~Kapitel 17~

Madoc genoss Luciás Anwesenheit. Sie wirkte auf ihn wie ein Ruhepol und das tat ihm gut. Doch eine altbekannte Bitterkeit mischte sich unter sein Hochgefühl. "Wir hätten niemals die Grenze von Partnern überschreiten sollen." Dieser Satz aus ihrem Mund hatte ihn zutiefst getroffen. Ob er es genossen hatte, mit ihr zu schlafen? Natürlich. Doch er wusste, dass er damit mehr Schaden angerichtet hatte als alles andere. Luciá empfand etwas für ihn. Und dann war da noch Aubrey ... Er hatte beide viel zu nah an sich herangelassen. "Hättest du sie getötet, wäre all das nicht passiert." Angestrengt richtete er seinen Blick aus dem Fenster und versuchte, die Stimme seines Vaters erneut zu ignorieren. "Deine Gedanken werden einzig und allein von ihr beherrscht. Selbst als du diese Agentin flachgelegt hast, hast du dir vorgestellt, es wäre Aubrey. Oh mein Sohn, deine Gedanken sind so abgrundtief böse. Gehe ihnen nach. Töte dieses Mädchen!", schrie sein Vater nachdrücklich, und er spürte, wie die Mordlust in ihm erwachte wie ein loderndes Feuer. Madoc stöhnte gequält auf, was zur Folge hatte, dass Luciá ihn ansah. "Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Knox?" Er hörte deutlich den unterschwelligen Ton von Angst in ihrer Stimme.

Betrübt schloss er die Augen, antwortete jedoch nicht. "Du wirst mich nicht dazu bringen, sie zu töten", schleuderte er in seinen Gedanken dem Mann entgegen, welcher ihn so sehr unter Kontrolle hatte. Jenem Mann, welchen er hätte Vater nennen müssen. Sero schien in seinem Verstand spöttisch zu lachen, jedoch sagte er nichts mehr. Madocs Kiefer mahlte. Es war anstrengender, sich der Gesellschaft anzupassen, als gegen die Norm zu verstoßen. Würde er sich seinen Charakterzügen hingeben, wäre vor allem die intime Zeit mit Luciá nicht so verlaufen, wie sie verlaufen war. Doch das schien Brian nicht zu verstehen.

Er dachte an die Zeit vor seinem Eintritt zur BAU nach. Mit achtzehn hatte er seinen Vater umgebracht. Das Monster hatte sich gegen seinen Schöpfer erhoben. Doch er hatte Sero nicht leiden lassen, so sehr er es auch gewollt hatte. Ein Schuss, welcher die Halsschlagader durchdrang, hatte gereicht. Madoc ließ seinen Vater zum Sterben auf ihrem Anwesen in Texas zurück. Ein weißes, kleines Haus mit Veranda. Der Ort, der für ihn mehr Hölle als Himmel gewesen war. Die ersten vier Jahre gab er sich seiner Schmerzsucht hin. Er ließ seinen perfiden Gedanken freien Lauf und genoss es, Menschen das Leben zu nehmen. Nichts war ihm zu grausam. Angefangen bei Daumenschrauben bis hin zur Tötung mithilfe eines glühenden Messers. Und je länger und qualvoller sein Opfer litt, desto besser fühlte er sich. Er war verblendet, gebrochen und deprimiert. Doch in der Nacht und in allem Schlechten fand er Frieden. Denn das, was man kennt, fürchtet man nicht. Er hatte die Dunkelheit lieben gelernt. Und sie war das Einzige gewesen, was ihm guttat. Doch als er den Fehler beging und DMT zu sich nahm, veränderte sich nicht nur seine Selbstwahrnehmung. Ihm wurde auf schmerzhafte Weise bewusst, was er getan hatte und das er es nicht schaffen würde, sich zu ändern. Madoc brach zusammen und war kurz davor, sich das Leben zu nehmen, so wie er schon unzählige Male vorhatte. Aber in diesem Moment betrat ein junger BKA-Mitarbeiter die dunkle Gasse, in der er sich befand. Eine Gasse in Oklahoma, welche ihn von der Außenwelt abschirmen sollte. Und dieser BKA-Mitarbeiter war niemand Geringeres als Brian Taylor, welcher nun sein bester und einziger Freund war. Natürlich hatte Brian gewusst, wen er da vor sich gehabt hatte, denn es war sein Auftrag gewesen, den Mörder zu fangen, der unter dem Namen The Lone Hunter Deutschland sowie die halbe Welt bedrohte. Doch nicht Brian war es, welcher ihn gefangen nahm, sondern dessen Kollegen. Jene Männer, die ihn in Kooperation mit der BAU in eine der gesichertesten Psychiatrien Amerikas brachten. Ein Ort, wo man ihn als ein Testobjekt betrachtete, genauso wie es sein Vater immer getan hatte. Als die Erinnerungen an all die Dinge zurückkamen, welche er hatte dort begehen müssen, krallte Madoc seine Fingernägel in die Handinnenflächen, bis Blut floss.

Neben den Folterungen seines Vaters war dieses Erlebnis das Schlimmste gewesen, welches er erlebt hatte. Diese Menschen hatten Seros Foltermethoden kopiert und weiterentwickelt. Sie befestigten ihn nackt und mit Handschellen an einer Heizung. Danach hatte es nicht lange gedauert, bis die drei Männer kamen und ihn vergewaltigten. Ihre Schläge und Tritte hatten Madoc nicht viel ausgemacht, doch die Vergewaltigung versetzte ihn immer wieder in jene Momente in seiner Vergangenheit zurück, in denen er sich unglaublich macht- und hilflos gefühlt hatte. Das FBI hatte vor, ihn zu einer Kriegsmaschine zu machen - doch sie scheiterten. Denn Brian half ihm zu entkommen, als er von diesen Machenschaften erfuhr und sorgte seitdem dafür, dass er unentdeckt von der Gesellschaft blieb. Er löschte auch Beweise aus, wenn es sein musste und machte sich somit mehr als strafbar. Aber das war ihm herzlich egal. Brian war der einzige Mensch gewesen, der in Madoc nicht nur den skrupellosen Killer gesehen hatte. Und aus diesem Grund hatte er ihm beiseitegestanden. Nachdem der Kriminalbeamte mitsamt seiner Männer zurück nach Europa flog, blieb Madoc natürlich mit ihm in Kontakt.

Letzten Endes brachte sein bester Freund ihn auf die Idee mit der Verhaltensanalyseabteilung des FBI, welche Madoc natürlich nicht ausschlug. So bekam er aus erster Hand mit, wie viel die Menschen über ihn wussten - oder auch nicht. Er half mit, die gefährlichsten Kriminellen zu stellen, die die Welt jemals gesehen hatte, und selbst dabei blieb seine Identität geheim, denn Brian hatte ihn aus jeder Akte verschwinden lassen und ihm eine zweite Identität gegeben. Nur auserwählte vom MI5, FBI und BKA wussten, dass er überhaupt noch existierte, doch dies war eine unabdingbare Rahmenbedingung gewesen. Madoc mordete deutlich weniger, bis er es mit Brians Hilfe schaffte, nur noch Menschen auszuschalten, die es verdient hatten. Doch dadurch, dass er seine Dämonen unterdrückte, fehlte ihm ein Ventil. Und somit verbrachte er seine Nächte mit Frauen, die bereit dazu waren, Schmerzen zu erleiden. Nicht, dass Madoc nur mit ihnen schlief, um seine Schmerzsucht zu befriedigen. Nein. Er wollte vergessen. Und er wollte Nähe spüren, da Liebe ein Gefühl war, welches er nie gekannt hatte. Angst, Schmerz und Verzweiflung waren seine ständigen Begleiter gewesen, seitdem er ein Kind war.

Bevor seine Gedanken zu seiner Mutter schweifen konnten, spürte er erneut den Blick von Luciá auf sich. Er drehte den Kopf und versank in ihren braunen Augen. Sie sprachen Bände. Madoc schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. "Das Herz einer Frau ist ein tiefer Ozean voller Geheimnisse", raunte er, fuhr ihr über die Wange und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Du darfst mich nicht lieben, Luciá." Augenblicklich wandte die Latina sich ab und richtete ihren Blick wieder auf die Straße. Ihre Unterlippe zitterte. "Was soll ich sonst tun, Madoc? Meine Gefühle unterdrücken?" Ein Seufzen verließ seine Kehle. "Ja, genau das musst du tun. Denk nicht, dass ich nicht mit mir kämpfen muss. Aber ich bin geübt darin, meine Gefühle zu unterdrücken." Luciá hielt an einer roten Ampel. Ihre Finger umschlossen krampfhaft das Lenkrad. "Dann sag mir, wie", flüsterte sie mit belegter Stimme. Er erschauderte vor dem, was er gleich tun würde. "Ich habe es auf eine qualvolle Weise lernen müssen. Aber ich kann dir trotzdem helfen." Sie sah ihn fragend an. "Indem ich meine alten Charakterzüge annehme." Und mit diesem Satz stieg er aus. Luciás verwunderter Blick lag auf ihm. Er setzte seine Maske der Gleichgültigkeit auf. "Fahren Sie zum Tatort. Wir treffen uns dort." Als die Ampel grün wurde, lief er los. Beiläufig zog er sein Handy, wählte Brians Nummer und wartete auf den Piepton.

Der Kriminalbeamte nahm ab. "Brian. Ich brauche dich." Am Ende der Leitung hörte er seinen besten Freund verwundert einatmen. "Du sagtest mir, dass ich meine alten Charakterzüge wieder annehmen soll. Das habe ich getan. Und jetzt sorg dafür, dass ich unentdeckt bleibe", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, was Brian ein vehementes Seufzen entlockte. "Ich hätte das nicht sagen sollen. Tut mir leid, Madoc." Der Killer ließ ein bedrohliches Lachen hören. "Tja, du hast es getan. Und nun leb mit den Konsequenzen." Madoc lief in eine Seitenstraße, zog seine Glock und schoss. Der Knall hallte über den Asphalt. Brian sprang hörbar von einem Stuhl auf. "Madoc! Was hast du getan? Steck die Waffe ...", schrie der Kriminalbeamte hysterisch, doch er dachte gar nicht daran, diesen aussprechen zu lassen. "Habt ihr Fingerabdrücke gefunden?", fragte Madoc ihn stattdessen ohne zu zögern. "Was? Madoc, bitte ..." Die nächste Kugel löste sich. "Sag es mir!" Sein bester Freund tippte auf einer Tastatur herum. Dann sagte er zwischen zwei abgehackten Atemzügen: "Nein, haben wir nicht. Es waren keinerlei Hinweise oder DNA-Spuren am Tatort. Aubreys Kleidung haben sich meine Kollegen nicht geholt. Doch nachdem mir das Kennzeichen des Defilers durchgegeben wurde, war das auch nicht mehr nötig." Madoc runzelte die Stirn. "Ihr arbeitet schlampig. So viel also zum Thema, das ihr für die Sicherheit Deutschlands verantwortlich seid", lachte er spöttisch. "Sag mir, Brian, warum willst du, dass ich wieder der Killer werde, der ich einmal war?" Es kam keine Antwort, woraufhin Madoc seine Frage mit nun nachdrücklicherer Stimme wiederholte. Brian schrie frustriert auf. Im Hintergrund erklang eine besorgte Frauenstimme. "Ah, deine kleine Freundin. Vielleicht sollte ich ihr Mal einen Besuch abstatten. Na, wie wär's? Dann kommst du abends nach Hause und siehst sie in deinem Schlafzimmer mit Messern an die Wand genagelt und mit vor Angst aufgerissenen Augen in die Leere starren. Ihre Unterwäsche wird rot sein und mit ihrem Blut werde ich "Wie unfein, Laura" über ihren Kopf schreiben. Willst du das?", säuselte er mit boshafter Stimme. "Nein, natürlich nicht! Madoc, bitte!", flehte Brian verzweifelt. Oh wie er es liebte, wenn Menschen unterwürfig waren. Der nächste Schuss fiel und tötete einen Passanten. "Hör auf zu betteln. Das steht dir nicht." Mit zielstrebigen Schritten lief er an der Leiche vorbei.

"Du hast mich gar nicht gefragt, woher ich ihren Namen kenne", stichelte er erneut, woraufhin Brian einknickte. "In Ordnung, ich sag's dir. Aber Schluss jetzt mit dem Morden. Und fass Laura nicht an." Hass klang in der Stimme seines besten Freundes mit. Madoc schmunzelte. "Na also, geht doch. Nebenbei hat nur eine der drei Kugeln ihr Ziel getroffen. Du wirst also nicht allzu viel Arbeit haben. Und was die Sache mit Laura angeht - sie gehört dir. Vorerst." Er steckte seine Glock zurück ins Holster und bog in die Elbestraße ein. "Dieser Sexualmörder ist ein anderes Kaliber. Du bist zu weich für ihn geworden. Ich weiß, dass ich sagte, du sollst nicht wieder in alte Verhaltensmuster verfallen, aber nur jemand, der skrupelloser ist als der Defiler selbst, ist in der Lage, ihn zu stoppen. Und deshalb brauche ich The Lone Hunter und nicht meinen besten Freund", sagte der Kriminalbeamte langsam, so als ob er hoffte, somit das Fass vorm Überlaufen zu bewahren.

Madoc verzog das Gesicht. Tränen brannten in seinen Augen. "Du hast keine Ahnung, was du damit angerichtet hast." Und damit legte er auf und lief auf Luciá zu, die am Ende der Straße schon auf ihn wartete.

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