~Kapitel 7~
Langsam öffnete ich meine Augen. Ich lag in meinem Bett, zugedeckt und mit Schmerztabletten zugedröhnt. Zum Glück war ich nicht desorientiert. Mit einer fließenden Handbewegung entfernte ich die Decke von meinem Körper und sah an mir herunter. Verwirrt runzelte ich die Stirn, als ich das schwarze Hemd bemerkte, welches meinen Oberkörper bedeckte. Es war mir zu groß und sah recht teuer aus, weshalb ich daraus schloss, dass mein Retter es mir wohl gegeben haben musste. Seine tiefe, raue Stimme, welche besorgt und angewidert zugleich geklungen hatte, lag mir immer noch im Ohr. Eine Stimme, welche mir nur allzu bekannt vorkam, ich sie jedoch immer noch nicht einzuordnen vermochte. Langsam versuchte ich aufzustehen, doch überkamen mich erneut starke Kopfschmerzen, weswegen ich mich wieder zurückfallen ließ. Erschöpft atmete ich aus. Mein Körper war so schwer wie blei und mir war kalt. Am Liebsten würde ich wieder in die Traumwelt abdriften, um all dem zu entfliehen. Durch die Schmerztabletten spürte ich nicht allzu viel, jedoch war das unangenehme Pochen in meinem Unterleib allgegenwärtig.
Als die Erinnerungen an den vergangenen Tag mich überkamen wie eine Flutwelle aus negativen Empfindungen, huschte ein kalter Schauer über meinen Rücken und fast augenblicklich zog mein Brustkorb sich zusammen. Panisch sprang ich auf, riss die Gardinen beiseite und öffnete das Fenster. Mein benommener und erschöpfter Zustand war Angst und blanker Panik gewichen. Die kalte Morgenluft wehte mir entgegen und mein schneller Atem bildete Schwaden in der Luft. Ich wischte mir zitternd übers Gesicht und stützte mich an der Fensterbank ab. Bedacht kontrollierte ich meine Atmung und kämpfte so gegen die aufkommende Panikattacke an. Als mein Puls nicht mehr auf gefühlt 180 war, ging ich zu meinem Spiegel, der vor meinem Kleiderschrank stand und betrachtete mich eingehend. Ich sah wirklich schrecklich aus. Mein Gesicht war aschfahl wie das eines Toten und tiefe Augenringe zeichneten sich unter meinen Lidern ab. Dazu kam das Veilchen, welches an meinem rechten Auge prangte, meine offensichtlich gebrochene Nase und die unzähligen Schrammen, die meine verunstaltete Visage zierten. Meine schulterlangen braunen Haare waren vom Blut und Schmutz verklebt und stanken höllisch. Alles an mir wirkte kraftlos und ausgelaugt. Selbst der Glanz meiner blauen Augen war verschwunden. "Erloschener Glanz der Augen ist das Spiegelbild der absterbenden Seele." Ich lachte freudlos auf und wischte die Tränen weg, welche mir warm über die eingefallenen Wangen liefen. Dann knöpfte ich das Hemd auf, dessen kühler Stoff angenehm auf meiner erhitzten Haut lag und entledigte mich meiner Jeans. Erschrocken zog ich die Luft ein, als ich die vielen blauen Flecken sah, die überall auf meinem Körper zu sehen waren. Um meinen Hals zog sich ein hässlicher roter Streifen. Dann fiel mein Blick auf den Verband an meiner Wade, wo mich das Messer getroffen hatte. Prüfend bewegte ich jeden Muskel, doch ich spürte nichts. Das Gefühl des Schmerzes würde wahrscheinlich erst nach Abklingen der Schmerzmittel eintreten.
Plötzlich schwang meine Zimmertür auf, was mich zusammenzucken ließ. Lace steckte den Kopf herein. "Du bist wach. Na endlich!" Ich wollte mir gerade das Hemd wieder überwerfen, doch es war zu spät. Meine beste Freundin blieb wie angewurzelt stehen und schlug ihre Hand vor den Mund. "Oh mein Gott, Aubrey...! Was zum ...? Es hieß, du seist nur gestürzt. Das sieht mir aber nicht nach einem Sturz aus." Resigniert atmete ich aus. "Lace, ich ... Was weißt du denn bis jetzt alles?" Währenddessen machte ich eine Kopfbewegung in Richtung meines Bettes. Sie nickte nur und setzte sich. "Nur vorab. Deine Mum ist arbeiten. Deshalb bin ich hier", sagte sie mit ruhiger Stimme und fuhr dann fort. "Wir haben dich gestern Abend im Krankenhaus abgeholt. Du warst einen Tag lang nicht ansprechbar, Aubrey. Der Arzt meinte, dass ein fremder Mann dich auf seinem Arm in die Notaufnahme gebracht und dann direkt wieder gegangen ist. Er hat behauptet, du seist am Bahnhof die Treppen hinuntergestürzt. Es gab auch Zeugen, die das bestätigen konnten." Fassungslos schüttelte ich den Kopf. "Wie sah er aus?" Lace überlegte kurz. "Laut Arzt? Groß, trainierter Körper, schwarze Haare, Dreitagebart und graue Augen. Komplett in einen schwarzen Anzug gekleidet. Mehr Details hatte er nicht für uns." Es dauerte einen Moment, bis mein Gehirn diese Informationen verarbeitet hatte. "Knox", keuchte ich geschockt. "Was!?" Ich sah meine beste Freundin an. "Lace, das war Knox! Er hat mich gerettet!" Man konnte förmlich das Fragezeichen über ihrem Kopf schweben sehen. "Ich erzähle dir, was passiert ist, wenn du mir versprichst, bei niemandem ein Wort darüber zu verlieren." Als Bestätigung bekam ich ein zustimmendes Nicken.
Trotz dass es mein Innerstes vor Abscheu und Angst zu zerreißen schien, erzählte ich es ihr. Und zwar alles, ohne ein Detail auszulassen. Es war so, als ob ich wieder in jenen schicksalhaften Moment zurückversetzt wurde. Mit jedem Wort, welches schleppend und monoton meinen Mund verließ, zogen sich die unsichtbaren Ketten um meinen Brustkorb nur noch enger und raubten mir so die Luft zum Atmen. Als ich geendet hatte, sprang Lace fassungslos auf. "Du musst unbedingt zur Polizei gehen!" Hektisch schüttelte ich den Kopf. Ich wollte ihr sagen, dass ich nicht konnte, dass es bestimmt einen Grund gab, weswegen der Arzt nicht geäußert hatte, dass meine Verletzungen von einer Vergewaltigung kamen, doch ich schwieg. Denn ich wusste nicht, ob mir meine Stimme überhaupt gehorcht hätte oder ich nicht doch heulend zusammengebrochen wäre. Sie sah wohl an meinem Blick, wie ich mich fühlte und was mir durch den Kopf ging, denn plötzlich fiel Lace mir um den Hals. Hauchzart legte sie ihre Lippen an mein Ohr und flüsterte: "Es tut mir so leid." Und dann war es mit meiner Selbstbeherrschung vorbei. Ich fiel in regelrechte Heulkrämpfe und versuchte krampfhaft diese schreckliche Erinnerung aus meinem Verstand zu vertreiben. Doch Lace war da, war mein Fels in der Brandung. Sie summte ein mir unbekanntes Lied, doch die sanfte Tonlage ihrer Stimme beruhigte mich zusehends. Nach einer Weile löste ich mich von ihr. "Ich geh duschen. Dann können wir zur Schule." Sie runzelte die Stirn. "Willst du wirklich ...?", setzte Lace an, doch ich unterbrach sie. "Ja. Ich muss zu Knox." Und damit verschwand ich im Bad.
Gefühlte zwei Stunden stand ich unter der Dusche, um das erdrückende Gefühl des sexuellen Missbrauchs loszuwerden. Überall spürte ich seine langen, schmierigen Finger, spürte den Schmerz, der meinen Unterleib durchzogen hatte wie Säure. So viele Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, doch sobald ich versuchte, einen von ihnen zu manifestieren, verschwand er. Ich mochte mir vielleicht nicht die Schuld an diesem Vorfall geben, aber der Gedanke, damit Leben zu müssen und Angst als ständigen Begleiter zu haben, schien mich zu zerstören. Ich schrie auf. Es war ein schreckliches Gefühl. Doch noch schlimmer war, dass ich mich vor mir selbst ekelte. Da ich es nicht über mich brachte, erneut in den Spiegel zu schauen, zog ich mich ohne Umschweife an, darauf achtend keine Haut zu zeigen. Dann nahm ich das Hemd und wollte es gerade in den Wäschekorb schmeißen, als mir etwas auffiel. Am Kragen war der Stoff deutlich steifer, als ob Kleber darauf gekommen war. Als ich prüfend daran zog, löste sich der Stoff und gab einen mit weißem Garn eingenähten Namen preis. Madoc Knox. Geschockt riss ich die Augen auf. Er war es also wirklich gewesen. Aber wieso? Aufgebracht rief ich nach Lace. Ich musste zur Schule. Jetzt.
Wir stolperten ins Klassenzimmer. Ich sah auf die Uhr. Die Stunde war gleich zu Ende, danach hatten wir Sport. Herr Knox beäugte uns skeptisch. Es kam mir so vor, als ob sein Blick länger als gewöhnlich auf mir zu liegen schien, doch mehr als ein barsches "Setzen" kam nicht über seine Lippen. Plötzlich packte mich jemand an den Schultern. Es war Luke. Einer Ahnung nach sah ich zu Lace. Ihr entschuldigender Blick war Antwort genug. Luke schüttelte mich kräftig. "Er hat dich vergewaltigt, verdammt! Zeig diesen Hurensohn an!" Augenblicklich waren alle Blicke auf uns gerichtet, doch bevor ich etwas erwidern konnte, gebot Herr Knox meinem Kumpel mit einem vernichtenden Blick Einhalt. Luke senkte ergeben den Kopf und setzte sich wieder auf seinen Platz. Erst dann sah Herr Knox mich an und das, was ich sah, ließ mich frösteln. In seinen Augen spiegelte sich pure Mordlust wieder. Mordlust vermischt mit ungezügeltem Hass. Unser Geschichtslehrer ließ den Blick durch den Raum gleiten. "Kopflosigkeit. Die große Seuche der Französischen Revolution." Dann begab er sich wieder ans Pult und widmete sich seinen Notizen. So schien es zumindest, doch spürte ich seinen nachdrücklichen und forschenden Blick auf mir. Ich ohrfeigte mich innerlich und verfluchte Lace dafür, dass sie ihr Wort gebrochen hatte. Nun wusste die ganze Klasse bescheid. "Toll gemacht", brachte ich genervt heraus und bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. Herr Knox ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen. "Aubrey, was habt ihr jetzt?" Ja, das war eindeutig die Stimme jenes Mannes, welcher mich vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Unfähig aufzuschauen, murmelte ich nur leise "Sport" und verließ beim Klingeln so schnell ich konnte das Klassenzimmer.
Während die anderen die Pause draußen verbrachten, verbrachte ich meine in der Umkleide. Mit schwarzer Farbe malte ich mir ein Motiv auf den Oberkörper und band meine Brüste ab. Ich wollte schließlich nicht .... Bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken konnte, schüttelte ich den Kopf. Was machte ich denn da? Es war zum Haareraufen. Zähneknirschend warf ich mir mein T-Shirt über und betrat die Sporthalle. Herr Seren, unser Sportlehrer, kam auf mich zu. "Hi, Aubrey! Schön, dass du wieder da bist. Hab gehört, du bist gestürzt. Wir vertiefen heute das Thema Kampfsport. Zwar etwas abweichend vom Lehrplan, aber denkst du, du kannst mitmachen?" Der alte Mann sah mich aus seinen freundlichen grünen Augen an. Ich zwang mir ein Lächeln ab. "Klar kann ich das", erwiderte ich trocken, obwohl ich nicht wusste, ob ich diese Strapazen überhaupt aushalten würde. Herr Seren fing an zu strahlen. "Super! Dann bis gleich!" Dann begab er sich in die Lehrerumkleide.
Es dauerte nicht lange, bis wir alle versammelt auf den Bänken saßen. Fünf Minuten nach dem Gong kam unser Sportlehrer auf uns zu. Er erklärte, um welches Thema sich die heutigen Stunden drehen würden. Ich wusste es ja schon. "Wir machen ein Spiel daraus. Die, die nicht in die Techniken des Kampfsports eingeweiht sind, werden allerdings trotzdem mitmachen. Die Aufgabe der Schwarzgurte", er sah mich eindringlich an, "ist es, das Team zu beschützen. Am Ende wird es einen Kampf zwischen den beiden Schwarzgurten geben und wer gewinnt, dessen Team gewinnt das Spiel. Alles soweit verständlich?" Ein zustimmendes Nicken ging durch die Reihen. Herr Seren klatschte in die Hände. "Gut. Dann findet euch in zwei Teams zusammen. Aubrey, James, ihr geht natürlich in getrennte Teams." Ich nickte nur und begab mich zu Lace.
James und ich waren die einzigen beiden Schwarzgurte an der Schule und noch nie war es mir gelungen, ihn zu besiegen. Das musste ich unbedingt ändern, denn es nagte fürchterlich an meinem Ego. Als ich Lace und meiner Gruppe den Plan erklärt hatte, holte ich meine Dharmastäbe. Eigentlich waren es, mehr oder weniger, nur modifizierte Holzstöcke. James besaß die Gleichen. Beide Stäbe waren schwarz und um sie herum zog sich ein weißer Drache. Um James' Gruppe einzuschüchtern, zog ich mein T-Shirt aus und gab so mein Tattoo preis, welches ich mir aufgemalt hatte. Glücklicherweise sah es realistisch aus. Es war ein schwarzer Drache, dessen Flügel auf meinem Rücken lagen. Die Pranken lagen auf meinen Schultern sowie an meiner Hüfte. Der Schweif schlängelte sich von unten bis zu meinem Bauch. Der Drachenkopf tat dies ebenfalls jedoch von oben. James bemerkte diese Geste, denn er tat es mir gleich. Auch er hatte sich einen Drachen aufgemalt. "Mir immer einen Schritt voraus." Doch irgendwann würde der Tag kommen, an dem ich keine Defizite mehr aufzuweisen hätte. Sein durchtrainierter Körper war eine Augenweide, jedoch ließ es mich vollkommen kalt. Es gab nur eine Person, die ich gerne so sehen würde: Knox. Abrupt stieß mir Lace ihren Ellbogen in die Seite. "Spinnst du? Zieh dein T-Shirt wieder an!" Entnervt stöhnte ich auf. "Ich hab meine Brüste abgebunden. Entspann dich." Skeptisch ließ Lace ihren Blick über das cremefarbene Band wandern, welches sich um meinen Oberkörper zog. "Ihr nehmt dieses Spiel viel zu Ernst", seufzte sie kopfschüttelnd und brachte sich dann in Position. Das Startsignal erklang und der Kampf begann.
Als ich gerade dabei war, den entscheidenden Schlag zu setzen, erklang Herr Serens Stimme. "Stooop!" Wir hielten alle abrupt inne. Vor Erschöpfung zitternd wischte ich mir den Schweiß aus der Stirn. Meine Muskeln brannten vor Anstrengung, doch es war ein gutes Gefühl. "Das reicht für heute. Geht euch umziehen." Das tat auch jeder. Jeder - außer ich. Ich machte verschiedene Dehnübungen und Herr Seren ließ mich mit einem einfachen Kopfnicken gewähren. Dann verließ er auch schon die Halle. Unser Sportlehrer war wirklich eine gute Seele. Als ich fertig war, hob ich meine Dharmastäbe auf und brachte mich in Position. Eine Runde würde noch gehen. Hoffte ich zumindest, jedoch wollte ich die Ruhe meines Verstandes auskosten. Doch ehe ich auch nur einen Muskel bewegen konnte, spürte ich plötzlich zwei kräftige Hände, die sich auf meine Schultern legten und mich kurz darauf an eine muskulöse Brust zogen. "Wer hat dich vergewaltigt?" Resigniert zog ich die Luft ein. Als ich nicht antwortete, verstärkte Herr Knox seinen Griff. "Sag es mir, Aubrey." Seine Stimme wurde bedrohlich tief. "Kanntest du ihn?", fragte er mich nach einer Weile noch nachdrücklicher als davor und dennoch schwieg ich, unfähig, über dieses Ereignis zu sprechen. Als er realisierte, dass ich nicht antworten würde, ließ er von mir ab. "Lass mich dir zumindest zeigen, wie du deine Technik verbessern kannst. Für den Fall der Fälle." In Anbetracht dieser brachialen Kehrtwende seines Charakters runzelte ich misstrauisch die Stirn. Er rollte mit den Augen und ehe ich mich versah, hatte er einen meiner Stäbe in der Hand. Verwundert sah ich ihn an. Ich hatte noch nicht einmal den Hauch einer Möglichkeit gehabt, um zu reagieren. "Wie haben Sie das gemacht?" Doch er grinste nur und nahm den Kampfstil des Adlers an, welcher sich auf die Vitalpunkte des Gegners richtete. Ich würde verlieren.
Ich hatte Recht behalten. Herr Knox war zu schnell, zu stark, zu erfahren. Ich mit meinem Tigerkampfstil kam nicht gegen den des Adlers an. Und nun befand ich mich rücklings auf dem Boden, mit meinen eigenen Waffen an der Kehle. Welch eine Schande. Lachend zog Herr Knox mich wieder auf die Beine. "Du bist gar nicht Mal so schlecht", sagte er grinsend und gab mir meine Waffen zurück. "Sie sind für mich kein Gegner", entgegnete ich nur atemlos. Augenblicklich wurde sein Grinsen breiter. "Was bin ich dann für dich?" Er sah mich fragend an. Ich überlegte, ob ich diese Karte spielen sollte. Ich tat es. "Sie sind dominant." Ein amüsierter Ausdruck trat in seine Augen. "Wie interpretierst du Dominanz? Und was ist Wille? Ist nicht Wille eine Methode, den Geist zu konditionieren? Doch er kann uns nicht helfen, den Geist zu befreien."
Einen Augenblick lang sah ich ihn verwirrt an, ehe ich seine Worte verstand. "Das mag ja sein, aber trotzdem haben Sie Gefallen daran, andere zu dominieren." Er verengte seine Augen zu Schlitzen. "Ja, das kann ich wohl nicht leugnen. Aber du musst wissen, dass ich so aufgewachsen bin. Es liegt in meiner Natur, Aubrey." Ich merkte, wie sich ein Hauch von Bitterkeit in seine Stimme schlich und hob fragend eine Augenbraue. "Mein Vater hat derartige Dinge ... mit mir praktiziert", gab er monoton von sich und plötzlich verstand ich, wie als wenn mir ein Licht aufging. "Also hat ihr Vater..?" Herr Knox holte geräuschvoll Luft. "Sich an mir vergriffen, ja. Ich war ein Kind, Aubrey. Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?", fragte er mich anklagend. Überfordert senkte ich den Blick und zuckte nur mit den Schultern. "Du kannst das, was er mir auf diese Weise angetan hat, nicht mit harmlosen und liebevollen Sex vergleichen. Vor allem nicht, weil ich ein Kind war. Noch dazu sein Eigenes. Und anatomisch gar nicht dafür veranlagt. Es war eine Folter, gleichzusetzen mit einer Vergewaltigung. Weißt du, was für Schmerzen ich empfunden habe? Ich bin durch die Hölle gegangen. Immer und immer wieder." Ich sah auf. Das Szenario an die Nacht meiner eigenen Vergewaltigung spielte sich in meinem Kopf ab. Alles in mir spannte sich an. "Ja, ich weiß nur zu gut, wie sich so etwas anfühlt. Das können Sie mir glauben." Meine Stimme klang unsicher und zitterte. Herr Knox nickte. "Wenn du es nicht anders gewohnt bist, nimmst du automatisch diese Charakterzüge an. Ich musste meine Kontrolle damals ablegen. Und heute übe ich diese Kontrolle aus. Eine einfache Gleichung, oder?" Langsam nickte ich und wagte dann einen weiteren Vorstoß. "Wenn Sie mit jemandem schlafen, was ..." Er unterbrach mich. "Aubrey. Hast du mir eben zugehört?" Ein freudloses Lachen verließ meinen Mund. "Natürlich. Sie wollen mir damit also sagen, dass sie mit niemandem Sex haben, sondern Sie nur ficken? Ich kann mir das nicht so recht vorstellen. Plagen sie denn im Nachhinein keine Gewissensbisse?" Herr Knox verzog das Gesicht. "Nein. Ich habe die Art meines Vaters übernommen. Er war ein gewissenloser Mann, der es liebte, seine schier unantastbare Dominanz an allem auszulassen, was man ficken kann. Eben auch an mir. Er war kalt und ... er war ein Monster. Und ich, ich bin genauso wie er. Nur schlimmer", sagte er besonnen und mit einer ungewöhnlichen Gelassenheit. Doch es war wie ein Faustschlag ins Gesicht. Ich fuhr mir fahrig durch die Haare und sah ihm in die Augen. Zum ersten Mal konnte ich in ihnen lesen. Es lag so viel Schmerz und Trauer darin. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was er hatte durchmachen müssen. "Ich würde nicht sagen, dass Sie so sind wie Ihr Vater. Wenn man Sie kennt, kann man sagen, dass Sie ganz nett sind", flüsterte ich leise. Ein leises Lachen verließ seinen Mund. "Nur kennst du mich nicht, meine Liebe. Niemand tut das wirklich. Und das ist auch gut so."
Er nickte mir zu und wandte sich zum Gehen. "Madoc! Warte ..." Ich sah, wie seine Rückenmuskulatur sich anspannte, aber er blieb stehen und sah mich über die Schulter hinweg an. "Woher kennst du meinen Namen?" Ich lächelte zaghaft. "Du warst es, der mich in der Nacht gerettet hat. In dem Hemd, das ich trug, war dein Name in die Innenseite eingenäht." Kurz riss er geschockt die Augen auf, so als ob er nicht realisieren konnte, wie ihm dieser Fehler hatte unterlaufen können. Als er sich wieder gefangen hatte, lief er auf mich zu und blieb unmittelbar vor mir stehen. "Wieso hast du das getan?" Seine Augen funkelten. "Ich konnte nicht zulassen, dass er dich tötet, wenn ich schon nicht verhindern konnte, dass er dich vergewaltigt", hauchte er. "Wieso hast du das getan, Madoc?", wiederholte ich erneut meine Frage. Er schien zu verstehen. "Weil du etwas mit mir gemacht hast, Aubrey. Etwas, was ich nicht beschreiben kann. Doch dieses Gefühl raubt mir den Schlaf. Es ist jenseits von Lust und Begierde. Es ist mehr als das. Mehr als ich jemals gefühlt habe." Für den Bruchteil einer Sekunde legte er seine Hand an meine erhitzte Wange, eine hauchzarte Berührung, so schnell verschwunden, wie er sie zuvor hergestellt hatte. "Zeig mir, wie du bist. Zeig mir, wer du bist. Bitte ..." Ich schaute ihm unverwandt in die Augen und sah, dass er mit sich rang. Er presste die Zähne aufeinander. "Das willst du nicht wissen, Aubrey." Zögernd legte ich eine Hand auf seine Brust, woraufhin er augenblicklich zusammenzuckte. "Doch." Madocs stahlgraue Augen wurden um ein paar Nuancen dunkler. "Ich werde dir bloß wehtun. Und ich werde es genießen. Das darf ich nicht", entgegnete er nur trocken. Entschlossen verstärkte ich den Druck auf seine Brust. Sein Herzschlag beschleunigte sich merklich. "Das ist mir egal." Und dann geschah das, was ich hatte bezwecken wollen. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit löste Madoc meine Hand von seiner Brust und presste mich gegen die Wand. Er nahm meine Hände mit seiner Linken und fixierte sie über meinem Kopf. Mit der anderen Hand umschloss er meinen Hals, drückte zu und zwang mich, ihn anzusehen. Ich versuchte Ruhe zu bewahren und konzentrierte mich auf meine Atmung. Langsam beugte er sich zu meinen Lippen vor und hielt unmittelbar vor ihnen inne. Dann sah er mir tief in die Augen. Und da war sie wieder, die dunkle Inbrunst, die wie Feuer zu brennen schien. Ich fröstelte, doch wandte ich den Blick nicht ab. Mit seinem Daumen strich er mir über die Unterlippe, was mich die Augen schließen ließ. Dann überwand Madoc die letzten Millimeter, die zwischen uns lagen und verband seine Lippen mit meinen, was mir ein wohliges Seufzen entlockte. Der Kuss war zaghaft und zurückhaltend, aber dennoch reichte es aus, um mich erschaudern zu lassen, auch wenn der Moment nicht lange anhielt. Madoc biss mir spielerisch in die Lippe und löste sich dann von mir. Er lehnte sich mit seiner Stirn gegen meine und schloss die Augen. Ein Zittern hatte seinen Körper ergriffen. "Ich habe mir geschworen, dir nicht wehzutun. Und diesen Schwur werde ich nicht brechen", sagte er mit belegter Stimme und hielt kurz inne. "Ich begehre dich, Aubrey. Aber das ist ein Spiel mit dem Feuer. Du weißt nicht, wohin das führen wird." Mühsam holte ich Luft und versuchte, mein armes Herz zu beruhigen. "Dann zeig es mir." Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Doch Madoc schüttelte den Kopf. "Nein." Dann ließ er von mir ab und machte auf dem Absatz kehrt. Ich sah ihm mit gemischten Gefühlen hinterher und wartete, bis er aus der Sporthalle verschwand.
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