Fᴜ̈ɴғᴛᴇʀ Tᴀɢ
Als er das Gebäude verließ, in dem er die letzten Stunden verbracht hatte, konnte er endlich aufatmen. Nach dem gestrigen Telefonat mit der Agentur wusste Keigo, dass er sich dorthin begeben musste, auch wenn er alles andere als motiviert dazu war.
Immer noch schlummerte in ihm der Held, dank dem er etwas ungern aufschob und stattdessen direkt erledigte. Dafür hatte er nun den Abend frei zur Verfügung.
Er blieb stehen, hob den Kopf und sah in den orangen Himmel, dann schloss er für einen Moment die Augen. Müdigkeit lag auf ihm, hervorgerufen durch das stundenlange Ausfüllen von Papieren in seinem Büro.
Irgendwie vermisste er es, genauso wie die Menschen, denen er dort begegnet war. Sie alle hatten sich über das Wiedersehen gefreut und behandelten ihn gleichzeitig wie ein rohes Ei – und das gefiel ihm nun wirklich gar nicht.
Es verwunderte ihn. Aber wenn er ehrlich war, dann wollte er lieber so behandelt werde, wie Dabi es tat. Denn der behandelte ihn wie immer. Keine netten Worte, die versuchten, ihn einzulullen oder aufzubauen.
Augenblicklich verfluchte er sich selbst für seine Gedanken an den Schurken, den er am Abend zuvor noch gesehen hatte. Einerseits wollte er ihn gänzlich aus seinem Leben verbannen, andererseits konnte er gar nicht aufhören an ihn zu denken. Es war schwierig, selbst für jemanden wie ihn.
Eigentlich hatte er vor seinen Weg fortzusetzen, doch ehe er es schaffte, auch nur einen Schritt zu gehen, erklang eine ihm zu bekannte Stimme.
»Hawks?« Als er sich zum Besitzer der Stimme umdrehte, musste er bei seinem Anblick lächeln. Und das war dieses echte Lächeln, das er ihm nicht nur einmal gezeigt hatte.
»Tokoyami, schön dich –« Keigo bekam nicht einmal die Chance seinen Satz zu beenden, denn sein Schüler überraschte ihn nun zum zweiten Mal an diesem Tag. Er überwand die Distanz und nahm den ehemaligen Helden in den Arm.
Es verwunderte ihn eigentlich gar nicht, schließlich war es Tokoyami, der ihn damals gerettet hatte. Genauso wie er es war, der bei ihm geblieben war, als er sterbend in seinen Armen lag.
Keigos Lächeln wurde sanfter und er nahm den Jungen in den Arm. Nicht ganz so fest, dafür nicht weniger herzlich. Bereits im Krankenhaus konnte er sich von der Sorge um ihn von seinem Schüler überzeugen. Er kam immer dann, wenn er die Zeit dazu gefunden hatte und fragte stets nach seinem Wohlbefinden, wie auch seiner Gesundheit.
Seit er das Krankenhaus verlassen hatte, haben die beiden sich nicht mehr gesehen und wenn er ehrlich war, fühlte er sich deswegen schlecht. Eigentlich wollte er sich schon früher mit ihm treffen, schauen wie es ihm so erging. Doch irgendwie kam ihm immer wieder etwas dazwischen, weshalb er es im Endeffekt nicht getan hatte.
»Wie geht es dir?«, fragte Tokoyami, kaum dass sie sich voneinander gelöst hatten. Keigo konnte genau sehen, wie nah es dem Jungen ging und deshalb wollte sein Lächeln einfach nicht weichen. Er war ihm für alles dankbar, vor allem dafür, dass er sein Leben gerettet hatte.
»Dank dir blendend.« Er kratze sich am Nacken, als sein Gegenüber mit den Augen rollte.
»Du weißt, dass ich nicht das meinte«, seufzte er, schließlich hörte er es immer wieder aufs Neue, wenn er Keigo nach seinem Wohlbefinden fragte. »Außerdem, solltest du nicht Zuhause sein und dich ausruhen? Es ist Abend, sag mir nicht, dass du den ganzen Tag in der Agentur warst.«
Keigo wusste in dem Moment bereits, wenn er ihm die Wahrheit sagen würde, dann müsste er sich gleich eine Predigt anhören. Wie ein Kind von seiner Mutter, wenn es etwas verbrochen hatte. Jedoch konnte er ihm nicht böse sein, eher im Gegenteil. Er streckte seine Hand aus und legte sie Tokoyami auf den Kopf, dann brachte er sein Gefieder durcheinander, indem er einige Male darüber strich.
»Tokoyami, ich schätze deine Sorge sehr, aber mir geht es gut.« Er hatte beschlossen diese Situation gerade zu biegen, auf die sanfte Art. Ergeben seufzte der Schüler und senkte den Kopf, kurz darauf nickte er knapp – als Zeichen, dass er es verstanden hatte. Keigo nahm seine Hand herunter. »Nochmals danke. Für alles.« Es gab keine Worte, die ausdrücken konnten, wie dankbar er seinem Schüler war. Fumikage hatte ihn damit wirklich überrascht.
Der Schüler hob kurz darauf sein Haupt.
»Ich danke dir, dafür, dass du dich entschieden hast, mich bei dir als Schüler aufzunehmen.« Keigo erinnerte sich noch gut an ihre erste Begegnung, und Tokoyami an ihre ersten Tage, an denen er es einfach nicht geschafft hatte, mit ihm mitzuhalten.
Jetzt erinnerte er sich mit einem Lächeln an diese Zeit zurück, doch noch immer beschäftigte ihn ein Thema, das er unbedingt ansprechen wollte. »Bedauerlich, dass das alles passieren musste.« Er atmete tief ein, konnte sich an den Anblick, der sich ihm darbot, einfach nicht gewöhnen.
Immerzu sah er Keigo mit seinen Schwingen, die – egal wie groß oder klein – immer da waren und immer wieder nachwuchsen. Das Wichtigste war, dass er sie hatte. Die ganze Zeit vergaß er es und wartete darauf, dass sie einfach wieder nachwachsen würden, dass er sie endlich wieder erblicken könnte. Das alles war einfach nur sinnlos.
Keigo hatte seine Spezialität nicht verloren, sie wurde ihm geraubt. Zerstört durch die Spezialität eines anderen. Genau deswegen war Tokoyami fest davon überzeugt, dass sie irgendwann nachwachsen würden. Doch bis jetzt war es nicht passiert.
»Ja, bedauerlich«, murmelte Keigo und sah in den sich verdunkelnden Himmel hinauf. Der Junge folgte seinem Blick ohne zu zögern. Man hätte meinen können, dass Keigo einfach nur die Sterne betrachtete. Doch dem war nicht so und das wusste der Sechzehnjährige genau.
In diesem Moment träumte er von nichts anderem, als durch die Lüfte zu fliegen. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, als Keigo ihn zum ersten Mal auf einen nächtlichen Flug über die Stadt mitgenommen hatte. Damals hatte ihn das alles so fasziniert und er hatte alles bewundert.
Heute wusste er, wäre dieser Tag nicht gewesen, dann hätte er einige Entscheidungen nicht getroffen.
»Was wird jetzt aus der … der Agentur?« Keigo konnte das zögern in seiner Stimme heraushören und lächelte leicht, dann wandte er seinen Blick zurück zu seinem Gesprächspartner.
Allem Anschein nach hatte er lange über diese Frage gegrübelt. Schließlich war er für eine kurze Zeit auch ein Angehöriger gewesen, weshalb er sich mit ihr verbunden fühlte. Die Frage fühlte sich so fehl am Platz an, doch als er sah, dass Keigos Lächeln nicht weichen wollte, atmete er erleichtert auf.
Er wollte nicht unverschämt sein, natürlich machte er sich vor allem Sorgen um Keigo und nicht wegen eines Gebäudes. Aber es gab nunmal Dinge, die geklärt werden mussten.
»Nun, ich kann dort weiterhin arbeiten, aber hinter dem Schreibtisch«, lachte Keigo, was Tokoyami ebenfalls dazu verleitete zu lächeln. »Und allgemein, so muss ich gestehen, ich habe noch nicht groß darüber nachgedacht. Aber du verstehst es vermutlich …«
Tokoyami nickte sofort. Gerade in dieser Angelegenheit war sein Mentor nicht ganz ehrlich mit ihm. Er hatte darüber nachgedacht, zumindest einmal. Und durch dieses Treffen heute, verstand er, dass dieser Gedanke gar nicht mal so dumm war.
Die Übertragung der Agentur an seinen Schüler klang für ihn wirklich gut und plausibel. Bereits jetzt musste er dieser Versuchung widerstehen. Jedoch wollte er es nicht aussprechen. Auf keinen Fall wollte er voreilig Schlüsse ziehen, immerhin war Tokoyami noch ein Schüler.
»Jedenfalls … Wenn etwas ist, wenn du etwas brauchst, meine Nummer hast du.« Belustigt darüber rollte Keigo mit den Augen, erneut konnte er Sorge in der Stimme heraushören. Egal wie oft er ihm versuchte, klarzumachen, dass es ihm gut ging, dieser blieb stur bei seiner Annahme. Nichtsdestotrotz nickte er mit dem Kopf und seinem typischen Lächeln auf den Lippen. Dankbar für die Sorge um ihn.
Etwas später verabschiedete er sich von seinem Schüler und begab sich in Richtung seiner Wohnung. Der Weg dorthin kam einem viel länger vor, wenn man ihn zu Fuß ging. Natürlich könnte er mit dem Taxi fahren, doch sah er darin keinen Bedarf. Denn gerade jetzt hatte er Lust auf einen nächtlichen Spaziergang.
Dabei stellte er fest, dass die Stadt nicht nur aus der Luft wunderschön war. Die Geräusche waren deutlich lauter, während die Lichter der Werbetafeln deutlicher und heller waren. Ebenfalls drangen von hier aus verschiedene Gerüche zu ihm, die von den umliegenden Kneipen und Restaurants kamen.
Sie waren verlockend, verleiteten ihn beinahe dazu hineinzugehen und das dort servierte Essen zu bestellen. Wenn die Umstände anders wären, dann würde er vielleicht stehenbleiben und in Versuchung kommen. Tatsache war jedoch, dass er gar keinen Hunger hatte und das einzige, was er jetzt wollte, war, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen.
Er war seiner Assistentin dankbar dafür, dass sie ihn stets mit Kaffee und anderen Kleinigkeiten versorgt hatte. Sie hatte ihm sogar angeboten, dass sie ihm etwas zu Mittag bringen würde. Doch dies hatte er ab gelehnt, wollte sich nicht von der Arbeit ablenken. Er grinste leicht. Selbst als normaler Bürger war er immer noch ein Workaholic.
Irgendwann begann er sich umzusehen, die Menschen zu beobachten, die an ihm vorbeigingen. Genauso wie in den Gassen zwischen den Häusern, wo das Licht der Laternen nicht vordringen konnte.
Irgendwo in seinem Hinterkopf befand sich der Gedanke, dass der Nutzer der blauen Flammen dort verweilte und ihn beobachtete. Noch immer war er wütend, weil er während des Gesprächs seine Wohnung verlassen hatte. Nun, eigentlich konnte man es nicht einmal als Gespräch betiteln. Nicht wenn die eine Person die andere anschrie und sie gar nicht erst zu Wort kommen ließ.
Nachdem er eine Nacht darüber geschlafen und die Gefühle sich beruhigt hatten, begann er sich unwohl zu fühlen. Alles wegen des Ausbruchs auf Dabi. Er durfte sich nicht alles erlauben, nur weil der Schurke an dieser Situation mitschuld war.
Immerhin hatte er auch jetzt noch keine Antworten auf all seine Fragen, und wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, dann würde er es tun. Dann würde er ihn noch einmal fragen – dieses Mal in einem ruhigen Ton. Und deswegen sah er sich auch so stur um, auf der Suche nach dieser ihm bekannten Silhouette. Den in schwarz gekleideten Mann.
Was er jedoch nicht wusste, war, dass der Schurke sich zu diesem Zeitpunkt an einem ganz anderen Ort befand. In einer Gegend, die nicht ganz so freundlich war, wie die, in der sich der ehemalige Held befand. Hier gab es keine Lichter, keine bunten Werbetafeln oder Gerüche aus den Restaurants und vorbeifahrende Autos waren eine Seltenheit.
Für jemanden, der sich immer verstecken musste, war dieser Ort einfach ideal. Doch Dabi verweilte hier nicht gerne. Er lehnte sich an die kalte Mauer an und blies den grauen Rauch – nicht zum ersten Mal an diesem Abend – in die Luft.
Erneut versuchte er seine Gedanken zu ordnen, während er in den Sternenhimmel blickte. Es war nicht gerade einfach. Nicht nach allem, was passiert war. Im Grunde wusste er selbst nicht genau, was er mit seinen Aktionen bezwecken wollte und wieso er Keigo immerzu verfolgte, selbst in seine Wohnung hinein.
Einerseits war er auch der Meinung, dass er beenden sollte, was er angefangen hatte, doch andererseits …
Irgendwas blockierte ihn.
An dem Tag, als sie sich nach längerer Zeit wieder gesehen hatte, als sie sich so gegenüber gestanden hatten, da war er unfähig auch nur einen einzigen Schritt zu wagen. Er konnte es nicht, er konnte seinem Leben kein Ende setzen.
Dabi konnte ihn lediglich beobachten. Die Veränderungen an ihm analysieren, an seinem Körper und Verhalten. Diese ganze Situation war viel verrückter, als er zu Beginn angenommen hatte. Statt sich zu verstecken, wie die anderen flüchtigen Mitglieder, rannte er hinter einem Helden her, der im einfach nicht aus dem Kopf wollte.
Beinahe so, wie ein verliebter Teenager. Dabei liebte er ihn doch gar nicht. Einzig ihre Vergangenheit und die gemeinsamen Nächte hatten sie miteinander verbunden. Zumindest war es das, was er sich immer eingeredet hatte.
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