Kapitel 29

"Hi Reece!"

Meine Nase kribbelte als ich meinem Gegenüber in die strahlenden Augen sah. Ein Grübchen bildete sich an seiner linken Wange. Reece's Lächeln wurde dabei immer breiter.

"Ich geh dann mal eben einkaufen", sagte Blake hektisch und warf sich seinen Mantel über und schnappte sich einen Schlüsselbund.

"Ich war doch gerade...?" Reece's Stimme klang erwachsener als früher und jagte mir einen Schauer über den Rücken.

"Eh, ja. Aber du... du hast sicherlich was vergessen!"
Blake durchsuchte kurzerhand den Einkaufskorb, den Reece neben die Tür gestellt hatte.

"Hab ich's mir doch gedacht! Du hast die... die... eh... Avocado vergessen!"
Der Dunkelhaarige schaute hilfesuchend zu George, der nur kopfschüttelnd grinste.

"Mein Fehler, hab ich vergessen auf die Einkaufsliste zu schreiben. Sofia, kommst du mit?" George unterdrückte ein Lachen während Sofia aufsprang und sich blitzschnell Schuhe und Jacke anzog.

Ich betrachtete das Geschehen nur misstrauisch und mit hochgezogenen Augenbrauen. Reece scharrte unsicher mit seinen Socken auf dem Boden.

"Dann Tschüss bis nachher, amüsiert euch!", rief Blake noch bevor die drei auch schon durch die Tür geschnellt waren.
Als die Tür ins Schloss fiel, wagte ich es wieder zu Reece aufzuschauen. Mein Magen wabbelte in meinem Bauch lose herum sodass mir ganz kribbelig wurde.

"Blake ist allergisch gegen Avocado."
Reece hörte nicht auf zu Grinsen, als er die Stille durchschnitt.
Er ließ ein leisen Lachen hören.
"Im irgendwas vertuschen waren dir beiden noch nie besonders gut. Insbesondere Blake. Hat er dir von dem Mal erzählt, als er ausversehen seine Tür aus den Angeln gehoben hat und partout nicht zugeben wollte, dass sie fehlt? Das ist aber nur eine seiner seltsamen Marotten."

Ich musste schmunzeln, brach aber nur wenige Sekunden später in lautes Lachen aus.
"Auch wenn ich Blake nicht mal ein Zwanzigstel so lange kenne wie du, kann ich mir wirklich vorstellen wie er das macht!"

Reece begann auch herzhaft zu lachen. Dann verstummte er und hielt mir seine Hand hin.
"Lust auf einen Spaziergang?"
Sein Lächeln alleine konnte mich hundertprozentig überzeugen.
Ich nickte energisch, zog meine Jacke an und schlüpfte in meine Schuhe. Wohl oder übel musste ich dabei Reece's Hand loslassen, die ein warmes, kribbeliges Gefühl auf meiner zurückließ.

***

Die Spätherbstblätter knirschten unter unseren Schuhen als wir den in bunte Farben getauchten Weg entlangschländerten. Die Luft roch nach Gemütlichkeit und dem sich annähernden Winter und fast sogar ein bisschen nach Weihnachten. Aus dem angekippten Fenster des mittelgroßen Holzhäuschens am Rand des Weges drang ein furchtbar leckerer Zimtgeruch, der mich an zu Hause und an meine Familie erinnerte. Mein Magen knurrte plötzlich ohne Vorwarnung, weswegen Reece laut zu lachen begann.
"Hat da etwa jemand Hunger?"
Ich schüttelte lächelnd den Kopf.

"Es sei denn, du hast etwas dabei..."
Ich grinste schief und schaute zu dem großen Jungen auf. Doch leider nickte er nicht.
Dafür begann ich jetzt zu grinsen und zog meine Hände aus den Jackentaschen heraus. Zum Vorschein kamen Krümel von Butterkeksen in Tierform und Bonbonpapier.

"Hey damit können wir die Enten füttern!", rief Reece begeistert als er die Kekskrümel betrachtete, nahm meine leere Hand und zog mich in Richtung eines kleinen Weihers auf dem Entenküken und kleine Schwäne mit ihren Eltern schwammen. In einem Moment wie diesem war ich froh, keiner dieser schwimmenden Vögel zu sein, denn Reece schleuderte die Krümel direkt auf die armen Tiere zu.
Sie zogen ihr Köpfe ein und flogen empört schnatternd davon.

"Wow Reece, toll gemacht!", lobte ich den Mann, der in meinen Augen immer noch ein Teenager oder in diesem Moment eher ein Kleinkind war.
Laut lachend öffnete er seine Hand, streuselte sich die restlichen Kekskrümel in den Mund und kaute genüsslich darauf herum. Dabei schloss er die Augen und hob seinen Kopf, um sein Gesicht von der Oktobersonne wärmen zu lassen.

"Ich liebe diese Kekse. Wusste gar nicht mehr, dass die noch hergestellt werden...", murmelte er mit halbvollen Mund und wischte seine Hände an seiner Jeans ab.
"Sind ja auch eigentlich für Kleinkinder mit wenig Zähnen gedacht!", lachte ich und boxte Reece gegen die Schulter, sodass er stolperte und rücklings in den Teich fiel.
In letzter Sekunde griff er nach meiner Hand und zog mich hinterher.
Mit einem lauten Platschen landeten wir beide nacheinander in der Entengrütze und wenn uns ein Fußgänger dabei gefilmt hätte, wären wir sicherlich bei FailArmy oder ähnlichen Shows gelandet und zum Internet Hit geworden.
Wie zwei begossene, voll Wasser triefende Pudel stiegen wir aus dem eiskalten Nass und schüttelten uns. Meine Jacke hatte sich komplett vollgesogen, sodass ich den gesteppten Stoff ganz einfach auswringen konnte.

"Tolle Aktion, Julie! Ganz tolle Aktion!", bedankte Reece sich laut während er über meinem Kopf das Wasser aus seiner Mütze drückte. Der Wollstoff der Kopfbedeckung war mindestens genauso triefend wie meine Jacke.
"Manchmal frage ich mich echt, ob du jemals älter wirst. Schon als Sofia vier Jahre als war, war sie erwachsener als du!", lachte ich laut und schüttelte meine Haare durch die Luft.

Komischerweise fühlte ich mich irgendwie frei.
Mein Bauch kribbelte aber in diesem Moment konnte ich wirklich nicht entscheiden, ob das von dem zuckersüßen Jungen stammte, der sein Beanie zum Trocknen durch die Luft wedelte oder von dem kleinen Wesen, das in meinem Körper wuchs.

Seufzend versank ich in meinen Gedanken und setzte mich in das feuchte Gras des minimalistischen Strandes am Teich.

"Julie?"
Reece's warme Stimme versetzte mir einen Stromschlag und ich zuckte zusammen.
"Alles okay?"

Nein. Gar nichts war okay.

"Klar, mir geht's gut", schlüpfte aus meinen Mund. Am liebsten hätte ich mir deswegen selbst eine geklatscht.
"Hast du Lust auf einen warmen Kamin, Schlafanzüge und Weihnachtsfilme bei uns zu Hause?"

Reece lief vorneweg, hob einen verästelten Stock vom Boden auf und hielt ihn sich hinter den Kopf.
"Rudolph the red-nosed reindeer...", summte er und tänzelte dabei von einem Bein aufs andere.
"Had a really shiny nose...", setzte er sein Gesang fort und schaute mich dabei erwartungsvoll an.

"Reece es ist doch gerade mal November!"
Ich schüttelte den Kopf als würde ich den Rentierjungen auslachen.

"Es ist nie zu zeitig für Polarexpress und der Grinch!"
Reece nahm meine Hand und zog mich hinter ihm her.
"Die andern beiden und Sofia werden bestimmt auch schon da sein! Da machen wir es uns richtig gemütlich, mit Abby's Keksen!"

Reece rieb sich den Bauch. Dabei begannen seine grünen Augen zu funkeln.

Lächelnd musste ich zustimmen.

***

Grinsend öffnete uns Blake die Tür. Der Dunkelhaarige Junge trug einen grün-weißen Norweger Pullover, der an den Ärmeln mit Mehl bestäubt war.
"Wir haben gebacken", antwortete Blake auf meinen fragenden Blick. "Ich wusste gar nicht, dass Sofia so ein gutes Rezept für Zimtsterne kennt! Die sind DER HAMMER! Kommt schnell kosten, bevor sie abkühlen!"

Der Brite nahm unsere Hände und zog uns schnell in das gehetzte Wohnhaus, schleifte uns die Treppen hoch sodass ich fast stolperte.
Mit einem Klick schloss er die Tür auf und mir kam ein verdächtig verbrannter Geruch entgegen.

"Wundert euch nicht, die zweite Ladung hat die Hitze nicht ganz vertragen!", kam George lachend aus der Küche, ein Backblech mit bis auf das Backpapier verbrannten Plätzchen in den Händen. Die karierten Ofenhandschuhe passten zu seiner Pyjamahose.

Nachdem wir unsere nassen Sachen gewechselt hatten, traten wir in das schummrig beleuchtete Wohnzimmer.
"It's beginning to look a lot like Christmas...", schallte die Stimme von Michael Bublé aus einem Bluetooth-Lautsprecher. Sofias Haare waren zu zwei französischen Zöpfen geflochten und auf ihrem Kopf befand sich eine rote Weihnachtsmütze, deren Bommel glitzerte.
"Jungs, ich wusste gar nicht, dass ihr so begabt in Haareflechten seid!", staunte ich als ich Sofia eine Umarmung verpasste.

"Nope, das ist nicht unser Werk", gab George zu und zwinkerte einer Person zu, die es sich schon auf dem weichen Sofa gemütlich gemacht hatte. Sie stand auf und lächelte mich breit an.
"Hi ich bin Maya!" Die junge Frau hielt mir die Hand zur Begrüßung hin. Dabei fielen ihre langen rot gelockten Haare über ihre Schultern. Ihr Gesicht war von orangefarbenen Sommersprossen nur so übersäht und
mich durchströmte gleich ein Gefühl von Urlaub, Ruhe und Sonnenschein.

"Hi Maya! Du gehörst zu George?" Ich grinste und lugte zu George um die Ecke. Er errötete ein bisschen und kam ins Wohnzimmer, um seine Freundin von hinten zu umarmen. Seine hellblauen Augen leuchteten voller Freude und Glück.

"Alle hinsetzen!", verkündete Blake laut, als würde er durch ein Megaphon sprechen, durch seine wie ein Trichter geformten Hände.

Reece rannte vor und warf sich auf ein weiches Kissen auf der überdimensional großen Couch, die normalerweise viel zu groß für nur drei Leute schien. Er reichte mir seine Hand sodass ich mich neben ihm fallen lassen konnte. Sofia steckte noch schnell alle Lichterketten ein und schmiss sich dann zwischen mich und Blake, schnappte sich den Teller mit den Zimtsternen und fing an zu mampfen. Als ich ihr einen Blick zuwarf, grinste sie mich an und gab mir ein High Five.
Maya legte sich so auf die Couch, dass sie ihren Kopf auf Georges Schoß platzieren konnte und erkämpfte sich die Fernbedienung aus den Händen des blonden Briten.
Maya schaltete das Gerät ein und in weniger als einer Minute lief auch schon der erste Weihnachtsfilm.

Nachdem "Der Polarexpress" durchgelaufen war, sprang Blake auf.
"Achtung an alle Passagiere! Wer von den Polarexpress Reisenden Durst hat, den darf ich jetzt bitten, sich zu melden!", zitierte er den Film. Sofia reckte blitzschnell ihre immer noch ziemlich kleine Hand nach oben und verlangte nach einem Kakao. George und Reece erhoben sich, um Butler Blake zu Hilfe zu kommen, da er die Mikrowelle nicht richtig bedienen konnte.

"Die drei nehmen Weihnachten im November ja ziemlich ernst!", lachte ich und sah Maya, die kopfüber von der Sofakante hing, an.
"Oh ja, du hättest sie mal letztes Jahr erleben sollen! Weil es nicht geschneit hat, haben sie fünf Tüten Fake-Schnee gekauft und diesen Raum in ihr eigenes Winter Wonderland verwandelt. Und wer durfte mithelfen, alles wieder wegzuräumen?"
Ihre weit aufgerissenen braunen Augen sagten mehr als tausend Worte und ich begann wieder zu lachen.

Erst jetzt entdeckte ich den Verlobungsring an einem ihrer Finger.

"Im Sommer hat er mir einen Antrag gemacht", antwortete Maya verträumt, als sie meinen Blick bemerkte und zwirbelte dabei eine rote Locke um ihren Finger.

Was ein Glück, hatte Cole mir im Sommer keinen Heiratsantrag gemacht. Ich hätte nie wieder mit nassen Haaren in seinem Auto sitzen können. Doch das war definitiv nicht das einzige, was mich wahnsinnig gemacht hätte.

In diesem Moment kamen die drei Jungs und Sofia wieder ins Wohnzimmer und verteilten heißen Kakao. Draußen war die Sonne schon vor einigen Stunden hinter den Wolken verschwunden und hattr der Nacht Platz gemacht.

Als der nächste Film auch zu Ende ging, stand ich auf und brachte Sofia in eins der Gästezimmer, bei denen ich mich fragte, wer sonst dort schlief. Meine kleine Schwester war schon ab der Hälfte von "Kevin allein zu Haus" eingeschlafen, nachdem Blakes Filmwunsch "Barbie in der Nussknacker" abgelehnt wurde.
Ich deckte das blonde Mädchen zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Sie lächelte im Schlaf

Als ich wieder zurückgekehrte in die Weihnachtshöhle, befanden sich nur noch Reece, George und Maya darin. George döste auf einem Pailletenkissen, das ich mir ziemlich unbequem vorstellte und hielt seine Freundin in den Armen. Maya Augen waren geschlossen, dennoch glaubte ich nicht, dass sie schon eingeschlafen war.

Mit Reece's Hand um meiner Schulter starrten wir auf den Fernsehbildschirm, auf dem der Abspann des Filmes, in dessen Hintergrund leise Glöckchenmusik dudelte.
Ich spürte Reece's warmen Atem gegen meine Wange schlagen und drehte meinen Kopf zu ihm. Die grünen Augen sahen müde aus, bis sein Blick meinen traf. Ein Grinsen bildete sich um seine Mundwinkel.

Seine Nase kringelte sich wie früher und mein Herz begann, Seil zu springen.

"Ich hab dich vermisst, Julie"
Seine warme Stimme klang hundertmal besser als das Abspanngedudel jemals klingen könnte.
"Ich dich auch."

Mein Kopf schmiegte sich wie von selbst an seine Schulter und ich schloss meine Augen. Reece legte seinen Kopf nieder und begann ruhig zu atmen, während seine Hände durch meine Haare strichen.

Und zum ersten Mal an diesem Tag konnte ich vergessen, was mein eigentlicher Grund war, hierherzukommen.







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Long time no see!

Seid ihr schon in Weihnachtsstimmung?

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