~Kapitel 2~
Das Zuschlagen der Haustür ließ mich verschlafen die Augen öffnen. Ich blieb wie angewurzelt liegen und lauschte in die Dunkelheit. Mein Herzschlag beschleunigte sich merklich, auch wenn ich nichts zu befürchten haben sollte. "Madoc?", fragte ich schlaftrunken, setzte mich auf und versuchte, etwas im Flur zu erkennen, doch auch dieser war gehüllt in Dunkelheit. Draußen donnerte es und Regen prasselte ans Fenster, was unzähligen Trommelschlägen glich. Es war mittlerweile ein Jahr vergangen, seitdem das mit Dan passiert war und es hatte sich einiges geändert. Zu meiner Mutter pflegte ich so gut wie keinen Kontakt mehr und war auf Madocs Wunsch bei ihm eingezogen. Meine Mum liebte mich, aber sie kam nicht damit klar, dass ich, ihre 17-jährige Prinzessin, eine Beziehung mit dem gefürchtetsten Serienmörder der Welt führte. Vielleicht würden unsere Wege ja irgendwann wieder zusammenführen. Immerhin stand Lace mir beiseite.
Gerade als ich ein Bein aus dem Bett schwingen wollte, zuckte ein Blitz am Himmel entlang und erhellte die Wohnung. Für eine Sekunde sah ich die Person, welche in der Schlafzimmertür stand und mir entgegensah. Erschrocken schrie ich auf und griff unter das Kopfkissen, wo Madocs Feldmesser lag. Mit zitternder Hand hielt ich es ausgestreckt vor mir, so als ob es mich beschützen konnte, falls sich ein Schuss löste. "Keine Angst, ich bin's nur." Madocs tiefe Baritonstimme waberte durch den Raum. Er lallte hörbar und sprach bedacht langsam. “Nicht schon wieder.” Zögernd ließ ich das Messer sinken und knipste die kleine Nachttischlampe an. Erneut donnerte und blitzte es. Als ich Madoc genauer ins Auge fasste, hätte ich am Liebsten fassungslos den Mund geöffnet. Er hatte seinen Anzug in der Hand und lehnte benommen im Türrahmen. Seine Augen waren blutunterlaufen und er hatte offensichtlich Mühe, die Augen offen zu halten. Auf seinem nackten Oberkörper glänzte der Schweiß und ich sah die unzähligen neuen Wunden, welche er sich zugefügt hatte. Sie gingen bis tief ins Fleisch. Wie er mir immer sagte: Er bekämpfte Schmerzen mit Schmerzen.
"Oh Madoc", seufzte ich und stand auf, doch er winkte ab. "Mir ist nur warm. Kommt vom Alkohol." Nein, das stimmte nicht. Es kam nicht nur vom Alkohol. Immer wenn er sich unbeobachtet fühlte, nahm er Sedativa zu sich, im verzweifelten Versuch, seine Dämonen und somit auch sein Verlangen ruhig stellen zu können. Ich hatte die Tabletten jedoch schon längst entdeckt. Und ich wusste, dass er den Kampf von Tag zu Tag mehr verlor. Genauso wie ich wusste, dass er irgendwann mehr brauchte, als sich selbst zu verletzen. "Du warst doch im Einsatz, wie hast du es geschafft, dich so abzuschießen?" Er machte ein zerknirschtes Gesicht. "Beim Autofahren." Dann torkelte er auf mich zu und zog mich an sich. Der beißende Geruch des Alkohols stieg mir in die Nase und ich musste würgen. Ich hasste dieses Zeug. “Sagst du mir, was los ist?” Er brummte etwas Unverständliches und küsste mich daraufhin. Ich musste wirklich an mich halten, um meinem Würgereflex nicht nachzugehen, da er den Geschmack des Alkohols auf seinen Lippen trug. “Dann halt eben wieder auf diese Weise.” Zögernd machte ich mich von ihm los und atmete tief durch, ehe ich mein T-Shirt mitsamt meiner Shorts gen Boden schickte. Nun war ich nackt. Und wie ich es erwartet hatte, blitze in Madocs Augen ungezügeltes Verlangen auf. Es war weder Zuneigung, Liebe noch Erregung. Er betrachtete mich so, wie seine unzähligen Begleiterinnen aus vergangenen Tagen. Ich konnte mittlerweile so gut in seinem Gesicht lesen, dass ich auf so ziemlich alles vorbereitet war. Bloß nicht auf das, was bei meinem Anblick in seinem Kopf vorging. Madoc schluckte schwer und suchte meinen Blick. “Du weißt, dass ich dich am Liebsten Ficken würde”, raunte er gepresst. Natürlich wusste ich das. Er benutzte diesen Begriff nur, wenn er auch genau das vorhatte. Es war noch nicht einmal hemmungsloser Sex, denn selbst da waren Gefühle im Spiel. Aber wenn Madoc jemanden fickte, wie er es so unverblümt beschrieb, dann geschah das gänzlich ohne Gefühle und war nur darauf ausgerichtet, seine Schmerzsucht zu befriedigen. Oh, wie ich es hasste, wenn er mich so ansah.
“Du verletzt mich, Madoc. Ich hoffe, dass du das weißt.” Er verzog das Gesicht. “Tue ich das?”, fragte er ironisch, fing plötzlich an, hysterisch zu lachen und trat von mir zurück. "Weißt du was? Ich kann dich gerne noch mehr verletzen. Auf dem Einsatz, da hab’ ich Brians Mittelsmann geküsst! Ist das zu fassen? Einen schwulen Mann! Und es war zugegeben recht amüsant." Er lallte so stark, dass ich ihn kaum verstand. Mit dem irren Lachen erinnerte er mich an eine Figur aus dem Fernsehen. Es dauerte etwas, bis ich verstanden hatte, was er mir da gerade an den Kopf geworfen hatte. Madoc schmunzelte verträumt und ließ kopfschüttelnd sein Sakko mitsamt Hemd fallen. "Sag mir nicht, du hast mit ihm geschlafen”, stieß ich aufgebracht hervor und war bemüht, ihm keine zu verpassen. Seit Luciás Tod hatte er sich kontinuierlich verändert. Ob es daran lag, dass er seinen Verlangen nicht nachgehen durfte, wusste ich nicht. Aber was ich wusste, war, dass mir seine Veränderung nicht gefiel. "Hätte ich denn sollen?" Sein Grinsen wurde breiter und er fiel erneut in hysterisches Lachen. "Okay, das reicht."
Herrisch drängte ich mich an ihm vorbei und lief in die Küche, um ihm ein Glas Wasser zu holen. "Du kannst dich nicht immer mit Alkohol und Sedativa ruhigstellen, Madoc! Weißt du denn überhaupt, was das mit dir macht? Und mit mir ..?", versuchte ich, das Thema zu ändern. Der verzweifelte Unterton in meiner Stimme war das, was ich so sehr hasste. Schwäche zu zeigen war das, was ich hasste. In diesem Punkt ähnelten Madoc und ich uns wohl mehr, als wir dachten. Mit klopfendem Herzen schenkte ich das Wasser ein und hatte wieder einmal das Gefühl, dass ich ins Leere sprach, doch dann strich mir sein heißer Atem über die Wange und ich lehnte an seiner erhitzten Brust. "Natürlich weiß ich das, Aubrey. Es ist nicht das erste Mal, dass ich zu diesen Mitteln greife. Und es wird auch nicht das letzte Mal sein." Er wirkte plötzlich ruhig und resigniert, das Lallen war verschwunden. “Ein gebrochener Mann mit gespaltener Persönlichkeit”, ging es mir durch den Kopf. "Weißt du, wo ich war?", murmelte er an mein Ohr und ohne dass ich es wollte, machte sich eine Gänsehaut auf meinem Körper breit. “Nein. Ich will es auch gar nicht wissen." Madoc drehte mich zu sich um und nahm währenddessen das Glas Wasser aus meiner Hand, welches er in einem Zug leer trank. "Ich war in einem Bordell.” Seufzend schüttelte ich den Kopf. Wenn er mir nun sagte, dass er mich betrogen hatte, wusste ich nicht, wie ich reagieren würde. Mein Puls kletterte in schrecklicher Erwartung immer weiter nach oben. Madoc verschloss erneut seine Lippen mit meinen und ließ seine Hand über meinen Körper gleiten, ohne lange an einer Stelle zu verweilen. Auch wenn seine Lippen womöglich an gänzlich anderen Stellen gewesen waren, schaffte ich es nicht, mich ihm zu entziehen. Er war wie meine Droge - und ich wie seine.
Nach kurzer Zeit unterbrach er unseren Kuss. “Es war die reinste Herausforderung für mich. Aber ich bin dir treu geblieben. Du bist nicht eine meiner Begleiterinnen.” Es überzeugte mich nicht und das wusste er. “Verdammt, Aubrey, verstehst du denn nicht, was ich dir sagen will!?", seufzte Madoc und seine stahlgrauen Augen funkelten aufgebracht. Doch ich konnte nur erneut den Kopf schütteln. "Ohne den Alkohol und das Sedativa hätte ich mich an dir vergriffen. Nachdem ich Fynn geküsst hatte, wollte ich nichts anderes als deinen Körper spüren. Aber wohin denkst du hätte das geführt?" Zärtlich hob er mein Kinn an. Diese Art von Gespräch führten wir sehr oft und mir schwirrte bereits jetzt schon der Kopf. Es waren für mich Versprechen auf Zeit, die seinen Mund verließen, da Madoc nicht ewig gegen seine Verlangen ankommen würde. Sein gegenwärtiger Zustand zermürbte selbst mich allmählich. "Ich weiß, was passiert wäre." Schnell versuchte ich mich abzuwenden, doch hinderte er mich daran. "Sag es, Aubrey. Ich will es von dir hören", befahl er nachdrücklich. Mühsam atmete ich ein. "Du hättest mich wie eine der unzähligen Prostituierten behandelt, mit denen du deine Nächte verbracht hast." Madoc nickte langsam und ließ von mir ab. "Richtig. Ich hätte das getan, was ich mir geschworen habe, es niemals zu tun. Dann hättest du mich mit Dan gleichstellen können. Aber wenn du trotzdem ..." Sofort schenkte ich ihm einen anklagenden Blick, was ihn verstummen ließ. "Wirklich? Du denkst, dass es mir nur um den Sex geht? Ich dachte, du würdest mich besser kennen." Das Glas in seiner Hand flog gegen die Wand und zersprang in tausend Teile. "Dann sag mir, was du willst!", schrie er aufgebracht und wirbelte zu mir herum. "Ich will, dass du mich endlich wieder wertschätzt und nicht mit mir spielst, als wäre ich eine dieser Schlampen! Es geht mir verdammt nochmal nur um dich, Madoc! Und du siehst es einfach nicht! Du hast doch überhaupt keine Ahnung, was aus dir geworden ist!", schoss ich unter Tränen zurück, in der Hoffnung, dass er endlich erkennen würde, was er mir antat. Doch das stahlgrau seiner Augen wurde dunkler und somit wusste ich, dass meine Worte nichts genützt hatten. "Es wäre wohl besser gewesen Brian hätte mich damals wirklich erschossen. Dann hättest zumindest du ein glücklicheres Leben führen können." Ohne auf eine Erwiderung von mir zu warten, rauschte er an mir vorbei. Ich folgte ihm ins Schlafzimmer.
"Ich kann nichts von dem vergessen, was damals passiert ist. Weißt du eigentlich, dass du der Einzige bist, bei dem ich es zulassen kann, dass er mich berührt? Weißt du das?" Madoc zuckte sichtbar zusammen und drehte sich zu mir um. Sein Blick war unheimlich gequält. "Ist das wahr?", fragte er heiser, fassungslos und offensichtlich betroffen. Tränen brannten in meinen Augen, als ich sagte: "Natürlich ist das wahr." Ein Zittern hatte meinen hageren Körper ergriffen und mir wurde noch kälter als zuvor. "Dan hat etwas in mir kaputtgemacht und nur du warst in der Lage, es zu reparieren. Ich habe nur mit dir geschlafen. Niemals mit jemand anderem. Und du? Du tust so, als ob ich für dich bedeutungslos wäre.” Madoc öffnete den Mund, aber dieses Mal war ich es, die ihn nicht zu Wort kommen ließ. “Ich will nichts von dir hören! Mittlerweile bin ich für dich doch auch nur eine lüsterne Ablenkung. Los, geh zurück zu ihnen! Geh zurück zu diesen ..!” Ehe ich zu Ende sprechen konnte, hatte er mir bereits seine Hand auf den Mund gepresst und mich zum Schweigen gebracht. In seinen Augen lag jene ungezähmte Wildheit, die er in unseren Zweisamkeiten mit mir teilte. Seine Züge waren angespannt, aber er ließ mich in ihnen lesen. Und nach einem kurzen Moment sah ich das in seinen Augen, was ich hatte sehen wollen: Liebe. “Ich werde von meinen Verlangen beherrscht, aber ich würde dich niemals betrügen. Natürlich kann ich dir nichts versprechen, Aubrey, aber du weißt, dass ich es irgendwann nicht mehr kontrollieren kann. Das ist kein Vorwand, um mit einer anderen zu schlafen. Und ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe.” Liebevoll fuhr er mir über die Unterlippe und biss kurz darauf spielerisch hinein. “Ich habe noch nie jemanden geliebt. Niemanden, außer dich, Aubrey.” Ergeben zog ich ihn an mich. Madocs Berührungen schienen mich immer wieder aufs Neue zu heilen. Er fügte die Scherben zusammen, aus denen ich bestand. Nur er vermochte es, mich zu erobern. Wir mussten unser gegenseitiges Vertrauen wieder aufbauen. Und vielleicht konnte ich ihn überreden, mit mir eine Therapie anzufangen.
Bedacht legte ich meine Hände um seinen Hals, aber er wusste, dass ich mich ihm jetzt nicht hingeben konnte. Ich war ihm dankbar dafür, dass er meine Signale verstand und sich von mir löste. Meine Wangen glühten, aber da war es wieder, das Gefühl von Geborgenheit. “Immer, wenn ein anderer Mann mich anfassen will, zerspringt dieses Etwas in mir wieder und malträtiert meine Seele mit den unzähligen Scherben, welche es hinterlässt. Und je mehr du dich veränderst, Madoc, desto mehr verändere ich mich", hauchte ich an seine Lippen. Sein Kehlkopf hüpfte, als er mühsam schluckte. Er zog mich in seine Arme. "Ich werde an mir arbeiten. Versprochen. Ich werde mich ändern." Es war eine Lüge, und das wussten wir beide.
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