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c a p r i c e

november 2012

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Harry  || Wayne Rooneys Grinsen ist das erste, was ich sehe, als ich die Augen aufschlage. Ich zucke so verstört verrückt, dass ich mir den Kopf am Bettende anschlage. Seufzend reibe ich mir über die pochende Stelle, während ich realisiere, dass ich mich in meinem Kinderzimmer befinde.

Vor nicht einmal drei Jahren bin ich hier jeden Morgen aufgewacht, doch mittlerweile kommt es mir vor wie in einem anderen Leben. Die Poster der Manchester United Spieler sind bereits seit einigen Saisons nicht mehr aktuell und ein paar der Fußballer sind bereits im Ruhestand. Auch die Plakate meiner Lieblingsmusiker sind an den Enden leicht verblichen, dennoch bringe ich es nicht übers Herz, sie abzuhängen.

Außerdem bin ich ohnehin bloß nur jeweils einige Tage in meinem Elternhaus, weswegen es mich nicht wirklich stört. Ein Teil von mir findet es sogar tröstend, immer wieder in diese vertraute Welt flüchten zu können, wenn ich das Gefühl habe, abzuheben. Eine Nacht in meinem quietschenden Metallbett umringt von alten Schulbüchern und längst vergessenen Kinderspielen bringt Wunder, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

Ebenso hilfreich ist meine Mutter, die aus der Küche meinen Namen schreit und verlangt, dass ich zum Frühstück erscheine. Hier zu Hause werde ich genauso behandelt wie jeder andere und das ist unheimlich gut für meine Seele. Auch wenn ich darauf verzichten könnte, morgens um acht aus dem Schlaf gerissen zu werden.

„Morgen", grummele ich, als ich zehn Minuten später in die Küche gestolpert komme.

Robin sieht lächelnd von der Tageszeitung auf, die er grundsätzlich während des Frühstücks verschlingt. „Guten Morgen, H." 

„Gut geschlafen, Schatz?", fragt meine Mutter, während sie mir ein Rührei auf den Teller legt.

„Zumindest bis ich beim Aufwachen von Rooney heimgesucht wurde", meine ich und fahre mir durch die Haare, die sicherlich aussehen, als wäre ich in einen Wirbelsturm geraten.

Grinsend nippt Mum an ihrem schwarzen Tee. „Das sind die fehlenden Haare. Die können einen wirklich gruseln."

Ein sanftes Rascheln ertönt, als mein Stiefvater die Zeitung umblättert und einen Blick auf den Sportteil wirft. Ein so leises Geräusch, das mich immer an meine Heimat erinnern wird. Während ich noch hier gewohnt habe, habe ich es nie richtig zu schätzen gewusst und habe mich auch am Wochenende schnell vom Esstisch weggestohlen. Heute könnte ich stundenlang mit meinen Eltern am Tisch sitzen, doch die vergangene Zeit werde ich nie wieder aufholen können.

„Meinst du, die Haare sind daran schuld, dass United am Wochenende so furchtbar gespielt hat?", merkt Robin stirnrunzelnd an, während er auf den Zeitungsartikel herunterblickt.

„Sie haben trotzdem gewonnen", entgegne ich stur und hoffe, dass das die Wahrheit ist.

Ich habe Fußball einmal geliebt, doch in letzter Zeit bin ich nicht oft in der Lage gewesen, der Saison überhaupt zu folgen. Mein Leben ist zu hektisch und gerade meine Wochenenden sind terminüberladen.

„Liverpool aber auch", zieht mein Stiefvater mich auf. „Was bedeutet, dass wir euch dieses Jahr richtig fertig machen werden."

Ich verdrehe lächelnd die Augen, denn ich habe es vermisst, mit ihm zu fachsimpeln. Er ist es, der die Fußballbegeisterung meiner Kindheit unterstützte, während mein richtiger Vater sich nie wirklich dafür interessierte. Obwohl sein Herz für den Erzrivalen meines Lieblingsclubs schlägt, ist es dennoch Robin gewesen, mit dem ich das erste Mal im Fußballstadium gewesen bin.

Jahre später habe ich eine Unterhaltung überhört, wie seine Freunde ihn aufgezogen haben, weil er sich freiwillig auf einen Sitzplatz im Old Trafford setzt, doch Robin hatte bloß lächelnd den Kopf geschüttelt und gesagt, dass er für seine Kinder alles tun würde.

„Liverpool hat doch überhaupt keine Chance", entgegne ich lachend.

Während des Frühstücks lasse ich mich von meinem Stiefvater auf den derzeitigen Stand der Premier League bringen, während meine Mutter bloß ein amüsiertes Kopfschütteln für uns übrig hat.

„Willst du uns jetzt erzählen, warum du gestern Abend plötzlich vor unserer Tür aufgetaucht bist?", fragt meine Mum mich schließlich, während wir die Spülmaschine aufräumen.

Es ist so wunderbar vertraut und beinahe erwarte ich Gemma zu sehen, die mit Robin den Kühlschrank wieder einräumt. Es tut gut, Routinen zu haben und ich klammere mich daran.

„Ich habe euch vermisst", gebe ich zu. „Und wir haben den nächsten Termin erst am Dienstag, weswegen ich dachte, dass ich einfach mal vorbeikomme."

Meine Mutter mustert mich zweifelnd und eine Sekunde lang befürchte ich, dass sie mir ansieht, weswegen ich wirklich hier aufgetaucht bin. Gestern bin ich weinend zusammengebrochen, weil ich mich dummerweise selbst gegoogelt habe und Louis hat mir aufgetragen, einfach einmal ein paar Tage von dem ganzen Drama zu verschwinden.

Während ihre Augen über mich wandern, fixiere ich den Teller in meiner Hand und kann sie nicht direkt ansehen. Ich bin kein schlechter Lügner, aber sie ist meine Mutter und hat im Laufe der Jahre durchaus gelernt, mich zu durchschauen.

„Wir haben dich auch vermisst, Schatz", meint sie schließlich bloß und zieht mich in eine feste Umarmung, als wüsste sie, wie dringend ich diese gerade brauche.

„Deine dreckigen Klamotten im Badezimmer haben wir allerdings nicht vermisst",  zieht Robin mich auf und schließt mich ebenfalls in seine Arme. „Ich bin gestern Nacht fast über deine Hose gestolpert."

Ich lache, denn es ist seine Art mir zu zeigen, dass er mich ebenfalls vermisst hat.

„Tut mir leid, wenn ihr für heute irgendwelche Pläne hattet. Wahrscheinlich hätte ich mich ankündigen sollen", meine ich dann entschuldigend, während wir weiter die Überreste des Frühstücks vernichten.

„Du bist unser Sohn, H. Da musst du dich nicht ankündigen", meint Robin augenverdrehend und drückt mir einen Lappen in die Hand, damit ich den Tisch abwische.                                     

Meine Mutter nimmt mit einem Grinsen, das mir Angst einjagt, einen Schluck Tee und mustert mich dann. „Wir hatten schon Pläne, aber du kannst uns einfach dabei helfen."

„Sicherlich", stimme ich begeistert zu, denn einfach den ganzen Tag im Bett zu liegen und vor mich hinzugrübeln wird mir nicht die erhoffte Ablenkung bringen, die ich so dringend brauche.

Als ich jedoch eine Stunde später gemeinsam mit den beiden im Keller stehe und auf das Chaos herabsehe, das sich in den Jahren hier angesammelt hat, bereue ich meine Entscheidung beinahe.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dieses Auto mal mir gehört hat", meine ich stirnrunzelnd, während ich mich durch die Kisten kämpfe.

Ich mustere den roten Lastwagen, dessen Farbe mittlerweile verblasst ist, und versuche in meinen Erinnerungen zu graben, doch ich kann keine Erleuchtung erreichen. Das muss dennoch nichts bedeuten, denn gerade in den letzten Jahren habe ich so viel erleben dürfen, dass mir manchmal die Zeit zum Durchatmen fehlt. So viele Ereignisse haben direkt die nächsten gejagt und ich kann mich einfach nicht an alles erinnern. Manchmal wünschte ich mir deswegen, die Zeit langsamer laufen zu lassen, um alles wirklich genießen zu können, aber so läuft das Leben leider nicht.

„Das war nicht deins, Schatz. Der LKW gehörte Gem", erzählt meine Mutter mir, während sie sich am anderen Ende durch alte Kleidung kämpft. „Schau bitte mal, ob er noch zu gebrauchen ist. Den könnten wir ins Kinderheim abgeben."

Probeweise schiebe ich das Auto über den kalten Betonboden, der mittlerweile unter meinen Knien schmerzt. Die Reifen lassen sich noch rollen und abgesehen von einem fehlenden Seitenspiegel ist er durchaus noch funktionsfähig, weswegen ich ihn in die blaue Plastiktüte stopfe, die ans Kinderheim gehen wird.

„Wieso genau räumt ihr eigentlich an einem Sonntag den Keller auf?", stöhne ich.

„Weil wir in der Woche arbeiten müssen", meint meine Mum abwesend, während sie kritisch ein blumiges Kleid mustert, das aus einem vergangenen Jahrhundert stammen muss. Mir gefällt das bunte Muster.

„Danke, ich weiß durchaus, dass die meisten Menschen unter der Woche arbeiten." Ich rolle die Augen. „Aber wie kommt ihr ausgerechnet heute auf die Idee? Diesen Keller haben wir seit Jahren nicht betreten."

Ein weiterer Handgriff in die Spielzeugkiste fördert das zwanzigste Kinderbuch zutage, das jedoch irgendwann einmal einem Wasserschaden zum Opfer gefallen ist, weswegen man die Wörter nicht mehr entziffern kann. Ohne lange zu überlegen befördere ich es in die Mülltüte.

„Es wurde einfach einmal Zeit zum Aufräumen", entgegnet Mum.

Robin schnaubt hörbar, während er einbeinig auf einer Leiter balanciert, um zwei Kinderschlitten vom Regal zu holen.

„Hör bloß nicht auf ihre Lüge", ruft er mir zu. „Dein Vater verlangt irgendein blinkendes Rentier als Weihnachtsdeko zurück, das er angeblich mal gekauft hat und Anne weigert sich zuzugeben, dass wir es nicht haben."

Meine Hände umfassen einen ausgelutschten Schnuller, der sicherlich nicht absichtlich in der Spielzeugkiste gelandet ist. Eilig versenke ich ihn ebenfalls in der Mülltüte, denn er sieht wirklich nicht mehr hygienisch aus.

„Manchmal hasse ich Dad", grummele ich.

Meine Mutter wirft mir einen mahnenden Blick zu. „Sag sowas nicht, H."

„Du hasst ihn im Gegensatz zu mir doch wirklich, Mum."

Sie faltet eine Schlaghose zusammen und legt sie vorsichtig auf den Stapel Klamotten, der hinterher an die Wohlfahrt gehen wird.

„Nur weil das mit Des und mir nicht funktioniert hat, bedeutet das doch nicht, dass er kein guter Vater sein sollte, Schatz. Das hat nichts mit Gemma und dir zu tun."

Mir fällt der spitzformulierte Konjunktiv durchaus auf, aber das ist das höchste Maß Kritik, das meine Mutter je über ihren Exmann verlieren wird. Im Gegensatz zu Dad, der sie grundsätzlich vor Gemma und mir schlecht redet, würde ihr das nie im Traum einfallen.

„Wie auch immer", seufze ich, während ich mich verzweifelt daran zu erinnern versuche, wann ich das letzte Mal Kontakt mit meinem Vater gehabt habe. Alleine das ich darüber überhaupt nachdenken muss, lässt einen Knoten in meinem Magen entstehen, denn er wohnt ebenfalls in London und dennoch habe ich ihn seit Ewigkeiten nicht gesehen. Nicht, weil ich es nicht versucht habe, sondern weil er so sehr auf seiner Arbeit eingespannt ist.

„Schau mal, H. Da hast du mal reingepasst", meint meine Mutter schließlich lächelnd, nachdem wir eine Weile schweigend gearbeitet haben und hält einen winzigen Strampelanzug hoch, auf dessen Bauchtasche eine gelbe Ente aufgenäht ist. Das Stück ist längst nicht mehr fashiontauglich, wobei ich bezweifele, dass es das je mal gewesen ist.

„Schwer vorstellbar, Mum", gebe ich zu und reiche ein rotes Sprungseil an meinen Stiefvater weiter, der es in den Karton fürs Kinderheim fallen lässt.

Robin ist mittlerweile dankenswerterweise wieder von der Trittleiter gestiegen, die gefährlich knatschte, solange er darauf herumturnte, und hat sich einen Stuhl aus dem Wohnzimmer geholt, um es bequemer zu haben, während er die Kiste durchwühlt.

„Wie läuft es mit One Direction?" Fragend sieht mein Stiefvater mich an, während er die Kisten mit Weihnachtsschmuck nach dem angeblichen Rentier meines Dads durchsucht. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, dass er je Weihnachtsdekoration angebracht hat, aber vielleicht bin ich damals auch einfach zu jung gewesen, um solche Aktionen zu beurteilen.

„Wir schreiben momentan fürs dritte Album, aber so wirklich viele Ideen haben wir noch nicht", meine ich seufzend. „Es ist einfach irgendwie merkwürdig, schon wieder was Neues anzufangen, während wir die Tour fürs derzeitige Album noch nicht einmal beendet haben."

Robin nickt aufmerksam und ich erzähle weiter, weil ich weiß, dass es ihn wirklich interessiert. Er hat mir immer schon stundenlang freiwillig zugehört, wenn ich wieder einmal meine Gedanken sortieren musste.

„Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass Songschreiben so schwer sein wird", gebe ich zu. „Aber Liam und Louis haben mittlerweile wirklich den Dreh raus und wir wollen wirklich endlich einmal etwas mehr Einfluss auf unseren Sound nehmen können."

Meine Mutter wirft mir einen Stoffball zu, der sich irgendwie zwischen die Kleidung gemogelt hat. „Wie geht es Liam? Ist er immer noch so fertig wegen seiner Trennung?"

Ich zucke mit den Achseln. „Es geht langsam wieder bergauf, aber ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass er wieder mit Dani schreibt."

Ich blättere mit einem kleinen Lächeln in dem Kinderbuch, das ich eben aus einer Kiste gezogen habe. Es ist mein Lieblingsbuch gewesen, als ich kaum stehen konnte und ich verbinde viele schöne Erinnerungen mit den Worten, die meine Mutter uns abends sanft vorgelesen hat, damit wir schlafen konnten. Gemma hatte immer noch mehr Aktion verlangt, aber ich habe jeden Satz des Buches tausend Mal hören können.

„Dani kam mir immer wie ein nettes Mädchen vor", wirft Robin ein. „Vielleicht ist es gut, dass die beiden wieder miteinander reden."

Vorsichtig lege ich mein früheres Lieblingsbuch neben mich, um es hinterher mit nach London nehmen zu können, denn ich bin noch nicht bereit dazu, mich von den Erinnerungen zu trennen.

„Dani ist auch wirklich toll", entgegne ich. „Aber sie ist nicht wirklich glücklich mit Liam gewesen und nicht mit all der Aufmerksamkeit klargekommen. Ich sehe nicht, was sich daran ändern soll."

„Manchmal bringt man Opfer für die Person, die man liebt", meint meine Mutter mit sanfter Stimme.

Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Aber so sollte es nicht sein."

„Manchmal ist das Leben aber –"

Ich werde nie erfahren, was Robin sagen wollte, denn in diesem Augenblick krabbelt mir ein Ungeheuer über die Hand und ich stoße einen spitzen Schrei aus.

Panisch stürmt meine Mutter zu mir. „Was ist los?"

„Spinne, Spinne, Spinne", kreische ich und schüttele meine Hand, bis das Ungeheuer endlich auf den Boden fällt.

Lachend sieht Robin mich an, tritt die Spinne aber dankenswerterweise platt.

„Wer killt in London für dich die Spinnen, H? Rufst du da immer Gem an?", zieht er mich lächelnd auf.

Mit roten Wangen schüttele ich den Kopf. „Nein, in London gibt es keine Spinnen. Zumindest nicht so viele. Und Lou hat sich als super Spinnenkiller erwiesen."

Immer noch grinsend wühlt mein Stiefvater weiter in den Weihnachtskartons, während ich hastig so tue, als wäre die Situation überhaupt nicht passiert. Meine Mutter verschwindet wieder zu ihren Klamotten und eine Zeit lang ist bloß das Rascheln der Stoffstücke sowie Robins vergnügtes Pfeifen zu hören, in das er immer verfällt, wenn er entspannt ist.

„Weißt du schon wann du Weihnachten kommen wirst?", fragt mein Stiefvater schließlich, als er dabei ist, die Lichterketten auf defekte Glühbirnchen zu überprüfen.

Ich zucke mit den Achseln, denn ich habe meinen Terminkalender schon seit Jahren nicht mehr selbst füllen dürfen. „So früh wie möglich. Aber es kann sein, dass wir am dreiundzwanzigsten morgens noch ein Interview bei Grimmie geben müssen."

Mein Stiefvater schenkt mir ein mitleidiges Lächeln. „Dafür werden es ganz tolle Weihnachtstage. Wir werden alle eine Schnitzeljagd machen und ein Weihnachtskonzert anhören und dann können wir doch einen Nachmittag lang gemeinsam Weihnachtslieder singen, wobei du dann etwas lauter werden musst, weil wir anderen doch durchaus unbegabt sind."

Ich lache leicht, dankbar dafür, dass er meine Laune wieder anhebt.

„Am vierundzwanzigsten werde ich was Großes kochen und wenn ihr Lust habt, dann könnten wir auch Stockbrot machen."

„Auf jeden Fall", stimme ich lächelnd zu, denn ich weiß, wie sehr mein Stiefvater die Weihnachtstage liebt. Es sind seine liebsten Tage im Jahr und mittlerweile weiß ich sie auch sehr zu schätzen, weil sie die einzige Zeit im Jahr sind, die ich definitiv mit meiner Familie verbringen kann.

„Gemmas Freund kommt am zweiten Weihnachtstag übrigens vorbei", teilt meine Mutter mit.

„Okay", antworte ich, als sie irritierenderweise nicht aufhört, mich mit Blicken zu durchlöchern.

Robin stupst mich grinsend an. „Das war Annes subtile Art zu fragen, ob du auch jemanden mitbringen wirst."

Dem pikierten Blick meiner Mutter nach zu urteilen, liegt er mit seiner Vermutung goldrichtig.

„Nein, Mum. Ich bringe niemanden mit", antworte ich augenverdrehend.

„Also gibt es momentan keine Freundin in deinem Leben, Schatz?"

Ich seufze. „Nein, sonst wüsstet ihr das. Komm schon, Mum. So etwas erzähle ich euch doch."                     

Die Lichterkette wird von Robin mehrmals an und ausgeschaltet, was dem Keller ein unheimliches Aussehen gibt, obwohl das gelbliche Licht eigentlich immer einen beruhigenden Einfluss auf mich hat.

„Das stimmt, Anne. Harry hat uns immer schon auf dem Laufenden gehalten, das weißt du doch." Robin zwinkert mir zu. „Ich durfte jedes Date von dir wahrscheinlich zehnmal analysieren. Und manche Fragen hätte ich lieber erst gar nicht bekommen."

Meine Wangen brennen, als ich daran denken muss, dass ich wahrscheinlich wirklich nicht mein Sexleben mit meinem Stiefvater hätte diskutieren sollen. Aber ich war fünfzehn und komplett überfordert. „Tut mir leid, Robbie."

„Keine Sorge. Es ist schön zu wissen, dass du mir so sehr vertraust. Ich hätte so etwas nie mit meinen Eltern besprochen." Lächelnd drückt er mein Knie, bevor er sich wieder auf die Lichterkette konzentriert.

„Was genau habt ihr besprochen?", will meine Mutter stirnrunzelnd wissen.

„Nichts, Mum", entgegne ich und frage hastig nach dem neuesten Dorfklatsch, um vom Thema abzulenken.

Die restliche Zeit werde ich auf den neuesten Stand gebracht, was ich in der letzten Zeit alles verpasst habe und als wir den Keller zu dritt schließlich aufgeräumt zurücklassen, da fühle ich mich wieder wirklich so, als wäre ich nicht nur noch Teilzeitgast in meinem Heimatort.

Es ist bereits dunkel, weswegen meine Mutter das Licht in der Küche anschaltet und den Wasserkocher anwirft, um uns allen einen Tee zu kochen.

„Ich gehe kurz duschen. Mir kommt es vor, als würden tausend Spinne über meinen Körper krabbeln und das muss ich jetzt dringend abwaschen", entschuldige ich mich.

„Aber räume deine Klamotten in die Wäsche, Schatz", ruft meine Mutter mir hinterher, als ich beinahe schon verschwunden bin. „Und die Jogginghose, die bereits seit Wochen über deinem Schreibtischstuhl hängt, kannst du auch gleich dazu werfen. Die fängt mittlerweile schon Staub."

Im oberen Badezimmer genehmige ich mir eine heiße Dusche, die die Muskeln in meinem Körper langsam entkrampft. Nach stundenlangem Hocken und Knien auf dem Kellerboden komme ich mir vor wie ein Roboter, weil mir jeder Muskel schmerzt, weswegen ich das warme Wasser nun umso mehr genieße. Während mir die Tropfen über den Körper laufen, summe ich eine Melodie, der ich keine Worte zuordnen kann und bleibe unter dem Wasser stehen, bis meine Haut bereits anfängt zu schrumpeln.

Dann trockne ich mich ab, schlüpfe in bequeme Kleidung und werfe die alten Klamotten, die ich während der Aufräumaktion getragen habe, in die Wäsche. In meinem Zimmer angekommen, knipse ich die Deckenleuchte an, die den kleinen Raum sofort in gemütliches Licht taucht.

Ich will mich gerade aufs Bett fallen lassen, als mir die Bitte meiner Mutter wieder einfällt, weswegen ich zu dem kleinen Holzschreibtisch herübergehe, der zwischen Schrank und Fenster gequetscht ist. Vor ihm steht der dunkelblaue Drehstuhl, den mein Großvater mir zum ersten Schultag geschenkt hat. Damals habe ich mich so erwachsen gefühlt, während ich mir gerade hilflos wie ein Kind vorkomme. Die Reise in meine Heimat hat mir gut getan, aber es ist doch nur eine kurze Flucht von all der Hektik, die bald schon wieder mein Alltag sein wird. Ich liebe One Direction und meinen Job, aber es gibt Tage, an denen es mir einfach den Atem nimmt.

Mit ruhigen Fingern drehe ich den Schreibtischstuhl einmal, während ich stirnrunzelnd die schwarze Jogginghose mustere, die über der Lehne hängt. Erst nach der dritten Umdrehung fällt mir wieder ein, dass sie überhaupt nicht mir gehört, sondern bloß eine Leihgabe ist. Und mit der Erkenntnis erinnere ich mich schlagartig wieder an das mir eigentlich so fremde Mädchen, das mir nach einem Cafébesuch schon gar nicht mehr so fremd gewesen ist und an das Versprechen, das ich ihr gegeben, aber nie gehalten habe.

„Scheiße", fluche ich und taste hastig in der Jogginghosentasche, bis meine Finger endlich auf die Serviette stoßen, die ich vor Wochen dort verstaut habe.

Das Papier knistert leicht zwischen meinen Händen, während ich es vorsichtig auseinander ziehe, langsam, aus Angst, nur noch mehr zu zerstören. Ich brauche diese Handynummer, die Ally vor Wochen darauf notiert hat und bete, dass ich sie überhaupt noch entziffern kann. Als ich das Chaos endlich enthüllt habe, seufze ich erleichtert, weil die Kugelschreiberlinien an manchen Enden ein wenig verschmiert sind, aber dennoch die Lesbarkeit nicht einschränken.

Ich streiche die Serviette glatt und lege sie auf meinen Schreibtisch, bevor ich mein Handy hochschiebe. Meine Hände zittern leicht, während ich die Nummer in mein Mobilfunkgerät haue und schließlich atme ich tief durch, bevor ich auf Anruf klicke.

Das Freizeichen ertönt und dann bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als bloß zu warten.

Auf das Ende, den Anfang und den Untergang.

Es piept, bis es dann schließlich nicht mehr piept.

Stattdessen erwartet mich die Stille der Ungewissheit.

„Hey, hier ist Harry."

Leiser Atem ist am anderen Ende zu hören.

„Wer?"

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Ihr Lieben,

Es ist also Harry und nicht Ally, der den Kontakt schließlich wieder sucht.

Glaubt ihr, dass sich Ally überhaupt noch an ihn erinnert?

Außerdem hat Harry bereits das erste Versprechen gebrochen, dass er Ally gegeben hat. Ist das so einfach zu verzeihen?

Ich wünsche euch eine schöne Woche! Genießt das super Wetter!

Bis zum nächsten Mal.

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