Kapitel 25

Juli 2023

"Jetzt halt doch endlich mal still, Sofia!", rief ich laut, während ich an den Haaren meiner Schwester zog. Zum hundertsten Mal in dieser Stunde versuchte ich, ihre langen blonden Locken zu einem französischen Zopf zu flechten.

"Am besten du lässt sie einfach offen", redete Mama auf mich ein und erleichtert erhob ich mich von dem extrem unbequemen gelben Hocker, der wahrscheinlich noch als Restbestand aus Mamas erster Wohnung übrig geblieben war.

Sofia schüttelte ihre Haare über Kopf und vollführte damit den besten 'Head Bang' des Jahrhunderts.
Lächelnd erinnerte ich mich an die Zeiten zurück, als meine kleine Schwester noch nicht mal richtig stehen konnte, wie besoffen durch das Haus stolzierte und einmal fast ein Loch in die Wand rannte, weil sie so schnell auf ihren Socken vorwärtsrutschte.
Das war jetzt schon fast 10 Jahr her, doch sie war immer noch das gleiche quirlige Mädchen geblieben, das jeder so schnell ins Herz geschlossen hatte.

"Hey Julie, dein Besuch ist da.", murmelte Sofia und zeigte aus dem Fenster. Ich warf ihr ein schnelles Lächeln zu, schnappte mir meine Jacke und lief aus der Tür.
"Bis nachher! Und lasst mir noch was von der Torte übrig!", verabschiedete ich mich und konnte dabei gerade so noch den frechen Blick meiner Schwester, der mir bedeutete, dass meine Bitte wohl nicht erfüllt werden würde.

***

Laute Motorengeräusche ertönten, als ein Wagen in unsere Einfahrt fuhr und auf dem Schotter zum stehen kam. Wie in einem Actionfilm dampfte das teure Auto, das Ähnlichkeiten mit dem Impala aus Supernatural hatte, ungesund.
Das Fenster wurde heruntergekurbelt und ein ursprünglich blonder Mann mit schwarzen Haaren streckte seinen Kopf heraus. Die dunkel getönte Sonnenbrille saß ihm wie angegossen auf der Nase und war farblich abgestimmt mit der Echtlederjacke, die lässig seinen muskulösen Körper in Szene setzte.

"Hey Baby", rief er und pustete Zigarettenqualm aus dem Fenster. Meine Nase rümpfend schüttelte ich den Kopf.

"Hör auf mich Baby zu nennen. Das darf nur Justin Bieber!"
Schnell zog ich noch meine Sandalen an und schlüpfte dann zu meinem Freund ins Auto.

"Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass du im Auto nicht rauchen sollst! Und sowieso! Das ist ekelhaft!", beschwerte ich mich und hielt mir die Nase zu, während ich mich mit der anderen Hand versuchte anzuschnallen.

Mit Vollspeed bretterte der Dunkelhaarige aus der Einfahrt, sodass ich es gerade noch schaffte, den Gurtverschluss in das Steckerteil zu befördern, bevor ich durch die Frontscheibe geschleudert wäre.

"Pass bloß auf, dass du den Sitz nicht nass machst!", ermahnte mich mein Freund und setzte seine Sonnenbrille ab. Die Grünen Augen leuchteten nicht, als er mich müde ansah.
Verdutzt betrachtete ich meine noch feuchten Haare, die in einem Pferdeschwanz hochgebunden waren.
Sofia hatte zu ihrem Geburtstag einen Pool bekommen, den wir heute Morgen erst aufgebaut und getestet hatten.

"Ich passe auf, versprochen."
Beide Augenbrauen hochziehend sah er mich an. "Hast du letztes Mal auch schon gesagt. Und letzten Endes musste ich die Polster sauber machen." Sein Blick wanderte von mir in den Frontspiegel. Er betrachtete seine hochgestylten Haare und fuhr ein paar Mal mit der Hand hindurch.

"Augen auf die Straße!", sagte ich laut und stieß ihm gegen die Schulter.
"Hey! Die Jacke war nicht billig!", maulte er und strich über den Stoff des Kleidungsstückes ohne die Augen auch nur ein einziges Mal auf die Fahrbahn zu lenken.

Verzweifelt seufzend ließ ich mich in den Sitz fallen.
"Denk an deine Haare!", fauchte mein Freund. Seine Augen weiteten sich dabei.
"Denk doch mal drüber nach, dir so einen coolen Bob schneiden zu lassen. So wie die Frau in dem Magazin, dass ich dir gestern gezeigt habe. Das sieht doch super heiß aus!"
Begeistert schaute er mich an doch ich blieb ein Stein.

"Ich mag meine Haare so wie sie jetzt sind.", antwortete ich.
Mit den Augen rollend konzentrierte sich der Dunkelhaarige wieder auf die Straße.
Nachdenklich strich ich meinen Pferdeschwanz über die Schulter nach vorne und ging mir mit den Fingerspitzen durch die braunen Haare, die sich an manchen Stellen etwas lockten.

"Hast du was dagegen?", fragte ich provozierend und schüttelte das restliche Wasser aus meinen langen Haaren.

"Hey spinnst du?", fauchte mein Freund und wischte mit schnellen Bewegungen die Wassertropfen vom Ledersitz.
"Wenn das nochmal passiert dann bezahlst du die neuen Bezüge! Und ich glaube kaum, dass das in deinem Budget liegt!"
Meine Kinnlade klappt herunter.
"Was soll das denn jetzt heißen?"
Meine Stimme ging hoch wie die eines Jungens im Stimmbruch.

"Ich meine ja nur. Millionär wird man durch Kellnern ja auch nicht jeden Tag, nicht war? Und mit den Studiengebühren will ich gar nicht anfangen. Ganz zu schweigen, dass du dir nicht mal eine eigene Wohnung leisten kannst." Ein etwas unsicheres Lächeln zog sich über sein Gesicht und mein Kopf wurde hochrot.

"Nur weil du alles bezahlt bekommst? Wenigstens tue ich etwas, damit ich mir mein Geld auch verdiene! Wo würde ich denn stehen, wenn ich alles in den Arsch geschoben bekommen würde?!", schrie ich empört und auch etwas zu laut.

"Shh, nicht so laut, ich hab das Fenster offen."
"Das ist alles was du dazu sagen kannst?", sagte ich nicht weniger beruhigt als noch vor zehn Sekunden.

"Beruhig dich, man."

Entrüstet schlug ich gegen das Armaturenbrett.

"Hey Hey Hey! Was ist denn los mit dir? Hab ich irgendwas falsch gemacht?"
Ich wunderte mich, dass meine Augen in ihren Höhlen blieben, als ich sie einmal im Uhrzeigersinn herumrollte.

"Ist das dein Scheißernst? Du willst dass ich aussehe, wie irgendsoein gephotoshopptes Model, kümmerst dich mehr um deine Jacke als darum, auf die Straße zu gucken und dann machst du dich auch noch über mein Gehalt lustig? Es tut mir Leid, dass ich nicht solche Eltern habe wie du, die mir alles geben, wenn ich nur mit den Wimpern klimper! Meine Eltern lassen mich nämlich noch zuhause wohnen, weil es Geldverschwendung wäre, eine Wohnung zu Mieten, wo wir doch nur zehn Minuten von der Uni weg wohnen! Ich darf dich ja nicht mal berühren, ohne dass ich von dir angemault werde! Was ist denn das für eine Beziehung? Und außerdem...", platzte es aus mit heraus, etwas, dass sich schon eine Weile angestaut hatte.

"Außerdem hast du meinen Geburtstag vergessen."

Mein Freund schwieg.

"Oh."
Kein einziges Mal blickte er zu mir.

"Das war's?" Ich schüttelte den Kopf. Wieso nochmal war ich mit Cole, der wirklich größten Diva die es in ganz Dublin gab, zusammengekommen?

"Ähm... wann hattest du denn Geburtstag?", fragte er und ich meinte, etwas Schuldbewusstsein in seiner Stimme zu hören, doch da könnt euch mich auch definitiv irren.

"HEUTE, VERDAMMT NOCHMAL!", brüllte ich. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er demnächst platzen.

"Dann Alles Gute..."

Stille.

"... nachträglich."

"Halt sofort an.", sagte ich ruhig und ließ das Fenster herunter um die dicke Luft heraus zu lassen.

Cole machte keine Anstalten, auch nur irgendwie das Auto zu entschleunigen.

"Halt an habe ich gesagt!"

Doch der Dunkelhaarige bretterte weiter mit vollem Tempo durch die Straßen von Dublin.

"Willst du uns etwa alle umbringen?"
Ich riss an seinem Oberarm und schüttelte ihn hin und her, als er, ohne zu gucken, über eine rote Ampel fuhr.

"COLE!"
Mein Schrei hallte nach und ich wurde in den Sitz gedrückt.

Cole beschleunigte immer weiter bis ich die vorbeifahrenden Autos nur noch als hellgraue und rosafarbenen Querstreifen an uns vorbeiblitzen sah.
Ein Blick in die knallgrünen, vor Wut strotzenden Augen meines durchgedrehten Freundes ließ mich erschaudern.

"Jetzt halt verdammt noch mal an, Arschloch!"

Als Cole ruckartig bremste, konnte ich meinen Kopf gerade so davor bewahren, auf das Armaturenbrett zu krachen.

"GEHT'S NOCH, COLE?", schrie ich aufgebracht und riss die Autotür auf, sobald ich die Klinke in die Hand bekam.
Ich stürmte heraus und stolperte fast auf den Streifen Wiese, der sich neben der Fahrbahn befand. Die Tür schlug ich so schnell wie möglich wieder zu und sah nur noch Cole durch das heruntergekurbelte Fenster, der benommen durch die Frontscheibe starrte.

"Ich laufe!", schrie ich ihn an und setzte mich in Bewegung. Cole machte keine Anstalten, loszufahren.

Nach einer Weile hörte ich einen Wagen neben mir in Schritttempo fahren.
"Was ist?", knurrte ich den Schwarzhaarigen an und mein Kopf blieb hochrot.

"Es tut mir Leid, Baby."

Entgeistert schaute ich Cole an.
Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein.

Langsam tappte ich auf Cole zu und lehnte mich durch das geöffnete Fenster auf seiner Seite hinein.
Erwartungsvoll zog er seine Augenbrauen hoch und kam meinem Gesicht näher.
Ich ergriff die Chance und verpasste ihm eine Backpfeiffe.

"Es ist aus mit uns, okay?"

Verwirrt hielt er seine Hand an seine errötete Wange.

"Achso und ich habe noch was vergessen.", sagte ich und verfolgte amüsiert Coles wirren Stimmungswechsel.

Schwungvoll warf ich meinen Pferdeschwanz über die Schulter und wrang ihn so aus, dass das restliche Chlorwasser nur so von Coles Echtlederjacke auf den Echtledersitz plätscherte.

Ohne ein weiteres Wort machte ich kehrt und ging nach Hause.
Das letzte was ich hörte, war ein leises Gesäusel aus dem Radio von Coles Auto.

"Ain't the way I wanna live but that's the way you got me fixed...", hörte ich aus den Boxen kommen und blieb wie angewurzelt stehen.








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