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q u i e s c e n t

september 2012

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Harry || Ein hohes Kreischen, das beinahe die Fensterscheiben zerbrechen lässt, weckt mich unsanft aus meinen Träumen. Hektisch weiche ich bis ans Bettende zurück, voller Panik, dass sich ein Fangirl in mein Schlafzimmer gestohlen hat.

Als mein Kopf mit voller Wucht schmerzhaft gegen eine Sofalehne stößt und ich einen weiteren Grund für meine nun höllischen Kopfschmerzen finde, verstehe ich zwei grundlegende Tatsachen. Ich befinde mich überhaupt nicht in meinem eigenen Bett, sondern auf einem ausgelegenen Sofa in einem Raum, den ich noch nie im Leben gesehen habe. Außerdem ist das immer noch kreischende Mädchen in Wirklichkeit eine Frau im Alter meiner Mutter und die Laute aus ihrer Kehle klingen nicht begeistert, sondern völlig panisch.

„George! Hier ist ein Fremder auf unserem Sofa!"

Sie fuchtelt drohend mit einer schwarzen Taschenlampe in meine Richtung und ich springe hastig von der Couch, um mich aus ihrer Reichweite zu bringen.

Durch die plötzliche Bewegung dreht sich mein Magen gefährlich und ich muss die Lippen aufeinanderpressen, um mich nicht zu übergeben. Augenscheinlich habe ich gestern Abend auf dieser beschissenen Party mehr getrunken, als gut gewesen wäre. Außerdem habe ich überhaupt keine Ahnung, wie ich in diesen Raum gekommen bin, der viel zu klein wirkt, während die Frau immer noch wie eine Hyäne in meine Richtung funkelt.

„George! Jetzt komm endlich!", schreit die Dame erneut und richtet die Taschenlampe drohend auf meine Brust, als hätte sie einen Revolver in ihr versteckt.

In ihrem Krankenschwesteroutfit und den panisch aufgerissenen Augen wirkt sie, als wäre sie geradewegs einem Gruselfilm entsprungen.

Mit zittrigen Beinen mache ich weitere Schritte nach hinten, bis sich etwas schmerzhaft in meine Hüfte bohrt. Ich wage es nicht nachzusehen, weil ich die Frau nicht aus den Augen lassen kann.

„George Baker!", kreischt sie.

Beruhigend will ich die Hände in die Luft heben um zu zeigen, dass ich unschuldig bin und nicht verbrochen habe, was auch immer die Frau vermutet, doch sobald ich mich auch nur einen Zentimeter bewege, funkelt sie mich nur noch wütender an.

„Wage es nicht, handgreiflich zu werden, junger Mann!"

„Habe ich nicht vor", entgegne ich so eilig, dass ich mich an den Worten verhaspele. Mit rasendem Puls sehe ich mich dennoch nach einem Fluchtweg um, doch die einzigen beiden Türen befinden sich hinter ihr.

„George!" Dieser Schrei kommt nun nicht mehr panisch über die Lippen der Frau, sondern vor allem vermischt mit einem gehörigen Tropfen Wut, der meinen Puls weiter in die Höhe rasen lässt.

Ein großgewachsener Mann kommt ins Wohnzimmer gehetzt, dessen Kopf in einem hastig übergeworfenen T-Shirt gefangen ist, mit dessen Ärmeln er einen verzweifelten Kampf ausführt. Untern herum trägt er überhaupt nichts, was mich umso mehr verstört.

„Keine Sorge, Ginny! Ich werde die Polizei rufen", meint der Mann und tastet hektisch nach seinem Handy, bis ihm auffällt, dass er keine Hose trägt und er es somit in keiner Tasche finden wird. Fluchend gleiten seine immer noch vom Schlaf befallenen Augen durch den Raum, als wäre er auf der Suche nach einer Waffe.

Mit schwitzenden Händen presse ich mich noch mehr in Richtung Wand, wobei sich die Ecke einer hölzernen Kommode, die ich mit einem Seitenblick als Übeltäter ausmache, noch schmerzhafter in meine Haut bohrt.

„Telefon, wo zum Teufel ist unser Telefon schon wieder?", murmelt der Riese jedoch schließlich, was mich erleichtert aufatmen lässt. Immerhin ist er nicht auf der Suche nach einem Revolver.

Die Frau im Krankenschwesteroutfit hingegen fixiert mich immer noch mit ihrem Mörderblick und macht einen weiteren Schritt in meine Richtung. Sie wirkt durch ihr Auftreten trotz ihrer geringen Größe sehr viel gefährlicher, als der Halbnackte, der suchend nach dem Haustelefon durch den Raum stapft.

Ich bin mir nicht sicher, wie ich in diesem Alptraum gelandet bin.

„Nicht bewegen", zischt mir die Frau zu, während sie mit einer Hand immer noch die Taschenlampe gefährlich nah vor meinem Gesicht fuchtelt.

Erst als ein Mädchen mit total verstrubelten hellblonden Haaren ins Wohnzimmer geeilt kommt, erinnere ich mich wieder gänzlich an die Ereignisse der letzten Nacht.

Ich habe mich völlig betrunken auf die Couch von Allison Baker eingeladen und den Gesichtern der Anwesenden nach zu urteilen, hat sie niemand über den Übernachtungsbesuch informiert.

„Stopp, Mum", sagt sie hastig, als die Taschenlampe Zentimeter vor meinem Gesicht eine Drehung vollführt und hält den Arm der Frau fest. „Das ist wirklich nicht nötig."

Wenn ich sie nun beide nebeneinander stehen sehe, ist die Ähnlichkeit wirklich kaum zu verleugnen. Die gleichen Haare, die gleichen strahlendblauen Augen und die gleiche nachdenkliche Falte auf der Stirn, mit der sie mich gerade betrachten. Einzig der Altersunterschied und die Tatsache, dass Ally ganze zwei Köpfe größer ist als ihre Mutter, unterscheiden sie in dieser Sekunde.

Die Anwesenheit meiner Fluchthelferin lässt meinen Herzschlag wieder ruhiger werden, besonders als ich sehe, dass der Riese die Suche nach dem Telefon aufgibt und ich somit um einen Besuch auf der Polizeiwache herumkomme.

„Was bitte macht diesen Dienstag so aufregend?", fragt eine dunkle Stimme interessiert.

Erst jetzt fällt mein Blick auf die beiden hellblonden Jungen, die grinsend im Türrahmen lehnen.

Der ältere mustert mich, als wäre ich ein Ausstellungsstück im Heimatmuseum. „Ist das Harry Styles in unserem Wohnzimmer?"

„Ja", murmelt Ally.

Lachend lässt sich der Jüngere der beiden Jungen auf die Couch fallen, auf der ich bis vor kurzem noch in aller Seelenruhe geschlafen habe. „Gratuliere, Ally. Endlich sind nicht wir diejenigen, die Mist gebaut haben. Ich bin stolz auf dich, dass du dir ein Beispiel an deinen Brüdern nimmst."

Mit funkelnden Augen dreht Ally sich in seine Richtung um. „Ich habe Harry bloß eine Couch zum Schlafen angeboten. Das kann man ja wohl kaum als Mistbauen einordnen. Versuche es mal mit hilfsbereit, Drake."

„Das ist wirklich nett von dir, Schnecke", meint ihr älterer Bruder lächelnd.

Er lehnt immer noch im Türrahmen und ich kann jeden einzelnen Muskel an seinem Körper ausmachen, selbst diejenigen, deren Existenz mir nicht einmal bekannt gewesen ist. Er wirkt wie ein elegantes Kunstwerk, das man jeden Moment für das Höchstgebot verkauft bekommt.

„Ich bin übrigens Seth, Harry."

Unsicher erwidere ich sein Winken. „Hey."

Der Riese lässt sich geschafft neben Drake aufs Sofa fallen und atmet einmal tief durch, bevor er zu Ally herübersieht. „Ihr kennt euch also, Spätzchen?"

Seine Worte fliegen langsam über seine Lippen, als wäre er sich unsicher, ob er wirklich bereits in dieser wachen Realität angelangt ist. Ein Teil von mir fühlt sich genauso, denn dieser ganze Morgen ist bei weitem der absurdeste, den ich je in meinem Leben gehabt habe. Und das sagt einiges aus, denn seitdem ich Mitglied bei One Direction bin, sind mir schon einige Merkwürdigkeiten begegnet.

„Kennen wäre zu viel gesagt, Dad. Eher eine flüchtige Bekanntschaft."

Glücklicherweise bringen Allys Worte ihre Mutter endlich dazu, die Taschenlampe langsam sinken zu lassen, bis sie auf der hölzernen Kommode zwischen zwei Familienbildern ihren Platz findet.

„Hast du die wirklich für eine Waffe gehalten, Mum?", fragt der Junge auf der Couch lachend. „Mit der Taschenlampe könntest du dich doch nicht einmal gegen einen Hund verteidigen."

Die Frau funkelt ihn an. „Drake, wie wäre es, wenn du wieder in dein Zimmer verschwindest und noch ein wenig schläfst, bevor du zur Schule musst? Du bist gerade überhaupt nicht hilfreich."

Immer noch lachend erhebt Allys jüngerer Bruder sich in Zeitlupentempo vom Sofa, zwinkert mir einmal zu und verschwindet dann nach oben, wobei man jede Treppenstufe unter seinen Füßen vibrieren hören kann. Ein einziges Knatschen hier, dann das dumpfe Geräusch nackter Füße auf Holz, bevor im oberen Stockwerk lautstark eine Tür ins Schloss fällt.

„Seth, du auch bitte", meint Allys Mutter, woraufhin dieser einmal lächelnd in die Runde winkt.

„Gute Nacht oder Morgen oder was auch immer."

Als er aus dem Raum verschwindet, lausche ich ebenfalls auf verräterische Schritte, doch Seth verschwindet lautlos wie ein Geist.

„Sethie ist Balletttänzer", meint Ally als Erklärung in meine Richtung, als sie meinen verwirrten Blick auffängt. Ich nicke bloß und sehe dann vorsichtig zu ihren Eltern herüber, die es sich mittlerweile auf dem Sofa bequem gemacht haben.

Ich sollte mich mittlerweile daran gewöhnt haben, dass mich andauernd Leute anstarren, aber gerade ist es mir furchtbar unangenehm.

Es ist so still im Wohnzimmer, dass ich das sanfte Ticken der Wanduhr hören kann, die sich durch die laute Welt des Chaos kämpft. Sie wirkt so unerschütterlich, ganz im Gegensatz zu Ally, die neben mir auf ihre Füße starrt. Das alles hier ist meine Schuld und es tut mir furchtbar leid. Ich will es ihr am liebsten sagen, aber als ich meinen Mund öffne, entweicht meinen Lippen kein Ton. Dabei sind es ansonsten Worte, mit denen ich mein Geld verdiene.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich den starrenden Blicken ausweiche.

„Hast du vielleicht eine Erklärung für un, Spätzchen?" Fragend lässt ihr Vater den Blick zwischen Ally und mir wandern.

Ich fahre mir durch die Haare, die mir im nächsten Moment doch schon wieder in die Stirn fallen.

„Harry ist der Junge, dem ich gestern Abend versprochen habe, ihm zu helfen, Dad. Erinnerst du dich? Ich konnte mein Versprechen doch nicht einfach brechen, deswegen ich ihn dann hier habe schlafen lassen."

Der Mann nickt verstehend, als wären Allys Worte Erklärung genug, während ich nur noch verwirrter bin als zuvor.

Allys Mutter beugt sich neugierig in unsere Richtung. „Ist Harry dein fester Freund, Allison?"

Dem Mädchen neben mir entweicht ein lautes Stöhnen, während ihre Gesichtsfarbe Ähnlichkeit mit dem knallroten Sessel annimmt, der es sich neben dem Sofa bequem gemacht hat. Bisher ist er mir trotz der Signalfarbe in all dem Chaos nicht einmal ins Auge gefallen.

„Natürlich nicht, Mum! Ich kenne Harry nicht einmal wirklich. Wieso sollte ich ihm zum Freund haben wollen?" Ally wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. „Sorry, bitte nicht persönlich nehmen."

Ich glaube, so schnell bin ich in den letzten Jahren nicht ein einziges Mal gekorbt worden und es ist irgendwie sehr erfrischend, wenn man es mit all den anderen Mädchen vergleicht, die sich am liebsten nackt in mein Bett werfen würden. Eine besonders Hartnäckige hat es sogar bereits fast geschafft, in meine Wohnung einzubrechen.

„Kein Problem, Al", entgegne ich langsam, während ich immer noch die Situation verarbeite. Sie ist viel zu bizarr, besonders für meine stechenden Kopfschmerzen, als das ich überhaupt noch etwas hinterfragen würde.

Ihre Mutter nickt verständnisvoll und wirkt mittlerweile so, als würde sie nichts mehr aus der Ruhe bringen können. Ich bekomme das Gefühl, dass diese Situation in dieser Familie nicht einmal im Geringsten so ungewöhnlich ist wie für mich. Diese Frau wirkt auf alle Katstrophen bestens vorbereitet. Wahrscheinlich hätte sie mich trotz ihrer geringen Größe und schlanken Figur wirklich mit der Taschenlampe verprügeln können, ohne dass ich nur die geringste Chance gehabt hätte.

„Ich muss zur Arbeit. Regel du das doch bitte mit Allison, George", meint sie und greift zu ihrer Handtasche, die neben der Couch steht.

„War schön dich kennengelernt zu haben, Harry. Wobei andere Umstände mich weniger nah an einen Herzinfarkt gebracht hätten." Allys Mutter schenkt mir ein amüsiertes Lächeln und verschwindet dann kopfschüttelnd aus dem Wohnzimmer.

Einen Augenblick lang ist es unheimlich still und wenn ich mich konzentriere, dann kann ich Allys leisen Atem hören, der klingt wie sanfte Flügelschläge in der finstersten Nacht. Verdeckt von Geheimnissen, doch durch sanfte Scheinwerfer bestrahlt, die einem ermöglichen, ein paar Wimpernschläge hinter ihre Fassade sehen zu können.

Sie sitzt neben mir wie eine Statue, doch wenn ich genau auf sie achte, dann merke ich, dass ihr Zeigefinger kaum merklich gegen ihren Oberschenkel klopft.

„Spätzchen?"

„Ja, Dad?"

„Wenn du nächstes Mal einen Jungen zum Übernachten einlädst - oder auch ein Mädchen, du weißt, dass uns das egal ist – dann sag uns vorher bitte Bescheid."

Ally dreht ihre langen Haare zu einem Zopf zusammen und lässt die Strähnen dann wieder locker über ihre Schulter fallen. Währenddessen blickt sie angestrengt auf den Boden vor ihren Füßen. „Ich habe euch doch bereits erklärt, dass zwischen Harry und mir nichts läuft."

„Das glaube ich dir auch. Sonst hätte der arme Junge sicherlich nicht auf der Couch schlafen müssen." Ihr Vater zwinkert mir einmal kurz zu und ich erwidere nichts, weil mir die Worte fehlen. Egal welche von ihnen sich nun auch über meine Lippen retten könnten, es wären sicherlich die falschen.

„Versprich es bitte einfach, Spätzchen."

Allys Mundwinkel verziehen sich zu einem kleinen Lächeln. „Versprochen, Dad. Ich werde nie wieder jemanden hier übernachten lassen, ohne jemandem Bescheid zu sagen."

Ihr Vater nickt gähnend und erhebt sich schwerfällig von der Couch. „In Ordnung. Ich gehe dann mal wieder ins Bett. Niemand sollte vor fünf Uhr auf den Beinen sein, wenn es nicht zwingend notwendig ist. Viel Spaß euch beiden noch."

Ich starre ihm hinterher, während er pfeifend aus dem Wohnzimmer wandert und mir dabei einen hervorragenden blick auf seinen nackten hintern präsentiert.

„Ist dein Vater immer nackt?" Die Worte kommen mir über die Lippen geflogen, bevor ich sie aufhalten kann.

Ally scheint sich jedoch nicht im Geringsten daran zu stören. Sie zuckt bloß mit den Achseln. „Manchmal schon."

Ich nicke langsam, während ich ihre Worte verarbeite. Heute kann mich nichts mehr schocken. „Und die Uniform deiner Mum? Habe ich irgendein Sexspiel deiner Eltern unterbrochen?"

„Das ist der beste Satz, den ich je gehört habe. Er rechtfertigt beinahe die frühe Stunde", meint Ally prustend. „Meine Mum ist Krankenschwester, Harry. Sie ist auf dem Weg zur Arbeit gewesen, als sie dich gesehen hat."

Mein Gesicht fängt Feuer. „Darauf hätte ich direkt kommen sollen", murmele ich.

Allys helles Lachen fliegt sanft durch das Wohnzimmer. „Nein, entschuldige dich bloß nicht. Das hat meinen Tag sehr viel besser gemacht."

Geschafft sehe ich zu dem anderen Sofa herunter, auf dem immer noch völlig zerknittert die Wolldecke liegt, in die ich mich während der nächtlichen Stunden gekuschelt habe. Sie ist wunderbar weich und riecht ein wenig nach Zimtsternen und heißer Schokolade. Doch trotz ihrer durchaus willkommenen Umarmung während des Schlafens, meldet sich mein Rücken nun mit einem unangenehmen Ziehen, weil er nicht ganz einverstanden mit dem zu kurzen Sofa gewesen ist. Er kann sich in eine Ecke stellen mit meinen pochenden Kopfschmerzen und dem immer noch rotierenden Magen, der sich nur schwer zu beruhigen scheint.

„Erinnere mich bitte daran, dass ich nie wieder Alkohol trinken werde", seufze ich.

Ally nickt stumm, während ich mir die Schläfen reibe. Das Ticken der Wohnzimmeruhr wird lauter, unsere Stille drückender und die Nacht will dem Tag nicht schnell genug weichen. Unsicher hole ich tief Luft, weil ich nicht weiß, wie ich dieser angespannten Situation entfliehen soll.

Erst jetzt als das Haus nicht mehr unter dem Chaos begraben wird, wird mir bewusst, wie wahnsinnig diese Situation wirklich ist. Ich sitze alleine mit einem hübschen Mädchen, das ich nicht einmal wirklich kenne, in ihrem Wohnzimmer und unterhalte mich beiläufig über meinen Partyabsturz der gestrigen Nacht.

Damit erfülle ich in ihren Augen sicherlich jedes Klischee, das sie über Musiker hat. Zu viel Alkoholkonsum, fremde Mädchen und keine Gedanken, die an die Zukunft verschwendet werden. Sie muss mich für vollkommen bescheuert halten und einem Teil von mir ist es plötzlich sehr wichtig, dass sie nicht bloß dieses Klischee in mir sieht.

„Eigentlich bin ich wirklich nicht so, Al", murmele ich und will ihr ein Lächeln schenken, doch sie sieht mich nicht einmal an. Stattdessen ist ihr Blick starr auf ihre Füße fixiert, die in pinke Kuschelsocken gekleidet sind. Sie sieht furchtbar angespannt aus.

„Entschuldige wenn du nun wegen mir nun Hausarrest bekommst", füge ich hinzu.

Nun sieht sie mich doch kurz an, bevor die blauen Augen direkt wieder über mich hinwegwandern.

„Keine Sorge, Harry. Das gibt es bei uns nicht. Ich werde mir heute Nachmittag nach der Schule bloß einen Vortrag über verantwortungsvollen Umgang in Beziehungen und Verhütungsmethoden anhören dürfen." Sie verdreht die Augen, doch wenn ich mich anstrenge, dann kann ich eine bloße Sekunde lang einen frechen Unterton in ihnen schimmern sehen. „Wahrscheinlich wird das also schlimmer als Hausarrest."

Meine Mundwinkel zucken nach oben. „Keine Sorge. Das wirst du schon überleben."

„Bleibt ja nichts anderes übrig", murmelt sie achselzuckend.

Erneut legt sich ein Vorhang des Schweigens über uns und am liebsten würde ich schreien, um die angespannte Ruhe zu durchbrechen. Verzweifelt suche ich in meinen Gedanken nach Worten, doch der Restalkohol erschwert den Prozess, lässt sie nur langsam fliegen und schließlich bleibt mir nichts weiter, als mich jämmerlich erneut zu bedanken. Dabei können Worte alleine gar nicht richtig ausdrücken, wie sehr sie mir gestern Nacht geholfen hat.

„Danke für die Rettung, Al."

Sie lächelt leicht und sieht mir zum ersten Mal heute Morgen wirklich direkt in die Augen. Ich versuche alles, um sie dort einzufangen, doch einen Augenblick später ist der Moment schon wieder verflogen.

„Kein Problem, Harry."

„Das hätten wirklich nicht viele gemacht", entgegne ich und meine es wirklich so. Ich habe wahnsinniges Glück gehabt, dass ich mit ihr an kein Fangirl geraten bin, die die Situation ausgenutzt hätte, oder an jemanden, der Fotos geschossen und sie an die Presse verkauft hätte. Mit Allison Baker habe ich einen Glücksgriff gezogen.

Langsam mache ich mir jedoch wirklich Sorgen, warum sie so still ist.

„Habe ich im Taxi irgendetwas gesagt, dass ich nicht hätte sagen sollen, Al?"

„Nein."

Ich fahre mir durch die Haare. „Okay."

„Also dann. War schön dich kennengelernt zu haben", meint Allison schließlich, als die Stille uns erneut zu überwältigen droht.

Sie steht auf und ich folge ihr stumm zur Haustür. Währenddessen lasse ich meine Augen neugierig durch den Flur fahren, der klein ausfällt und doch von tausend Erinnerungen heimgesucht wird. Überall blicken mir drei grinsende Kindergesichter entgegen, die ich sofort als Ally und ihre Brüder einordnen kann. Auch als Kleinkinder haben sie alle bereits ihre hellen Haare und blauen Augen gehabt. In der Ecke stehen fein säuberlich diverse Schuhpaare, während mehrere dicke Schlüsselbunde in der Schale neben der Haustür liegen, bei der Ally bereits stumm auf mich wartet.

Doch als sie die Tür öffnet und mich abwartend ansieht, bleibe ich stehen, anstatt über die Schwelle zu treten. Ein Teil von mir ist noch nicht bereit, diese neue, merkwürdige und doch so wunderbare Welt wieder hinter mir zu lassen. Ich will den Schritt nach draußen nicht wagen, noch ein wenig länger in dieser Illusion verharren, in der ich wie jemand Normales behandelt werde.

Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Willst du vielleicht noch mit mir etwas Frühstücken gehen?"

„Musst du nicht zurück nach London?", murmelt sie.

„Nein, ich komme aus der Nähe von Manchester und bin für ein paar Tage bei meiner Mum", antworte ich ihr hastig. „Aber wenn ich zu dieser Uhrzeit zuhause aufkreuze, werde ich geviertelt werden. Dann schleiche ich mich lieber später rein und tue so, als hätte ich Brötchen gekauft."

Allys helles Lachen ertönt und mir fällt auf, dass ihre Augen ein wenig kleiner werden, wenn sie sich wirklich amüsiert.

„Solltest du nicht unabhängig sein, Harry? Du weißt schon, alleinwohnender Popstar und so?"

Grinsend schüttele ich den Kopf. „Mütter hören nie auf Mütter zu sein. Außerdem habe ich noch nie alleine gewohnt."

Überraschung spiegelt sich in ihren Zügen, während sie die Stirn leicht in Falten legt, als würden sich hinter meinen Worten alle Geheimnisse der Welt verschwinden. Außerdem zieht sie ihre Nase in die Höhe, was mich erneut zum Grinsen bringt.

„Also, gehst du nun mit mir Frühstücken, Al?"

„Ich muss zur Schule", lehnt sie kopfschüttelnd ab.

„Um kurz vor sechs Uhr morgens?"

Sie beißt sich auf die Unterlippe und weicht meinem Blick aus. „Nein, aber später."

„Ich habe das Gefühl, dass du keine Lust hast, Zeit mit mir zu verbringen. Andauernd hast du eine Ausrede. Wenn du willst, dass ich gehe, dann sag es doch einfach. Das kann ich durchaus verstehen", murmele ich und will mich an ihr vorbei nach draußen schieben, als sich sanfte Finger um mein Handgelenk legen.

„Harry, warte bitte."

Sobald ich stehen geblieben bin, lassen ihre Finger mein Handgelenk sofort wieder los.

„Es ist nicht so, dass ich keine Lust habe. Bloß so, dass..."

Abwartend sehe ich sie an, während ihre Gedanken tausend Kriege zu kämpfen scheinen. Während mich die Ungeduld nach vorne treibt, bemühe ich mich sehr, ihr die Sekunden zu geben, die sie braucht, um ihre Worte zu finden.

„Ich kann nicht gut mit Veränderungen umgehen", murmelt sie schließlich. „Ich bleibe lieber in meiner Komfortzone."

Die kühle Luft eines frühen Septembertages wirbelt zwischen uns beiden hindurch, während ich einen Entschluss fasse. Es dauert, bis ich endlich die Entscheidung treffe, wie immer, wenn ich eine Wahl habe. Doch habe ich diese einmal getroffen, dann werde ich ihr folgen wie nichts anderem.

„Ich schätze, dass du dann dankbar sein solltest, dass du mir begegnet bist, Allison Baker. Denn ich werde es zu meiner Mission machen, dich ein wenig mehr Leben zu lassen. Und jetzt werden wir Frühstücken gehen. Keine Ausreden mehr."

Sie beißt sich auf die Unterlippe, so fest, dass ich kurz Angst habe, dass sie zu bluten anfängt. Mein Magen hat sich ohnehin noch nicht beruhigt und Blut sehen gehört nicht zu den Fähigkeiten, die ich einfach meistern kann.

„Ich weiß nicht", murmelt sie schließlich.

„Ich aber, Al. Du wirst mich doch nicht verhungern lassen wollen, oder?"

Abwartend sehe ich sie an, während die Luft um uns herum immer enger werden zu scheint. Ich habe Angst vor ihrer Antwort, doch gleichzeitig auch die Hoffnung, dass sie mich nicht hängen lassen wird. Allison Baker ist die interessanteste Person, die mir seit langem begegnet ist und ich hätte nichts dagegen, noch ein wenig mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Sie ist die erste, die mich nicht mit Fragen durchlöchert oder sich in meine Anwesenheit drängt, um ein wenig etwas von Harry Styles mitzubekommen. Stattdessen flüchtet sie sich in die Dunkelheit, während sie eigentlich hell am Himmel strahlen könnte.

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Ihr Lieben,

Damit sind wir auch schon bei Kapitel drei angelangt.

Was haltet ihr bisher von Allys Familie?

Wen mögt ihr am liebsten?

Vielen Dank für all die Votes und Kommentare beim letzten Kapitel!

Bis zum nächsten Mal.

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