~Kapitel 16~
Ich sah ihn schon von Weitem. Wie er geschockt die Augen aufriss, als er mich erkannte. Madoc rannte dicht gefolgt von der Agentin los, doch ich wusste, dass er mich unmöglich einholen konnte. Ich wusste, dass er mich nicht retten konnte. Pure Verzweiflung machte sich in mir breit und ich wollte seinen Namen schreien, doch kein Laut verließ meine Kehle. Keinen Augenblick lang wäre es mir in den Sinn gekommen, den Blick von ihm abzuwenden.
Die Kugeln drangen in das Gummi der Reifen ein, was dem Wagen einen Ruck versetzte. Madocs Messer traf auf die Karosserie und prallte daran ab. Das schrille Geräusch, welches dabei entstand, ließ mich das Gesicht verziehen. Im selben Augenblick riss der Defiler das Steuer herum. Mir gelang es noch einen letzten Blick auf die beiden zu werfen, da fuhren wir auch schon um die nächste Ecke. Der Ausdruck, der in Madocs Augen gelegen hatte, brannte sich in mein Gedächtnis. Das vor Wut und Verzweiflung verzerrte Gesicht und der blanke Hass in seinen stahlgrauen Augen ... Es verschaffte mir eine unangenehme Gänsehaut. "Er wird alles in seiner Macht stehende tun, um mich zu retten. Ganz bestimmt." Ich sah zum Defiler, der in diesem Moment seine schwarze Stoffmaske abzog, wodurch seine braunen Haare zerzaust wurden. Doch er schien von dieser Situation gänzlich unbeeindruckt zu sein. Bloß das kleine Grinsen, welches seine Mundwinkel kaum merklich in die Höhe hob, zeigte, dass er gewonnen hatte und er sich daran erfreute. Sein Blick fand meine. Ich wusste nicht, wieso, aber ich sah nicht weg. Anders als bei Madoc erzählten die Augen dieses Mannes seine ganze Geschichte. Sie waren wie ein offenes Buch. Ich sah seine Verzweiflung, seine Zerrissenheit, das Leid und ein Funken Hoffnung. Das waren nicht die Augen eines Killers. Das waren die Augen eines Mannes, der endlich inneren Frieden erfahren wollte.
Er schenkte mir ein kleines Lächeln und wandte sich ab, so als ob er gewollt hätte, dass ich sah, was ihn bewegte. Aufgewühlt biss mir in die Innenseite meiner Wange und versuchte die Panik nieder zu kämpfen, welche sich langsam, aber kontinuierlich in mir breitmachte. Eine innere Unruhe brachte mich zum Zittern. Ich hätte versuchen können zu fliehen, doch ich war ihm fast schon freiwillig gefolgt. Wie eine Fliege, die sich bereitwillig im Netz einer Spinne verfing. Ich war ein naiver Dummkopf, nichts weiter. Mein Vergewaltiger saß neben mir und das Einzige, was ich getan hatte, war ihm zu folgen. Ich hatte mich noch nicht einmal gegen seine Berührungen oder seinen Kuss gewehrt. Die Erinnerung daran ließ mich erschaudern. Was würde er jetzt bloß mit mir machen? Würde er mich erneut vergewaltigen und seine perversen sexuellen Neigungen an mir befriedigen? Oder würde er mich foltern und schlussendlich umbringen? Mühsam versuchte ich den Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken, was schlussendlich jedoch scheiterte. Der Geruch meines Angstschweißes setzte sich in meiner Nase fest und ich spürte, wie mein ganzer Körper unnatürlich glühte und unkontrolliert zitterte. Der Messerstich in meinem Arm schmerzte zum Glück nicht mehr. Dort war nur noch ein unangenehmes Pochen und das warme Blut, welches träge meinen Arm hinunter floss und meinen Pullover rot tränkte.
Der Defiler zeigte auf das Armaturenbrett. Ich folgte seinem Finger und sah ein schwarzes Stück Stoff. "Verbinde dir bitte die Augen. Am Besten so, dass ich nicht das Gefühl bekomme, kontrollieren zu müssen, ob du etwas sehen kannst oder nicht." Seine raue Stimme vermittelte deutlich, dass er keinen Widerspruch duldete. Also tat ich, was er verlangte und verband mir mit dem rauen Stoff die Augen. Plötzlich spürte ich einen Windhauch und runzelte verwundert die Stirn, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, dass das Fenster offen war. "Braves Mädchen. Du hast auf mich gehört", sagte er mit amüsiertem Unterton. Ich brauchte ihn nicht zu sehen, um zu wissen, dass er lächelte. Und nun wusste ich auch, woher der Windhauch kam. Er hatte überprüft, ob ich etwas sehen konnte. Doch nein, da war nichts außer Dunkelheit. Wie ein Albtraum, in dem man zu versinken drohte. Sie schien mich zu verschlingen und es dauerte nicht lange, da fing ich an, wild zu halluzinieren. Es war so, als ob seine heißen Finger erneut langsam über meinen nackten, entstellten Körper fuhren. Als ob ich wieder in diesem Container lag und um mein Leben fürchtete. Ich spürte all seine Schläge mit einem Mal wieder an meinem Körper und auch das schmerzhafte Pochen in meinem Unterleib, welches ich empfunden hatte, blieb nicht aus. Bebend holte ich Luft und versuchte, meine Tränen zurückzuhalten. Vor allem, was man nicht sehen konnte, hatte man Angst. Wenn man eine Gefahr sah, konnte man gegen sie kämpfen. Doch wenn man sie nicht sah, würde man verlieren. Außer man lernte, gegen die Dunkelheit zu kämpfen.
Mein Herz pochte und meine Hände fingen an zu schwitzen. Die Angst schnürte mir die Kehle zu und ich hatte Mühe, meine Fassung aufrecht zu erhalten. In meinem Kopf schwirrten tausend Fragen umher, weswegen ich beschloss, sie zu stellen. "Wohin bringen Sie mich?" Es war schrecklich, nicht zu wissen, wie er reagierte. Jederzeit könnte ich etwas Falsches sagen, etwas Falsches machen, was ihn vielleicht die Hand ziehen ließ. Doch anscheinend war dem nicht so. "Bitte, nenn mich Dan." Ich nickte zustimmend. "Okay, Dan. Wohin bringst du mich?" Er schnalzte mit der Zunge. "Zu mir nach Hause. Wir sind gleich da." Meine Panik wuchs wie tobender Hunger. "Und was wirst du mit mir machen?", fragte ich leise und mit staubtrockenem Mund. Seine warme Hand legte sich auf meinen Oberschenkel und fuhr bis hoch zu meinem Hosenbund. Ein Wimmer entwich meiner Kehle und ich wollte seine Hand packen, entschied mich jedoch dagegen. "Wenn du brav bist, bleiben dir die schlimmsten Dinge erspart." Diese Worte behielt ich als Warnung in meinem Gedächtnis. Es wäre töricht gewesen, sich dagegen zu stellen. Dan fuhr mit seiner Hand wieder hinab und ließ sie auf meinem Knie verweilen. "Erstmal gar nichts. Zumindest nichts, was du dir in deinem unschuldigen Verstand wohl ausgemalt hast. Du wirst mit jemandem Bekanntschaft machen. Ich denke, dass ihr euch sehr gut verstehen werdet." Der Wagen bremste abrupt. Er zog seine Hand weg. "Steig aus. Lass die Augenbinde an und versuch nicht zu fliehen. Du wirst nicht weit kommen." Ich hörte, wie die Fahrertür auf- und kurz darauf wieder zuschlug. "Bitte lass das nur ein schrecklicher Albtraum sein." Vorsichtig tastete ich nach dem Griff und ließ die Tür aufschwingen. Dann sprang ich aus dem Wagen und rannte los, ohne eine Ahnung zu haben, wohin. Ohne mir Gedanken über meine Handlung gemacht zu haben. Ich wollte nur hier weg. Weg von diesem Mann.
Gerade als ich die Augenbinde herunter reißen wollte, packte mich Dan an den Schultern und stieß mich zu Boden. Ich fiel und spürte, wie mein Arm gegen den Aufprall protestierte. Ein Schrei entfuhr mir und ich schlug wie wild um mich. Ich fühlte mich so hilflos und das Einzige, was ich machen konnte, war zu versuchen, Dans Hände von meinem Körper fernzuhalten.
"Das reicht!", schrie er plötzlich aggressiv und ein Schlag traf mich an der Schläfe. Mein Kopf schien zu explodieren und ich stöhnte schmerzhaft auf. Kraftlos sank mein schmerzender Schädel auf den kalten Steinboden unter mir. Als die Ohnmacht mich zu überrumpeln drohte, hätte ich es am Liebsten zugelassen, doch die Angst vor dem, was Dan dann mit mir machen würde, war einfach zu groß.
Dans Hände lagen auf meinen Schultern und er saß rittlings auf mir. Sein heißer Atem strich wie eine zarte Berührung über meine Wange. Langsam beugte er sich zu meinem Ohr hinunter. "Sagte ich dir nicht, dass du nicht versuchen solltest zu fliehen? Wenn du nicht wieder eine Penetration erleben willst, dann tu gefälligst das, was ich dir sage. Sonst sehe ich mich gezwungen, dir den Gehorsam auf eine andere Art einzuflößen", raunte er und presste während des letzten Satzes sein Becken gegen meins. Ich spürte den Schauer, der dabei seinen Körper durchfuhr und seine Erektion an meinem Bein. Mir wurde schlecht und ich bekam es mit der Angst zu tun. Niemals wieder würde ich mir das antun lassen. Doch meine Hoffnung, sich gegen ihn wehren zu können, schwand, als ich an all die Defizite dachte, die ich gegenüber ihm hatte.
"Ich werde brav sein." Meine Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern. Dan strich mir über die Wange. Sein Mund verweilte an meinem Ohr. "Gut." Dann ließ der Druck auf meinem Körper nach und ich konnte wieder atmen. Als ich mich aufgerappelt hatte, schlossen sich plötzlich zwei kräftige Arme um mich und ich wurde hochgehoben. Dan warf mich über seine Schulter. Es war erschreckend, wie viel Kraft er hatte. Er fing an Treppenstufen hochzusteigen, wobei immer wieder ein unangenehmer Ruck durch mich hindurchfuhr. Ich hörte einen Schlüssel und das Aufschwingen einer Tür. Als wir drinnen waren, schoss mir der Geruch von Vanille und Orange in die Nase. Dies war wohl der einzige positive Eindruck, den ich bis jetzt hatte. Das Gefühl, nicht zu wissen, was mir bevorstand, ließ mich wahnsinnig werden. Erneut hörte ich eine Tür und kurz darauf durchfuhr mich erneut der unangenehme Ruck, wenn Dan die Treppen hochlief. Oder lief er hinunter? Mühsam versuchte ich mich auf die Geräusche um mich herum zu konzentrieren. Doch, wir liefen eindeutig nach unten. Und je mehr Sekunden verstrichen, die sich für mich wie Stunden anfühlten, desto kälter wurde die Luft. Ein Klicken erklang und Dan setzte mich ab.
Mir wurde schwindelig, als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. "Jetzt übergib dich bloß nicht." Schnell atmend presste ich mir die Hand auf den Bauch, währenddessen nahm er mir die Augenbinde ab. Helles, künstliches Licht schien mir entgegen und raubte mir kurz die Sicht. Nachdem meine Augen sich daran gewöhnt hatten, ließ ich meinen Blick um mich schweifen. Wir befanden uns in einem grauen und kargen Flur, welcher von zwei ebenfalls grauen Stahltüren verschlossen war. Neben mir war eine schwarze Tür, welche aus einem Material bestand, welches ich nicht zuzuordnen wusste. Auch hier unten roch es nach Vanille und Orange. Ich blickte zu Dan und sah zum ersten Mal, wie er richtig aussah. Er überragte mich um mindestens zwei Köpfe, was bei einer Körpergröße von 1.66 cm wohl auch kein Kunststück war. Sein Körper erinnerte mich an den eines Bodybuilders. Zu der blauen Denimjeans trug er eng anliegendes, schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt, welches sich sichtbar über seiner muskulösen Brust spannte. Dan hatte seine Augen auf mich gerichtet und es schien so, als ob er versuchte, mir in die Seele zu schauen. Das Kastanienbraun schien von dem hellen Neonlicht zu strahlen und wirkte gleichzeitig in tiefe Schwärze gehüllt. Er hatte seinen Bart abrasiert und seine braunen Haare trug er im klassischen Shortcut. Sein Gesicht erinnerte mich an das eines Soldaten. Rau, markant, ausdrucksstark. Madoc hätte locker mithalten können. Dan lächelte mich an und entblößte dabei makellose Zähne. Ich schätzte ihn auf Ende zwanzig. "Gar nicht Mal so übel, was?" Schnell senkte ich den Blick und schüttelte peinlich berührt den Kopf. "Nein, gar nicht mal so übel...", flüsterte ich hauchzart. Ein dunkles Lachen verließ seine Kehle. "Ich werde dich jetzt mit Eve bekannt machen. Dann werde ich mich eine Weile zurückziehen." Prompt umschloss er den Türgriff und stieß die Tür auf.
Dunkles Rotlicht schien mir entgegen. Die Luft in dem kleinen Raum war abgestanden und roch nach Schweiß und Sekreten. Viel gab es hier drin nicht. Zwei gleichgroße Betten standen an der Wand. Auf einem Tisch lagen penibel sortierte Gegenstände, welche mich stark an BDSM erinnerten. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Dans Hand ruhte auf meinem Rücken. Als ich meinen Blick zurück zu den Betten gleiten ließ, sprang ich erschrocken zurück. Dort saß eine Frau, welche nichts weiter als ein schwarzes T-Shirt trug. Sonst war sie vollkommen nackt. Ich bemühte mich, sie nicht anzustarren. Ihre roten Haare umrahmten ihr wunderschönes Gesicht, welches jedoch ausgezehrt wirkte. Die giftgrünen Augen hatte sie auf mich gerichtet. Sie wirkte seelenlos und verloren. Eine gebrochene Frau. "Das Aubrey, ist Eve. Ihr werdet euch sicherlich gut verstehen." Seine Hand verschwand aus meinem Rücken. Dann schlug die Tür zu und ich war allein. Allein mit dieser Frau, welche wie eine lauernde und gebrochene Bestie wirkte.
Da ich nicht wirklich wusste, was ich tun sollte, entschloss ich kurzerhand mich auf das freie Bett zu setzen. Es ächzte hörbar und Staub wirbelte auf. Ich unterdrückte ein Husten. Als ich zurück zu Eve sah, waren ihre Augen immer noch auf mich gerichtet. Das giftgrün wirkte blass und trüb und Angst lag in ihrem forschenden Blick. Sie versuchte jedoch nicht, ihre Blöße zu verstecken und wartete anscheinend darauf, dass ich meinen Blick über sie gleiten ließ. Das tat ich jedoch nicht. Stattdessen zog ich meine Hose aus und reichte sie ihr. In meinem Sportbeutel hatte ich schließlich noch meine Sporthose, auch wenn dieser in Dans Auto lag. Eve riss die Augen auf und wich zurück. Mit einem kleinen Lächeln legte ich ihr die Hose aufs Bett, ehe ich mich erneut setzte. "Zieh sie an. Ich werde auch nicht hinsehen." Und damit wandte ich mich ab und starrte an die vergilbte Tapete des kleinen Raumes. Hinter mir hörte ich, wie Eve sich zögernd anzog und mein Lächeln wurde breiter. Es war ein gutes Gefühl helfen zu können und so kam ich zumindest von meiner Panik weg. "Danke. Du kannst dich wieder umdrehen." Ihre Stimme klang melodisch, wie eine leise Symphonie. Langsam drehte ich mich um und blickte ihr entgegen. Ein kaum erkennbares Grinsen lag auf ihren Lippen und ihre Augen schienen zu funkeln.
Die Rotlichtlampen wurden abermals dunkler. Verwundert runzelte ich die Stirn. "Sie zeigen an, wie spät es ist. In ein paar Stunden werden sie ganz aus sein. Dann ist es Nacht. So bewahrt er mir zumindest etwas von meinem Zeitgefühl." Ich verstand und nickte zaghaft. Weil ich nicht wusste, wie sie reagieren würde, wenn ich ihr eine Frage stellte, blieb ich ruhig und nutzte den Augenblick, um den Raum auszukundschaften. Er war höchstens 10 Quadratmeter groß. Die beiden Betten nahmen somit die Hälfte des Raumes ein. Der abgenutzte Tisch, welcher unmittelbar neben der Tür stand, nahm den Rest des Platzes ein. So wirkte es unglaublich eng und gedrängt hier drin. Es gab kein Fenster, nur den kalten, grauen Boden und die vergilbte Tapete an der Wand. Die Betten waren in Rot und Schwarz gehalten. Eves Bett jedoch war mit Flecken übersät. Als ich zurück zu dem Tisch sah und mein Blick auf die Gegenstände fiel, die darauf lagen, wurde mir unwillkürlich schlecht. Instinktiv wusste ich, was das für Flecken waren.
"Dan benutzt sie nicht oft. Nur wenn er mir Vergnügen schenken will. Und das kommt nicht sehr oft vor. Er hat andere Methoden, um Lust zu empfinden", sagte Eve erschöpft. Ein Szenario spielte sich in meinem Kopf ab. Ich wusste, was sie meinte. Ich wusste es nur zu gut. Als erneut dieses schreckliche Erlebnis in mir hochkam, schüttelte ich energisch den Kopf und wandte mich wieder der jungen Frau zu. "Willst du meinen Bettbezug haben?" Eve setzte sich ruckartig auf. "Hör auf so nett zu mir zu sein." Ein Schluchzen entwich ihr und sie raufte sich die feuerroten Haare. Erst jetzt fielen mir dabei die unzähligen Schnittverletzungen an ihren Armen auf. "Wieso? Du kannst sie haben, wenn du willst", versicherte ich nachdrücklich. Ihre Augen richteten sich wieder auf mich. "Weil ich mir keine Hoffnungen machen darf. Und du bringst mich dazu zu hoffen." Ein wehmütiger Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. Kurzerhand stand ich auf, zog das Bett ab und reichte ihr die Bezüge. "Man darf niemals aufhören zu hoffen. Und nun nimm sie." Zögernd streckte sie ihre Hand aus, wobei ihre Finger die meinen berührten. Ihre Haut war eiskalt. Doch mit einem nun breiteren Grinsen bezog sie ihr Bett neu. "Danke, ähm ..." Ich lächelte. "Aubrey." Eve wirkte plötzlich aufgeweckt und neugierig wie ein kleines Kind. Sie setzte sich aufs Bett und schlug die Beine übereinander. "Mein voller Name ist Evelyn. Aber du kannst mich natürlich Eve nennen."
Unschlüssig sah ich zu Boden. "Hat er dir wehgetan?" Ihre Frage kam so unerwartet, dass ich kurz verdutzt den Kopf hob. Eve stand auf und setzt sich zu mir aufs Bett. Wir saßen uns gegenüber und der anfängliche Eindruck, welchen ich mir von ihr gemacht hatte, verflog. Sie war nett und rücksichtsvoll, auch wenn Dan sie ein Stück weit gebrochen hatte. "Er hat mich vergewaltigt und geschlagen", brachte ich die Worte nur schwer heraus. Sie strich mir die verirrten Haarsträhnen aus der Stirn und hob mein Kinn an. In ihren Augen lag etwas Liebevolles und tiefstes Verständnis spiegelte sich in ihnen wieder. "Dan hält mich seit sechs Jahren hier gefangen. Wenn er keine Lust hat, eine Frau zu vergewaltigen und umzubringen, nimmt er stattdessen mich. Du kannst froh darüber sein, dass du noch lebst, Aubrey. Und das er nur handgreiflich geworden ist. Es gab Tage, da musste ich mich schrecklichen Torturen unterziehen. Er schlug mich, schnitt mich, tat alles, um mich leiden zu lassen. Und warum? Weil er seine sadistischen sexuellen Neigungen befriedigen wollte. Anders geht es nicht." Es war entsetzlich, das zu hören. Eine Welle an Mitleid überkam mich. "Du meinst dass..?" Sie nickte.
"Dass er keinen hochbekommt, ohne zu diesen drastischen Mitteln zu greifen? Ja, dass meine ich. Und wie du weißt, kratzt das am Ego eines Mannes. Ich kenne Dan seit Kindesbeinen an. Er kam nie damit klar und das hat ihn zermürbt." Ich verzog das Gesicht. Es widerte mich an. "Aber wieso ausgerechnet ich? Was ist an mir so anders?" Eve rang die Hände in ihrem Schoß. "Dan dissoziiert. Er kennt weder seine Eltern, noch kann er sich an Bilder erinnern, die mit ihnen zu tun haben. Auch nicht an dramatische Ereignisse aus seiner Kindheit. Zumindest nicht an viele. Seine Mutter war eine Prostituierte, weißt du? Und sie sah dir sehr ähnlich. Als er zurückkam und mir von dir erzählte, was er getan hatte, sagte er, dass mehr Puzzleteile in das Puzzle eingefügt werden konnten. Ich weiß nicht, was er mit dir vorhat, weil ich eben auch nicht weiß, ob er nur während er dich vergewaltigt, einen Eindruck zurückgewinnt. Aber er träumt von seiner Mutter. Ich höre ihn im Schlaf reden. Und er denkt, dass du der Schlüssel bist. Das Einzige, was er wirklich will, ist sich erinnern zu können." Ich verzog das Gesicht. "Anfangs dachte ich, er wäre kein kranker Mann. Du hast mich erfolgreich vom Gegenteil überzeugt." Eve lachte amüsiert. "Er ist hochbegabt. Aber krank ist er auf jeden Fall." Meine Gedanken waren das reinste Chaos. Das waren viel zu viele Informationen auf einmal.
"In welchem Verhältnis steht ihr zueinander? Und wieso weißt du so viel über ihn?" Ihr Blick verdüsterte sich. "Wir waren im selben Waisenhaus. Ein schrecklicher Ort. Unsere Betreuer vergewaltigten alle Jungen, die dort untergebracht waren. Und wir Mädchen mussten zusehen. Es war der Höhepunkt an Perversion, Aubrey. Die Schreie von Dan geistern mir immer noch im Kopf herum. Er schrie vor Schmerz, aber sie machten so lange weiter, bis er noch nicht einmal mehr in der Lage war, um nach Gnade zu betteln. Diese Männer waren alle zwischen dreißig und fünfzig. Und die Jungs zwischen sieben und achtzehn. Merkst du was? Rein anatomisch ist das nicht funktional. Allein diese Vorstellung brachte mich damals um den Verstand." Eve runzelte kurz in Gedanken versunken die Stirn. "Dan und ich teilten uns ein Zimmer. Es gab keine Geschlechterteilung. Wir wurden beste Freunde. Ich jedenfalls entwickelte über die Jahre Gefühle für ihn, jedoch fasste er mich nie an. Und da die Visite immer öffentlich abgehalten wurde, erfuhr ich sehr viel von ihm, seinen Eltern und seiner Vergangenheit. Eben auch von der Dissoziation. Wenn ich ihm heute sagen würde, wie seine Mutter aussah, würde er es innerhalb der nächsten Stunden vergessen. Ich hab es oft versucht, dass Resultat blieb dasselbe." Angespannt blies ich meine angehaltene Luft aus den Wangen. "Wieso bist du hier bei ihm? Was ist danach passiert?" Sie strich sich ihre feuerrote Mähne hinter die Ohren. "Wir verließen mit achtzehn das Waisenhaus. Kurze Zeit später wurde es dichtgemacht. Dan war in seiner Sexualität verschoben und mit seiner Hochbegabung überfordert. Durch die Schändigungen unserer Betreuer führte er recht viele Beziehungen mit Männern. Während einer Party, welche im Internat stattfand, lernte er aber eine junge Frau kennen, die er recht attraktiv fand. Wenig später verschwanden die beiden. Als er nach zwei Stunden nicht wiederkam, beschloss ich, ihn zu suchen. Du musst wissen, Aubrey, dass Dan anfänglich nie Schwierigkeiten damit hatte, sexuelle Lust zu empfinden. Er hatte mit den Männern Sex, mit denen er zusammen war. Doch auch das weiß er nicht mehr."
Geschockt riss ich die Augen auf, doch unterbrach ich sie nicht. Es schien ihr wichtig zu sein, es mir anzuvertrauen. "Jedenfalls betrat ich zufällig eines der Gästezimmer und traf ihn dort an. Er wirkte so verloren und verzweifelt wie damals nach den Vergewaltigungen. Die junge Frau lag dort, im Bett, mit aufgerissenen Augen. Sie war tot. Dan erzählte mir unter Tränen, was vorgefallen war. Dass sie keine Luft bekam, hatte etwas in ihm ausgelöst. Und da er sie aus dem Affekt heraus umgebracht hatte, nistete sich der Gedanke, dass er nur so mit jemandem schlafen kann, in seinem Gedächtnis ein. Und so nahm das Elend seinen Lauf. Denn er vergaß, dass das nicht stimmte. An diesem Abend entführte er mich. Und seitdem lebe ich hier als seine Sklavin."
Mir fehlten die Worte. Es war die bittere Realität, doch wenn ich alleine vom Zuhören eine innere Qual spürte, wollte ich nicht wissen, wie Eve sich fühlen musste. Ich wollte nicht wissen, was mir bevorstehen würde. Nach einer alten Gewohnheit nach vergrub ich meine Hände in der Tasche meines Hoodies, wobei ich auf mein Handy stieß. Geistesgegenwärtig zog ich es heraus, jedoch war es durch den Sturz komplett kaputt. Es ging noch nicht einmal mehr an. Als ich Eves hoffnungslosen Blick sah, fing ich an zu reden.
"Hast Dan dir etwas über die Morde am Hauptbahnhof erzählt? War er das? Er scheint wirklich furchtlos zu sein, wenn er so auf Risiko spielt." Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Schatten über ihr Gesicht. "Nein Aubrey, das war er nicht, sondern The Lone Hunter. Und dieser Mann ist auch der Einzige, vor dem Dan Angst hat." Sie musste wohl an meinem Blick erkannt haben, dass ich nicht wusste, von wem sie sprach, denn sie machte ein ziemlich amüsiertes Gesicht. "Du kennst ihn nicht?" Ich schüttelte den Kopf. Eve setzte sich in eine bequemere Position, ohne den Blick von mir zu nehmen. "The Lone Hunter ist der gefürchtetste Serienkiller der Welt, Aubrey. Er ist ein Monster voller Skrupellosigkeit, Mordlust und Hass. Er geht auf die Jagd und tötet Menschen wie eine Raubkatze ihre Beute. Sein echter Name ist nicht bekannt, doch dadurch, dass er nur alleine mordet, nannten sie ihn The Lone Hunter. Es gibt kaum einen Ort, wo man ihn nicht kennt, auch wenn er ausschließlich in den USA, England und in Europa sein Unwesen treibt. Dan hat mir viel über ihn erzählt. Dieser Mann ist gleichzeitig sein größtes Vorbild als auch sein schlimmster Feind. Denn er weiß, dass der einsame Jäger ihn in all seinen Fähigkeiten übertrifft und ihn auszuschalten kann, und zwar ohne dass es jemand mitbekommt. Dan ist kein skrupelloser Mörder. Er will nur wissen, was er nicht weiß. Und das macht ihn so gefährlich." Gerade als ich etwas darauf erwidern wollte, öffnete sich die Tür und ein nackter Dan betrat den Raum. Ich sah zu Eve und ihr Blick bestätigte all meine Befürchtungen.
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