~Kapitel 4~
Als er in dieser Nacht das Schulhaus verließ, brummte ihm der Kopf, weswegen er sich angespannt an seinen GTD lehnte und drei Mal tief durchatmete. Für einen kurzen Moment ließ er seine Gedanken schweifen und blickte starr zum Vollmond hinauf, der den dunklen Parkplatz in ein kühles Licht tauchte. Er hatte immer noch ihren ätherischen Duft in der Nase, welcher jedoch keineswegs zu ihrem selbstsicheren Auftreten passte. Doch Madoc wusste, dass dieser Charakterzug durch und durch affektiert war. Tief in ihrem Inneren war Aubrey nur ein leicht verwundbares Geschöpf. Dachte sie ernsthaft, dass sie ihm die Stirn bieten, ihn übertreffen konnte? Ihn, den berühmt berüchtigsten Serienmörder der Welt? Madoc schmunzelte. Er würde ihr schon noch Gehorsam beibringen.
Er war froh, dass er einen hohen Intelligenzquotienten besaß, denn sonst wäre die Option, den Beruf Lehrer als zweite Identität zu wählen, nicht möglich gewesen. Im Stillen schickte er ein aufrichtiges Dankeschön an seinen besten Freund Brian. Denn allein dadurch, dass dieser beim BKA arbeitete, war Madocs Identität unbekannt. Zumindest was die des Serienkillers betraf, der er schließlich unwiederbringlich war. Jedoch war das ein Spiel mit dem Feuer da, falls er jemals Spuren hinterlassen sollte oder Brian einen Fehler machte, es seinen sicheren Tod bedeuten würde. Deshalb war das, was er sich heute geleistet hatte, ein Ausrutscher gewesen, den er unbedingt hätte vermeiden müssen. Der Morgen sowie auch der Vormittag waren recht gut verlaufen. Zwar hatte er sich widerwillig mit seinen Kollegen abgeben müssen, jedoch lief der Unterricht reibungslos und ohne Vorfälle vonstatten. Als er jedoch das letzte Klassenzimmer für diesen Tag betreten und sie gesehen hatte, hatte sich ein Schalter in ihm umgelegt. Nicht nur, dass seine Dämonen erneut zum Leben erwacht waren und sein unstillbares Verlangen sich gegen seine Willensstärke aufgebäumt hatte. Da war noch etwas anderes gewesen. Ein anderes Gefühl, welches sein Herz augenblicklich hatte höherschlagen lassen, doch vermochte er es nicht, dieses einzuordnen. Dieses Gefühl war mehr als nur Begierde und Lust gewesen, mehr als die Versuchung, Aubrey leiden zu lassen, bis sie noch nicht einmal mehr genügend Kraft hatte, um zu schreien. Es war kein Geheimnis, dass er ein dunkles Interesse für Jugendliche hegte. Das tat er schon immer. Sein einziges Dilemma war jedoch, dass sie ebenfalls nicht abgetan von ihm war. Und eben das war es, was er hatte vermeiden wollen. Frustriert blies er die Luft aus den Wangen. Nicht die Beherrschung zu verlieren würde eine größere Herausforderung werden als alles andere, das wusste er. Er hoffte inständig, dass sie wegen seiner Aktion vom Mittag nicht zum Rektor ging, obwohl ihm das unwahrscheinlich vorkam. Seine alleinige Präsenz konnte oftmals Wunder vollbringen. Und in Aubreys Augen hatte er einen Ausdruck gesehen, welchen er schon in den Augen seiner unzähligen Begleiterinnen gesehen hatte: Liebe.
Seufzend setzte er sich ins Auto und drehte den Zündschlüssel. Das Schnurren des Motors klang wie Musik in seinen Ohren. "Sie ist so wehrlos, so zerbrechlich. Weißt du, wie einfach du sie ins Bett kriegen könntest? Was du ihr alles antun könntest?" Die verführerischen Worte seines Vaters hämmerten gegen seine Schädeldecke, doch schenkte er ihnen keine weitere Beachtung mehr, da hinter ihm plötzlich ein Motor aufheulte, was ihn dazu veranlasste, in den Rückspiegel zu schauen. Als er erkannte, wer hinterm Steuer saß, musste er augenblicklich schmunzeln. "Na sieh Mal einer an. Ich hab mich nicht geirrt." Es war eine seiner Kolleginnen, eine Latina, die ihm von Anfang an schon aufgefallen war. Immerzu hatte sie sich in seiner unmittelbaren Nähe aufgehalten, hatte ihn gemustert wie ein erfahrener Jäger seine Beute. Wie ein Raubtier, welches auf den richtigen Moment wartete, um seine Beute zu fangen. Sie wusste wohl nicht, dass sie bald selbst zur Gejagten wurde. Langsam zog er sein Handy aus der Hosentasche und startete die App, welche mit den kleinen Wanzen verbunden war, die er jedem seiner Kollegen untergejubelt hatte. Auch sie trug eine. Es war für ihn ein Leichtes gewesen, die kleinen Abhörgeräte richtig zu platzieren. Eine versehentlich heruntergefallene Tasche hier, ein kameradschaftliches Schulterklopfen dort. Noch etwas, was riskant war, doch war es in Anbetracht der Dinge, die er bereits getan hatte, wohl das kleinere Übel. Er scrollte über die Elends lange Liste, bis er ihren Namen fand und wählte währenddessen fast schon beiläufig die Nummer von Brian. Dann wartete er, bis das Signal ertönte, welches kundgab, dass die Leitung sicher war. Sein Kumpel meldete sich mit einem "Ei Gude! Wie geht's, wie steht's?" Madoc seufzte. Er hasste den hessischen Dialekt. "Brian, ich bitte dich. Konntest du etwas über sie herausfinden?" Am anderen Ende der Leitung blieb es kurz still. "Klar konnte ich das. Es ist aber nicht sehr viel", antwortete Brian. "Schieß los." Madoc hörte, wie der Kriminalbeamte mehrere Mausklicks machte. "Ihr Name ist Luciá Diaz. Geboren in Amerika, ist aber Spanierin. Sie war kurzzeitig bei der Behavioral Analysis Unit, kurz BAU, tätig. Verhaltensanalyse im Bereich Kriminalität, um genau zu sein. So wie du. Geübt im Umgang mit verschiedenen Waffen und Krav Maga. Das war's." Augenblicklich schnappte Madoc nach Luft. "Dir kommt sie also auch bekannt vor." Er nickte zustimmend, bis ihm einfiel, dass sein Kumpel ihn ja nicht sehen konnte. "Ruf deine Register ab." Brian tat, was er verlangte. "Die Mädchen aus dem Hause Diaz. Das Unglück am Fluss Rio Grande", gab sein bester Freund leise von sich. Madoc schluckte schwer. "Wir dürfen uns nicht auf eine Vermutung verlassen. Ich werde das überprüfen." "Madoc, meine Berichte sind ...", versuchte Brian ihn zu überzeugen, doch wollte er es nicht hören. "Nein! Das ist unmöglich. Wie soll sie mich gefunden haben?" Und während er das sagte, wusste er, dass sie schon immer da gewesen war. Als das Unglück am Rio Grande passierte. Als er seinen wahren Charakterzügen nachging und sich den Ruf des gefürchtetsten Serienkillers der Welt einholte. Als er bei der BAU anfing und zwei Jahre später untertauchte. Und jetzt kreuzten sich ihre Wege erneut. Das konnte kein Zufall sein. "Eines noch, Brian", brachte er langsam heraus. "Ja?" "Ich habe gestern Nacht erneut gemordet. Vier an der Zahl. Und zwei von ihnen kannten meinen Namen. Sie wussten, wer ich bin." Brian fluchte etwas für ihn Unverständliches. "Ich werde mich drum kümmern." Er nickte. "Danke dir. Und ich werde Bericht erstatten." Ein raues Lachen ertönte. "Wenn ich es für dich nicht tue, tue ich es für niemanden, Madoc. Aber pass auf, was du tust. Ich will nicht auch noch deinen Tod inszenieren müssen." Und damit legte der Kriminalbeamte auf.
Ohne Umschweife verband Madoc seine Kopfhörer, steckte sich einen davon ins Ohr und legte dann das Handy auf die Seite. Falls sie auch nur den leisesten Mucks machen würde, würde er es hören. Langsam rollte er vom Parkplatz und fuhr Richtung Autobahn. Sein Plan ging auf. Sie folgte ihm mit ihrem schwarzen Subaru und es dauerte auch nicht lange, da hörte er ein Telefon klingeln. "Haben Sie ihn, Miss Diaz?", ertönte eine Männerstimme. Es war unwiderruflich ein Brite, der da sprach. "Ich bin ihm auf den Fersen, Sir. The Lone Hunter wird uns nicht entkommen." Erneut musste er nach Luft schnappen. Dies war eindeutig ihre Stimme, da war er sich sicher. Madoc entfuhr ein amüsiertes Lachen. Er war in der Tat ein einsamer Jäger. Aber wie die Umstände, so auch das Erscheinungsbild. "Sie wissen, dass wir ihn für diese Operation brauchen! Ein Sexualstraftäter ist auf freiem Fuß und wer weiß an wie vielen Menschen er sich schon vergriffen hat! Sorgen Sie dafür dass...!" Es ertönte ein Piepton und der Anruf war beendet. Madoc runzelte die Stirn und sah auf sein Handy. Die Wanze war noch aktiv. Luciá Diaz musste aufgelegt haben. Zur Sicherheit behielt er den Kopfhörer weiterhin im Ohr, jedoch war das Einzige, was er zu hören bekam, ein erschöpftes Seufzen der Frau, die ihn verfolgte. Die Frage, was sie von ihm wollte, brauchte er sich nicht zu stellen, denn er wusste es bereits. Doch Zorn flammte in ihm auf. Ein Gefühl, von dem er sich geschworen hatte, es nie wieder zu empfinden. Sie und ihr Auftraggeber kannten seine Identität. Er war verloren.
Madoc brachte den GTD vor seinem Haus zum Stehen und stieg aus. Kurz bevor er die Tür erreichte, ertönte ein Klicken, welches entstand, wenn man eine Pistole nachlud. Die besagte Waffe wurde ihm kurz darauf auch an den Kopf gehalten, doch er blieb gelassen. "Hallo, Luciá. Zu so später Stunde habe ich keinen Besuch mehr erwartet." Sie stellte sich vor ihn. Er erkannte sie sofort wieder. Die Latina hatte mandelfarbene Haut und einen schwarzen Lockenkopf. Ihre braunen Augen beobachteten jede seiner Bewegungen genau. Gekleidet war sie in eine schwarze SWAT Ausrüstung, was ihn zugegeben sehr verwunderte. Anscheinend wollte sie um jeden Preis auffallen. "Auf die Knie, Knox." Aufmerksam betrachtete er ihre Züge. Da war etwas in ihren Augen, was er nach all der Zeit immer noch wiedererkannte. Der alte Hass loderte immer noch in ihrer Seele und dieser würde erst erlöschen, wenn sein Kopf vor Luciás Füßen lag. "Woher kennen Sie mich?", gab er sich unwissend, doch ging er ihrem Befehl nicht nach. Sie runzelte die Stirn. "Ich dachte, ich wäre Ihnen aufgefallen, damals bei BAU. Wie schade, dass Sie mich anscheinend nie bemerkt haben." Jetzt lag es an ihm, die Stirn zu runzeln. "In der Tat, anscheinend hatte ich Sie übersehen. Aber sehen Sie's als Kompliment. Das passiert nicht oft." Dann duckte er sich unter der Pistole weg, packte ihre Hände mitsamt Waffe, drückte seine Schulter an ihren Oberkörper und brachte sie mit einer Hebelwirkung zu Boden. Danach entwand er ihr die Waffe und platzierte einen Fuß knapp unterhalb ihres Halses, dass, wenn er Druck ausübte, sie keine Luft mehr bekam. "Ich war anscheinend aber besser als Sie."
Plötzlich durchzuckte ein greller Schmerz seine Wade, was ihm ein Stöhnen entlockte. Die Agentin verzog angewidert das Gesicht. "Sie genießen das ja wirklich." Er zuckte nur mit den Schultern und brachte die Pistole in Anschlag. Es war eine Astra-A60. "Sie wissen mehr über mich, als Sie zugeben zu wissen, meine Liebe." Luciá bedachte ihn mit einem todbringenden Blick. "Natürlich weiß sie mehr über dich, als sie zugibt zu wissen, mein Sohn. Sie hat dich studiert, kennt jede deiner Taten. Und sie weiß, was wir ihrer ..." Madoc schüttelte energisch den Kopf. "Schweig endlich still!", verließ es drohend seine Kehle. Er konnte Luciás Blick nicht deuten, aber ein Ausdruck von Resignation trat auf ihre Züge. Resignation - und Angst. "Hören Sie zu, Knox. Niemand außer mein Vorgesetzter und ich wissen, wer Sie wirklich sind. Helfen Sie uns, den Sexualstraftäter zu fassen und Ihre Identität wird niemand jemals erfahren." Madoc verstärkte den Druck auf ihren Brustkorb. "Ist das so? Nun, Sie beide sind nicht die einzigen Personen, die meine wahre Identität kennen. Wer am Leben hängt, lässt sich von der Zeit erpressen. Ich jedoch hänge nicht an meinem Leben. Also können Sie mich damit auch nicht erpressen. Irgendwann sterben wir sowieso alle. Ob heute oder in fünfzig Jahren macht keinen Unterschied." Die Agentin grinste. "Es würde auch etwas für Sie dabei rausspringen." Sie schenkte ihm einen lüsternen Blick. "Vergessen Sie's Luciá, das zieht bei mir nicht", versuchte er die kommende Situation zu unterbinden, jedoch vergebens. "Ach, tut es das nicht?" Ihre Bewegungen wurden immer obszöner und sie schien ihn praktisch mit ihren Blicken auszuziehen. Er biss die Zähne zusammen und versuchte gegen seine Verlangen anzukämpfen, versuchte, die Stimmen und Szenarien aus seinem Kopf zu verbannen, doch so sehr er sich auch wehrte, erreichen tat er dennoch nichts. Mit einem ergebenen Seufzen ließ er von ihr ab, da er nicht wollte, dass das Ganze noch entgegen ihrer Vorstellung endete. Sie wusste nicht, was das mit ihm machte. Oder sie wusste es doch und deshalb war sie sich im Klaren darüber, was sie damit bezweckte - bedauerlicherweise.
Triumphierend lächelte Luciá ihn an. "Sehen Sie? Also verhandeln wir jetzt?" Madoc schnaubte. "Es gibt nichts zu verhandeln. Ich helfe Ihnen, den Bastard zu finden und im Gegenzug halten Sie meine Identität geheim." Die Agentin nickte. "Abgemacht." Bevor sie an ihm vorbei laufen konnte, packte er sie am Handgelenk. "Lassen Sie mich ihn töten. Das ist das Einzige, was ich verlange." Ihr entfuhr ein ironisches Lachen. "Sie wollen von mir ernsthaft verlangen, dass ich zulasse, dass Sie den Mann in den Tod quälen? Ich kenne Ihre Geschichte, Knox. Mir können Sie nichts vormachen." Er grinste innerlich. Oh ja, sie konnte ihm auch nichts vormachen. Denn mit dieser Aussage hatte sie sich vollends verraten und seine und Brians Annahme bestätigt. "Solche Menschen haben nichts anderes als einen qualvollen Tod verdient", gab er abfällig von sich. Luciá schenkte ihm einen abschätzigen Blick. "In Ordnung. Hauptsache, ich muss nicht dabei zusehen." Dann stieg sie in ihren Subaru und fuhr davon.
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