Kapitel 24

Am nächsten Morgen hatte ich ein ganz mulmiges Gefühl im Magen. Mein Koffer stand gepackt neben dem Schrank, das Keyboard befand sich in seiner Tasche und mein Rucksack wartete nur darauf, geschultert und mitgenommen zu werden.
Gähnend stand ich auf und schlurfte ins Bad, um mich fertig für das Flugzeug zu machen, das in weniger als 4 Stunden abgehoben sein würde.

Schon gestern Nacht hatte ich fertig gepackt, um früh morgens nichz in Stress zu versinken.
Ohnehin war ich ein einziges armseeliges Wrack.

Kurz nachdem ich gestern im Hotel angekommen war, hatte ich Reece geschrieben, dass wir abreisen würden.
Genau wie ich hatte er es vollkommen aus seinem Gehirn verbannt, dass das alles auch irgendwann ein Ende nehmen müsste.

Aber alles war irgendwann vorbei.
Doch dass es so bald sein würde, hatte ich komplett vergessen.

***

"Jetzt komm doch endlich du Faultier!", rief Sofia während sie mit den Armen einen Affen nachmachte. Irgendjemand sollte ihr demnächst beibringen, dass ein Faultier kein Affe ist.

"Aber wirklich, Julie. Wenn du weiter so rumtrödelst verpassen wie noch unseren Flieger!", sagte Mama und tippelte gehetzt von einem Fuß auf den anderen.
Allesamt warteten sie vor meiner Tür, bis ich endlich herausgetrottet kam.
Ich hatte meine Schuhe gestern ausversehen schon in den Koffer eingepackt und war jetzt zu faul, um ihn aufzumachen, alles durchzuwühlen und letztendlich doch nicht fündig zu werden.
Also warf ich mir die Hotelbadeschlappen an, die eigentlich nicht zum Mitnehmen gedacht waren und stiefelte schlecht gelaunt hinter meinen Eltern her aus dem Hotel.

"Ach komm schon, Miesepetra! Was ist denn los?"
Papa schaute mich fragend an während er meinen Koffer in das Mietauto hievte.
Ich grummelte nur und zog mein New Hope Club Basecap noch tiefer ins Gesicht.

Reece hatte versprochen, dass er mir auf jeden Fall Auf Wiedersehen sagen kommen wollte. Aber wann, erwähnte er nicht. Und das machte mich wahnsinnig.
Würde er zum Hotel kommen?
Woher wusste er, an welchem Flughafen wir abfliegen würden?
Würde er es überhaupt schaffen?
Hatte er mich vergessen?

Ehe ich mich noch weiter in meine Gedanken hineinknien konnte, drückte mich mein Vater in den Wagen und schloss die Tür. Sofia wurde auf ihrem Kindersitz festgeschnallt und der Motor startete.
Es war brühend heiß draußen sodass mir jede Bewegung die Schweißtropfen auf die Stirn trieb.
Wie viel hätte ich jetzt für eine kleine Runde im Hotelpool gegeben...

"Ju-hu-lieee mur ist wa-ha-harm!", nörgelte Sofia, deren Tshirt, auf dem der Kopf von Leonardo Dicaprio als Jack Dawson abgebildet war, ihr wie eine zweite Haut am Körper klebte.

"Winke unserem Hotel zu, Sofia. Den nächsten Pool sehen wir erst in 12 Stunden."
Ich seufzte und legte meinen Kopf mitsamt meinen verschwitzten Locken gegen die Kopflehne des Vordersitzes. Das Cap ließ meinen Kopf ein paar Zentimeter bevor ich gegen die Lehne stoßen konnte, in der Luft hängen.
Das war es also.
Auf Wiedersehen Hotel.
Auf Wiedersehen Rummelplatz.
Auf Wiedersehen geiler Pool.
Auf Wiedersehen wahnsinnige Erinnerungen.

Wir fuhren vorbei an dem Laden, in dem George das hellblaue Kleid ausgesucht hatte.
Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass die Verkäuferin tatsächlich dachte, wir seien Braut und Bräutigam.

Das Auto passierte eine Kreuzung, von der ein Straßenschild den Weg in Richtung Griffith-Observatory zeigte, und auf der anderen Seite in Richtung National History Museum.
Mir war zum Heulen zu Mute.

Wieso mussten wir jetzt schon fahren? Könnten wir nicht... ungefähr zehn Jahr länger bleiben?

***

Als unser Flug angesagt wurde, fingen meine Beine langsam an zu kribbeln und ich würde unruhig.
Verzweifelt schaute ich abwechselnd auf die Uhr und mich im Warteraum um.
"Erwartest du noch jemanden? Oder können wir los?", fragte Papa und tippte mit den Turnschuhen auf den Flughafenboden. Mit einer hochgezogenen Augenbraue schaute er mich an.

"Ehhhm... Ich denke... Wir können doch noch eine Weile warten, oder?"
Ich fühlte mich wie ein nervöser Waschlappen, getränkt in Schweiß, so aufgeregt, nervös und gleichzeitig verunsichert war ich.
Würde Reece kommen?
Er hatte mich doch nicht vergessen, oder doch?

"Geht ruhig schonmal vor. Ich werde gleich nachkommen...", sagte ich und mein Vater nickte.
"Pass bloß auf, dass du den Flug nicht verpasst. Ich hafte für nichts, Wenn du das Ticket stornieren musst!"
Er schnappte sich Sofia mitsamt ihrem Frozen-Rucksack und zusammen mit Mama stellten sie sich an der Schlange zur Sicherheitskontrolle an.

Je mehr Zeit verging desto nervöser wurde ich. Wenn Reece in zehn Minuten nicht anwesend sein würde, müsste ich mich ohne Verabschiedung vom Acker machen.
Die Zeiger der Uhr schienen immer schneller auf die 11 zuzuwandern.

"Julie wir müssen jetzt wirklich los.", rief meine Mutter von der anderen Seite der Sicherheitskontrolle.
"Der Flug geht in einer halben Stunde!"

Ich seufzte tief und blinzelte die Tränen weg. Ohne es wirklich zu wollen stellte ich mich an die Schlange an und legte meinen Rucksack auf das Gepäckband.
Ich konnte es nicht fassen.
Erst dachte ich, ich könnte Reece wieder vertrauen, und dann kam er doch nicht.
Machte er das mit Absicht? Hatte ich ihn falsch eingeschätzt?
Ich versuchte wirklich, mir ein schlechtes Bild von Reece zu machen um wenigstens ein bisschen des Trennungsschmerzes in die Luft zu pusten.
Aber es wollte einfach nicht klappen. Die Schmetterlinge, die in meinem Bauch auftauchten vertrieben jegliche schlechte Gedanken in Verbindung mit dem Jungen, dessen Nase sich so süß kringelte wenn er lächelte.

"Hallo Miss. Würden sie eventuell ihren Gürtel ablegen?", forderte mich der Mann an der Kontrolle auf, bevor ich durch diese Metalldetektorschleuse musste. Seufzend legte ich den Riemen aus hellem Kunstleder ab und trat einen Schritt auf sie Schleuse zu.






"JULIE!"

Ich wirbelte auf der Stelle herum als ich meinen Namen hörte. Die Stimme klang wie Musik in meinen Ohren und ich konnte nicht anders, als auf der Stelle kehrt zu machen und zu dem Jungen zu rennen, der sich mit gerecktem Hals in der Menschenmenge umsah. Seine dunkelblonden Haare waren verwuschelt und zwei Strähnen standen links und rechts ab.
Ich grinste als ich vor ihm stehen blieb und ihm um den Hals fiel.

"Oh Gott sei Dank! Ich dachte ich hätte dich verpasst!", sagte er, schlang seine Arme um mich und ich hob ein paar Zentimeter vom Boden ab.
In Momenten wie diesen wurde mir unser Größenunterschied erst wirklich bewusst.

"Du bist gerade rechtzeitig!", stieß ich dir Luft aus und sah Reece Tür ein die grünen Augen.
"Ich muss gleich los."
Reece's Blick schaltete von freudig auf betrübt und seine Augen wurden glasig.
"Ich... Ich weiß echt nicht, ob ich das hinbekomme mit dem Verabschieden.", sagte er seufzend und sah mich mit einem Hundeblick an.
"Wir können uns doch wiedersehen! Dublin und London sind doch nur...-"
"-600 Kilometer auseinander...", vervollständigte Reece meinen Satz.
"Und ein Meer."
"In der Tat."
Ich knibbelte an meinem Fingernagel und traute mich gar nicht, auf die Uhr zu gucken.

"Ich glaube... es wird Zeit.", murmelte ich nach einigen stillen Sekunden.
"Ach ja genau! Warte noch einen Moment!"
Reece setzte den Gitarrenkoffer, den er die ganze Zeit auf dem Rücken getragen hatte, ab und öffnete die Schnallen. Zum Vorschein kam ein weißer Bass, vollgeschrieben und bemalt mit kleinen Doodles.
Meine Augen würden größer, als ich das monströse Instrument begutachtete.

"Das ist unser Tour-Bass", sagte er. "Jedes Mal, wenn wir neue Songs schreiben, an neue Orte kommen oder neue Leute kennenlernen, schreiben oder malen wir unsere Lieblingserinnerung hier drauf. Damit wir nichts vergessen, verstehst du?"

Ich nickte und ein Lächeln verbreitete sich in meinem Gesicht.

"Hier zum Beispiel waren wir in Liverpool." Er zeigte auf das leicht verwischte Portät von John Lennon neben einer unordentlich gezeichneten 2017.
"Wegen den Beatles, du weißt schon. Und jetzt, wo wir in Los Angeles waren und wir uns Gedanken gemacht haben, was unsere Lieblingserinnerung war, da..."

Er kramte in seiner Jackentasche und zog einen Edding heraus, den er mir in die Hand drückte.

"Da ist uns aufgefallen, dass du das bist. Du bist unsere allerliebste Erinnerung."

Ich wurde rot wie eine Tomate und musste mich stark berherrschen, nicht loszuheulen.
"Oh wow! Was für eine Ehre!"
Ich zog die Kappe des Stiftes ab und setzte meine Unterschrift direkt neben den winzigen John Lennon. Ein Herzchen über dem i durfte natürlich nicht fehlen.

"Wir gehen nämlich ab Oktober auf Tour."

"Oh... das ist... schön."

"Ja... das ist es. Denke ich"

Die unangenehme Stille verbreitete sich wie die Pest zwischen uns bis Reece wieder das Wort ergriff.

"Aber du wirst doch immer bei uns sein.", flüsterte der süße Brite, wobei seine Stimme ein wenig zitterte.
V

erwirrt schaute ich ihn an.
Er verstand meinen Wink und nahm meine Hand und drückte sie gegen seine Brust.
"Genau hier"
"In deinem rechten Lungenflügel?", fragte ich und zog eine Augenbrauen hoch.
Reece bemerkte seinen Fehler und rutschte meine Hand ein Stück weiter an die Stelle, an der sich sein Herz befand.
Ich lächelte ihn an und wurde ein bisschen rot.

"JETZT KÜSS IHN DOCH ENDLICH!", hörte ich Sofias Stimme trotz der weiten Entfernung zu uns rüberschallen. Reece winkte kurz schüchtern meiner Familie zu, Dann wandte er sich mir zu

Stürmisch fiel ich ihm ein letztes Mal um den Hals und küsste ihn. Seine Hände umfassten meine Taille und er wirbelte mich einmal herum. Ich ging ihm mit meinen Fingern durch die Haare und verwuschelte sie dabei noch ein wenig mehr.
Er küsste mich noch einmal auf die Wange, dann ließ er mich ziehen.

"Auf Wiedersehen Julie Elisabeth Derry."

Ich umarmte den großen Jungen noch einmal und gab ihm einen Kuss auf die Lippen.
Eine klitzekleine Träne drückte sich aus meinem Auge und lief meine Wange herunter.

"Auf Wiedersehen Reece Jamie Bibby."

***

Ich wollte mich dafür schlagen, dass ich allen Ernstes gedacht hatte, ein Wiedersehen mit Reece würde den Abschied leichter machen.
Pustekuchen!

Mit Kopfhörern inklusive trauriger Musik in den Ohren, lehnte mein Kopf gegen das kalte Flugzeugfenster.
Sofia lag wie ein leerer Schwamm auf ihrem Sitz und schnarchte.

Wäre das hier ein Teenie-Drama dann würde in wenigen Minuten das Flugzeug abstürzen und die Protagonistin mitsamt ihres gebrochenen Herzen in den Tod reißen. Doch, so sehr ich es auch bedauerte, befand ich mich im richtigen Leben und nicht in einem dieser Bücher, von denen es Tausende mit der gleichen Storyline zu kaufen gab.


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Shawn Mendes hat ein neues Album rausgebracht, ich habe Tickets für seine Tour, bin fertig mit meinen Prüfungen und es ist schön warm draußen. Besser könnte die Woche gar nicht laufen!

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