Kapitel 26
Wie benommen sprintete ich die Straßen entlang, mit jedem Schritt, den ich vor mich setzte wurde mir schlechter und schlechter.
Ich würgte und hielt am Straßenrand an um zu verschnaufen. Mein Kopf surrte, als befände sich ein Bienenstock in seinem Inneren und mein Herz klopfte wie Hölle.
Träge zog ich mein Handy aus der Hosentasche und tippte mit verschwitzten Fingern auf dem Display den Namen meiner Mutter ein. Jetzt setzten auch noch Kopfschmerzen ein und die Übelkeit nahm zu. Ich fühlte mich, als wolle das Mittagessen jeden Moment ohne Vorwahnung aus mir herausströmen.
Gerade so schaffte ich es, meiner Mutter meinen Standort zu senden, bevor mir das Handy aus der Hand rutschte und mit einem ungesunden Knacks über den Beton des Standstreifens schlitterte.
Als mir schwarz vor Augen wurde, dachte ich an den besten Sommer meines Lebens, der schon viel zu lange zurücklag.
***
"Hey Julie!"
Das Gesicht meiner Schwester schwebte über meinem als ich meine Augenlider mühselig aufschlug.
"Geht's dir wieder besser?", fragte Sofia und hielt vorsichtig ihre Zungenspitze an meine Stirn.
"Irgendwo hab ich mal gelesen, dass man so besser Fieber messen kann", erklärte sie mit geweiteten Augen.
Als ich versuchte, mich aufzurichten wurde mir sofort speiübel. Wie ein Blitz sprang ich von dem Bett auf, auf dem ich lag und rannte in Richtung Bad. Jede einzelne Mahlzeit des Tages inklusive Magensäfte landeten in der Kloschüssel. Schweißgebadet wischte ich mir über den Mund und hustete.
"Mein Gott was hast du gemacht Kind!", kam meine Mutter angesprintet und hielt mir die Haare hoch.
"Hast du getrunken? Was ist mit Cole?"
Mir war immer noch übel doch ich schüttelte mit dem Kopf so gut es ging.
"Einen Scheiß auf Cole!", schrie ich und beugte mich augenblicklich wieder über die Kloschüssel.
"Was ist denn passiert? Hat er dir was ins Trinken gemischt? Hat er dich verhauen? Hat er dich angefahren?"
Sofias Augen wurden mit jedem Satz größer.
"Hat er dich entführt, deine Arme gefesselt und dir einen Kotztrank verabreicht? Und dann hat er dich ausgesetzt, dem sicheren Tod geweiht", fantasierte sie und gestikulierte wild während sie ihre lächerliche Geschichte preisgab.
"Sofia das ist nicht witzig", sagte ich während ich mir den Bauch hielt. Im sekundentakt wurde mir schlecht und ich musste mich wieder übergeben.
"Ich rufe jetzt einen Krankenwagen. Das ist doch nicht normal!"
Während ich für ein paar Minuten nicht an die Kloschüssel gefesselt war, schleppte mich mein Vater auf die Couch und wählte die Nummer des Krankenhauses.
"Was nun? Hat Cole dir irgendwas angetan?"
Das Gesicht meiner Mutter war bleich vor Sorge während sie ihre Hand auf meine Stirn legte. Ihre Haare waren fast so nass geschwitzt wie meine.
"Ich hab Schluss gemacht."
Stille.
"Oh", gab mein Vater von sich und kniete sich zu mir.
"Na endlich", murmelte Sofia ganz leise und rollte mit den Augen.
"Ich konnte ihn eh nicht leiden."
***
Als ich meine Augen aufschlug, sah ich an eine weiße Krankenhausdecke.
Ich rollte mich auf die Seite und erblickte meine kleine Schwester wie sie auf einem dieser hässlichen bunten Plastikstühle saß und ein Bilderbuch, das definitiv nicht für ihr Alter gedacht war, las.
"Hey Mama, sie ist wach!", rief sie und hob ihren Kopf um mich anzusehen. Ihr langer geflochtener Zopf lag aufgelöst über ihrer Schulter.
"Wie geht's, Dornröschen? Ausgeschlafen?"
"Ha Ha Ha...", lachte ich ironisch und blinzelte mit den Augen. Langsam erinnerte ich mich wieder an alles was heute seltsames passiert war.
Bevor ich weiter nachdenken konnte klopfte es an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten trat ein Arzt mit gräulichem, fast schon nicht mehr existierendem Haar, in einem weißen Kittel gekleidet herein und nickte mir zu.
Meine Mutter stand auf und sah den Arzt, dessen Namensschild ihn als Dr. Peterson auswieß, erwartungsvoll an.
Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte er mich und zog ein Klemmbrett und einen Kuli aus seinem Kittel hervor.
"Wie alt sind sie?", fragte er in einem monotonen Tonfall.
"Dreiund... Vierundzwanzig", verbesserte ich mich und er schrieb es in einer Schrift, die wahrscheinlich niemand entziffern konnte auf einen Zettel.
"Okay", sagte er als er fertig war mit schreiben, "Wir haben etwas herausgefunden."
Meine Mutter kam zu mir und nahm meine Hand. "Gut oder schlecht?", fragte sie besorgt während sie mit ihrem Daumen über meinen Handrücken strich.
Der Arzt schnalzte kurz mit der Zunge und warf dann wieder einen schlauen Blick auf sein Klemmbrett.
"Das müssen Sie selbst beurteilen, denke ich."
Sein Blick wanderte wieder zu mir.
"Miss Derry."
Erwartungsvoll lagen alle Blicke auf ihm. Sogar Sofia hatte sich von ihrem Buch losreißen lassen.
"Sie sind schwanger!"
"Scheiße.", entwich es mir bevor mein Mund geräuschvoll zuklappte und in absehbarer Zeit nicht mehr geöffnet werden würde.
"Scheiße.", murmelte meine Mutter und sah mich mit geweiteten Augen an.
"OHA ich werde Tante!", jubelte Sofia bis sie bemerkte, dass das überhaupt keine Gute Nachricht war, denn es überrumpelte mich wie ein Tsunami.
Ich würde Mutter werden.
Mit einem Baby von Cole.
Scheiße.
Ein besseres Wort würde nie erfunden werden, um diese Situation zu beschreiben.
***
Nur wenige Monate später hatte ich mich endlich zusammengerafft und mich samt Sofia in mein Auto verfrachtet.
"Wieso muss ich nochmal mitkommen?", fragte sie und schloss die Autotür leise.
"Moralische Unterstützung, würde ich sagen. Du weißt ganz genau dass du von uns beiden die Hosen anhast!"
Sofia nickte wissend und schaltete das Radio an.
Sie hatte Recht. Etwas Musik würde mich hoffentlich etwas auflockern. Man sagt ja nicht alle Tage seinem Ex-Freund, dass man von ihm schwanger ist...
Meine Beine zerfielen zu Wackelpudding als ich die Treppe zu Coles Wohnung hinaufging, Sofia im Schlepptau. Im Gegensatz zu mir besaß er eine eigene Wohnung in einem der begehrtesten Viertel von Dublin. Mit der Hand strich ich über die Raufasertapete an der Wand im Treppenaufgang und sah nach oben.
"Nicht so ängstlich, Schwester! Er wird dich schon nicht umbringen!", versuchte Sofia much aufzumuntern und überholte mich. Drei Stufen nahm sie auf einmal und stolperte fast über ihre eigenen Schnürsenkel.
"Und falls doch, ich kann die Telefonnummer von der Polizei auswendig!"
Stolz ratterte sie die Nummer herunter als ich mich an ihr vorbeidrängelte um an die Klingel der polierten weißen Wohnungstür zu gelangen.
Zitternd drückte ich auf den Knopf und Hotline Bling von Drake dröhnte in voller Lautstärke aus der Wohnung. Der Vogel hatte sie echt nicht mehr alle.
Kurze Zeit später rumpelte etwas hinter der Tür und sie würde aufgestoßen. Zu meiner Überraschung war es aber nicht Cole.
"Cole ist leider gerade beschäftigt, sorry!"
Die junge Frau mit den langen hellblonden Haaren und dem verschmierten roten Lippenstift trug einen violetten Morgenmantel, sah mich mit Engelsblick an und klimpere mit den falschen Wimpern. An irgendjemanden erinnerte sie mich doch ich ich kam nicht drauf, an wen.
"Tja dann muss er wohl jetzt mal eine Pause einlegen denn wir haben was ultra wichtiges zu besprechen.", sagte Sofia laut und schob mich durch die Tür.
Mein Blick wanderte über die Frau, die mich mit abwertenden Blick ansah. Wie festgenagelt setzten sich meine Augen an ihrem Hals fest, an dem 3 riesengroße Kutzschflecken prangten.
"Sofia ich weiß nicht ob das so eine gute Idee...", fing ich an doch da stand ich schon im Flur der Wohnung, die nur spärlich beleuchtet war.
Aus der einzigen Tür, die offen stand, drang grauer Zigarettenrauch.
"Hi Cole. Wir wollen nicht lange hierbleiben, Julie hat dir was wichtiges zu sagen aber...
Was zur Hölle?", rief meine Schwester vorlaut in den Raum aus dem der Rauch kam und blieb darin wie angewurzelt stehen. Schnell folgte ich ihr.
Der Anblick verschlug mir die Sprache.
Cole lag eingebettet in Kuscheldecken und Kissen mit Fransen auf einem Gästebett. Seine Haare waren komplett kurzgeschoren und auf seiner Schulter und über seiner linken Augenbraue befanden sich zwei neue Tatoos.
Der Raum war in violettes Licht getaucht und Unterwäsche lag an allen vorstellbaren Orten verteilt.
Schnell hielt ich Sofia die Augen zu.
"Könntest du dir bitte was anziehen. Ich möchte das so schnell wie möglich hinter mich bringen.", sagte ich zu Cole gewand.
"Wenn du ihm was sagen willst, musst du es uns beiden sagen.", gab die Frau bei, die jetzt auch in dem Zimmer erschienen war.
"Wieso sollte sie das?", fragte Sofia vorlaut und streckte ihr die Zunge heraus.
"Weil Verlobte nur zusammen Entscheidungen treffen!"
Mit dem Fuß auf den Boden stampfend sah sie mich an. Ihre Augen sahen aus als würden wie gleich aus ihrem Schädel kullern.
Meine Kinnlade klappt herunter.
Cole hatte sich verlobt?
In der kurzen Zeit in der wir getrennt waren?
"Genau.", sagte Cole und nickte. Er machte keine Anstalten aufzustehen.
"Ich werde Monica im Winter heiraten. Sag es uns also beiden oder hau gefälligst wieder ab."
Ich schluckte einmal schwer und musste mich dabei an der Wand abstützen.
"Wirds bald?", fragte Monica und tippte ungeduldig auf dem Türrahmen herum. Provozierend nahm sie eine Zigarette aus der Tasche ihres Morgenmantels und zündete sie an. Sofia gab ich mein Halstuch, damit sie ihre Atemwege wenigstens ein bisschen vor dem giftigen Rauch schützen konnte.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah mich Cole an.
"Raste jetzt bitte nicht aus..", murmelte ich und hielt mir die Hand vor die Augen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er erfreut reagieren würde.
"Ach komm schon! Wie schlimm kanns denn bitte sein?", fragte Monica mir ihrer nervigen schrillen Stimme und zwirbelte sich eine blonde Haarsträhne um den Finger.
Ich räusperte mich.
"Also... keine Ahnung wie ich jetzt anfangen soll oder wie es zur Hölle nochmal passiert ist oder-"
Weiter kam ich nicht, denn Sofia drückte mich plötzlich zur seite und stellte sich direkt in die Mitte des Raumes.
"JULIE IST SCHWANGER!"
Ihre laute Stimme hatte man bestimmt noch in drei Stockwerken weiter unten verstanden.
Wie gestochen sprang Cole auf, zum Glück trug er Unterwäsche.
In einem Meer aus Flüchen, Schimpfwörtern und Beleidigungen, die niemand in seinem Leben gehört haben möchte, wurden ich und Sofia aus dem Raum gedrückt. Monica's hochroter Kopf sah aus, als würde er platzen und mitsamt ihres verrauchten Gehirnes auf den Boden fallen.
"ICH WILL DICH NIE WIEDER SEHEN!", brüllte Cole in 180 Dezibel direkt in meine Ohren. Ich nahm ein nerviges Piepen in meinem Gehörgang wahr, während er uns die Treppe hinunterscheuchte und ich fast über meine eigenen Füße stolperte.
"Wenn du noch ein einziges Mal hier aufkreuzt, dann bring ich dich um!", fauchte Monica als sie die Haustür hinter uns zuschlug.
Schweigend starrte ich Sofia an.
"Hätte schlimmer laufen können, hm? Aber Hey! Wir leben noch!"
Ich ging gar nicht auf die lustig gemeinte Anmerkung meiner kleinen Schwester ein.
Tränen stiegen mir in die Augen.
"Scheiße Sofia!", schluchzte ich und ließ die dicken Tränen an meinem Gesicht herunterrinnen
"Julie alles wird gut", kam sie auf mich zu und schloss ihre noch etwas kurzen Arme um mich.
"Nichts wird gut verdammt nochmal! Mein Baby wird ohne seinen leiblichen Vater aufwachsen!"
"So ein Arschloch wie Cole kann gar kein guter Vater sein!
Schade bloß, dass er nicht Reece ist. Der wäre der beste Vater auf der ganzen Welt, mal abgesehen von Papa..."
Erstaunt sag ich zu ihr herunter. Mein verschleierter Blick glitt über ihre funkelnden Augen und das Lächeln, dass eher gequält aussah.
Hatte ich ihr jemals erzählt, wie ich und Reece zusammengefunden hatten? Wie ich den großartigsten Jungen mit der bezauberndsten Stimme und den wunderbar weichsten Haaren der Welt kennengelernt hatte?
Konnte sie sich etwa an diesen fantastischen Sommer von vor 7 Jahren erinnern? So glasklar wie ich?
"Jetzt guck nicht wie so eine Kuh! So jemanden wie Reece vergesse ich doch nie im Leben! Weißt du nicht mehr, dass ich damals zweimal in zwei Wochen verloren gegangen bin und er derjenige war, der mich gefunden hat? Sowas prägt die Kindheit, Julie!"
Sofias Grinsen war jetzt echt.
Zwei Sommer hatte ich Reece gesehen, dann war er auf Tour gegangen. 2018 war ich ihn und seine Band in Newcastle besuchen gefahren. Doch Sofia war nie nocheinmal dabei gewesen.
Ich vermisste den Kontakt mit ihm, hatte ihn schon lange vorher vermisst, wollte es mir aber nicht eingestehen.
Seit drei Jahren, seit seine Band den vollen Durchbruch geschafft, die besten Sommerhits geschrieben hatten, und auf Welttournee gegangen waren, hatten wir nicht mehr geschrieben, geschweige denn telefoniert.
Ja.
Ich vermisste ihn sogar sehr.
Wieder traten mir die Tränen in die Augen.
Dann traf es mich wie der Blitz.
"Sofia?"
Sie sah den Geistesblitz in meinen Augen und wurde ganz aufgeregt.
"Soll ich die Idee gut finden, die du mir gleich preisgibst oder nicht?"
Ein Grinsen zog sich über mein Gesicht.
"Es ist wahrscheinlich eine furchtbar schreckliche Idee aber..."
"Leg los. Ich bin auf alles gefasst."
Ich nahm die Hand meiner Schwester und zog sie in mein Auto.
Sie schnallte ihren Gurt fest und sah mich erwartungsvoll an.
Ich startete den Motor und schaute Sofia an.
"Hast du Lust auf ein Abenteuer?"
_____________
Da bin ich wieder!
Schon vier Wochen sind vergangen, seit ich von meinem Roadtrip in Irland wiedergekommen bin. In der Zeit habe ich so unglaublich viele Eindrücke gesammelt, dass aus dieser Geschichte durchaus ein Reisetagebuch werden könnte! Aber das tue ich euch natürlich nicht an und starte wieder voll durch mit Motivation und Tatendrang, wovon ich in den letzten Wochen eher null hatte.
Hoffentlich habt ihr 'Serendipity' nicht völlig aus den Augen verloren.
Denn Julies Geschichte ist noch lange nicht vorbei.
♡
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