~Kapitel 8~

Fast schon euphorisch sprang Dan Lowes an diesem Morgen aus dem Bett. Der gebürtige Brite konnte es kaum erwarten, den Fernseher einzuschalten. Mit großen Schritten lief er die Treppe hinunter, von der er jedes Mal dachte, dass sie einstürzte, so laut knarrte sie. Als er unversehrt unten ankam, schmiss er sich unverzüglich auf die große schwarze Couch, welche sein geräumiges Wohnzimmer zierte und schaltete den Flachbildschirm an. Ein Schmunzeln umspielte seine Mundwinkel. "Genau zum richtigen Zeitpunkt." Entspannt lehnte er sich zurück, schloss die Augen und lauschte der Nachrichtensprecherin, welche über die Ereignisse des vergangenen Tages berichtete. "Eine weitere Frau ist dem Defiler zum Opfer gefallen. Sie wurde am alten Markt gefunden. Ich übergebe nun an den Kriminalbeamten Brian Taylor, der live vom Tatort berichtet. Sagen sie uns, Mister Taylor, was ist dieser Frau widerfahren?" Es blieb kurz still. Gespannt spitzte Dan die Ohren. "Nun, unserer Autopsie zufolge wurde die Frau vergewaltigt und anschließend erwürgt. Dies verrieten uns die gebrochenen Knochen im Halsbereich. Wir gehen daher davon aus, dass der Täter enorme Kraft hat. Uns ist es leider nicht gelungen, die Frau zu identifizieren, da sie auf bestialische Weise verstümmelt wurde. Was wir jedoch wissen, ist, dass die Tat sich zwischen drei- und vier Uhr morgens ereignete. Es wurden jedoch keinerlei Spuren gefunden, noch gab es Zeugen", erklang eine tiefe Männerstimme. Die Nachrichtensprecherin meldete sich wieder zu Wort. "Und woher wissen Sie, dass es nicht doch der Mörder war, welchen Sie The Lone Hunter nennen?" Dan zuckte zusammen. Dies war eine äußerst interessante Wendung. Die Frau klang fast schon anklagend mit ihrer schmerzhaft hohen Stimme. "The Lone Hunter ist kein Vergewaltiger und wenn ich Sie daran erinnern darf, Miss, ist er vor Jahren gestorben. Ein Toter kann schließlich schlecht weiterhin sein Unwesen treiben."

Wahrlich, die Frau hatte jedes Recht dazu, die Existenz des berühmt berüchtigten Serienkillers infrage zu stellen. The Lone Hunter war nicht tot, so wie es den Anschein haben mochte. Zumindest glaubte er nicht daran, denn die Medien logen oft. Dan hatte sich schon immer mit diesem Mann auseinandergesetzt. Er war sein Idol, sein schlimmster Feind und seine Bestimmung. Es gab nicht viele, die überhaupt jemals etwas über den Killer gehört hatten, doch Dan wusste, dass diese Frau bald unschädlich gemacht wurde. Und zwar von The Lone Hunter höchstpersönlich. Der Kriminalbeamte sprach weiter. "Die Tatvorgänge des Defilers jedoch ähneln sehr stark denen von Jack the Ripper. Als wäre dieser wieder auferstanden. Wir arbeiten mit allen Mitteln daran, ihn zu fassen, doch tappen wir bedauerlicherweise weiterhin im Dunkeln. Aber ich übergebe nun wieder zurück zu Ihnen." Mehr interessierte Dan nicht. Er schaltete den Fernseher aus und erhob sich mit einem hämischen Grinsen von der Couch. Diese Vergewaltigung und der daraufhin von ihm vollbrachte Mord war genauso einfach gewesen wie die Unzähligen davor. Er war jedoch nicht dumm. Das analytische Denken, welches er innehatte, überprüfte unbewusst jeden seiner Schachzüge. Sorgfältig achtete er darauf, kein Beuteschema zu entwickeln und die Orte als auch die Frauen nicht in Verbindung stehen zu lassen. Diesen Fehler hatte er anfänglich leider nur allzu häufig gemacht, als er sich in England an den Prostituierten vergangen hatte. Das hatte zur Folge gehabt, dass er zu sehr in die Schusslinie des MI5 geraten war, weswegen er den Kontinent gewechselt hatte. Und Deutschland, erst recht eine Kriminalstadt wie Frankfurt eine war, war ihm nur Recht gewesen. Der deutschen Sprache war er schon seit Kindesbeinen an mächtig, denn durch seine Hochbegabung hatte er keinerlei Schwierigkeiten damit, sich die unterschiedlichsten Sprachen anzueignen. Doch er hatte sich andere Pläne zurechtlegen müssen. Und wie man sehen konnte, gingen diese auf. Sie würden ihm niemals auf die Schliche kommen, dafür würde er sorgen.

Pfeifend lief er ins Bad und entfernte den Verband, welchen er um seine Hand trug. Die Verletzung eiterte, jedoch war es ein auszuhaltender Schmerz. Dan griff nach der kleinen Flasche Thymianöl, welche im Schrank neben dem Waschbecken stand, und machte sich dann auf den Weg in die Küche, um den Wasserkocher einzuschalten. Der Mann, der ihn mit seiner Glock getroffen hatte, konnte sehr gut schießen. Wer weiß, vielleicht war er ein Kopfgeldjäger. Davon gab es viele in Frankfurt, jedoch nur wenige, die wirklich das Zeug dazu hatten. Wenn er so darüber nachdachte, hielt er diese Idee dann doch für absurd. Der Schütze hatte das Mädchen gerettet. Vielleicht waren sie verwandt? Doch nein, auch diese Überlegung schien keinen Sinn zu machen. Es wunderte ihn jedoch nicht, dass das Mädchen seine Tat nicht angezeigt hatte. Der Schock saß ihr zu tief in den Knochen, das hatte er in ihren Augen gesehen. Er bewegte sich mit dieser Annahme zwar auf Messersschneide, jedoch beunruhigte ihn dies nicht im Geringste. Wenn sie ihm auf die Schliche kommen sollten, würde er einfach wieder den Kontinent wechseln.

Der Wasserkocher klickte. Dan nahm eine der kleinen weißen Schüsseln aus dem Schrank und goss das heiße Wasser hinein. Dann träufelte er drei Tropfen Thymianöl hinzu und tränkte ein dünnes Tuch in der Mischung, welches er sich kurz darauf auf die Wunde legte. Er zog scharf die Luft ein, als der stechende Schmerz sich bemerkbar machte. Es war die richtige Entscheidung gewesen, das Mädchen nicht umgebracht zu haben, ganz gleich, ob er sich deswegen eine Kugel eingefangen hatte. Die Erinnerung an sie und die Frau, an welcher er sich zwei Stunden nach ihr vergriffen hatte, ließ seinen Körper in freudigem Genuss erbeben. Er war nicht mehr in der Lage, solch ein Verlangen zu empfinden, außer er gab sich seinen perfiden Gedanken hin.

Der Defiler begab sich aus der Küche und lief nach unten in den Keller, wo er seine Sklavin versteckt hielt. Jene Frau, welche vor ein paar Jahren noch seine beste Freundin gewesen war. Wenn er einmal nicht in der Stimmung war, um zu morden, brauchte er schließlich etwas, an dem er seine natürlichen Begierden auslassen konnte. Und auf welche Art ging es denn besser als mit erzwungenem, gewaltvollem Sex? Allein der Gedanke daran ließ ihn erschaudern. Er war nicht immer so, wie er heute war, doch hatte das Schicksal dies von Anfang an mit ihm vorgehabt. Dan war der Sohn eines Bastards und einer Prostituierten, welche er beide nicht kannte. Seine Kindheit hatte er in einem Waisenhaus verbracht, in dem sich die Erzieher tagtäglich an den Kindern vergingen. Er hatte diese Schändungen nie verkraften können. Zu oft hatte er Stunden damit zugebracht, an die Wand zu starren, in dem verzweifelten Versuch, seine Gedanken sortieren zu können, doch dies führte nur dazu, dass er diesen Gedankengang wieder hinterfragte. Es war ein immerwährender Kreislauf gewesen. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr. Als er jedoch endlich alt genug war, um diesen Ort hinter sich zu lassen, brach für ihn eine Welt zusammen. Er wurde aus seiner wenn auch zermürbenden Routine gerissen, war jahrelang in seiner Sexualität verschoben und überfordert mit seinem Leben.

Irgendwann ging Dan einen drastischen Schritt. Ein Schritt, welcher sein Schicksal besiegelte. Er besuchte ein Internat für Hochbegabte, da ihn sein immerwährender Gedankenfluss sonst noch um den Verstand gebracht hätte. Und als er sechsundzwanzig war, passierte das, was ihn zum Defiler werden ließ. Er lernte dort eine junge Frau kennen und schlief schlussendlich mit ihr. Unseligerweise unterschätzte er währenddessen seine Kraft, denn sie war eine Person gewesen, die Dominanz als willkommenes Geschenk betrachtet hatte. Als sie ihn irgendwann anflehte, seine Hand von ihrem Hals zu nehmen, entfachte dies ein loderndes Feuer in ihm, welches über die Jahre für ihn unentdeckt geblieben war. Anstatt das er sie losließ, drückte er fester zu, kam zum Höhepunkt und brachte sie in einem Atemzug um. Das war seine erste Tat gewesen und seitdem bestand sein Rattenschwanz aus 188 Frauen. 188 Frauen innerhalb von sechs Jahren. Es war ein berauschendes Gefühl. Er fühlte sich wahrlich wie ein neu auferstandener Jack the Ripper.

Lässig stieß er die Kellertür auf und lief durch einen Korridor aus Gängen bis ganz nach hinten, hindurch durch mehrere Stahltüren, die alle verschiedene Codes besaßen. Dann betrat er sein penibel eingerichtetes Labor. Es war jedoch kein Labor, welches man sich unter diesem Begriff wohl vorstellte. Der von Rot und schwarz dominierte Raum beinhaltete zwei Betten und jede Menge Folterwerkzeuge. Aus Erfahrung wusste er, dass es sinnvoller war, seine Waffen woanders zu lagern. Es sollte schließlich niemand in Versuchung geraten. Dan schloss die Tür und erhöhte die Helligkeit der Rotlichtlampen. Eve lag nackt und zusammengekauert in ihrem Bett. Ihre helle Haut war übersät mit verschiedensten Verletzungen, die er jedoch weitestgehend behandelt hatte. Er wollte schließlich nicht, dass sie starb. Ihre roten Haare bedeckten das schöne Gesicht, in welches er sich von Tag eins an verliebt hatte. Eve zitterte stark. Für den Bruchteil einer Sekunde regte sich etwas in ihm. War es Mitleid? Oder Reue? Bevor er in die Versuchung kam, das Gefühl zu analysieren, verbannte er es wieder hinter seine Mauer aus Gleichgültigkeit. Sie war für ihn ein Objekt der Lust, nichts weiter.

"Eve. Steh auf." Dan ließ seine Stimme leise und bedrohlich klingen. Die junge Frau sprang sofort auf und ging vor ihm auf die Knie. Ein leises Lachen verließ seinen Mund. "Braves Mädchen." Er sah, wie in ihren grünen Augen der Widerstand tobte, doch hielt ihre Angst diesen im Zaum. Die junge Frau war auch viel zu ausgelaugt, als das sie sich hätte zur Wehr setzen können. Er gab ihr immer nur so viel Nahrung wie ihr Körper brauchte, aber niemals so viel, als dass sie sich zwei Tage hätte satt essen können. Langsam ließ er sich auf ein Knie sinken, griff in ihre Haare und küsste sie. Eve hatte schon seit Langem aufgehört, sich zu wehren. Er hatte sie gebrochen. Zumindest weitestgehend. Doch als er gerade die Hand hob, um zuzuschlagen, kam dieses unbekannte Gefühl erneut zurück. Resignation traf ihn. Da er heute wohl nicht in der Stimmung auf Gewalt war und auch ihr Körper eine Erholung brauchte, ließ er seine anfängliche Erregung in ruhigere Gefühle umschlagen. Dan mochte zwar ein Mörder und Vergewaltiger sein, aber niemals würde er zulassen, dass Eve starb oder unheilbar zu Schaden kam. Die beiden führten eine ganz spezielle Beziehung und das, was er für sie empfand, kam dem Gefühl der Liebe schon sehr nahe. Dieser Moment war einer der wenigen, in welchem er echte Zuneigung brauchte. Und so ließ er von ihr ab. Verwundert über seine Entscheidung sah sie ihn an. "Willst du nicht?", fragte sie ihn kraftlos und ihre melodische Stimme bescherte ihm sofort eine Gänsehaut. Dan schüttelte den Kopf. "Ich werde diese Nacht bei und nicht mit dir verbringen. Aber davor," er zeigte auf ihren geschundenen Körper, "werde ich mich deinen Verletzungen annehmen. Komm." Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus, da Eve ihn weiterhin mit angsterfüllten Augen betrachtete. "Ist schon okay. Steh auf." Zögernd strich sie sich ihre roten Haare aus dem Gesicht und erhob sich. "Ich kann dich einfach nicht verstehen, Dan." Dann lief sie zitternd an ihm vorbei. "Ich mich auch nicht", dachte er. "Ich mich auch nicht."

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