9 | maladroit
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m a l a d r o i t
november 2012
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Allison || Um kurz vor vier an diesem grausamen Montag, der nicht ganz so furchtbar war wie andere, ertönt die Klingel unseres Hauses. Der Ton ist durchdringend, piept in meinen Ohren, und am liebsten hätte ich mich in meinem Zimmer versteckt, doch meine Mum macht mir einen Strich durch die Rechnung, indem sie nichtsahnend die Haustür öffnet.
„Allison. Du hast Besuch", schallt ihre helle Stimme durch das Haus, was für uns allen an manchen Tagen viel zu klein ist.
Heute wirkt es besonders beengt und in Mangel eines Fluchtwegs bleibt mir nichts anderes über, als die Treppe herunter zu stapfen. Ich gehe langsam, setze die Füße bedacht voreinander, im gleichen Rhythmus klopfen sie auf die Holzstufen und überspringen die vorletzte, die ganze Geheimnisse verraten kann. Schließlich kann ich mein Erscheinen nicht ohne triftigen Grund weiter hinauszögern, weswegen ich mich schließlich nach einem tiefen Atemzug in den Hausflur wage.
Dort steht Harry Styles bereits vollkommen in einer Winterjacke gehüllt und unterhält sich mit meiner Mutter, als würden sie sich bereits ein Leben lang kennen. Eine Bekanntheit seiner Größe sollte in diesem Hausflur wahrscheinlich völlig fehl am Platz wirken, aber Harry verhält sich so als wäre es der normalste Ort der Welt für ihn.
Ich räuspere mich und winke einmal unsicher. „Hey."
„Hey, Al", begrüßt Harry mich. Ich kann dabei zu sehen, wie seine Mundwinkel sich langsam heben und er schließlich ein strahlendes Lächeln auf den Lippen trägt. „Schön dich zu sehen."
„Ja, finde ich auch", murmele ich mit roten Wangen und binde mir schnell den Oversizeschal um, um von meiner Gesichtsfarbe abzulenken. „Wollen wir dann los, Harry?"
Er verspricht meiner Mutter, dass er mich definitiv rechtzeitig wieder zurückbringen wird, was meiner Mum ein Lächeln entlockt und mir ein eindeutiges Augenrollen. Dann öffne ich die Tür und trete vor ihm über die Schwelle in das kalte Novemberwetter heraus. Die Luft riecht nach Winter, doch glücklicherweise ist es zumindest trocken, weswegen ich den Schirm zurück in den Flur werfe.
„Den räumst du später weg, Allison", ermahnt meine Mum mich.
„Ja, sicher."
Dann fliegt die Tür ins Schloss und ich stehe alleine mit Harry in der Freiheit des Universums, das ungewohnt und doch gleichzeitig so unwahrscheinlich vertraut wirkt.
Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich verzweifelt nach Worten suche. Ich liebe die Stille, doch angespannte Ruhe ist das Schlimmste für mich.
„Weißt du den Weg zur Bahn noch?", frage ich also hastig, um bloß direkt ein Gesprächsthema zu finden.
„Wahrscheinlich nicht", meint Harry achselzuckend. „Aber ich bin mit dem Auto hier."
Ich schnaube, bis mir auffällt, dass er überhaupt gar keinen Witz gemacht hat. „Mit dem – Natürlich hast du ein Auto. Das sollte mich wahrscheinlich nicht wundern."
Harry lacht leise und mir kommt der Gedanke, dass er ein wirklich schönes Lachen hat. Ein wenig wie die ersten Zeilen eines Lieblingslieds, wenn man es zum ersten Mal hört.
„Falls dich das beruhigt, solange habe ich den Führerschein jetzt auch noch nicht, Al."
„Der Führerschein wundert mich weniger, sondern eher das Auto überhaupt", entgegne ich. „Ich bin eher an Seth und seine Freunde gewöhnt, die noch jahrelang für ihr erstes Auto sparen müssen."
Ich passe meine Schritte den seinen an, während Harry mich durch die Straße führt, die ich besser kenne als jede andere und ich neugierig nach einem Wagen Ausschau halte, den ich bisher noch nie im Leben gesehen habe. Doch das hier ist Manchester, selbst in den ruhigeren Vororten begegnen mir unzählige unbekannte Fahrzeuge, weswegen ich schließlich aufgebe und meiner Ungeduld den Sieg einräumen muss.
Harry fährt sich durch die Locken, die einen Augenblick später ohnehin wieder in ihren Ausgangspunkt zurückfallen, als wären sie seinen Kampf gewöhnt und hätten bereits Widerstand entwickelt. „Wir können auch mit der Bahn fahren, wenn dir das lieber ist, Al", murmelt Harry zögerlich.
„Nein, auf keinen Fall. Ich wollte immer schon einmal einen eigenen Chauffeur haben", grinse ich, woraufhin ich meine, ihn erleichtert Luft einsaugen zu hören. Vielleicht ist daran aber auch die Novemberkälte Schuld, die mit unseren Lungen kämpft und die Kühle gewinnen lassen will.
Harry Styles ist wie ein Buch voller kompletter Seiten, die ich noch vorsichtig voneinander lösen muss, damit ich den Inhalt verstehen kann. Dabei darf ich nicht zu hastig ziehen, weil sonst die Worte reißen und mich für immer im Dunkeln zurücklassen werden.
„Wie war die Schule?" Fragend sieht er mich an, während wir weiter den Gehweg entlangschreiten, vorbei an einer Reihe Fahrzeuge, von denen jedes seines sein könnte, ohne dass ich es überhaupt merken könnte.
„Schule eben. Nie besonders spannend. Ich wette, dein Tag war aufregender", murmele ich.
Harry schüttelt grinsend den Kopf. „Nein, meiner ist wahrscheinlich noch ereignisloser gewesen. Ich habe ihn alleine im Bett verbracht und mir die Zeit mit Filmen totgeschlagen."
„Eindeutig spannender als Mathe", entgegne ich überzeugt und schnappe nach Atem, als er mit dem Schlüssel die Türen eines schwarzen Sportwagens entriegelt.
„Das ist dein Wagen?", strahle ich.
Harry beißt sich auf die Unterlippe. „Ja."
„Ich liebe ihn." Begeistert hüpfe ich auf den Beifahrersitz und sehe entschuldigend zu Harry herüber, als er deutlich langsamer ebenfalls einsteigt. „Sorry, aber ich bin totaler Porschefan."
„Dann bin ich ja beruhigt, Al." Sein Lachen schwingt durch das Innere, um dann an den Fenstern anzustoßen und schließlich in der Luft zu verschwinden. „Ich mag den Wagen übrigens auch."
Vorsichtig streiche ich über das Armaturenbrett, das im Gegensatz zu unserer Familienkutsche glänzend den Sternen Konkurrenz machen könnte. Es fühlt sich so edel unter meinen Fingerspitzen an, dass ich Angst habe, etwas zu zerstören.
Harry jedoch teilt meine Sorgen nicht im Geringsten, sondern startet bloß röhrend den Motor, bevor er seinen Wagen geschickt aus der Parklücke fädelt und sich in den Verkehr einordnet.
„Weißt du, wir könnten stundenlang einfach nur mit diesem Auto fahren und ich hätte den besten Tag überhaupt", lächele ich, während ich kurz die Augen schließe und das Brummen des Motors unter meinen Füßen zu fühlen versuche.
Seine Mundwinkel zucken amüsiert nach oben. „Ein anderes Mal gerne. Aber heute haben wir andere Pläne."
Damit bringt Harry mich direkt auf andere Gedanken, denn seit unserem Telefongespräch gestern Abend habe ich nicht aufhören können, darüber nachzugrübeln, was genau er mit mir unternehmen will.
„Was für Pläne?"
Harry umgeht meine Frage gekonnt, in dem er in Richtung des Radios nickt. „Willst du die Musik aussuchen, Al?"
Damit hat er mich unbewusst mit einem der wenigen Dinge gekontert, die meine Neugierde übertreffen können. Andere Leute hören Musik, ich atme sie mit jeder Faser meines Körpers.
„Ich habe hinten übrigens noch die Jogginghose deines Bruders. Die gebe ich dir später mit", erzählt Harry mir, während wir durch die Straßen Manchesters fahren.
Meine Finger suchen immer noch nach einem Lied, das meinen Ansprüchen genügt. Immer wieder drehen sie leicht manuell am Senderwechsel, lassen die Frequenzen an uns vorbeirauschen, bis endlich ein Ton ertönt, der mein Herz kurz schneller klopfen lässt. Zufrieden lasse ich mich in den Ledersitz zurückfallen.
„Ich glaube nicht, dass Seth die Hose vermisst."
„Ich gebe sie ihm trotzdem zurück. Vielleicht mag er die ja gerne", erwidert Harry, während er das Auto Richtung Westen steuert. „Ich würde auf meine Lieblingsjogginghose nicht verzichten wollen."
Ich grinse. „Du hast eine Lieblingsjogginghose?"
„Du etwas nicht, Al?" Harry sieht mich gespielt entsetzt an, woraufhin wir beide anfangen müssen zu lachen.
„Nein, ich habe keine", antworte ich, als wir uns wieder beruhigt haben. „Solange sie bequem ist, beschwere ich mich nicht."
Harrys Daumen trommelt leise die Melodie des Liedes mit, so sanft, dass ich glaube, dass er es nicht einmal bewusst macht. Die Bewegung kommt aus seinem Inneren heraus, als würde die Musik ihn zu ihrer Marionette machen.
„Also meine Lieblingsjogginghose ist dunkelgrau und Lou meint immer, dass sie auf den Schrottplatz gehört, weil sie mit all den Löchern bald auseinanderfällt. Aber sie ist viel zu bequem, um sie loszuwerden."
Ein amüsiertes Lachen stiehlt sich über meine Lippen, woraufhin mich Harry grinsend an stupst.
„Jetzt sag bloß nicht, dass du da auf Lous Seite bist, Al."
Wir lassen das Stadtzentrum hinter uns und fahren stattdessen über den Highway, der uns aus Manchester rausbringen wird. Es lässt mich kurz die Stirn runzeln, aber ein Blick in Harrys Richtung versichert mir, dass er sich nicht verfahren hat, sondern durchaus weiß, wohin er unterwegs ist.
„Ich habe die Hose nicht gesehen, aber dieser Lou hört sich ganz vernünftig an."
Harry lacht so schallend laut und klatscht einmal in die Hände, was mich zusammenzucken lässt, bevor sich ein amüsiertes Lächeln auf meinen Lippen bildet.
„Was bitte ist so witzig?"
„Lou und vernünftig sind zwei Worte, die nicht zusammengehören. Glaub mir, sobald du ihn kennenlernst, wirst du diesen Satz nicht oft in den Mund nehmen", erzählt er mir, während er geübt ein Auto überholt und sich dann wieder auf die linke Spur einordnet.
Ich beiße mir auf die Unterlipppe. „Du gehst also davon aus, dass ich Lou treffen werde?"
„Definitiv", meint Harry mit überzeugtem Kopfnicken. „Ich glaube, ihr beiden werdet euch gut verstehen."
Ich brauche einen Moment, um seine Worte zu verarbeiten. Denn plötzlich dringt sich die Wahrheit in meinen Kopf, dass das heute für ihn nicht bloß eine weitere Flucht aus der eigentlichen Welt ist, sondern Harry durchaus vorhat, sich öfter mit mir zu treffen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll und diese Unsicherheit macht mir Angst. Sie lässt das definitive Ende, das ich mit dem heutigen Abend erwartet habe, plötzlich nicht mehr so endgültig erscheinen.
„Wenn wir über Lou reden, meinen wir dann Louis Tomlinson?", frage ich schließlich, während meine Finger das Radio nach einem weiteren Lied durchsuchen.
„Ist jetzt der Zeitpunkt, wo du in eine Fangirlattacke verfällst? Wenn Lou dein Liebling der Band ist, dann bin ich enttäuscht."
Harry zwinkert mir zu, doch ein Teil seines Blickes vermag ich nicht zu lesen. Er ist nicht schwarz, sondern grau und ich kann ihn mit keinem Pinsel der Welt in Farben tauchen, um ihn verstehen zu können.
„Nein, keine Sorge. Ich habe keinen Bandliebling und werde bei seinem Anblick auch nicht in Kreischen verfallen." Schaudernd denke ich an die Mädchen im Club zurück, die Harry am liebsten die Kleidung vom Leib gerissen hätten, während sie doch bloß seinen Namen kannten. „Dafür weiß ich viel zu wenig über One Direction."
Neugierig wirft Harry mir einen Blick zu, bevor er sich wieder auf die Straße vor uns konzentriert. „Was genau weißt du denn?"
„Bloß das Übliche." Ich zucke mit den Achseln und kuschele mich tiefer in den Ledersitz, während ich mir all das in Erinnerung rufe, was ich über One Direction gehört habe. Ich erinnere mich nicht mehr an viel, denn meistens haben die Worte mich nicht interessiert, aber an der Boyband vorbeizukommen, ist in England eine Unmöglichkeit. „Ihr habt X Factor gewonnen und dann sind eure Lieder öfter mal im Radio."
Harry fährt sich durch die Haare. „Magst du unsere Musik, Al?"
„Ist das eine Fangfrage?", kontere ich.
Er lacht. „Kommt auf deine Antwort an."
„Ich mag ein paar der Lieder gerne, manche sind okay und mit anderen kann ich nichts anfangen", entgegne ich ehrlich. Die Wahrheit ist immer besser als eine jämmerliche Lüge. „Aber bei Musik bin ich sowieso eigen, da entscheide ich bei jedem Lied neu, welches mir gefällt."
„Wie genau entscheidest du das?", fragt Harry mich.
Normalerweise würde ich nun bloß mit roten Wangen die Achseln zucken, aber sein intensiver Blick überzeugt mich davon, dass es ihn wirklich interessiert.
„Normalerweise entscheiden die ersten Sekunden direkt, ob ich einen Song lieben werde oder nicht. Es muss nicht einmal etwas gesungen werden, nur die ersten Töne brauche ich." Meine Worte fliegen sanft durch das Innere dieses Autos, doch sie sind viel zu kraftvoll für den beengten Raum. „Es ist schwer zu erklären, aber wirklich gute Lieder schaffen es, mein Herz kurz zum Stoppen zu bringen. Ein wenig so, wie man sich die erste große Liebe vorstellt. Beißend, intensiv und doch irgendwie ein wenig gefährlich. Da ist dieser Punkt meines Herzens, den das Lied erreichen muss und sobald es trifft, dann werde ich es immer in mir haben."
Unsicher sehe ich zu ihm herüber, habe Angst davor, dass er sich lustig machen wird, doch Harry nickt bloß langsam und schenkt mir dann ein Lächeln.
„Das hört sich poetisch an", meint er. „Ein wenig wie Worte, die man nie zu hören erwartet hätte, aber wenn man sie dann hört, gibt plötzlich alles Sinn."
Ich lache verlegen und winke dann in Richtung der verlassenen Straße vor uns, die immer enger zu werden scheint. „Wo genau fahren wir eigentlich hin? Hast du vor mich im Wald zu vergraben?"
„Nein, keinesfalls. Meine Serienmörderqualitäten halten eindeutig bessere Dienstleistungen zum Leichen verstecken bereit", entgegnet Harry und ich grinse, als mir auffällt, dass er sich wirklich noch an unsere erste Begegnung erinnert.
„Was genau machen wir dann hier in der Stadt am Ende der Welt?", frage ich, während ich neugierig zu dem Schild herübersehe, auf dessen Hintergrund die Worte Holmes Chapel aufgedruckt sind. Es wirkt, als wäre es schon seit Ewigkeiten an diesem Ort, unerschütterlich und gegen jeden Sturm erhaben. Der einzelne Kämpfer gegen den Rest des Universums.
„Das ist meine Heimatstadt", meint Harry.
„Tut mir leid", entgegne ich trocken, bevor mir einfällt, dass das sicherlich unhöflich ist. Doch als ich vorsichtig zu ihm herübersehe, begegnet er meinem Blick bloß mit einem amüsierten Grinsen.
„Du bist also ein Stadtkind?"
„Nie woanders gelebt. Ich brauche die Betonbauten in meiner Nähe."
Harry steuert das Auto zügig über die Straßen und erst jetzt fällt mir auf, dass er die ganze Zeit bereits ohne Navigationsgerät fährt. Das hätte mir viel eher einen Hinweis geben müssen, dass er durchaus weiß, wohin wir unterwegs sind.
„Es kann ganz entspannend sein abseits von dem Trubel der Großstadt. Das hilft mir dabei, einfach mal abzuschalten und Ruhe zu haben", erzählt mir Harry mit leiser Stimme, als hätte er Angst, den Worten zu viel Macht zu verleihen.
„Ruhe könnte ich durchaus auch ab und an mal gebrauchen", gebe ich zu. „Mein Haus ist grundsätzlich erfüllt von Chaos."
„Stört dich das, Al?"
Er lässt das Auto langsamer über den Asphalt rollen, bis es schließlich sanft zum Stehen kommt.
„Selten. Ich bin es gewohnt und ich liebe meine Familie", antworte ich ehrlich. „Was genau machen wir hier, Harry?"
Neugierig sauge ich die Umgebung in mich auf, die doch abseits dreier Holztische und einem Kinderspielplatz kaum etwas zu bieten hat. Die Gegend wirkt verlassen, nahezu einsam, trotz der beiden Häuserzeilen, in dem sich die Spielecke eingerichtet hat. Dennoch finde ich Gefallen an ihr, wirkt sie doch ein wenig wie die Fantasiewelt eines Buches, das ich verschlingen würde.
„Ich dachte, dass wir picknicken könnten."
Stirnrunzelnd drehe ich mich in Harrys Richtung, der meinen Blick ernsthaft erwidert.
„Es ist November", merke ich an.
Er verdreht die Augen. „Und nächsten Monat ist Dezember. Ich mag zwar keinen Schulabschluss haben, aber ich kenne die Monate durchaus."
Nun bin ich diejenige, die die Augen rollt. Wenn wir so weiter machen, werden wir beide mit Kopfschmerzen geplagt werden. „Ich meine bloß, dass November wahrscheinlich nicht die übliche Zeit ist für ein Picknick."
„In meinem Leben ist ohnehin vieles nicht üblich", kontert Harry und während ich ihn vor Wochen, als er mir noch gänzlich fremd gewesen ist, dafür für arrogant gehalten habe, klingt es nun in meinen Ohren bloß nur noch wie eine Feststellung. „Komm schon, das wird Spaß machen."
Harrys grüne Augen funkeln vergnügt. „Außerdem ist es kein Sturz von einem Haus, weswegen du eindeutig bereits zugestimmt hast."
„Ich bin dabei", lache ich und öffne die Tür des Porsches, bevor ich aussteige.
Harry folgt mir und während meine Tür sich vorsichtig schließt, fällt seine knallend ins Schloss.
„Warte kurz", bittet er mich und zaubert dann einen Korb aus dem Kofferraum hervor.
„Du hast was zu essen mitgebracht?"
„Picknick ohne Essen funktioniert wohl schlecht", entgegnet Harry grinsend. „Wobei du wirklich nicht zu viel erwarten solltest, denn ich bin kein guter Koch."
Ich folge ihm zu einem der Holztische, dessen grüne Farbe leicht abblättert und setze mich auf die graffitibesprühte Bank. Harry bleibt kurz stehen, lässt den Blick wandern und entscheidet sich schließlich doch dafür, sich neben mich zu setzen.
„Ist einfacher so", murmelt er, aber wenn ich mich anstrenge, dann kann ich einen Rotschimmer aufs seinen Wangen erkennen.
Stumm sehe ich ihm dabei zu, wie er bedächtig den Picknickkorb öffnet, wobei er zwei Anläufe braucht, weil sich etwas verhakt. Ich muss lächeln, als ich die beiden Stirnfalten sehen, die ihm eigentlich einen ärgerlichen Ausdruck verleihen sollten, nun aber alleinig wie der Ausdruck größter Konzentration wirken.
„Sorry, kalte Finger", meint er entschuldigend, als er den Deckel endlich hochgehoben bekommt und eine Dose mit geschnittener Rohkost hervorzaubert.
Ich grinse. „Weißt du, wenn wir nicht im Winter picknicken würden, dann wären deine Finger auch nicht kalt."
„Dann wären wir aber auch nicht alleine", kontert er und fängt hastig an zu husten, als er meinen unsicheren Blick bemerkt. „Ich meinte natürlich nicht, dass ich dich alleine haben will, um – du weißt schon. Ich meine, ich verbringe schon gerne Zeit mit dir alleine, Al, aber das meinte ich nicht. Ich meinte bloß, dass –"
„Atmen nicht vergessen", unterbreche ich ihn mit einem zittrigen Lächeln.
Er fährt sich mit den Fingern durch die Haare. „Es ist bloß so, dass ich nicht mehr einfach überall auftauchen kann und es ist ganz schön, einfach in Ruhe hier zu sitzen und nicht Angst haben zu müssen, dass mich jeden Moment jemand fotografiert."
„Wer sagt, dass ich dich nicht gleich fotografieren werde?", entgegne ich mit einem Grinsen im Gesicht, während ich vorsichtig kalte Pfannkuchen aus dem Picknickkorb zaubere.
Er lacht leicht und schüttelt dann mit immer noch erhobenen Mundwinkeln den Kopf. „Das glaube ich dir nicht, denn dazu hättest du bei unserer ersten Begegnung schon genug Gelegenheit gehabt."
„Werde ich auch nicht, also keine Sorge", entgegne ich. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man dauernd eine Kameralinse auf sich gerichtet hat und manchmal hasse ich das.
„Mein Vater ist Fotograf", erinnere ich ihn, als ich sein Stirnrunzeln sehe.
Harry holt ein Glas Nutella aus dem Korb hervor und ich bin im siebten Himmel. Er weiß wahrscheinlich nicht einmal, dass er sich damit insgeheim bei mir zehn Plätze auf der Beliebtheitsskala nach oben geschoben hat.
„Passiert das wirklich so oft? Dass du einfach ohne Warnung fotografiert wirst?", frage ich, während ich einen Pfannkuchen mit Nutella beschmiere.
Die Bank knatscht leicht, als ich mich in seine Richtung beuge und ihm die Teigspeise reiche, bevor ich mir selbst ebenfalls eine vorbereite.
„Ich liebe unsere Fans", murmelt Harry und lehnt sich zurück gegen die graffitibesprühte Lehne, die durch ihre Neonfarben in einem starken Kontrast zu seinem schwarzen Wintermantel steht. „Das tue ich wirklich, weil wir ohne sie nichts wären. Aber manchmal ist es anstrengend unter ständiger Beobachtung zu stehen."
Er weicht meinem Blick aus und zupft langsam an seinem Pfannkuchen, während seine Augen einen abweisenden Gesichtsausdruck bekommen.
„Das kann ich verstehen", gebe ich zu.
Harry dreht sich so ruckartig in meine Richtung um, dass ich mich beinahe erschrecke. Seine Augen sind leicht aufgerissen, während sein Blick mich fokussiert. „Meinst du das ernst? Denn die meisten sagen bloß immer, dass ich mich nicht so anstellen soll."
Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich nach den richtigen Worten suche. Mein Herz weiß bereits, was es sagen will, aber es dauert einen Augenblick, bis ich die Aussage auch über meine Lippen bringen kann.
„Verstehen ist vielleicht das falsche Wort, denn natürlich bin ich nicht in deiner Situation und weiß auch nicht, wie es sich anfühlt", gebe ich schließlich langsam zu. „Aber ich kann durchaus nachvollziehen, dass das störend sein kann. Ständig beobachtet zu werden, wenig Privatsphäre, das ist sicherlich nicht immer leicht."
„Danke." Das Wort kommt wispernd über seine Lippen, leise wie der Wind und ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt für meine Ohren bestimmt ist. Es tanzt durch die kalte Novemberluft, dreht einige Kreise und fliegt dann in die Weiten der Welt davon, über die Grenzen seiner Heimatstadt hinweg.
„Ich bin diejenige, die für die Nutellapfannkuchen Danke sagen muss", entgegne ich mit einem Grinsen im Gesicht. „Das ist mein Lieblingsessen und macht die Kälte beinahe wieder weg."
Harry runzelt die Stirn, während er auf meine Finger schaut, die den Pancake umklammert halten. „Ist dir wirklich so kalt, Al? Dann können wir auch woanders hingehen."
Ich nehme den verlassenen Spielplatz in mir auf, die Häuserzeilen und diese kleine Flucht ins Abenteuer. Die vom Wind leicht schwingenden Schaukeln, die ein Knatschen von sich geben, wann immer sie sich mühevoll in die Höhe kämpfen. Die Rutsche, dessen Farbe absplittert und dennoch so beständig der Zeit trotzt, um Kindern die Freuden des Lebens zu bereiten. Den hölzernen Picknicktisch, kalt und unnahbar, aber dennoch wie ein kleines Paradies.
Dann erst gleitet mein Blick zu Harry, der mich sorgenvoll mustert und dennoch ein Funkeln in den Augen hat, während er sich völlig entspannt auf der Bank zurücklehnt. Seine Wangen sind gerötet, seine Lippen leicht geöffnet, während seine Finger sich ein wenig um den Picknicktisch klammern, als wollten sie sich versichern, dass sie sich wirklich und wahrhaftig hier befinden.
„Nein, so kalt ist mir gar nicht", beruhige ich ihn mit einem kleinen Lächeln.
Er mustert mich einen weiteren Moment, als suchte er in mir den Hinweis einer Lüge, doch ich bin viel zu gut darin, meine Worte hinter Fassaden zu verstecken und gleichzeitig spreche ich in diesem Moment die Wahrheit. Die Kälte mag nicht mein liebster Freund sein, aber dieser Spätnachmittag wärmt mein Herz, was über allen äußeren Frost hinwegtäuschen kann.
„Darf ich dich was fragen, Harry?", murmele ich schließlich, nachdem wir schweigend gegessen haben.
Zum ersten Mal seit langem kam mir die Stille nicht drückend, sondern angenehm vor. Das überrascht mich wohl am meisten, renne ich ansonsten doch weg von stillen Worten und der Unsicherheit, in diesen Momenten etwas falsch zu machen. Aber der Junge mit den grünen Augen und von der Kälte geröteten Wangen, der gerade selbstverständlich auf einem Apfelstück herumkaut, gibt mir unbewusst die Sicherheit, das ich schweigen kann solange ich möchte.
„Sicherlich, Al. Du kannst mich alles fragen, was du willst."
Mein Zeigefinger malt eine Acht auf meinen Oberschenkel, während ich die Worte dazu bringe, über meine Lippen zu fliegen. „Was ist das Schlimmste am Berühmtsein?"
Darüber habe ich nachgedacht, seitdem er mir erzählt hat, dass Aufmerksamkeit nicht immer toll ist und ich bin zu neugierig, zu ungeduldig, um diese Frage nicht stellen zu müssen.
Er antwortet mir nicht direkt, sondern hat wieder diese beiden Falten auf der Stirn, eine kaum merklich größer als die andere, während er über meine Worte nachdenkt. Ich weiß es zu schätzen, dass er mir nicht bloß eine belanglose, geübte Antwort hinwirft, die er sicherlich zu Genüge in jeglichen Interviews direkt wiedergeben könnte. Doch der Junge neben mir wirkt einen Moment lang nicht wie Harry Styles, Mitglied von One Direction, sondern Harry, der in seiner Heimatstadt einfach ein Picknick veranstaltet. Dieser Harry ist mir noch fremder und dennoch hofft ein Teil von mir, dass ich ihn doch näher kennenlernen darf.
„Das Menschen meinen dich zu kennen, obwohl sie es nicht tun", antwortet er schließlich mit langsamen Worten, als würden sie die Wahrheit nur umso bedeutungsvoller ins Universum schießen. „Sie begegnen dir und denken, dass sie alles über dich wüssten, dabei wissen sie bloß einen Bruchteil und manche der Informationen müssen nicht einmal stimmen."
„Und das Beste?"
Nun entsteht ein Lächeln auf Harrys Lippen, erst langsam zucken die Mundwinkel nach oben, dann bildet sich das eine Grübchen, dann das andere, etwas schwächere, bevor er wirklich strahlt.
„Das ich den Job machen kann, den ich liebe. Es gibt nichts Besseres, als auf der Bühne zu stehen und singen zu dürfen. Das ist wirklich alles andere wert, denn es ist ein so unglaubliches Gefühl, dass sich gar nicht richtig in Worte fassen lässt."
„Versuch es", bitte ich ihn, denn wenn mein Herz für etwas schlägt, dann sind es Worte, die manchmal mehr Macht haben als alles andere. Sie können Kriege beenden und Wunden schlagen, die einem das Herz ausbluten lassen.
„Es fühlt sich ein wenig an wie zu fliegen und gleichzeitig zu wissen, dass man gar nicht fallen, sondern immer nur noch weiter nach oben kann."
Ich muss lächeln, denn seine Begeisterung ist ohne Zweifel selbst über die Stadtgrenzen hinweg noch zu hören. Das Lächeln wandert sich jedoch schnell in ein Husten, als Harry mich plötzlich mit intensivem Blick ansieht und die nächsten Worte sich über seine Lippen stehlen.
„Gehst du mit mir aus, Al?", murmelt Harry, während er sich durch die Locken fährt. „Ich meine, ein offizielles Date. Das heute war eher der inoffizielle Part, um dich davon zu überzeugen, dass ich nicht bloß der Junge bin, der sich besäuft und dann wildfremde Mädchen dazu bringt, ihn von Partys zu retten."
„Ich – Tust du das oft?", frage ich ihn.
„Alkohol trinken und mich retten lassen? Ich bin kein Alkoholiker, falls du davor Angst hast", meint Harry grinsend und wird dann wieder ernst. „Ich trinke wirklich bloß auf Partys und da war ich in letzter Zeit nicht mehr oft."
Ich stürze mich auf seine Worte, denn sie retten mich davor, auf seine Frage antworten zu müssen. Sie ist zu überrumpelnd, lässt mein Herz stocken, ohne das ich weiß, wie ich es wieder zum Schlagen bekomme.
„Wieso nicht?"
Er zuckt mit den Achseln. „Zu viel Hektik."
„Und was ist mit den Versprechen, Harry?"
Ein verwirrter Ausdruck legt sich in seine Augen, während sie leicht größer werden und seine Lipen sich ein wenig öffnen. „Was soll damit sein?"
„Brichst du die oft?", frage ich ihn. Was für andere eine Nebensächlichkeit ist, ist tatsächlich, was mir am wichtigsten ist. Diese Antwort wird entscheidend sein und wahrscheinlich weiß er das nicht einmal, aber mir sind Versprechen heilig und gebrochene, zerfetzte Worte können auch mein Herz zerreißen.
„Nein", entgegnet er hastig. „Das letztens war eine absolute Ausnahme und normalerweise halte ich Versprechen."
Ich kann die Überzeugung in seinen Worten hören und beruhige mich, während ich schließlich bedächtig nicke.
„Ist das eine Bedingung, damit ich ein offizielles Date kriege, Al?"
„Ja", murmele ich. „Denn auch wenn es sich blöd anhört, ich hasse nichts so sehr wie gebrochene Versprechen."
„Okay." Harry nickt manisch, hastig und erinnert mich ein wenig an einen Wackelhund, sodass ich in anderen Situationen in Gelächter ausgebrochen wäre. Nun jedoch steht die unbeantwortete Frage immer noch zwischen uns in der Luft, vibriert und gewinnt an Kraft, während wir beide nicht wissen, was wir sagen sollen.
Er ist derjenige, der die Stille als erstes durchbricht.
„Warst du schon einmal in London?" Fragend sieht er mich an.
Ich nicke leicht, während sich das Fernweh in meinem Inneren in einen Orkan wandelt. „Ein Mal. Aber das ist bereits Jahre her und ich kann mich nicht wirklich daran erinnern."
„Also hättest du Lust am Wochenende mit mir auszugehen?" Ein leichter Rotschimmer legt sich auf Harrys Wangen und aus irgendeinem Grund beruhigt es mich, dass er doch nicht so unbekümmert ist, wie seine vermeintlich beiläufig gestellte Frage es vermuten lässt. „Wir könnten etwas in London machen."
Der zweite Teil ist es, der mein Herz schließlich wieder ruhiger werden lässt. Denn es ist so theoretisch, so unwahrscheinlich, dass es das Risiko wieder in den Hintergrund rücken lässt.
„Meine Mum wird mich nie in Leben zu einem fremden Jungen nach London lassen", teile ich ihm mit.
Harry sieht mich überzeugt an. „Deine Mum kennt mich. Ich bin also nicht wirklich fremd."
„Du hast mir die Schuhe vollgekotzt, was dir nicht gerade Pluspunkte in ihren Augen gibt. Außerdem wollte sich dich bei eurer ersten Begegnung mit einer Taschenlampe verhauen."
Seine Wangen fangen an zu brennen, was mich zum Grinsen bringt. Doch ist das wahrscheinlich der Moment, in dem ich verstehe, warum Harry es überhaupt so weit mit One Direction geschafft hat. Er ist niemand, der leicht aufgibt und mich einfach weiter mustert, während er sich seine nächsten Worte zurechtlegt.
„Heute mochte sie mich aber wirklich gerne", entgegnet er und sieht dann auf meine Finger, die leicht gegen die kalte Holzplatte des Picknicktisches klopfen. „Komm schon, Al. Lass mich dich nach London entführen."
Ich verdrehe die Augen, weil alleine die Vorstellung schon absurd ist. Wir spielen hier ein theoretisches Spiel und Sarkasmus ist mir nicht fremd, habe ich doch viel zu viel davon in meinem Inneren.
„Ja klar, Harry. Wir sehen uns dann Samstag."
„Ich hole dich ab", beschließt er grinsend.
Ich lache, weil ich weiß, dass es eine Lüge ist.
Doch an diesem kalten Novembernachmittag, der langsam dunkler wird, sorgen seine Worte dennoch dafür, dass ich einen Moment darüber nachdenke, wie es sich wohl anfühlen würde, wirklich dieses Abenteuer zu erleben.
Erfahren werde ich es dennoch nie, denn Harrys Ausflug in seine Heimatstat ist eine Flucht vor der Realität gewesen, wie ich im Laufe des Nachmittags langsam begriffen habe. Ein wenig Ablenkung, bevor seine Wirklichkeit in der Welt der immer erstrahlenden Hauptstadt wieder weitergehen wird.
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Ihr Lieben,
Irgendwer von euch, der gerne picknickt (wenn auch vielleicht eher zu wärmeren Jahreszeiten)?
Habt ihr irgendwelche Pläne für die Ferien? Fahrt ihr weg?
Wie immer vielen Dank für eure Unterstützung!
Bis zum nächsten Mal.
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