~Kapitel 18~

Luciá sah mit gemischten Gefühlen zu Knox, welcher gerade in die Elbestraße einbog und mit zielstrebigen Schritten auf sie zulief. Er hatte eine dermaßen medisante Ausstrahlung, dass ihr Herz anfing, schneller zu schlagen, denn ein Gefühl von Angst mischte sich unter ihre Trauer. Sie fühlte sich so, als ob ich sie Stimmungsschwankungen hätte. Luciá wusste durch Seros Aufzeichnungen, zu welcher Grausamkeit er seinen Sohn erzogen hatte. Und durch die Dokumentationen von Madocs Taten wusste sie auch, zu was er alles im Stande war.

Mit zusammengebissenen Zähnen lief sie Knox entgegen. Ihre Liebe zu ihm musste sie um jeden Preis unterdrücken. Sie hätte niemals aufhören sollen, ihn nur als den Mörder ihrer Schwester und Dutzend weiterer Menschen zu betrachten. Ein Mann ohne Reue. Der gefährlichste Serienkiller der Welt. Das hätte er für sie bleiben sollen. Kein Liebhaber. Keine wichtige Person. Nur das unberechenbare Böse. Dieser Gedanke musste sich in ihrem Verstand wieder verfestigen. Luciá sah, wie er sein Handy in die camouflagegefärbte Jeans steckte und sich mit dem Handrücken übers Gesicht fuhr. Offensichtlich hatte er geweint, doch auch diese Tatsache ließ nur ein weiteres Fragezeichen zurück. "Er wird seinen inneren Kampf verlieren." Der Killer verlangsamte sein Tempo und nickte mit dem Kopf nach links. Sie folgte seiner Aufforderung und sah in die geforderte Richtung. Dort stand ein alter, dreckiger Container, welcher von Müll umringt wurde. Sie folgte ihrem Partner dorthin, der direkt anfing, ihn zu umkreisen.

Stirnrunzelnd lehnte sie sich an eine der kaputten Straßenlaternen und beobachtete ihn aufmerksam. "Mach schon, Madoc. Lass deine Maske bröckeln verdammt!" Wenn sie nicht wusste, wie er empfand, könnte jedes einzelne Wort aus ihrem Mund ihren sicheren Tod bedeuten. Jede einzelne Faser seines Körpers war angespannt und immer, wenn Madocs Blick zum Container glitt, zuckten seine Hände. Er schien in einem Film gefangen zu sein, hinter dessen Kulissen Luciá nicht zu sehen vermochte. "Wollen Sie eigentlich überhaupt noch mit mir sprechen, oder gehen Sie jetzt komplett auf Distanz? Das sollte eine Zusammenarbeit sein und kein Alleingang, Knox", rief sie ihm zu, als er fünf Minuten auf den Container gestarrt hatte, ohne sich zu bewegen. Aber wie sie es erwartet hatte, beachtete der Killer sie nicht. Stattdessen holte er ein kleines Notizbuch aus seiner Jeans hervor und notierte sich etwas. Luciá platzte der Kragen. Erst seine Aktion in ihrem Wagen und jetzt diese Ego-Tour. Sie stieß sich von der Laterne ab und lief wütend auf ihn zu. "Was ist ihr scheiß Problem?!" Knox hob den Blick und sah ihr entgegen. Es lag nichts mehr Liebevolles in seinen Augen. Dort war nur noch Hass und Luciá erkannte, dass er in seinem alten Charakter aufgegangen war. Er war nun The Lone Hunter und nicht mehr Madoc Knox, welcher sich so gut es ging geändert hatte. Ein kalter Schauer huschte über ihren Rücken und Angst schnürte ihr die Kehle zu. Abrupt blieb sie stehen, was ihn leicht schmunzeln ließ. "Schön, dass Sie es erkannt haben. Und hören Sie auf, ihren Verstand von Angst benebeln zu lassen. Angst ist primitiv. Sie wird Ihnen nicht helfen", sagte er mit vor Zorn triefender Stimme und wandte sich damit erneut von ihr ab. Nach ein paar abschätzigen Blicken meinte er: "Wir werden hier nichts finden." Luciá hatte Respekt davor, etwas zu erwidern. "Was gedenken Sie zu tun?" Knox ließ seine Notizen verschwinden. "Ich werde Aubreys Zuhause einen Besuch abstatten. Wir brauchen unbedingt noch diese Fingerabdrücke." Er machte kehrt. Als sie einen Schritt tat, zog er seine Glock und richtete die Waffe auf ihren Kopf. "Ich gehe allein." Luciá straffte die Schultern. "Sie mögen skrupellos sein, Knox, aber von ihrer alten Skrupellosigkeit merke ich nicht allzu viel. Los, drücken Sie schon ab." Lächelnd schenkte er ihr einen Schulterblick. "Ich habe gerade einen Mann ermordet. Ich kann gerne mit Ihnen weitermachen", entgegnete er gelassen. "Wissen Sie, noch, ist es nicht Nacht. Ich liebe die Nacht. Sie ist unberechenbar, so wie ich. Es ist die perfekte Zeit zum Jagen. Ich lebe für die Jagd, sie ist für mich wie ein Spiel. Begegnen Sie mir deshalb niemals nachts, Luciá. Das überleben selbst Sie nicht." Der Killer wandte sich ihr zu. Ein irrer Ausdruck lag in seinen Augen. Luciá wusste, wieso. Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf die von Müll und Sekreten gesäumte Straße. Das künstliche Licht der noch funktionierenden Laternen tauchten Teile der Straße in tiefste Dunkelheit.

Knox sah sie an. "Lauf." Und sie lief. So schnell ihre Füße sie tragen konnten, rannte sie im Zickzack durch Müllcontainer und Autos hindurch, doch das beängstigende Gefühl, dass Knox nur eine Armlänge von ihr entfernt war, blieb bestehen. Es dauerte nicht lange, da ließ ihre Kondition nach, doch obwohl ihre Lunge brannte, zwang sie sich, immer weiter zu rennen. Luciá zog ihre Astra und feuerte blind nach hinten. Das Einzige, was sie dafür erntete, war ein gehässiges Lachen. Krampfhaft versuchte sie ihre Angst niederzuringen, denn sie brauchte einen klaren Verstand. "Ich hab mir geschworen, dass du mir niemals wieder Angst einjagen wirst!" Um ihren Kopf surrte es. Sie sah nur ein silbernes Blinken und getraute sich somit nicht, von ihrem Kurs abzuweichen. Verzweifelt versuchte sie nachzudenken. Ihren Vorgesetzten anrufen konnte sie in dieser Situation nicht. Sie musste Knox ausspielen, doch das würde ein tödliches Spiel werden, welches er gewinnen würde. Psychisch verletzen wäre auch eine Möglichkeit, jedoch musste sie hoch pokern. Doch lieber pokerte sie, als das sie bereitwillig einem grausamen Tod in die Arme lief.

Ein Schuss ertönte. Schreiend warf sie sich hinter einen Stromkasten, die Waffe in Anschlag. Doch in diesem Moment kam ein Gedanke in ihr auf. "Das war ein Fehler." Prompt wurde ihr die Astra aus der Hand getreten und kurz darauf fand sie sich rücklings auf dem Boden wieder. Knox thronte über ihr, sein Springmesser in der Hand. Und er stach zu. Das Messer durchdrang ihre Hand und fixierte sie somit an Ort und Stelle. Luciá schrie schmerzerfüllt auf. Je mehr sie sich wehrte, desto mehr Nervenenden durchdrang die Klinge. Sie sah ein, dass es nichts brachte und hörte auf. Der Killer beugte sich zu ihr hinunter. "So viele Tränen und das wegen einem Messerstich? Ich dachte, dass Sie mehr aushalten würden", lachte er dunkel, wobei ihr Pfefferminzgeruch in die Nase stieg. Ob das wohl das Letzte war, was Knoxs Opfer wahrnahmen, bevor sie starben? Mit festem Griff umschloss er ihren Kiefer. Sie wehrte sich jedoch nicht, war wie ein in die Enge getriebenes Tier, welches den Tod durch den Räuber akzeptiert hatte. Ein immerwährendes Spiel. "Wie schnell sich die Meinung eines Menschen ändern kann, finden Sie nicht? Vor gut einer Stunde sind Sie noch bereitwillig mit mir ins Bett gestiegen und haben mir ihr Herz ausgeschüttet, und nun wollen Sie mich am Liebsten umbringen. Welch süße Ironie." Seine Augen funkelten amüsiert. Luciá ließ ihre andere Hand unauffällig zu ihrem Messer wandern, welches sich an ihrem Schienbein befand. Dabei unterbrach sie den Blickkontakt mit Knox jedoch nicht. "Seien Sie nicht das, was ihr Vater wollte, dass Sie es sind", sagte sie mit schmerzverzerrter Stimme. Ihre Hand schien zu explodieren.

Eine Träne lief über Madocs Wange. "Nicht mein Vater wollte das, sondern mein bester Freund." Sie hob eine Augenbraue und entschied sich für die Variante des Psychischospielchens. "Ich verstehe nicht ganz." Knox knirschte mit den Zähnen. "Er wollte, dass ich meine alten Charakterzüge wieder annehme. Um des Falles Willen. Ich sollte Aubrey in den Hintergrund schieben. Und mein hart erarbeitetes Reuegefühl. Einfach alles, was einen normalen Menschen ausmacht. Aber was rede ich denn da, ich bin nicht normal. Und nur deswegen wird es mir gelingen, den Defiler umzubringen. Doch Sie werden es nicht mehr mitbekommen." In dem Moment, als er seine zweite Klinge hob, stach sie zu. Das Messer drang unterhalb seiner Lunge in die Haut ein. Knox riss die Augen auf. Resignation trat auf seine Züge. Luciá wollte erneut zustechen, doch da erklang eine Männerstimme. "Nein! Tun Sie's nicht!" Sofort hielt sie inne. Knox torkelte beiseite, hielt sich die Brust und ging in die Knie. Schmerz mochte ihm zwar nichts ausmachen, eine lebensbedrohliche Verletzung jedoch schon. "Was habe ich getan?" Luciá sah nach rechts. Ein Mann in Polizeiuniform rannte auf sie zu und zog kurzerhand das Messer aus ihrer Hand. Dann hechtete er zu dem Killer. "Madoc! Verdammt, sieh mich an!", hörte sie ihn aufgebracht rufen. Sie erhob sich und rannte zu den beiden Männern.

Unter Knox breitete sich eine Blutlache aus. Er lehnte an einer Wand, seine bandagierte Hand umklammerte weiterhin das Einhandmesser in seiner Brust. Der Beamte kniete neben ihm und sah sie an. Tränen standen in seinen Augen. "Haben Sie seine Lunge getroffen?!", fragte er hoffnungslos und sein Körper zitterte unkontrolliert. Luciá schluckt den Kloß in ihrem Hals hinunter. "Nein, ich habe darunter gezielt." Der Mann schnaubte verächtlich. "Sie Närrin." Dann sprach er kopfschüttelnd in sein Funkgerät und gab die Adresse durch. "Komm bitte so schnell du kannst! Wir verlieren ihn sonst!" Luciá kniete sich nun ebenfalls neben den schwer verletzten Killer. Dessen Husten verwandelte sich in ein Röcheln. Sie kannte dieses Geräusch. Es bedeutete, dass der Killer nicht mehr lange unter den Lebenden weilen würde.

Luciá sah ihm in die Augen und er erwiderte ihren Blick. Das stahlgrau wirkte wie von einem milchigen Film überzogen. Madoc streckte seine Hand aus und wischte ihre Tränen weg. "Ich liebe dich, Madoc", flüsterte sie ihm zu, bevor ihr Mut sich wieder verflüchtigte. Er drückte ihre Hand und schloss kurz die Augen. Madoc schien Kraft für seine nächsten Sätze zu sammeln. "Ich habe nur das getan, zu was ich erzogen wurde. Und du hast das getan, was jeder normale Mensch getan hätte. Gib dir nicht die Schuld." Dann wandte er sich dem Beamten zu. Seine Lippen waren blutbenetzt. "Lass mich sterben, Brian. Bitte." Sie erinnerte sich an den Namen. Brian Taylor. Der Kriminalbeamte schüttelte energisch den Kopf. "Du wirst leben, ich versprech's dir. Das ist alles meine Schuld." Auch Brian flossen die Tränen bereits seine Wangen hinunter. Madocs Kopf kippte kraftlos auf die Seite. "Nein! Sieh mich an! Bleib bei mir, Madoc! Madoc!", schrie der Kriminalbeamte und rüttelte energisch an der Schulter des Killers. "Du bist doch mein bester Freund ..." Der Schmerz in Brians Stimme zerriss ihr das Herz.

Ein Lächeln legte sich auf die Lippen des Mannes, welchen sie liebte. "Ich habe endlich Frieden", hauchte Madoc erschöpft. Dann schloss er die Augen und tat seinen letzten Atemzug. Luciá schrie verbittert auf und raufte sich verzweifelt die Haare. Ihr Herz pochte in ihrer Brust wie eine entzündete Wunde. In diesem Moment erklang eine Sirene. Hell und Schrill waberte der Ton zu ihnen. Die Welt schien stehen geblieben zu sein und sie konnte ihre Augen nicht von Madoc nehmen. Seine schwarzen Haare klebten ihm auf der Stirn und der Schweiß ließ sein Gesicht glänzen. Immer noch lag seine Hand in der ihren. "Du darfst mich nicht verlassen. Komm schon Madoc!" Immer wieder schüttelte sie ihn verzweifelt, doch kam er nicht zu ihr zurück. Plötzlich erhob Brian sich. "Was haben ...?", setzte sie an, aber bevor sie zu Ende sprechen konnte, traf sie ein Schlag an der Schläfe und ihr wurde schwarz vor Augen.

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