Sɪᴇʙᴛᴇʀ Tᴀɢ

Seit einiger Zeit waren die türkisen Augen bereits auf einen unbestimmten Punkt hinter dem Fenster gerichtet. Draußen dämmerte es bereits, und er selbst konnte kein Auge schließen. Das ging schon die ganze Zeit so.

Seit er sich hingelegt hatte, beobachtete er einfach nur die Gebäude, die in dem Moment im Licht der Dämmerung schimmerten. Auch die Lichter der Gebäude selbst brannten noch, und so viel er wusste, waren es irgendwelche Büros. Ein bisschen Mitleid hatte er mit den dort arbeitenden Menschen schon.

Für einen Moment kehrte sein Blick zu dem neben ihm liegenden Keigo zurück, der – im Gegenteil zu Dabi – seelenruhig schlief. Er lag die ganze Zeit halb auf den Schurken und dachte nicht einmal daran, seine Pose zu ändern. Das war auch der Grund, wieso Dabi seinen regelmäßigen und ruhigen Atmen auf seiner Brust spüren konnte.

Ehrlich gesagt kam der Vorschlag von ihm selbst. Er wollte, dass Keigo näher zu ihm rückte und nicht so wie sonst auf der anderen Seite des Bettes schlief. Irgendetwas in ihm wollte diese Nähe und das nicht nur während sie miteinander schliefen, sondern auch jetzt, während sie hier lagen. Auch wenn es nur Keigo war, der ruhte. 

Seine Hand lag schon die ganze Zeit auf Keigos Rücken, bis vor kurzem hatte er sanft darüber gestrichen, doch jetzt, da umspielten seine Finger seine zarten Federn. Zu Beginn hatte er noch gedacht, dass es lediglich Einbildung war. Doch als die angenehm weichen Federn zwischen seinen Fingern nicht verschwanden, da riskierte er einen Blick auf diese.

Der Anblick verwirrte den Schurken. Mehr als zwanzig Minuten lang hatte er den Rücken des Blonden betrachtet, sich fragend, wie es sein konnte, dass dort, wo zuvor sich nur die Narben befunden hatten, nun kleine, zarte Federn wuchsen.

Während er intensiv darüber nachdachte, stahl sich langsam ein Lächeln auf die Lippen des Schurken und so wandte er schließlich den Blick ab. Das alles war einfach zu verrückt, als dass er es verstehen könnte, doch ehrlich gesagt verwunderte es ihn gar nicht.

Es gab keine andere Option, der Blonde musste seine Flügel wieder bekommen, schließlich hatte ihm niemand seine Spezialität gestohlen oder ausgelöscht. Und vielleicht hatte Keigos Körper einfach nur seine Zeit gebraucht, ehe er sich gänzlich regeneriert hatte, immerhin hatte er einiges abbekommen. Doch egal was auch geschah, Keigo würde seine Flügel immer wieder bekommen, dem war sich Dabi nun ziemlich sicher.

Genauso wie er sich nun seiner Entscheidung sicher war, die er vor einigen Stunden getroffen hatte. Vorsichtig befreite er sich aus der Umarmung des Blonden, nicht wollend, dass Keigo erwachte. Viele, vor allem unterschiedliche Gefühle lenkten ihn und beeinflussten seinen aktuellen Beschluss.

Die letzten, wenigen Tage waren der Auslöser dafür, dass Dabis Sicht auf manche Dinge sich einfach verändert hatte und hierzu führte. Nachdem er sich gänzlich angezogen hatte, fielen die türkisen Augen erneut auf den schlafenden und vor allem unwissenden Mann im Bett.

Er analysierte jedes Detail des Gesichts seines Partners, jede Feder und jede einzelne Narbe, so als wollte er sich all das für immer einprägen. Dabi wollte so gerne näherkommen, ihn umarmen oder gar küssen. Er würde seine Hände gerne in die hellen Haare vergraben, die ihm über das Gesicht fielen.

Doch Dabi hielt sich davon ab und verwarf den Gedanken. Irgendwann schaffte er es, seinen Blick abzuwenden und schließlich die Wohnung zu verlassen. Er ließ den Blonden einfach allein in der riesigen und leeren Wohnung.

Innerlich zerbrach etwas in ihm, doch es gab kein Zurück für den Schurken. Keine Zukunft. Und womöglich begann er hier an dieser Stelle erneut einen Fehler, einen großen Fehler. Einen, den er sein Leben lang bereuen würde und bereuen sollte.

Doch er wollte Keigo schützen. Vor weiteren Fehlern, die er begehen könnte. Deswegen entschied er sich nun dazu. Er wusste, dass wenn Keigo aufwachen würde, dann würde ein neuer Lebensabschnitt für ihn beginnen.

Und Dabi irrte sich nicht.

Wenige Stunden später stand Keigo vor den Spiegel, während er völlig emotionslos sein Spiegelbild betrachtete. Immer wieder sah er zu den winzigen Flügeln, die über Nacht auf seinem Rücken gewachsen waren.

Noch waren sie ein Hauch von nichts und würden ihn nicht tragen können. Er war unfähig, auszudrücken, was in dem Moment in ihm vorging und was sich in seinem Kopf abspielte.

Deswegen zeigte sein Gesicht keine Emotionen. Gleichzeitig wollte er weinen und schreien, dann wiederum lachen, denn er konnte nicht glauben, dass das, was er sah, der Wahrheit entsprach. Anscheinend hatte Tokoyami Recht behalten und vermutlich würde er sich nun freuen, wenn Keigo ihn anrufen würde.

Aber er tat es nicht und stand einfach nur da, unfähig sich zu rühren. Unfähig seinen Blick von Spiegel abzuwenden. Es konnte den Anschein erwecken, dass er einfach nur seine Zeit brauchte, um sich an diese Situation zu gewöhnen. Aber dem war nicht so. Denn die Wahrheit war, dass es ihn innerlich zerrissen – nicht nur die Sache mit seinen Flügeln, da war noch etwas anderes.

Er ballte die Hand, in der er sein Handy hielt, der Bildschirm war längst erloschen, während aus dem Wohnzimmer die Geräusche des Fernsehers zu ihm drangen. Doch das alles kam nur gedämpft bei ihm an.

Keigo war so aufgewühlt, dass er nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Eigentlich sollte er sich darüber freuen, dass seine Flügel wieder da waren. Aber er konnte es nicht. Denn dafür hatte er etwas anderes verloren, etwas, was ihm genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger war.

Als er am späten Morgen seine Augen aufgeschlagen hatte, war Dabi verschwunden. Seine Kleider waren nicht mehr da und auch sonst gab es keine Spur von ihm. Das Einzige, was er schließlich gefunden hatte, war ein Zettel, auf dem drei ganze Worte gestanden hatte.

Leb wohl, Keigo.

Nicht mehr, nicht weniger. Doch diese drei Worte reichten aus, damit der Blonde wusste, worum es ging. Dabi hatte ihn verlassen, der Schurke hatte sich für einen anderen Weg entschieden und war einfach verschwunden.

Wunderte es ihn? Einerseits ja, immerhin waren sie eigentlich Feinde. Andererseits wunderte es ihn, vor allem nach ihrer letzten Nacht. Nach allem, was sie gemeinsam erlebt und füreinander gefühlt hatten. Was sie sich gegenseitig angetan hatten und nach allen Worten, die zwischen ihnen gefallen waren.

Dennoch wollte er es nicht wahrhaben, wollte nicht glauben, dass Dabi ihn einfach so verlassen hatte. Nicht nach dieser Nacht, und nicht nachdem Keigo es endlich geschafft hatte, ihm zu verzeihen, sogar seine Gefühle zu gestehen. Und doch war es so, der Schurke war nicht da, ging nicht an sein Telefon und hinterließ nur diesen lächerlichen Zettel zurück.

Wie also könnte Keigo sich über die Tatsache freuen, dass seine Flügel begannen, wieder zu wachsen, wenn er dafür Dabi verloren hatte? Wäre der Schurke geblieben, wenn Keigos Flügel nicht nachgewachsen wären? War das der Auslöser, oder hatte Dabi es vorher schon geplant und das alles hing gar nicht erst miteinander zusammen?

In seinem Kopf schwirrte nur diese eine Frage herum. Das wieso. Er verstand es einfach nicht, es ergab keinen Sinn. Warum war Dabi überhaupt da gewesen, wenn er nicht vorgehabt hatte zu bleiben? Keigo war wütend und verletzt. Dieser verfluchte Dabi, er hätte ihn mitnehmen sollen, statt ihn einfach allein zu lassen.

Zumindest wünschte er sich das, auch wenn dem ehemaligen Helden klar war, dass sie nie eine Zukunft gehabt hatten und es so besser war. Keigo würde in sein eigenes Leben zurückkehren. Sobald seine Flügel wieder in voller Pracht auf seinem Rücken thronen würden, könnte er wieder ein Held sein.

Aber wollte er das? Nach allem, was in den letzten Monaten passiert war? Wollte er zurück zu der Kommission und dieser besondere Held sein? In diesem Moment wusste er es nicht, er wusste nicht, was er wollte oder was er tun sollte.

Doch was er wusste, war, dass er Dabi gerne an seiner Seite hätte. Er liebte diesen verfluchten Schurken, egal wie sehr er ihn verletzt hatte, diese Gefühle konnte er nicht leugnen.

Dass Liebe und Hass oft Hand in Hand gingen, passte in diesem Fall. Und wenn Keigo das Licht war, dann war Touya der Schatten. Ohne einander konnten sie nicht existieren, doch ein Miteinander konnte es auch nicht geben. Immerhin waren sie ein Held und ein Schurke, das Gute und das Böse.

Sie zogen sich an und verführten einander, gewährten Einblicke in die Welt des jeweils anderen, nur um am Ende wieder in die eigene zu verschwinden. So waren sie und so würden sie bleiben. Trotzdem hoffte er, dass ihre Wege sich erneut kreuzen würden. Ob sie sich dann als Feinde oder Liebende gegenüberstehen würden?

Er wüsste es so gerne ...

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