~Kapitel 1~
Ein letztes Mal griff er in die Innentasche seiner Anzugjacke, um sicherzustellen, dass seine Glock 17 im Schulterholster steckte. Dann huschte er wie ein Schatten über die menschenleere Elbestraße, die Straße in Frankfurt, die jedermann mied. Touristen kamen schon lange nicht mehr hierher. Überall sah man Drogenjunkies vor sich hin vegetieren. Hier trieb sich nur Abschaum rum, und genau deshalb wusste er, dass diese Straße nicht so leer war wie es den Anschein hatte. Doch es war für ihn wie ein willkommenes Büfett. Egal wann er hier herkam, ein Opfer fand er immer. Sei es ein Zuhälter, welcher sich an den Prostituierten verging, oder ein aufmüpfiger Alkoholiker, der alles für einen Schluck dieses Feuerwassers tun würde. Madoc richtete seinen Blick gen Firmament. Es war eine bewölkte Nacht und wenn man Glück hatte, lugte der Vollmond zwischen den schwarzen Schwaden hervor und spendete kühles Licht. Doch seine Augen waren müde. Er hatte schon die halbe Welt gesehen. Manch einer würde sich wohl fragen, was ihn hierher gezogen hatte. Aber da ihn niemand kannte, musste er sich auch nicht mit dieser Frage herumschlagen. Er war hier geboren worden, doch hatte sein Vater ihn, als er etwa zwei Jahre alt war, mit nach England genommen, wo er sich die englische Sprache angeeignet hatte. Anschließend verschleppte sein Vater ihn nach Amerika. In diesem Land begann erst der wahre Grauen seiner Kindheit. Er hatte gelernt, sich zu fürchten und diese Furcht im Keim zu ersticken. Er hatte wahre Dominanz erfahren. Er hatte gelernt, was es hieß Qualen zu leiden und diese über unbestimmte Zeiträume zu überleben. Sein Alter war ein Psychopath gewesen und hatte aus ihm, Madoc, einen blutrünstigen Killer gemacht, der weder Reue noch Angst kannte. Einen Killer, der von seinen Dämonen und Verlangen beherrscht wurde wie von einer Droge. Sein Vater wollte beweisen, dass Mörder gemacht und nicht geboren wurden. Tja, er war wohl der perfekte Beweis dafür. Anfänglich hatte er genau das getan, zu was sein Vater ihn erzogen hatte. Er hatte gemordet, ohne Rücksicht darauf, wessen Leben er beendete. Sobald seine Dämonen ihm zuflüsterten, wie befriedigend es wäre, einen Menschen zu ermorden, ging er diesem Verlangen nach, ohne sich auch im Geringsten dagegen zu wehren. In solchen Momenten fiel er regelrecht einem Blutrausch anheim. Nachdem er so lange in den Fängen seines Vaters gelitten hatte, konnte er sich ein Leben ohne Schmerzen nicht mehr vorstellen. Egal ob er sie zufügte oder zugefügt bekam. Er war süchtig danach. Doch nach mehreren Jahren kämpfte sich der Teil von ihm an die Oberfläche, dessen Existenz die Züchtigungen seines Vaters nie etwas hatten anhaben können: seine Intelligenz. Doch zwischen Genie und Wahnsinn liegt nur ein schmaler Grat. Und auf diesem wandelte er. Es war bisher nur ein Mal vorgekommen, das Madoc eines seiner Opfer hatte laufen lassen. Einen Mann, der ihm in einem gewissen Punkt so ähnelte, dass man meinen könnte, sie wären Brüder. Nach all der Zeit sah er ihn immer noch klar und deutlich vor seinem inneren Auge. Er erinnerte sich an den Kampfgeist des Mannes, die Liebe, die er hegte und auch an die abgrundtiefe Verzweiflung, als er gesehen hatte, wie mühelos Madoc seine Welt zerstörte. Oh ja, es war berauschend gewesen. Er war kurz davor gewesen, ihn zu töten, als der Mann bewusstlos vor seinen Füßen lag, das blutüberströmte Gesicht so ausdrucksstark wie sein Eigenes. Und dennoch hatte er gezögert. Nie wurde er von Vernunft geleitet, doch zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihm leise ins Ohr geflüstert. Für diesen kurzen Akt von Reue hätte sein Vater ihm wohl jegliche Knochen gebrochen.
Madoc schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen an die dunklen Jahre seiner Kindheit zu vertreiben. Er befand sich nun, mehr oder weniger, auf der guten Seite des Gesetzes. Das Töten und die Genugtuung und Befriedigung, die er dabei empfand, hatte er zwar nicht hinter sich lassen können, jedoch hatte er sich darauf beschränkt, nur jene zu eliminieren, die es verdient hatten. Denn er würde niemals über seinen Dämonen stehen können. Über jenen Verlangen, die ihn unheimlich leiden ließen, würde er ihnen nicht nachgehen. Dafür hatte sein Vater gesorgt.
Ein Schrei ließ ihn hellhörig werden. Schnell ging er hinter einer der großen Mülltonnen in Deckung. Der Gestank ließ ihn das Gesicht verziehen. Es roch nach verfaulten Eiern und Ausscheidungen. Da viele der Straßenlaternen zerstört worden waren, konnte er im schummrigen Licht kaum etwas erkennen. Wachsam wie ein Raubtier ließ er den Blick über die von Müll und Sekreten säumende Straße wandern. Sein Puls sprang von Minute zu Minute höher. Und dann sah er sein Opfer. Ein Mann, Anfang dreißig, mit dunkelbraunen Haaren und ebenso dunkelbraunen Augen. Er war groß und kräftig gebaut und schien oft zu trainieren, denn sein schlichter, grauer Pullover spannte sichtbar über seinen Muskeln. Passend mit der blauen Slim-Fit-Jeans, den grauen Schuhen und seiner ruhigen Art hätte er wohl keinerlei Aufmerksamkeit erregt. Madoc jedoch wusste es besser. Denn nicht weitab von seinem Opfer stand eine freizügig gekleidete, stark alkoholisierte Frau, welche sichtbar eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion zeigte. Sie war zugegeben sehr hübsch. Groß, schlank, rote Haare, ein ausdrucksstarkes Gesicht mit sichtbaren Grübchen und Sommersprossen. Zwar nicht sein Beuteschema, jedoch erwachte das dunkle Verlangen in ihm und seine Augen wurden trüb. Es war ein willkürlicher Akt und zumindest sprang für ihn nicht nur die Befriedigung seiner Dämonen durch den Mord dabei heraus, sondern auch die für seine natürlichen Begierden. Als sein Opfer ein Messer zog, riss er sich von seinen perversen Gedanken los und konzentrierte sich auf die gegenwärtige Situation.
Ihm gelang es, einen kurzen Blick auf die Waffe zu erhaschen. "Interessant. Ein Bowiemesser. Wie originell." Ein dunkles Lachen verließ seine Kehle. Dieser Mann kannte wohl die wichtigste Regel nicht. Komm niemals mit einem Messer zur Schießerei. Madoc zog seine Glock und trat aus seiner Deckung heraus. Die beiden bemerkten ihn noch nicht einmal. Dies wäre wohl mit einer der einfachsten Morde, die er je vollbracht hatte. Doch wo blieb denn da der Spaß? Mit einem breiten Grinsen verstaute Madoc die Waffe wieder im Holster und zog sein schwarzes Feldmesser. Das fehlende Gewicht an seinem Rücken, wo sich die Messerscheide befand, riss ihn kurz aus dem Konzept. Als er seine Konzentration wiedererlangt hatte, hob er aufmerksam den Blick. Nun, da er ins Licht einer der Laternen getaucht wurde, bemerkte die Frau ihn. Doch bevor eine Gesichtsregung ihrerseits ihn verraten konnte, setzte er sich in Bewegung. Mit drei gleitenden Schritten war er bei seinem Opfer angelangt und stieß ihm die Klinge in die Hand. Der Mann schrie schmerzerfüllt auf und ließ das Bowiemesser fallen. Es klimperte hell, als es auf dem Asphalt aufschlug. Madoc wirbelte herum und ließ seinen Handballen direkt auf den Punkt zwischen Nase und Oberlippe krachen. Der Mann erschlaffte und viel ungehalten zu Boden. Mit bebenden Fäusten sah er auf dessen hässliche Visage hinab. Sein Atem hatte sich nicht verändert, so als ob es ihn nicht die leiseste Anstrengung gekostet hätte, diesen Menschen auszuschalten. Doch seine Dämonen schrien ihn an, das erdenklich schlimmste mit diesem Mann anzustellen. Sie flüsterten den ihm altbekannten Satz, ihre drängenden Stimmen getränkt mit Qual und Nachdruck. "Du hast keine andere Wahl. Du musst ihn töten." Er spannte seine Kiefermuskeln an und drehte sich um. Das musste warten.
Die junge Frau musterte ihn skeptisch aus ihren trüben giftgrünen Auge. In ihnen spiegelte sich sowohl Angst als auch Begierde und Neugier wieder. Madoc verkniff es sich, seinen Blick auf ihre weiblichen Rundungen zu heften, welche sie mit ihrem tiefschwarzen Cut Out Kleid betonte. Wie gerne er ihr den dünnen Stoff vom Leib gerissen hätte ... Als er gerade den Mund aufmachen wollte, machte sie auf dem Absatz kehrt und torkelte so schnell sie konnte davon. Er verzog argwöhnisch den Mund und wartete, bis sie um die nächste Ecke verschwunden war. Dann beugte er sich zu dem Mann zu seinen Füßen hinunter. Ohne zu zögern schlug er ihm mit voller Wucht seine Faust ins Gesicht, was diesen sofort aufwachen ließ. Madoc senkte die Stimme. "Du hast meine lüsterne Ablenkung vertrieben. Noch ein Grund mehr, dich zu töten." Der unter ihm Liegende spannte sich an und wimmerte schmerzerfüllt auf, als Madoc seinen Daumennagel in die Wunde an dessen Hand drückte. "Wie ist dein Name?" Doch er bekam nur ein erneutes Wimmern als Antwort. "Ich hab dich nach deinem Namen gefragt!", wiederholte er nun mit der ihm eigenen, tiefen Stimme. Jene Stimme, welchen The Lone Hunter ausmachten. "Jason, Sir", verließ es bebend den Mund des Mannes. Madoc seufzte zufrieden. "So mag ich es. Menschen, die unterwürfig sind, sind mir die Liebsten. Sag mir, Jason, als was arbeitest du? Als Zuhälter? Drogendealer? Oder bist du doch nur ein hoffnungsloser Alkoholiker, der sich seinem Suff ergibt?" Der Mann ließ seine Augen hektisch über seine Züge gleiten. Er schien zu versuchen, sich weiszumachen, dass das nur ein böser Traum war. Doch nein, dies war die bittere Realität. Madoc hob abwartend eine Augenbraue. "I-ich bin T-Türsteher, S-Sir." Jasons ungewöhnlich hohe Tenorstimme war eine Qual für seine Ohren. Madoc bleckte die Zähne. "Du bist ein Schlappschwanz! Versuchst wehrlose, betrunkene Frauen zu vergewaltigen! Und so etwas wie du nennt sich Türsteher!" Gen Ende hin wurde Madocs Stimme immer schneidender und bedrohlicher - tödlicher, wenn man so wollte. Jason wimmerte auf. "Bitte ... Tötet mich nicht!" Die einzige Regung, die Madoc zeigte, war ein süffisantes Grinsen. "Von mir kannst du keine Gnade erwarten." Dann fixierte er sein Opfer und gab sich vollends dem Drängen seiner inneren Dämonen hin. Das Adrenalin schoss ihm wie eine Droge durch die Adern, ließ ihn erzittern, verschärfte seine Sinne. Er ließ das Messer über jede offene Hautpartie des Mannes gleiten und suhlte sich in dessen Elend. Jasons qualvolle Schreie jagten Madoc wohlige Schauer über den Rücken. Dieses Gefühl war fast schon besser wie Sex. Aber auch nur fast. Als er am schmerzverzerrten Gesicht des Mannes ankam, hielt er inne. Vor Angst geweitete Augen starrten ihn an. In ihnen lag der Ausdruck von bitterer Resignation. Sein Opfer wusste, dass es nur noch wenige Augenblicke zu leben hatte, doch blickte es dem Tod mit einer aufkommenden Entschlossenheit entgegen, die Madoc selten zuvor gesehen hatte. Es beeindruckte ihn zugegebenermaßen. Vielleicht besaß Jason ja doch so etwas wie Rückgrat, doch würde niemand jemals wieder dieses zu Gesicht bekommen. Er setzte die schwarze Klinge an die Ohren des Mannes, schnitt diese ab und warf sie achtlos beiseite. Jason schrie ungehalten weiter, bettelte um Gnade und versuchte, sich aus dem eisernem Griff seines Mörders zu winden. Doch das ließ Madoc vollkommen kalt. Er packte das Handgelenk von Jason und spreizte dessen Finger von seiner Hand ab. "Ich will, dass du mitzählst. Kapiert!?" Der Mann nickte benommen. Er war mehr bewusstlos als bei Sinnen, doch das wusste Madoc zu ändern. Er hielt die Klinge an Jasons Zeigefinger und trennte dessen Fingerkuppe ab. Erneut erklang ein vehementer Schrei. "Ich sagte, du sollst mitzählen!", presste Madoc zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Langsam verlor er die Geduld. "Eins", erklang es dann plötzlich leise. Und so fuhren sie fort, bis jeder Finger von Jason um eine Fingerkuppe kürzer war. Blut besudelte Madocs Anzug, doch dass er sich die Hände schmutzig machte, störte ihn nicht. Er sah nur noch rot und das Blut rauschte in seinen Ohren. Mit einer fließenden Bewegung schnitt er den Pulli des Mannes durch und zog die Klinge ungehalten über dessen Oberkörper. Das Messer zerschnitt das Fleisch wie Butter. Es erregte ihn förmlich, wie die Klinge ohne jeglichen Widerstand Haut und Muskeln durchtrennte. Als sein Opfer kurz vor der Ohnmacht war, beendete er die Tortur, indem er die Klinge in dessen Drosselgrube rammte. Ein erstickter Laut verließ Jasons Kehle, ehe dieser auch schon erschlaffte.
Erst jetzt wurden Madocs Sinne wieder klarer und er erhob sich. Seine Dämonen flüsterten ihm ein letztes Mal zu, bis sie dann endlich verstummten. "Schmerz und Leiden haben einen Sinn - sadistischer kann man Leidende nicht verhöhnen." Es war ein Zitat des berühmten Gerhard Kocher, welches sein Vater immer zu sagen gepflegt hatte. Madoc schnaubte verächtlich. Eines hatte er noch zu tun. Er malträtierte Jasons Gesicht so stark, dass man dessen Identität unmöglich würde feststellen können. Dann nahm er alles an sich, was dieser bei sich trug. Brieftasche, Handy, einen alten Lottoschein und zündete es an. Das Feuer knisterte und der Handyakku explodierte hörbar, doch interessierte ihn das nicht. Madoc atmete tief durch und richtete seinen Blick nach oben zum Firmament. Seine Fingerspitzen kribbelten, doch sonst spürte er nichts. Keine Reue, kein Bedauern. Nur Erleichterung. Der Mond brach aus den Wolken hervor und überzog ihn mit seinem gleißenden Licht, so als ob er sagen würde, dass es Zeit war zu gehen. Dass es endlich Zeit war, diese grauenvolle Welt zu verlassen. Doch nein, er konnte nicht. Zumindest noch nicht. Der Wunsch nach Erlösung musste warten.
Als alle Spuren verwischt waren, setzte er seinen Weg durch die Straße fort. Dieser Mord hatte ihn gerade erst auf den Geschmack des Todes gebracht.
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