Kapitel 21

"Leg' doch mal einen Zahn zu, du bist langsamer als Oma!", schrie Sofia und zog mich an der Hand vorwärts durch den Eingansbereich des 'Natural History Museum of Los Angeles'. Da meine kleine Schwester für heute die Aktivität aussuchen durfte, standen wir nun an einem regnerischen Montagmittag in einem Museum, voll mit Skeletten und ausgestopften Tieren.
Obwohl ich mich sonst so für Naturkunde interessierte und in der zweiten Klasse als totaler Fan mit Charles Darwin Tshirt durch die Schulflure gelaufen bin, konnten mich am diesem Tag selbst das nett lächelnde tote Opossum nicht aufheitern, das kopfüber von der Eingangstür hing.
Ich versuchte, meiner Familie nicht mit meiner schlechten Laune auf den Keks zu gehen. Und das klappte auch. Mama und Papa ließen sich nicht mal von ihrem klitschnass geregneten Selbst aus der Ruhe bringen und waren gerade dabei, den günstigsten Preis für ein Familienticket herauszusuchen.

"JULIE! EIN ECHTER ELEFANT!", kreischte Sofia auf, schlug die Hände vor die Augen und verkroch sich hinter mir. Leicht lachend zog ich das verängstigte Kind hervor und brachte ihr bei, dass der ausgestopfte Elefant, der eigentlich die Besucher willkommen heißen sollte, keineswegs echt war.

"Bis auf dich, mich, alle anderen Besucher und ein paar Kleintiere gibt es hier bestimmt nicht so viele andere lebendigen Wesen. Das verspreche ich dir!", beruhigte ich sie und zeigte demonstrierend um mich herum.

"Und was ist mit der großen Spinne, die gerade auf deine Schulter krabbelt?", fragte sie neugierig und deutete auf meinen Arm.
Laut quietschend fuhr ich hoch und schlug wild mit einer Hand auf meine linke Schulter. Dabei drehte ich mich im Kreis und mochte gar nicht daran denken, wie bekloppt ich jetzt aussehen musste.

Plötzlich prustete Sofia los. "Du glaubst wohl einer Vierjährigen!", lachte sie laut und hielt sich dabei den Bauch. Tränen traten aus ihren Augen und sie fiel fast um vor Lachen, sodass ich sie kurzerhand auf den Arm nahm.
"Mach sowas nie wieder!", sagte ich ernst, worauf sie verstummte.

Als wir in die riesige Halle gelassen wurden, vergrößerten sich Sofias Augen um Meilen und es sah fast so aus, als würden sie herausplumpsen, wenn sie nicht bald blinzelte.
Aber sie hatte Recht. Schon allein diese Halle war atemberaubend.

An der hohen Decke hingen dutzende Vögel in allen möglichen Farben, die in einer V-Formation herumbaumelten. Der riesige Elefant, der auf einem Podest stand, reckte seinen Rüssel in die Höhe und versprühte im Zwei-Minutentakt Wassertropfen, die auf den Köpfen der Besucher landeten.
Meine kleine Schwester wusste gar nicht, wo sie zuerst hingucken sollte, so viel gab es zu sehen.

"Wir gehen kurz eine Plan für den Rundgang holen. Wartet ihr hier?", fragte Papa während er seinen Geldbeutel aus dem Rucksack kramte.
Ich nickte nur und setzte mich zu Sofia, die an einem Steinbecken hockte in dem sich die buntesten Fische befanden.
'Fische streicheln erlaubt', wie es an einem der vielen Schildern hieß, ließ sie sich nicht zweimal sagen und hatte schon nach ein paar Sekunden die Hand im Wasser und berührte vorsichtig einen schimmernden Wels.
Ich vermutete, dass sie angeekelt ihre Hand wieder zurückziehen würde doch sie behielt sie im kühlen Nass.
Beeindruckt begutachtete sie jeden Fisch bis sie auf etwas anderes aufmerksam wurde.

"Julie! Guck mal da hinten!", rief sie aufgeregt und zog die Hand so schnell aus dem Wasser, dass es in alle Richtungen spritzte.
"Ich möchte unbedingt zu den vielen Dinos! Solche habe ich noch nie in echt gesehen!" Sie wischte sich das übrige Wasser an ihrem Jeansrock ab und stand von dem Becken, das jetzt anscheinend Nebensache geworden war auf und starrte gebannt in Richtung der Donisaurierausstellung.

Ehe ich ansetzten konnte, ihr zuzurufen dass wir noch auf Mama und Papa warten sollten, war sie auch schon losgeflitzt und aus meinem Sichtfeld.
Panisch raffte ich mich auf und rannte in Richtung Riesendino. Schnell tippte ich noch eine Textnachricht an meine Mutter, dass wir schonmal losgegangen sind. Das letzte was ich jetzt gebrauchen konnte, war, dass sich meine Eltern sorgen machten.

Die Ausstellung des Erdmittelalters war vollgestopft mit Kindern, die wahrscheinlich gerade einen Kindergartenausflug unternahmen. Wohin ich such guckte Du ich nur vierjährige Kinder, doch keines davon war Sofia. Noch etwas panischer als ohnehin schon suchte ich den Raum ab ohne auch nur einmal einen klaren Gedanken zu fassen.
Ein wahnsinniges Déjà-vu spielte sich in einem Kopf ab und ich konnte es einfach nicht fassen.
Schon zum zweiten Mal war uns Sofia in diesem Urlaub verloren gegangen.
Peinlich und lächerlich zugleich.

Um nicht die ganzen kleinen Kinder und großen dazugehörenden Erzieher umzurempeln, schlängelte ich mich durch die Personenmassen auf der Suche nach meiner kleinen Schwester.
Ich suchte bei den Dinos, ich suchte bei den Urzeitvögeln, ich suchte sogar bei den Dodos und Urpferden doch in keinem der Abteile konnte ich sie entdecken.

Nach einer guten halben Stunde ließ ich mich erschöpft auf eine Bank fallen. Sofia wäre durchaus in der Lage, einen Infoschalter zu finden und dort eine Durchsage machen zu lassen. Aber solange ein Tier nach dem anderen auf sie wartete um inspiziert zu werden, würde sie gar nicht erst auf die Idee kommen.

Verzweiflung machte sich breit. Wahrscheinlich wäre es doch besser gewesen, ich hätte meine Eltern eingeschaltet.

***

"Julie!", hörte ich eine hohe Stimme hinter meinem Rücken meinen Namen rufen. Mein Herz machte einen Hüpfer und ich drehte mich augenblicklich um, um in das grinsende Gesicht meiner kleinen Schwester zu schauen. Doch als mein Blick weiterwanderte hüpfte mein Herz erneut. Denn ich hatte mich schon mit dem Gedanken anfreunden müssen, diese Person, die Sofia auf dem Arm trug, nicht noch einmal wiederzusehen.

"Reece?", krächzte ich, denn mein Mund wurde schlagartig staubtrocken.
"Julie.", murmelte er und kam langsam auf mich zu.
"Was machst du hier und wieso hast du Sofia Huckepack?", hakte ich nach und hob meine Schwester von den Schultern des blondne Jungen.

"George hat sich gestern beim Fußballspielen den Knöchel verstaucht. Er liegt im Hotelbett und darf sich erstmal eine Weile nicht bewegen. Und Blake hatte heute Morgen eine Blinddarm Operation. Ihm ging es schon das ganze Wochenende ziemlich dreckig. Und deshalb habe ich ihn ins Krankenhaus gebracht, damit die sich dort darum kümmern können. Und auf dem Rückweg bin ich hier vorbei gekommen und da ich nicht zu weit weg fahren wollte, um immer noch in der Nähe von Blake zu sein, bin ich hergekommen um mir ein bisschen die Zeit zu vertreiben.
Und Sofia habe ich auf dem Weg zur Toilette entdeckt.", sagte er leise und schaute mich dabei nicht an.
Hatte er etwa Angst vor mir? Angst, dass ich ihm jetzt alle möglichen Beleidigungen an den Kopf werfen würde?

Eine Träne stieg mir in die Augen. Plötzlich machte mein Körper was er wollte und ging auf Reece zu und schlang meine Arme um seinen Körper. Ich merkte, wie verdutzt er war, doch sich langsam entspannte und seine Arme ebenfalls um meinen Körper legte und seine Hände langsam auf und ab bewegte.

"Es. Tut. Mir. Leid.", stotterte ich gegen seine Brust und sabberte dabei höchstwahrscheinlich ein bisschen.
"Wieso zur es dir Leid? Mir müsste es Leid tun! Ich habe dich schrecklich behandelt! Und dann bin ich auch noch ohne ein Wort woanders hingefahren!", sagte er schuldig und löste sich von mir.
"Ich wollte ja bei dir bleiben! Aber Joe hat uns einen weiteren Gig besorgt, am anderen Ende von Los Angeles! Und ich hatte einfach keine Ahnung, wie ich es dir sagen sollte, wo du doch jetzt weißt, wer wir sind! Du hättest uns behandelt wie andere Menschen hättest du es vorher gewusst! Ich hatte Angst, dass du denkst, wir wären ein paar verwöhnte Teenie Stars, die nichts im Leben auf die Reihe bekomm-"
Ich unterbrach Reece indem ich einen Finger auf seine Lippen legte. Sein Blick verriet mir, dass er komplett verwirrt war.
Verständlich.

"Reece. Die Tage mit euch waren wundervoll. Und auch wenn du mich sitzengelassen hast. Jetzt wo ich weiß, wieso du das getan hast, kann ich überhaupt nicht mehr wütend auf dich sein! Blake und George können sich glücklich schätzen, so einen tollen Freund wie dich zu haben und ich würde alles dafür geben, jemandem so wichtig zu sein, dass er für mich lügt. Keiner von uns trägt die Schuld. Alles. Ist. Gut."

Außer Puste atmete ich tief aus und wartete Reece's Reaktion ab. Er dachte über meine gesagten Worte nach, das sah ich in seinen Augen. Doch als diese schlagartig anfingen zu glänzten, wusste ich, was in ihm vorging.
"Alles ist gut?", fragte er und schaute mich noch ein wenig unsicher an.
"Alles.", antwortete ich.
Der zuckersüße Brite zog mich erneut in eine warme Umarmung und es fühlte sich so richtig an, in seinen Armen zu liegen. Eines dieser Gefühle, von denen man nicht möchte, dass sie jemals endeten.

"Julie, ich bin nicht hergekommen und euch beiden beim Kuscheln zuzugucken. Ich möchte mir die Tiere ansehen!", nörgelte Sofia und schaute mich vorwurfsvoll mit verschränkten Armen an.

Perplex löste ich mich von Reece und nickte Sofia zu. Diese lächelte daraufhin zufrieden und watschelte voran, diesmal langsamer, damit ich folgen konnte.
Reece, der natürlich mit uns mitkam, erzählte uns Geschichten von Piraten und Riesenkalmaren, als wir durch den Aquariumbereich des Museums liefen. Bei den Räumen, die daran folgten, war einer größer als der andere und von der Decke eines jeden hing mindestens ein ausgestopftes Riesenexemplar eines Meeresbewohners.
Reece wusste erstaunend viel über Meereslebewesen und wenn ich es mir Recht überlegte, würde er gar nicht mal schlecht als Biologielehrer in einer Grundschule taugen.
Zusammen mit Sofia spielte er mit bei den Spieln und Rätseln, die in bestimmten Abständen an den Wänden hingen und hob sie liebevoll hoch, wenn sie nicht richtig herankam.
Solche kleinen Sachen brachten mich innerlich immer wieder zum schmelzen.

***

"

Guckt mal wen wir aufgegabelt haben!", rief Sofia, die wieder einmal auf Reece's Schultern saß und meinen Eltern zuwinkte, mit denen wir uns am Ausgang getroffen hatten. Meine Mutter warf mir einen vielsagenden Blick zu, woraufhin ich Rot wurde.

"Willst du mit uns mit zurück kommen, Reece?", fragte Papa und lächelte den Jungen an.
"Nein danke, Mr. Derry. Ich muss noch einen Freund im Krankenhaus besuchen. Aber danke für das Angebot!", antwortete dieser höflich und zusammen machten wir uns auf den Weg zum Ausgang.

"Jetzt frag sie endlich!", raunte Sofia Reece zu als wir schon am Auto angekommen waren. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, was die beiden vorhin besprochen hatten.
Mein Blick schnellte zu Reece, dessen Hände die Farbe von Kalk angenommen hatten, so aufgeregt war er.

"Julie. Hast du vielleicht Lust... Nein. Möchtest du eventuell... Willst du...
Verdammt.
Möchtest du heute Abend mit mir essen gehen?", ratterte er herunter und atmete tief ein und aus.

Ich musste mein Grinsen zügeln sonst merkte er noch, dass ich mir diesen Moment wirklich mehr als einmal herbei gesehnt hatte.

"Mal überlegen...", sagte ich gespielt und schaute Reece provozierend an. Er wurde langsam unsicher.
"Also du musst nicht... ach man das war eine doofe Idee... du musst wirklich nicht wenn du nicht möchtest!"
Ich biss mir auf die Lippe und konnte gar nicht mehr aufhören zu grinsen.

"Spinnst du? Natürlich will ich mit dir essen gehen! Keine Frage!", rief ich glücklich und umarmte ihn erneut.
Überrascht hob er seinen Kopf und sah mir überglücklich in die Augen.
"Dann hole ich dich um 9 ab, okay?", schlug er hibbelig vor und ich konnte nicht anders als freudig zuzustimmen.

Endlich.

Endlich endlich endlich.





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*spongebob-erzähler-stimme*: Zehntausend Jahr später...

(Tut mir schrecklich Leid, falls dieses Kapitel nicht euren Vorstellungen oder so entspricht. Ich bin leider etwas unzufrieden aber es wird besser werden, versprochen!)

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