küchenmesser sein sollte, oder eine seiner Federn.
»Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss«, antwortete er sarkastisch, dabei breitete er seine Arme aus. Als er ihn nun nach so langer Zeit zum ersten Mal wieder sah, verflog seine ganze Angst, die er empfunden hatte, wenn er an ihr erneutes Treffen dachte.
Keigo erinnerte sich wieder, wer dieser Mensch für ihn eigentlich war und was sie alles zusammen durchlebt hatten. Er durfte und konnte einfach keine Angst vor ihm haben, allein schon, weil er in genau diesem Moment nur Wut verspürte. »Bist du gekommen, um es zu beenden?«, setzte er fort, doch Dabi schien sein spöttischer Unterton wenig zu interessieren.
Schon immer hatte Keigo ihn gehabt, doch früher konnte er einfach sagen, dass der Held lediglich scherzte. Doch nun sah er nicht danach aus. Ehrlich gesagt erinnerte er überhaupt nicht mehr an sein früheres Ich. Fehlendes Lächeln, Anzeichen von Übermüdung, eine lockere Jogginghose und dazu ein einfaches, graues Shirt.
Außerdem fehlten die charakteristischen und roten Schwingen. Letzteres verwunderte ihn nicht nur, sondern schockierte den Schurken in gewisser Weise sogar und das, obwohl er über seinen Zustand wusste, noch bevor er sich auf den Weg gemacht hatte.
Vor ihm stand eine Person, die nur noch ein Schatten seiner selbst war. Es kam nicht einmal in Frage, dass er sein sarkastisches Grinsen erblicken würde – geschweige denn seine spöttischen Aussagen zu hören bekam, die immerzu an ihn gerichtet waren.
»Nein …«, begann er in seinem üblichen Ton, weshalb Keigo nicht innehalten konnte.
»Ach, wirklich nicht?«, spottete er, mit immer noch eiserner Miene, die Dabi schon so oft gesehen hatte. »Was dann? War dir so leid, dass du dir dachtest, du besuchst das Spatzenhirn und schaust wie es ihm geht? Ich helfe dir dabei … Mir geht es sowas von blendend.«
Er wusste selbst nicht genau, was er damit erreichen wollte. Vermutlich wollte er seine Wut einfach an ihm auslassen, nicht nur für den Verlust seiner Flügel, nein auch für die vielen Lügen und Geheimnisse, ihm gegenüber. Keigo hatte einfach keine Kontrolle über sich selbst, denn als er seinen ehemaligen Partner erblickte, zerbrach etwas in ihm.
In diesem Moment hatte er noch keine Ahnung, was es war, doch das sollte er schon bald erfahren.
»Sehe ich.« Dabi ignorierte die Wut, die der ehemalige Held in seine vorherige Aussage gesteckt hatte. Er hatte nicht vor, sich mit ihm zu streiten, schließlich war er nicht deswegen gekommen.
Doch bevor er überhaupt die Möglichkeit hatte, erneut etwas zu sagen, kam Keigo ihm zuvor: »Hau einfach ab, Dabi.« Sein Ton war ruhiger als zuvor noch. Ähnlich wie der Schurke hatte er keine Intention, sich zu streiten. Vor allem wusste er nun, dass der andere nicht hier war, um ihn zu töten. Er hatte nichts zu befürchten.
Jedoch bewirkte jede Minute, die er in seiner Gegenwart verbrachte, dass er sich nur noch schlechter fühlte. Nie hatte er erwartet, dass dieses Treffen so einen Einfluss auf ihn haben könnte. Er hatte wirklich keine Ahnung, dass das alles so schwer werden würde. »Oder sollte ich viel mehr Touya sagen?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, sah er in die türkisen Augen und schloss einfach die Tür, wissend, dass sein ehemaliger Partner ihn nicht aufhalten würde. Er sah es an der Einstellung des Schurkens, er konnte es von ihm ablesen, wie von einem offenen Buch.
Und obwohl er noch einige Minuten einfach nur da stand, konnte er keine sich entfernenden Schritte des Schurken hören. Ihm war bewusst, dass er immer noch da stand. Beide wussten es und beide sahen mit leeren Blicken auf die Tür, denn nur diese trennte sie in diesem Moment.
Hawks ballte die Fäuste zusammen und spürte, wie sich langsam Tränen unter seinen Lidern sammelten. Nicht so hatte er sich dieses Treffen vorgestellt. Wie hätte er auch erwarten können, dass es so sehr schmerzen würde, wenn er sein Gesicht erblicken würde?
Vor allem jetzt, da er genau über seine Identität Bescheid wusste. Wer der Mann, den alle Dabi nannten, wirklich war. Genau aus diesem Grund war er auch so sauer auf ihn. Am liebsten würde er ihn mit bloßen Händen erwürgen, für das Verheimlichen, denn wenn er früher gewusst hätte, wer Dabi war, dann wäre alles anders verlaufen.
Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Er konnte ihn nicht länger ansehen und in seiner Gegenwart verweilen, diesen Mann, der ihm das alles angetan hatte, ihm den Sinn seines Lebens genommen hatte. Keigo wollte nicht wieder weinen, denn er wusste genau, dass das nichts ändern würde oder könnte.
Einige Zeit später hörte er Schritte. Schritte, die sich mit jeder Sekunde immer weiter entfernten, bis sie schlussendlich gänzlich verstummten. Und in genau dem Moment berührte eine einzelne, salzige Träne den Boden, den die goldenen Augen fixiert hatten.
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