Kapitel 12

"Kann ich reinkommen?"
Die tiefe Stimme meines Papas klang dumpf durch das dicke Holz der Tür.
"Warte kurz!", rief ich schnell und schloss die Tür auf.

Schon früh am Morgen waren wir zu meiner Tante gefahren, um uns dort zurecht zu machen. Bis zur Trauung in der Kirche war es noch ein wenig Zeit.
Reece machte sich gerade in dem anderen Gästezimmer fertig.

"Meine Kleine wird erwachsen."
Die Augen meines Papas waren ganz groß geworden, als er mein Spiegelbild in dem großen Wandspiegel betrachtete.
Ich strich ein paar meiner Locken nach vorne und grinste ihn durch den Spiegel an.
"Damit musst du nun wohl oder übel klarkommen. Jünger als jetzt werde ich jedenfalls nicht mehr."
Er lächelte.

"Kannst du mal eben Lena holen, damit sie mich schminken kann?", fragte ich Papa nach einer Weile, in der wir uns gegenseitig angegrinst hatten.
"Damit du nur noch älter aussiehst als jetzt? Kannst du vergessen!", antwortete er ironisch. Empört stemmte ich die Hände in die Hüften.
"Das kannst du zu Oma sagen aber doch nicht zu deiner 17 jährigen Tochter!"
Wieder fing Papa an zu lachen. "Fast 18...", murmelte er und strich mir nochmal über die Haare.
Mit den Augen rollend schob ich ihn aus dem Zimmer.
"Kannst du jetzt bitte Lena holen?", sagte ich ungeduldig und tippte mit dem nackten Fuß auf das helle Parkett. Papa seufzte und quetschte sich durch die schmale Türspalte, anstatt die Tür zu öffnen.
"Papa!", rief ich lachend als ich sein Auge durch den Türschlitz linsen sah, als ich wieder in den Spiegel schaute.
Ich vernahm ein Rascheln und ein leises Stöhnen von außerhalb des Zimmers, was bedeutete, dass mein Papa sich so eben erhoben hatte um meiner Anweisung zu folgen.

"Und wieso kann Madame nicht selber gehen?", hörte ich Papa mehr zu sich selber flüstern.
"Papa!", rief ich laut. "Das habe ich gehört!"

Ein paar Minuten später kam meine große Cousine Lena in das Gästezimmer, um mein Make Up zu machen, da ich in sowas echt unbegabt war.
"Da wäre ich. Und was ist ihr nächster Wunsch, Madame?", fragte sie grinsend, warf sich die roten Haare über die Schulter und machte einen Knicks.
"Haha sehr witzig." Ich schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Ah ich sehe schon." Lena schob mir einen Hocker hin und setzte sich selber auf einen der guten Esszimmerszühle dahinter.
"An deinen Augenbrauen muss definitv was gemacht werden!"
Während sie den Make Up Koffer herauskramte, verschränkte ich die Arme vor der Brust.

"Hey!", rief ich nicht ganz leise und kniff die Augen zusammen.
"Hast Recht. An deinen Augen muss auch dringend was getan werden!"
Ganz entrüstet blickte ich Lena an.
Als sie ihren Kopf hob, um mich anzuschauen, brach sie in Lachen aus.
"Man sei doch nicht so empfindlich!", lachte sie und steckte mich damit an.
"Wir verbessern nur das, was sowieso schon schön ist an dir!"
Zufrieden nickte ich während sie mich auf den kleinen Hocker herunterdrückte und mich zu sich umdrehte.
"Da müssen wir erstmal was finden...", sagte sie und musterte mein Gesicht. Ganz empört boxte ich sie gegen die Schulter und wieder musste sie lachen.
"Man Julie! Ich mach doch nur Witze! Kennst du mich denn so wenig?"
Ich schmunzelte.
Nein, ganz im Gegenteil. Meine große Cousine war wie die Schwester gewesen, die ich erst so viel später bekommen hatte, als ich erwartet hatte. Sofia war immerhin 14 Jahre jünger als ich.

"Los! Wir müssen uns ein bisschen beeilen!", sagte ich und tippte mir den Füßen auf den Boden. Sie nickte und holte Concealer und einen Beauty Blender aus ihrer Tasche.

Und dann fing sie an mich zu verwandeln. Von der Hälfte der Sachen, die sie benutzte, hatte ich noch nie etwas gehört, aber ich ließ sie einfach machen.

Nach einer gefühlten Stunde holte sie eine Packung falsche Wimpern aus der Makeupbeutel.
"Halt!", rief ich und hielt die Hände vor. "Keine falschen Wimpern!"
Alarmiert schüttelte ich den Kopf.
Make Up war eine tolle Sache, aber nur, wenn man nicht aussah wie Barbie höchstpersönlich. Und meiner Meinung nach trugen Fake Wimpern eine Menge zum Barbie Aussehen bei.

Lena nickte nur und legte die Packung mit den Wimpern zur Seite.
"Hast ja Recht. Sonst würdest du noch besser aussehen als die Braut!"
"LENA!", rief ich und riss die Augen auf.
"Wie gesagt, ich mache nur Witze!", sagte sie lachend und hielt die Hände in die Luft.

Ich ließ sie weiter machen und als sie die Verpackung der Wimperntusche weg legte, seufzte sie erleichtert.
"Na das sieht doch gar nicht mal so schlecht aus!", sagte sie zufrieden und drehte meinen Hocker zum Spiegel um.

Ich blickte in ein definitiv frischer aussehendes Gesicht, das wohl mir gehörte. Als ich näher heran ging, bemerkte ich den perfekten Lidstrich und den super schönen und eleganten Lidschatten auf meinen Augenlidern. Das Braun und das Schwarz waren eine super Ergänzung zu meinen dunklen Haaren und setzten sich in Kontrast zum hellblauen Kleid.

Ich fiel Lena, die zurückgelehnt und befriedigt lächelnd auf dem Stuhl saß und mich durch den Spiegel musterte, um den Hals und bedankte mich.
"Geht schon klar, kleine Cousine!"

Jetzt war ich es, die Lena die Haare machte, da sie das überhaupt nicht konnte und ich als "Das Flechtass" der Familie Derry bekannt war. Während ich ihr einen Wasserfallzopf in ihre leicht gewellte rote Mähne flocht, machte sie sich ihr eigenes Make Up.

"Ach, die Damen sind dann auch mal fertig geworden!" Mein Vater applaudierte ironisch lächelnd, als wir die Tür schlossen und die Treppe hinuntergingen. Auf dem Weg trafen wir auf Aaron, der in seinem Anzug steckte und sich konstant durch die Haare ging, um seine Locken zu bändigen. Hinter ihm kamen im Entenmarsch die Zwillinge gelaufen, die in ihren rosa Blumenmädchenkleidern, bis auf die unterschiedliche Augenfarbe, exakt gleich aussahen.

Durch das Treppengeländer sah ich Reece am Ende der Treppe stehen, wie er am Ärmel seines Hemdes herumfrimelte. Ich lächelte von einem Ohr bis zum anderen und mein Herz begann schnell zu klopfen. Verwirrt schaute ich an meinem Körper herunter. Was ging denn jetzt ab?
Reece's Kopf schnellte in die Höhe, als wir uns in Gang setzten und die Treppe herunterschritten. Lena hatte es dabei definitiv schwerer als ich, da sie in ihren schwarzen High Heels steckte wobei ich nur weiße Ballerinas trug.

Die grünen Augen des Briten trafen in genau dem Moment meine, als ich die erste Treppenstufe heruntertrat.
Ich war so benebelt, dass ich im nächsten Moment gleich drei Treppenstufen aufeinmal nahm und damit, da ich bei Lena eingehakt war, gleich meine Cousine, die schon genug Probleme mit ihren Schuhen hatte, die halbe Treppe mit herunterzog.

Es rumpelte als wir mit den Schuhen die Treppe herunterratterten und für die paar kurzen Sekunden hielten alle erschrocken den Atem an.
Als wir uns wieder gefangen hatten, lächelte ich Lena nur entschuldigend an bis mein Blick wieder zu Reece schnellte, der sich auf die Lippe biss, um sich ein Lachen zu verkneifen.

Harvey, Lenas Freund, stand neben ihm und sah so aus, als würde sein Kopf gleich explodieren, so doll versuchte er, nicht gleich loszuprusten.
Mein Papa, der das Ende der Jungsreihe bildete, boxte Harvey mit dem Ellenbogen leicht in die Seite und sofort lockerte sich sein Gesicht wieder.
Reece tat das auch und wieder weilten seine schönen Augen auf mir.
Jetzt war es Harvey, der Reece in die Seite stach und ihm irgendetwas zuflüsterte, woraufhin er nickte und vor sich hin lächelte und ein bisschen Rot wurde.

Er war schon ziemlich ziemlich niedlich.

Endlich einigermaßen heil unten angekommen, wurde Lena erstmal von ihrem Freund umarmt und abgeknutscht. Amelia und Elisa verzogen bei dem Anblick angeekelt das Gesicht und machten Würgegeräusche.
Ich lächelte nur breit und sah Aaron, wie er sich von mir wegdrehte, die Arme um sich selber schlang, sich über den Rücken strich und dabei schmatzende Geräusche von sich gab.
Als er mich wieder anschaute, deutete er mit einem Augenzwinkern und einem Knopfnicken in Richtung Reece und schaute dann wieder zu mir. Entgeistert schaute ich meinen Cousin an.

Obwohl er fast genauso alt war wie ich, war er definitiv etwas zurückgeblieben. Ein 14 jähriger im Körper eines 17 jährigen, könnte man sagen.
Kopfschüttelnd drehte ich mich zu Reece und schmunzelte ihn an.

"Du siehst toll aus!", flüsterte er mir ins Ohr, während unserer Umarmung.
"Wieso flüstert Du?"
Reece lächelte etwas peinlich berührt und schaute zu Harvey rüber.
"Der hier wollte mir grade ein paar Beziehungstipps geben. Ich will nur nicht, dass er noch mehr mitkriegt, als er soll..."
Für einen kurzen Moment setzte mein Herzschlag aus, dann musste ich laut Lachen.
Reece stimmte ein und wir bekamen dadurch nur verwirrte Blicke von den Erwachsenen ab.
Immer wenn Reece lachte, bildeten sich kleine Kringel auf seiner Nase, was echt richtig süß aussah. Insgesamt war seine Nase richtig niedlich, wie so eine Stupsnase von Disney Figuren.
War es seltsam, dass mir sowas auffiel?

Wir machten uns auf den Weg nach draußen und zur Kirche. Sofia und Mama warteten schon auf dem Parkplatz vor dem Haus.
Sofia hatte viele kleine süße Löckchen, die an den Seiten nach Hinten geflochten waren und trug ein rotes Kleid mit einem aufgepufften Rock und Ballerinas. In der Hand hielt sie einen Korb, der mal voller rosa Blütenblätter gewesen sein musste, da Amelia und Elisa auch einen von denen trugen.

"Sofia hat vorhin schon alle Blüten im Flur verteilt.", lachte Mama und strich ihrer jüngeren Tochter über den Kopf.
Entrüstet schaute Sofia Mama in die Augen und schnaubte.
"Ich hab's dir doch schon fünf Mal erzählt! Ich wollte doch nur üben!"
Die Kleine stampfte mit dem Fuß auf den Gehwegboden und atmete laut aus.

"Na husch husch! Die Zeremonie geht bald los!", rief Papa und näherte ich unserem Auto. Er schob Reece von hinten an und weil dieser hinter mir stand, wurden wir hintereinander ins Auto gepresst.
Reece lächelte mich breit an und wieder war ich kurz davor, mich in seinen grünen leuchtenden Augen zu verlieren. Verträumt sah er mich an und mindestens genauso verträumt schaute ich zurück.
Papa räusperte sich, quetschte sich an mir vorbei und ließ sich auf den mittigen Rücksitz, direkt zwischen uns beide fallen.
Ich stöhnte und rollte mit den Augen.

Immer wieder schmunzelte ich, da mein Papa versuchte, Reece während der kurzen Fahrt immer wieder in irgendein random Gespräch zu verwickeln.
"Und? Gehst du noch zur Schule?", fragte Papa und ich wurde ganz Ohr. Das interessierte mich jetzt aber echt ein bisschen.
"Nein.", sagte Reece nur und ich merkte, dass ihm das Thema etwas unangenehm war.
"Was machst du dann?"
Reeces Blick wanderte ein paar Mal durch das Auto bis er antwortete.
"Ich mache Musik."
"Als Job?", fragte mein Vater und zog eine Augenraue hoch.
"Nicht direkt, aber ich-"
"Das heißt, du suchst noch einen Job. In meiner Firma haben wir noch ein paar Plätze frei, wie wär's denn wenn du da anfängst?", unterbrach Papa Reece mitten im Satz.

Dieser warf mir einen hilfesuchenden Blick zu aber ich zuckte nur belustigt mit den Schulter.
"Nein Danke, Mr. Derry. Ich bin mehr als zufrieden mit dem, was ich zurzeit mache."
Papa schwieg. Er hatte bestimmt nicht erwartet, dass Reece so höflich ablehnte.

Immer noch lächelnd lehnte ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe.

Reece war echt ein toller Junge.

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Ich hoffe ihr hattet schöne Ferien und seid gut in 2018 gerutscht!
Meine Winterferien beginnen in einem Monat dann auch schon wieder, was ich echt gebrauchen kann, da ich bald Prüfungen schreiben muss.

Schönen Januar :) ♡

Ps: ich habe gerade ein paar Probleme mit wattpad. Irgendwie werden die Kapitel nicht richtig veröffentlicht und ich bekomme auch keine Benachrichtigungen oder so. Ich hoffe das nächste Kapitel kann wieder ordentlich gepostet werden :)

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