Kapitel 19

Als ich aufschreckte, knallte ich mit voller Wucht gegen die Steinwand. Erschrocken sah ich mich um.

Scheiße.

Es war stockfinster und ich hörte keinen einzigen Mucks von irgendwo und das machte mir Angst. Ich hievte mich von dem eiskalten Boden auf, stützte mich dabei an der Wand ab und strich mein Kleid so glatt wie es ging.
Ich hielt mir den Kopf, der brummte wie ein Bienenstock.
In Gedanken an den Traum, den ich gerade hatte, musste ich weinen. Es war ja auch zu schön gewesen, sich einfach so zu versöhnen ohne irgendwelche Komplikationen. Sowas passierte wohl doch nur im Traum.
Ich musste wohl während ich in Strömen geheult habe, eingeschlafen sein...

Verzweifelt fuhr ich mir mit der Hand durchs Gesicht und stöhnte auf. Dann fiel mir etwas ein.
Schnell setzte ich mich in Gang und rannte in den Saal, in dem Reece, Blake und George vorhin gespielt hatten. Wie lange war es her? Wie lange hatte ich da and die Wand gelehnt geschlafen? Mein Zeitgefühl war sowas von kaputt...

"Ach hallo Julie! Auch schon aufgewacht?", scherzte meine Mutter, als ich den Saal betrat. Die stand mit einem Müllbeutel in der Hand neben meiner Großtante und sammelte die bunten Luftschlangen vom Boden auf, die nach der Feier liegengeblieben waren. Sofia schlief hinter ihr auf einem roten Ohrensessel.

"Wie spät ist es?", fragte ich panisch und atmete schnell aus und ein. Mein Gehirn war noch halb im Schlafmodus, weshalb ich alles wie durch eine hellgraue Brille sah.

Mit hochgezogenen Augenbrauen schob meine Mutter den Ärmel ihres Boleros hoch und schaute auf die Uhr. Sie schien selbst etwas erschrocken, als sie mir die Uhrzeit sagte.

"Es ist 3 Uhr, Schatz. Könntest du vielleicht Sofia-"
"ES IST SCHON 3?", unterbrach ich sie mitten im Satz und ging mir mehr als verzweifelt durch die Haare. Auf der Stelle tippelnd machte ich mich selbst wahnsinnig.
"Wieso habt ihr mich nicht aufgeweckt? Ich habe alles verpasst!"

"Du hast so friedlich geschlafen und Aaron hat uns erzählt was passiert ist. Außerdem haben wir alles für dich gefilmt."

Schwer seufzend ließ ich mich auf die Kante der Bühne fallen und zog die Beine in den Schneidersitz. "Sind die Jungs schon weg?", setzte ich resigniert an und sah hoffnungslos zu meiner Mutter hoch.
Diese zuckte nur mit den Schultern. "Frag deine allwissenden Tante. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, in der Hochzeitsnacht sollte man das Paar eventuell nicht in ihrem Zimmer überraschen.", lachte sie und nahm einen Besen in die Hand, mit dem sie das Konfetti zusammenkehrte, das sich mit dem Dreck aller Schuhe auf dem Boden zusammengemischt hatte.

Ich raufte mir die Haare. Wenn ich jetzt nicht so niedergeschlagen wäre, hätte ich wahrscheinlich auch gelacht.

"Deine Jungs sind schon vor einer halben Ewigkeit zurückgefahren. Sie wollten noch irgendwas erledigen. Der Blonde hat gesagt, er wollte dir eine Nachricht auf's Handy schicken.", hörte ich Aarons Stimme von um die Ecke. Keine fünf Sekunden später kam er auch schon angeschlurft. Nicht ganz gerade und ein bisschen torkelnd machte er sich auf in meine Richtung.
"Hast du etwa getrunken?", fragte ich mit zusammengekniffenen Augen und musterte ihn von oben bis unten.
"Es war die Hochzeit meiner Eltern, okay? Ob ich jetzt trinke oder erst in vier Jahren, wenn's legal ist, ist doch eigentlich egal.", bemerkte er nur und ging dann nach draußen. Wasweißich was er in der Dreiuhrnachts-Kälte wollte.

Erleichtert, dass die drei Jungs nicht ohne ein einziges Wort abhauen würden, tastete ich meine Hosentaschen nach meinem Handy ab. Bis ich merkte, dass ich ja gar keine Hosen trug.
Mist.
Ich dachte nach. Hatte ich heute eine Tasche getragen? Hatte ich mein Handy überhaupt dabeigehabt?
Je mehr ich mich anstrengte, mich zu erinnern, desto weniger Informationen bekam ich aus meinem Gehirn rausgepresst.
Letztendlich kam ich zu dem Entschluss, dass ich mein Handy wohl auf dem Nachttisch im Hotel liegen gelassen hatte.

"Wie lange haben wir noch vor zu bleiben?", fragte ich vorsichtig meine Mutter, die gerade voll dabei war, alle Mülltüten auf einmal wegzubekommen.
"Wenn du mir helfen würdest, ginge es sehr viel schneller, Madame.", antwortete sie empört und zeigte mit einem Nicken in Richtung Kehrschaufel.
Seufzend richtete ich mich auf, nahm die Kehrschaufel und kehrte die Chipskrümel unter den Bierbänken weg, die in gefühlt tausend Reihen im Saal verteilt standen. Anschließend half ich noch, die gelben Müllbeutel raus in die riesengroße Abfalltonne zu werfen und das dreckige Geschirr abzuspülen.

"Wir wollen ja nicht, dass meine frischverheiratete Schwester morgen früh einen Heezkasper bekommt, wenn sie aufwacht und einen Berg Geschirr in ihrer Küche findet!", lachte Mama und warf den Spülschwamm quer durch die Küche in einen roten Eimer, der an der Türklinke hing.

Nimmst du deine Schwester, ich gehe schonmal deinem Vater holen. Der schläft glaube ich im Wohnzimmer.", sagte Mama mit einem Blick aufs Auto und schmiss mir die Autoschlüssel zu. Ich nahm die halbschlafende Sofia Huckepack und ging mit ihr zu unserem Wagen, der vor dem Haus geparkt war, öffnete die Tür und schnallte Sofia auf ihrem Kindersitz fest.
Ich könnte es mir auch einbilden aber in dem Auto roch es immer noch ein bisschen nach Reece. Den Duft eininhalierend, setzte ich mich auf den Beifahrersitz und schloss die Augen.
Ich konnte es kaum erwarten, endlich in meinem Bett zu liegen und diesen Abend vergessen zu können. Wohlmöglich würde ich mich sogar mit Reece aussprechen und wir könnten in den restlichen vier Tage noch ein bisschen Spaß zusammen haben.

Bei dem Gedanken wurde mir mulmig im Bauch. Noch vier Tage, dann würde ich die Drei nie wieder sehen. Die drei Jungs, die mir in nur zwei Wochen so wichtig geworden waren, die drei Jungs, die einer Durchstarter-Boyband angehörten und von wahrscheinlich tausenden Mädchen angehimmelt wurden.
Seufzend ließ ich mich in den Sitz sinken und versuchte, es meinem Gehirn zu verbieten, weiter über Reece nachzudenken.

***

Wie eine Wilde riss ich die Tür zu meinem Hotelzimmer auf, warf meine Jacke inklusive Schlüsselkarte auf die Kommode an der Wand. Ich beachtete gar nicht wo ich hintrat sondern hatte nur mein Handy auf dem Nachttisch im Auge. Über das Keyboard stolpernd, das unerklärlicher Weise direkt vor meinem Bett stand, warf ich mich auf den Teppich. Ich blieb gleich so liegen, griff nur mein Handy und schaltete es ein.

Ich wischte die Nachrichten weg, die in dem Moment unwichtig waren und war nur auf diese eine Nachricht von diesem einen Kontakt fokussiert. Aufgebraust öffnete ich den Chat mit Reece.
Gerade so konnte ich meine Kinnlade vom herunterfallen und auf dem Boden zerschellen bewahren.

Hey Julie
Ich hab Mist gebaut. Ziemlich viel Mist. Das fängt nur damit an, dass ich dich sitzen gelassen hab. Es tut mir unendlich doll Leid und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das wieder hinbiegen kann. Ich habe dich auch noch angelogen. Das mit der Band. Ich habe dir verdammt nochmal verschwiegen, dass wir in einer Band sind. Und nicht mal so unbekannt...
Weißt du, ich hatte Angst, dass du uns anders behandelst, wenn du es gewusst hättest.
Es tut mir Leid, Julie. Es tut mir so unendlich Leid. Und ich verstehe absolut, dass du mir jetzt nicht mehr vertraust. Ich würde mir selber nicht mehr vertrauen, wenn ich du wäre.
-R

Die Tränen stiegen mir in die Augen und ich wischte sie mir von der Nase, als sie an meinem Gesicht hinunterliefen. Wie im Fieber tippte ich eine Antwort ein das Nachrichtenfeld. Meine Finger flogen schneller über die Tatstatur, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.

Es war nicht nur seine Schuld. Es machte mich furchtbar traurig, dass er sich selbst nicht mehr vertraute und ich wollte ihn in diesem Moment einfach nur umarmen und ihm sagen, dass alles gut ist. Das war es doch, oder?

Doch die Nachricht kam nicht an und das einzelne Häkchen, das sich neben meiner abgeschickten Nachricht befand, blieb grau.
Ich sprang auf, warf mein Handy wieder aufs Bett und sprintete aus dem Zimmer, schneller als ich hereingekommen war. Ich hatte einen Entschluss gefasst: Ich würde es Reece persönlich sagen, schließlich wohnten wir ja nebeneinander. Alles würde ich erzählen, dass es mir Leid tut, dass es ihm nicht Leid zu tun braucht, dass ich mit den Jungs zusammen Spaß hatte. Und auch... dass ich etwas für ihn empfand.

Etwas, das ich vorher noch nie gespürt hatte.

Alles wollte ich rauslassen, egal wie komisch mir bei dem Gedanken wurde.

Die Tür hinter mir zuschlagend, schlitterte ich über dem Teppich und machte dabei wahrscheinlich einen Höllenlärm. Doch das war mir in diesen Sekunden egal.
Mit vollem Tempo bretterte ich durch den Gang vor der Tür, rammte dabei die ein oder andere Riesentopfpflanze, auf dem Weg zu Zimmer 162.

Wie ein Specht gegen einen Baum klopfte ich an die Tür und war mir sichtlich bewusst, wie das Holz darunter litt. Alles was ich wollte war mich mit den Jungs auszusprechen, damit ich mein schlechtes Gewissen ein für alle Mal aus meinem brummenden Kopf verbannen konnte.
Als nach ein paar ungeduldigen Momenten keiner öffnete, hämmerte ich erneut auf die Tür ein.

"WAS ZUR HÖLLE SOLL DAS WERDEN, WENN'S FERTIG IST? Sind sie einer dieser Teenager mit Agressionsproblemen, die aus Spaß andere Leute aus dem Schlaf klopfen? Wenn das so ist, dann lasse ich sie demnächst von der Hotelleitung aus dem Haus werfen! Ruhestörung heiß das! RUHESTÖRUNG!", schrie der schwarzhaarige, korpulente Mann mit Vollbart, der ohne Vorwahrung aus der Tür geplatzt kam und sie ein paar Augenblicke nachdem ich ihn fassungslos, mit dem Kopf schütteln angestarrt hatte, wieder zuknallte.

Mit offenem Mund stand ich vor der verriegelten Tür von Zimmer Nummer 162.

Ein Blick nach links verriet mir, dass ich mich definitiv nicht irren konnte.
Das hier war das richtige Zimmer.
Das, in dem die Jungs gewohnt hatten.

Ich torkelte rückwärts und kollidierte mit der Wand. An ihr ließ ich mich heruntersacken und hing im wahrsten Sinne des Wortes am Boden zerstört die ein elender Schluck Wasser auf dem Teppich.

Wie konnte dieser Tag nur so dermaßen ausarten, dass ich mir selber nicht mehr erklären konnte, wo oben und unten war...





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Das 19. Kapitel für Georges 19. Geburtstag
Happy Birthday! 🎉

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