~Kapitel 12~

Er fand sich in Soho wieder, welches ein Stadtteil des Londoner West Ends war. Die Straßen waren leer, keine Menschenseele war zu sehen, denn es war Nacht und das Einzige, was ihn davon abhielt, in der erdrückenden Dunkelheit zu versinken, waren die Laternen, welche einen künstlichen Schimmer auf die Straßen warfen. Regen prasselte auf die Erde hinab und der Geruch von Petrichor stieg ihm in die Nase. Dan schaute hinauf in den Himmel, streckte die Zunge heraus und sammelte die Regentropfen mit seinem Mund auf. Er lächelte dümmlich vor sich hin und streckte die Arme aus, so als ob er fliegen würde. Ein starker Windstoß ließ seine Klamotten flattern, doch er spürte nichts außer das erleichternde Gefühl von Vollkommenheit. Etwas in ihm sagte ihm, dass er angekommen war. Genau hier war der Ort, an den er hingehörte.

"Machen Sie, dass Sie und ihr Balg von hier verschwinden!", hallte es plötzlich durch die Nacht und eine Tür schlug zu. Alarmiert sah er auf. All die berauschenden Gefühle, welche er kurz zuvor noch empfunden hatte, waren von dem einen auf den anderen Moment wie weggewischt. Er fiel in Alarmbereitschaft. Nicht weit entfernt von ihm stand eine junge Frau, welche zitternd vor Kälte starr vor ihr auf die Tür schaute. Dan ließ seinen Blick über sie gleiten. Sie war recht schlank. Ihre braunen Haare fielen ihr nur knapp über die Schultern und ihre blauen Augen waren von solch einer Intensität, dass er sich am Liebsten ewig in ihnen verloren hätte. Mehr vermochte er jedoch nicht zu erkennen, da das Gesicht der Frau in dunklen Schatten zu liegen schien. Trotz ihrer Schönheit wirkte sie ausgelaugt und am Ende ihrer Kräfte. Ihr Körper war viel zu dünn und es schien so, als ob sie jeden Moment erfrieren könnte. Ein leises Wimmern lenkte seine Aufmerksamkeit auf das kleine Bündel, welches sie im Arm hielt. Das Baby wimmerte ununterbrochen und rekelte sich unruhig in ihrem Arm. Ein leidender Ausdruck trat in die Augen der Frau und sie legte das Kind auf eine der Türschwellen, eingepackt in eine dicke Decke. Sie strich sich die mittlerweile durchnässten Haare hinter die Ohren. Tränen liefen ihr über die Wangen und fielen auf ihr rotes Kleid, welches ihren hageren Körper zierte. "Tut mir leid, mein Schatz, aber Mama kann nicht für dich sorgen." Dann wandte sie sich ab und rannte so schnell sie konnte in ihren Stöckelschuhen davon.

Schweißgebadet wachte Dan auf. Seinen Körper durchfuhr ein Schauer und er sah sich forschend in seinem Labor um. Die Rotlichtlampen waren mittlerweile so dunkel, dass jeder Schatten gespenstisch wirkte. Als er nichts Ungewöhnliches ausmachen konnte, ließ er sich seufzend wieder in die Matratze fallen und lauschte Eves Atem. "Das war nur ein Traum, Dummkopf", fluchte er leise. Für einen kurzen Moment war da wieder dieses Vollkommenheitsgefühl, jedoch verschwand es nach einigen Augenblicken, so als ob es nie existiert hätte. Es war nicht das erste Mal, dass er von dieser Frau und ihrem Baby träumte. Doch immer blieb ihr Gesicht vor ihm versteckt. Dort waren nur die schulterlangen, braunen Haare und diese unglaublich intensiven blauen Augen, welche sich in sein Gedächtnis gebrannt hatten wie ein Brandzeichen. Selbst die Stimme der Frau wirkte verzerrt, künstlich und viel zu gestellt, so als wäre es nicht ihre Eigene.

Fahrig fuhr er sich übers Gesicht und sah zu Eve. Sie wirkte wie ein Engel, wenn sie schlief. Langsam streckte er seine Hand aus und strich ihr zögernd über die Wange. Die junge Frau fing an zu lächeln und schmiegte sich an seine Handinnenfläche. Dan widerstand dem Drang, sie aufzuwecken und ihr von dem zu erzählen, was ihn so sehr bedrückte. Stattdessen beschloss er wieder nach oben in seine Wohnung zu gehen. Schlafen konnte er nun nicht mehr. So leise wie möglich erhob er sich und lief zur Tür. Ein letztes Mal sah er zu Eve, welche zitternd in ihrem Bett lag. Dan ließ seine Klamotten hier unten, damit sie zumindest etwas hatte, was die Kälte hemmte. Dann verließ er das Labor.

Die kalte Luft des Ganges, welche sich wie eine kühle Hülle auf seine Haut legte, ließ ihn erst richtig wach werden. Er verengte die Augen. Ein undefinierbares Gefühl machte sich in ihm breit. Eine nagende Ungewissheit. In seinem Kopf arbeitete es. Die Frau, welche er gesehen hatte, erinnerte ihn an jemanden. Ihre von Angst unterdrückte, rebellische Art ... Er kannte dies von irgendwoher. Während er die Stahltüren passierte und die Codes eingab, kam ihm eine Eingebung. Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. "Das Mädchen!" Sofort sprintete er die Treppen zu seiner Wohnung nach oben und blickte nach draußen. Es war schon Mittag. Dies war seine Gelegenheit, die alles überwiegende Wissbegierde zu befriedigen, welche ihn seit Jahren plagte. Auch wenn es hieß, dass er sich erneut an ihr vergehen musste. Nur so konnte er die Puzzleteile zusammenfügen, welche verstreut in seinem Unterbewusstsein umhergeisterten. Dan schüttelte den Kopf. Er musste einen klaren Verstand bekommen, um herauszufinden zu können, wo sie sich befand. Nach kurzem Überlegen fuhr er seinen Computer hoch und checkte die Nachrichten. Es dauerte nicht lange, da hatte er seine Antwort. "Bingo." Ein selbstgefälliges Grinsen umspielte seine Mundwinkel. Ihr Name sowie auch die Stadt, in der sie zur Schule ging, standen in einem Artikel. Es würde ein Leichtes werden, sie ausfindig zu machen.

Dan parkte sein Auto nicht weitab des Schulgeländes und stieg aus. Adrenalin schoss ihm durch den Körper und er lief los. Ein großes, in Grün und Grau gehaltenes Gebäude ragte vor ihm auf. Knapp unterhalb der Decke verliefen sechs gleichgroße Fenster. Laute Stimmen und hysterische Schreie drangen zu ihm. Es war die Turnhalle. Er beschloss, sich diese als Erstes vorzunehmen. Natürlich spielte er auf Risiko und das nicht nur, weil er ein gesuchter Sexualmörder war. Doch es war ihm schlichtweg egal. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, bekam man ihn nur sehr schwer wieder davon ab. Aufmerksam ließ er seinen Blick über das Gelände gleiten. Das Glück schien ihm hold zu sein, denn es war niemand zu sehen. Alles wirkte wie ausgestorben.

Zielstrebigen Schrittes lief er auf die Turnhalle zu und versuchte so unauffällig wie möglich dabei auszusehen. Kurz bevor er die Eingangstür passierte, sah er sich noch mal prüfend um, doch immer noch war niemand zu sehen. Wie ein Schatten huschte er durch die Gänge und blieb am Ende vor einer Glastür stehen. Prüfend spähte er hinein. Ein großgewachsener, in einen schwarzen Anzug gekleideter Mann saß auf einer der Holzbänke. Er hatte den Kopf an die Wand gelehnt und die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen. Die schwarzen Haare waren leicht nach oben gegelt. Sein markantes Gesicht kam Dan bekannt vor. Der Mann hielt sich die Hand, aus welcher Blut sickerte. Ein Messer hatte sie durchdrungen. Als Dan seinen Blick erneut auf die Züge des Mannes legte, öffnete dieser die Augen. Als er ihre stahlgraue Färbung sah, wurde ihm flau im Magen. Ehrfürchtig wich er zurück und entkam nur knapp dem Blick des Killers. "The Lone Hunter", raunte er. Er konnte es nicht fassen. Der Killer lebte tatsächlich noch. "Wusst ich 's doch!" Schnell bog er in den nächsten Gang ein. Es lag nicht in seinem Interesse, diesem Monster zum Opfer zu fallen.

An der ersten Tür, welche zur Umkleide führte, blieb er stehen und lauschte. Aus dem Inneren drangen Stimmen. Entschlossen öffnete Dan die Tür und huschte hinein. Er versteckte sich hinter einer der grauen Kabinen, hatte so jedoch immer noch die Möglichkeit, dem Geschehen unauffällig zuzusehen. Das Mädchen und eine FBI-Agentin befanden sich in der Umkleide. Sein Glückstag. "Sie und Madoc kennen sich, habe ich recht?" Die Agentin drehte sich um und schenkte ihr einen bösen Blick. "Du hast recht, wir kennen uns. Mehr musst du allerdings nicht wissen." Dann verließ sie die Umkleide. Er sah, wie das Mädchen noch kurz apathisch auf die Tür starrte und dann ihr Handy aus Jackentasche zog. Da sie mit dem Rücken zu ihm gewandt stand, konnte er nicht sehen, was sie tat. "Sero Knox war ein geisteskranker Psychologe. Ein Mann besessen davon, der Welt zu beweise, dass Serienmörder gemacht und nicht geboren wurden. Und kein Mittel war ihm zu schade, um seinen Probanden leiden zu lassen, sodass dieser schlussendlich wie von ihm gewollt zu einem Serienmörder wurde", laß sie plötzlich laut vor. Ihre sonore Stimme glich einem Orchester. Sie war etwas tiefer und drückte somit umso mehr Kraft und Energie aus.

Dan fing an zu klatschen und trat aus seiner Deckung. Das Mädchen drehte sich um und sah ihn aus angsterfüllten Augen an. Bevor sie auch nur einen Mucks machen konnte, presste er ihr seine Hand auf den Mund und drückte sie an die Wand. "Glaub mir, wenn du auch nur einen Laut von dir gibts, wünschst du dir, nie geboren worden zu sein", knurrte er warnend. Ihr Widerstand ebbte ab. Dan lockerte seinen Griff. "Sag mir, wie heißt du?" Sie öffnete den Mund, doch kein Ton verließ ihn. Erst beim zweiten Versuch kam ein leises "Aubrey" über ihre Lippen. Er schloss die Augen und schmunzelte. "Aubrey. Welch schöner Name." Dan ließ ihren Namen auf seiner Zunge zergehen. Während er seine Hand über ihren Körper gleiten und ihr keinen Spielraum ließ, blickte er sie forschend an. Ihre braunen Haare trug sie in einem lockeren Zopf. Aubreys Körper zitterte und sie war aschfahl wie ein Toter. In ihren blauen Augen standen Tränen. Jene Augen, welche denen der Frau in seinen Träumen so unglaublich ähnelten. "Shh, alles gut. Jetzt bin ich ja da." Er beugte sich vor und küsste sie. Währenddessen nestelte er an seinem Rücken herum, wo sich sein Messer befand. Dann stieß er ihr die Klinge in den Arm. Den schmerzerfüllten Aufschrei erstickte er mit seinen Lippen. Sein Körper fing vor Lust an zu beben. Vor seinem inneren Auge erschienen Szenarien, welcher sich kein normaler Mensch ausdenken würde. Kurz löste er sich von ihr. "Weißt du, weshalb ich hier bin? Nein? Lass es mich dir sagen. Du erinnerst mich an jemanden, Aubrey. Jemanden, den ich nachts in meinen Träumen sehe. Du bist anders. Und vielleicht bist du auch der Schlüssel zu einem Jahre alten Rätsel." Sie schaute ihn so an, als ob er ein Irrer wäre. "Die Agentin hatte so etwas Ähnliches geäußert. Also ... Von was um alles in der Welt reden Sie?" Ihre Augen zuckten hektisch über sein Gesicht. "Das wirst du noch früh genug erfahren." Dan ließ seine Hand in ihren Hosenbund gleiten. Ihr Körper reagierte wohlwollend auf diese intime Berührung, auch wenn sich ihr Verstand dagegen sträubte. Sie verhielt sich wie ein in die Enge getriebenes Tier, welches seinem Schicksal ins Auge sah und sich damit abfand. Es kam keine typische Kampf- oder Fluchtreaktion. Er kannte dies von Eve.

Ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel, als ihre Schenkel anfingen zu zittern. "Ich könnte dich ganz einfach hier und jetzt nehmen, Aubrey. Oder wäre es dir lieber, wenn ich dich töten würde?" Sie lehnte ihren Kopf an die Wand und schüttelte ihn wild. "Was dann? Willst du, dass ich aufhöre?" Ein geschockter und unsicherer Ausdruck legte sich auf ihre Züge. Er ließ seinen Finger kreisen. Aubrey biss die Zähne zusammen. "Wie du siehst, ist das, was ich tue, kein Vergleich zu vorgestern. Sag mir, vor was du Angst hast. Sag mir, was du über mich denkst." Kurz hielt er inne. Als er weitermachte, stieß sie angestrengt die Luft aus. "Ich habe Angst vor Ihnen, weil ich nicht verstehe, was Sie von mir wollen. Weil Sie mich vergewaltigt haben." Dan verstärkte seine Bewegungen. "Und dennoch sagt mir deine Körpersprache, dass du nicht willst, dass ich aufhöre. Ich kann meine Hand jederzeit wegziehen und von dir ablassen." Der Ausdruck in ihren Augen reichte ihm. Es war Antwort genug. "Siehst du? Momentan tue ich dir doch gar nicht mehr weh. Das würde ich nur zu meinem eigenen Vergnügen tun. Denkst du denn, dass ich ein Psycho bin? Ein geisteskranker Mann?" Er löste sich von ihr. Ein Seufzen entwich ihrer Kehle, doch sie fasste sich relativ schnell wieder. "Nein. Sie wirken auf mich nicht wie ein Psychopath." Dan schmunzelte. "Weswegen?" Aubrey runzelte die Stirn. "Die Art wie Sie reden - das passt nicht. Ich weiß nicht, was Sie zu all Ihren Taten getrieben hat, aber Sie haben einen klaren Verstand." Er quittierte ihre Aussage mit einem amüsierten Grinsen. "Nur, weil ich intelligent bin, bin ich kein Psychopath? Interessanter Gedankengang." Sie verzog das Gesicht. "Was wollen Sie von mir?", fragte sie plötzlich gereizt, die Angst schien verflogen zu sein. Dan lachte auf. "Ich dachte schon, du fragst nie. Eigentlich hatte ich etwas gänzlich anderes mit dir vor. Aber jetzt.." Aubrey hielt sich ihren blutenden Arm und zog sich an. "Sie wollten mich wieder vergewaltigen", stellte sie mit schleppender Stimme fest. "In der Tat. Aber ich hab's mir anders überlegt. Wenn du brav mitkommst, bleiben dir die schlimmsten Dinge erspart. Wenn nicht.." Präsentierend schwang sein Messer durch die Luft. Aubrey nickte. "Du hast Selbstbeherrschung. Bewundernswert. Niemand, den ich kenne, hätte so reagiert." Sie gab ein abfälliges Geräusch von sich. "Es gibt auch niemanden, der eine Entführung so inszeniert, wie Sie es tun. Und noch dazu habe ich ja wohl kaum eine andere Wahl, oder liege ich mit dieser Annahme falsch?" Dan lief mit ihr zur Tür. "Nein, tust du nicht. Ich weiß, dass du mich nicht verraten wirst. Und jetzt tu einfach so, als wäre ich dein Vater oder so. Hauptsache, wir fallen nicht auf." Sie gingen hinaus. Wenn er sie zu sich nach Hause brachte, hatte er viel mehr Möglichkeiten und vor allem Zeit, sich an ihr zu vergehen. Ihr Leben war ihm gleichgültig. Er verfolgte nur seine eigenen Interessen.

Als sie an seinem Auto angekommen waren, bedeutete er ihr, dass sie sich hineinsetzen sollte. Aubrey befolgte blind seine Befehle, ohne dass sie auch nur den geringsten Widerstand zeigte. Das leise "Madoc, wo bist du nur?", überhörte er jedoch nicht.

Hi all

Was haltet ihr eigentlich von Serienmördern? Habt ihr eine konkrete Meinung zu ihnen? Falls ja, schreibt sie mir gerne in die Kommis!

~Wir lesen uns nächste Woche~

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top