~Kapitel 3~

Euphorisch grinsend betrat ich an diesem Morgen das Klassenzimmer. Auf diesen Tag hatte ich schon so lange gewartet! Wir bekamen heute endlich einen neuen Geschichtslehrer, da unser alter, Herr Schlenzer, in Rente ging. Der alte Mann war durch und durch jähzornig und hatte mich immer an einen Kriegsveteranen erinnert. Wer weiß, vielleicht war er das auch. Zwar hatte er das nie geäußert, doch die Tatsache, dass er nicht gerne über den Krieg sprach, ein Dog Tag trug und immer noch einen athletischen Körper besaß, sprachen dafür. Wie dem auch sei. Endlich hatten wir ihn los. Die muffige Luft im Raum ließ mich den Kopf schütteln. Warum legte den hier niemand Wert auf Hygiene!? Ohne große Umschweife öffnete ich die vier großen Fenster unseres Klassenzimmers und blieb am Letzten stehen. Die kühle Morgenluft zerzauste meine Haare. Der Herbst war bereits fast zu Ende und die Tage wurden allmählich kürzer. Das Aufheulen eines Motors veranlasste mich dazu, nach unten zu blicken. Ein chromschwarzer GTD parkte auf dem Lehrerparkplatz. Ich hatte dieses Auto noch nie zuvor gesehen, weswegen ich misstrauisch die Stirn runzelte. Die Scheinwerfer des Autos erloschen. Wäre es Nacht gewesen, wäre es von der Dunkelheit verschluckt worden. Eine Silhouette stieg aus dem Wagen und setzte sich in Richtung des großen Eingangs in Bewegung. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, wer diese Person war. Es sollte mir auch schlichtweg egal sein, doch war ich nun mal neugierig.

Leichtfertig stieß ich mich vom Fensterrahmen ab und setzte mich auf meinen Platz, welcher sich direkt vorm Pult befand. Müde ließ ich den Kopf auf die Arme sinken und versuchte, die lauten Stimmen um mich herum auszublenden. Nach kurzer Zeit, in der ich meinen Gedanken nachgegangen war, spürte ich eine Hand auf meinem Rücken. Ich sah auf und in die strahlenden, jadegrünen Augen meiner besten Freundin Lace. Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd, woraufhin ich sie umarmte. "Heute ist der Tag aller Tage! Der Tag, auf den wir so lange gewartet haben!" Sie breitete theatralisch die Arme aus und setzte sich neben mich. Ich schüttelte nur lachend den Kopf und holte meine Sachen aus dem Rucksack. "Hast du's eigentlich schon mitbekommen?", fragte mich Lace plötzlich. Fragend hob ich eine Augenbraue. "Was mitbekommen?" Sie gab ein missbilligendes Geräusch von sich und packte mich an den Schultern. "Na, die Morde letzte Nacht!" Augenblicklich brach Chaos aus. "Ja, voll krass! Der Typ hat einfach vier Menschen gekillt!", erklang es aus der hinteren Ecke des Raumes. Es folgten Aussagen wie "Hat denen einfach die Kehle durchgeschnitten!", oder "Selbst vor Nutten macht er keinen Halt!" Doch nach zwei Minuten war ich es leid zuzuhören. Stattdessen holte ich mein Handy aus der Hosentasche und öffnete meine Nachrichten-App. Ich überflog die Artikel, wobei es mir eiskalt den Rücken runterlief. "Zwei der Opfer wurden am Hauptbahnhof gefunden. Dem Ingenieur Markus B. wurde die Kehle aufgeschlitzt, seine Frau Stella B, starb durch einen Messerstich, welcher ihren rechten Lungenflügel durchdrang. Das dritte Opfer, dessen Identität bislang noch unbekannt ist, wurde heute Morgen von einem Müllwerker gefunden. Allem Anschein nach wurde der Mann erwürgt. Die Identität des vierten Opfers, einer Prostituierten aus dem Rotlichtviertel, ist ebenfalls noch unbekannt. Der Kriminalbeamte Brian Taylor ermittelt in diesem Fall", laß ich einen der Ausschnitte laut vor. Lace nickte bestätigend. Doch sie hatte keine Möglichkeit, etwas zu sagen, denn als die Schulklingel ertönte, öffnete sich partout die Tür. Ich schenkte der Person, die soeben den Raum betreten hatte, keine Beachtung. Viel lieber hätte ich mir die Artikel durchgelesen. Die ganze Klasse verstummte und Lace stieß mir in die Seite, was mich dann doch genervt aufsehen ließ. Und ach du heilige Scheiße.. Ich hatte damit gerechnet, einen Mitte vierzig jährigen Mann vor mir stehen zu haben. Doch der, der da vor mir stand, wirkte wie ein junger Gott. Er war in einen schwarzen Anzug gekleidet und trug braune Anzugschuhe. Diese Aufmachung war alles andere als trivial und seine definierten Muskeln zeichneten sich deutlich unter dem eng anliegenden Stoff ab. "Wenn du dann damit fertig bist, mich zu betrachten, würde ich gerne mit dem Unterricht anfangen." Mein Blick richtete sich auf sein Gesicht. Seine stahlgrauen Augen schienen mich förmlich zu durchbohren. Eine unangenehme Gänsehaut machte sich auf meiner Haut breit. Beschämt senkte ich den Blick. Ein Kichern ging durch die Klasse, welches unser neuer Lehrer mit einem einzigen drohenden Blick zu unterbinden wusste. Mit fließender Handschrift schrieb er seinen Nachnamen an die Tafel. "Knox. Wie extravagant." Ich sah zu Lace und wusste, dass ihr Lächeln nichts Gutes verhieß. Provokativ stand sie auf und begab sich in Richtung Mülleimer. Doch ehe sie auch nur zwei Schritte gegangen war, flog ein Stift nur Millimeter an ihrem Gesicht vorbei. "Habe ich dir erlaubt aufzustehen?" Herr Knox' tiefe Baritonstimme hallte durch den Raum. Meine beste Freundin schüttelte den Kopf und setzte sich wieder neben mich. Sie strich sich ihre blonden Haare hinter die Ohren und verdrehte entnervt die Augen. Ich musste schmunzeln. Lace hasste es, sich nicht mit Lehrern anlegen zu können. Sie machte daraus immer ein Spiel und schloss Wetten ab, wann welcher Lehrer die Schnauze voll hatte und kündigte. Da sie nun wusste, dass das bei Herrn Knox nicht funktionierte, war sie sichtlich enttäuscht.

Sie kuschelte sich in ihren schwarzen Hoodie und verzog das Gesicht. "Jetzt haben wir das ganze Schuljahr so nen arroganten Schnösel am Hals. Wahrscheinlich sogar bis zu unserem Abschluss. Das hallte ich nicht aus!" Ihr entfuhr ein Seufzen. "Mach dir nichts draus. Wer weiß, vielleicht ist er ja ganz nett." Sie bedachte mich mit einem Blick der besagte: "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?" Ich zwinkerte ihr amüsiert zu und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf unseren neuen Geschichtslehrer. Er saß vor seinem Laptop und schaute konzentriert auf den Bildschirm. Sein Gesicht wirkte auf mich noch anziehender als sein muskulöser Körper. Er trug einen Dreitagebart und seine kurzen, schwarzen Haare hatte er leicht nach oben gegelt. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Er bemerkte meine Musterung wohl, denn er sah auf und schenkte mir einen kalten Blick. Seine stahlgrauen Augen wirkten wie der Himmel nach einem Sommergewitter. Als er sich erhob, machte sich ein angenehmer Geruch von teurem Parfüm in meiner Nase breit. Ich lächelte.

Herr Knox begann mit dem Unterricht. Zuerst testete er unser Allgemeinwissen und fragte die Basics ab. Dann gab er uns eine Einführung in das neue Thema: die Französische Revolution. Da Geschichte mein Lieblingsfach war, freute ich mich darauf. Lace hingegen ließ mit einem wehmütigen Seufzen ihren Kopf auf die Arme sinken. Sie hasste dieses Fach. "Aubrey." Ich hob den Kopf, verwundert darüber, dass er meinen Namen bereits kannte. "Belegst du den Französischkurs?" Ich nickte. "Grandios. Dann kannst du uns den weltberühmten Satz von Ludwig XIV. doch bestimmt ins Französische übersetzen." Grummelnd stand ich auf und schrieb "l'État c'est moi" an die Tafel. Es bedeutete "Der Staat bin ich." Egal was für ein Spielchen er versuchte zu spielen, ich mochte es nicht. Mit seiner Arroganz stieß er bei mir sowieso auf Granit. Er sah mich an. "Wie heißt es doch so schön? Wissen ist Macht. Aber viel Wissen heißt nicht, es auch richtig anwenden zu können. Also bilde dir auf diese eine richtige Antwort nicht allzu viel ein." Dann wandte er sich von mir ab. "Der Typ ist mir nicht ganz geheuer. Er hat ne Fresse zum Reinhauen." Ich zuckte zusammen. "Lace! Dir ist bewusst, dass er das hören kann? Und ich würde eher behaupten, dass es seine Art ist, die einen dazu bringt, ihm eine reinzuhauen." Meine beste Freundin schnaubte verächtlich. "Tzz. Ich an deiner Stelle würde mir das nicht gefallen lassen."

Ehe ich antworten konnte, krachte eine Hand vor uns auf den Tisch. Herr Knox fixierte mich. "Steh auf. Sofort." Seine Stimme grollte bedrohlich über mich hinweg wie eine Lawine. Ich tat wie mir geheißen und erhob mich. Er zeigte auf den Boden. "Ich hoffe, du kannst Liegestütze." Geschockt sah ich ihn an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. "Ich gebe dir einen Tipp. Provoziere mich nicht. Ich mag es nicht, wenn man meine Befehle verweigert. Und ich denke, du würdest danach gerne ohne Schmerzen sitzen können." In Anbetracht dieser unausgesprochenen Obszönität hob ich fragend eine Augenbraue. "Was?" "Auf den Boden, sagte ich", kam es nur gleichgültig von ihm zurück. Widerwillig tat ich, was er verlangte, doch kam ich nicht umhin, leise aufzulachen. "Sie benehmen sich wie ein besoffener Drill Sergeant." Ehe ich's mich versah, packte er mich schmerzhaft an den Haaren und riss meinen Kopf nach oben. Sein heißer Atem strich über meine Wange, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. "Das ist noch gar nichts, Aubrey. Wenn du Leben willst, tust du genau das, was ich dir sage. Und zwar ohne Fragen zu stellen. Hast du mich verstanden?" Ich blieb still, bis ich etwas Kaltes an meinem Rücken spürte. Es war eine Klingenspitze. "Ich Frage dich noch einmal. Hast du mich verstanden?" Doch mehr als ein stummes Nicken brachte ich nicht zustande. "Gut." Er ließ die Klinge über meinen Rücken gleiten, bis er schlussendlich seine Hand unter meinem Oberteil wegzog und von mir abließ. "Setz dich wieder auf deinen Platz. Lass dir das Warnung genug sein." Zitternd und verwirrt setzte ich mich wieder hin. Als Lace etwas sagen wollte, machte ich nur eine wegwerfende Handbewegung, woraufhin sie verstummte.

Augenblicklich flutete Stille den Raum. Niemand sagte ein Wort, noch nicht einmal ein Atemgeräusch war zu hören. Wir fingen an, die Aufgaben zu bearbeiten, welche Herr Knox soeben an die Tafel geschrieben hatte. Ich fing an, die Buchseiten zu durchblättern, doch zogen die Buchstaben an meinen Augen vorbei, ohne dass ich deren Sinn erkannte. So oft ich es auch versuchte, in meinem Kopf kam nicht ein Satz zustande. Unauffällig lugte ich zu Lace und musste feststellen, dass sie schon fast fertig war. Frustriert seufzte ich und klappte das Buch zu. In diesem Moment hob Herr Knox den Kopf. Sein Blick wirkte gehetzt und seine ausdrucksstarken Züge waren so verkrampft, dass man meinen könnte, er hätte Schmerzen. Er schien noch nicht einmal meinen Blick zu bemerken. Stattdessen runzelte er gequält die Stirn und bleckte die Zähne. Und plötzlich hörte ich es. Tropf. Tropf. Tropf. Das Geräusch unseres undichten Wasserhahns. Ohne groß drüber nachzudenken stand ich auf und lief zum Waschbecken. Doch anstatt dass ich den Hahn zudrehte, schnappte ich mir bloß eines der Papiertücher. Herr Knox' Blick schien mich zu erdolchen. "Mach ihn aus!", verließ es ächzend seine Kehle, doch ich grinste nur amüsiert. Seine Pupillen weiteten sich und er ballte die Hände neben dem Körper zu Fäusten. "Ich sagte, du sollst ihn ausmachen!" Nun war seine Stimme deutlich lauter und schneidender. Viele zuckten zusammen und hoben den Kopf. Das perfekte Kino. "Und was, wenn ich es nicht tue?", stichelte ich. Er knurrte auf und setzte sich in Bewegung. Seine linke Hand zuckte zum Wasserhahn und drehte ihn zu. Die Rechte umschloss mein Kinn wie ein Schraubstock. In seinen stahlgrauen Augen lag ein harscher Ausdruck wie von unendlicher Kälte dominiert. Er beugte sich zu mir hinunter. Pfefferminzgeruch stieg mir in die Nase, als er den Mund öffnete. "Wenn du das nächste Mal meinen Befehl verweigerst, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein, Aubrey." Die Art und Weise, wie er meinen Namen aussprach, ließ mich zusammenzucken. "Womöglich sind Sie es gewohnt, Gehorsam entgegengebracht zu bekommen, ohne dass Fragen gestellt werden. Aber glauben Sie mir: So schnell werde ich mich Ihnen nicht fügen." Auf meine Aussage hin entblößte Herr Knox seine makellosen Zähne und lächelte sibyllinisch. "Das werden wir noch sehen." Dann ließ er mich los und lief zurück zum Pult. Ich spürte die Hitze seiner Berührung an meinem Kinn und mein Herz schlug in einem viel zu schnellen Rhythmus. Aber ich hatte ihm die Stirn geboten und diese Tatsache ließ mich bitter lächeln.

Ich sah im Augenwinkel, wie ein Freund von mir, Luke, aufstand und augenblicklich verflog die Hoffnung, dass der Unterricht nun wieder normal vonstatten gehen würde. Luke war ein recht kräftiger, siebzehnjähriger Latino. Und wenn er eines hasste, dann waren es Menschen wie Herr Knox. Das würde nicht gut ausgehen. Ich warf ihm einen flehenden Blick zu, doch diesen ignorierte er geflissentlich. "Wer denken Sie eigentlich, wer Sie sind, dass Sie einfach hier rein platzen und sich an einer Schülerin vergreifen können!?" Unser Lehrer blickte ihn ausdruckslos an, bis ein süffisantes Grinsen seine Mundwinkel in die Höhe hob. Er lehnte sich lässig ans Pult und verschränkte die Arme vor der Brust. "Du magst die Kleine, hab ich recht?" Luke wurde Rot und verzog ertappt das Gesicht. Als ich gerade protestieren wollte, brachte Lace mich mit einem warnenden Blick zum Verstummen. Es war womöglich besser, seine Missgunst nicht noch zu verstärken. "Ey Mann, ich kann's verstehen. Aber wenn du schon dein Maul aufmachst, solltest du dir vorher im Klaren darüber sein, mit wem du dich anlegst. Nebenbei habe ich mich nicht an ihr vergriffen, falls du blind bist. Ich kann's gern tun, aber dann habt ihr entweder eine Schülerin weniger oder eine entwürdigte Schülerin, die sich vor Schmerzen drei Tage nicht bewegen kann. Also such's dir aus, mein Freund." In Anbetracht seiner Wortwahl rissen wir geschockt die Augen auf. "Wie ihr feststellt, bin ich nicht wie einer eurer vorherigen Lehrer." Und damit endete die Stunde.

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