18 | felicity
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f e l i c i t y
märz 2013
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Allison || Am liebsten wäre ich gerade bereits bei Harry in Liverpool, aber jeden anderen Ort der Welt würde ich ebenfalls gerade unserer Küche vorziehen, in der sich meine Mum mit einer Tasse Kaffee gemütlich gemacht hat.
„Allison, ich rede mit dir", meint sie, während sie seelenruhig an ihrem Getränk nippt. „Hast du deine Pille genommen?"
„Ja", murmele ich und sehe erneut mit hilflosem Blick in Richtung der Küchenuhr.
Eleanor hätte bereits vor zehn Minuten hier sein müssen, aber ich habe in den letzten Wochen festgestellt, dass die Studenten von Pünktlichkeit ebenso viel hält wie der Rest meiner Familie.
„Regelmäßig? Du weißt, dass selbst einmal vergessen ausreicht, um –"
„Ja, Mum. Das hast du mir schon erzählt, als ich mit Josh zusammen war. Du musst mir den Vortrag nicht zweimal geben."
Während meine Wangen mittlerweile eindeutig vor Peinlichkeit gerötet sind, sieht meine Mutter aus, als würden wir uns gerade über das Wetter unterhalten.
„Ich will doch bloß, dass du nicht schwanger wirst, Allison. Das wäre wirklich nicht gut, abgesehen davon bin ich noch viel zu jung, um Oma zu werden."
„Ich habe auch nicht vor, heute schwanger zu werden", entgegne ich augenverdrehend. „Das steht erst übermorgen um zehn auf meinem Plan."
Ihre Lippen verziehen sich zu einem amüsierten Grinsen. „Sarkasmus hilft dir gerade auch nicht, junge Dame."
Die Sekunden auf der Küchenuhr wandern immer noch schleichend, als würden sie es genießen, mich peinlich berührt auf dem Stuhl sitzen zu sehen. Im Stillen verfluche ich Eleanor für ihre Unpünktlichkeit. Wäre sie rechtzeitig hier gewesen, wäre ich um dieses Gespräch erfolgreich herumgekommen.
„Ich weiß noch nicht einmal, ob ich heute überhaupt mit Harry schlafen werde oder nicht, okay? Wir haben nicht wirklich darüber geredet. Also musst du mir diesen Vortrag wirklich nicht halten", murmele ich, während ich eilig aus dem Fenster sehe, um meiner Mutter nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Ich weiß ohnehin, wie sie reagieren wird.
„Aber Harry ist ein netter Junge, Allison. Und Sex ist etwas total Natürliches. Das solltest du doch hoffentlich wissen, denn ansonsten habe ich meinen Erziehungsauftrag verfehlt. Du musst keine Angst davor haben. Sex ist wirklich wunderbar. Habe ich dir von dem einen Mal erzählt, als ich mit deinem Dad –"
„Ich glaube, Eleanor ist da", unterbreche ich sie eilig und springe von dem Stuhl auf, bevor ich mir auch nur ein weiteres Word über das Sexualleben meiner Eltern hören muss.
„Wirklich?" Überrascht sieht meine Mutter ebenfalls aus dem Fenster in Richtung Straße." Ich sehe gar kein Auto."
„Dort sind tausende, Mum", versichere ich ihr hoffentlich glaubhaft. „Ich bin sicher, El hat bloß nicht direkt die freie Parklücke vor unserem Haus genommen, sondern ist ein Stück weitergefahren. Ich habe sie gesehen."
„Dann solltest du wohl los", lächelt meine Mum und umarmt mich zum Abschied. „Viel Spaß auf dem Konzert."
„Danke, Mum."
Im Flur schnappe ich mir den kleinen Koffer, den ich für heute gepackt habe und schultere meine Handtasche. Drake ist bei dem Anblick meines Gepäcks lachend die Treppe heruntergestolpert, aber ich habe mich einfach nicht entscheiden können, was ich zum Anziehen mitnehmen soll. Es ist nicht das erste Konzert, das ich besuche, aber das erste meines Freundes und ich will nicht unangenehm auffallen, weswegen ich mich zur Not noch einmal umziehen werde.
„Ich gehe dann jetzt. Ciao", schreie ich.
„Denk an die Kondome, Allison. Schwangerschaft ist nicht das einzige Problem", ruft meine Mutter mir hinterher.
Leider fällt die Tür nicht schnell genug ins Schloss, sodass ich ihre Worte noch hören muss. Meine Freunde beneiden mich regelmäßig für die Offenheit meiner Eltern, aber manchmal wünschte ich wirklich, dass sie ein wenig verklemmter wären. Wunschdenken wahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass meine Mutter als Krankenschwester arbeitet und meine Eltern ohnehin in ihren jungen Jahren am liebsten FKK-Urlaub gemacht haben.
Ich glaube, ich habe gewusst, wie genau Babys entstehen, bevor ich das Alphabet ganz aufsagen konnte.
Der alte Rollkoffer, den ich mir von meinem Vater geliehen habe, rollt nur schwer über den Asphalt, weswegen ich frustriert fluche, als ich endlich an der Straßenecke ankomme. Nun muss ich bloß noch Eleanor abfangen, bevor sie vor unserem Haus hält und klingelt.
Seufzend lehne ich mich gegen die Straßenlaterne und ignoriere gekonnt die neugierigen Blicke unserer Nachbarin Miss Dalton, die ohnehin immer nach neuem Klatsch sucht. Man sollte meinen als Anwältin wäre man über solche niedrigen Gespräche erhaben, aber tatsächlich liebt sie in ihrer Freizeit nichts mehr, als die Nachbarschaft aufzuwirbeln.
Drake wettet darauf, dass sie wahrscheinlich nachts jegliche Realityshows schaut, bloß um lästern zu können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er damit nicht falsch liegt.
Das ist einer der Gründe, warum ich Harry immer eilig ins Haus ziehe, sobald er bei uns auftaucht, denn auf Nachbarschaftsklatsch kann ich eindeutig verzichten.
Ich winke Miss Dalton auffällig, damit sie merkt, dass ich sie durchaus beim Stalken erwischt habe, doch sie ist dreist genug, um einfach grinsend zurückzuwinken und weiterhin aus dem Fenster zu starren.
Manchen Leuten ist wirklich nicht mehr zu helfen, weswegen ich mich einfach umdrehe und wieder auf die Straße sehe. Zwei Autos fahren an mir vorbei, doch eines gehört einem weiteren Nachbarn und das andere fährt ein Mann in den Achtzigern, der eindeutig keine Ähnlichkeit mit Eleanor hat.
Weitere drei Minuten später hält endlich ein grüner Mini neben mir und Louis Freundin winkt mir euphorisch entgegen. Ihre Begeisterungsanfälle sind etwas, die mich anfangs ein wenig irritiert haben, aber ihre Euphorie macht sie meistens umso sympathischer.
„Sollte ich dich nicht eigentlich zuhause abholen?", fragt Eleanor mich, nachdem sie einfach mitten auf der Straße parkt und in Seelenruhe den Kofferraum öffnet. Das entnervte Hupen des Autos hinter sich ignoriert sie gekonnt.
„Planänderung. Ich musste dringend dort weg", entgegne ich, während ich meinen Rollkoffer in den Kofferraum hieve. Skeptisch sehe ich zu der Studentin herüber. „Bist du sicher, dass das passt?"
„Minis schaffen Wunder", versichert sie mir überzeugt und drückt ein wenig an ihrem eigenen Gepäck herum, bis sich der Kofferraum knallend schließen lässt.
„Warum musstest du von zuhause flüchten, Ally?"
Ich verziehe das Gesicht. „Wirklich nicht so wichtig."
Eleanor geht völlig unberührt von drei weiteren Hupen zum Fahrersitz herüber und startet den Motor erst, als ich mich auf der Beifahrerseite angeschnallt habe.
„Komm schon, das kannst du mir nicht einfach so erzählen. Ich bin viel zu neugierig."
Seufzend lasse ich mich in den Sitz zurücksenken. „Ich durfte mir gerade einen Sexvortrag anhören."
Eleanors helles Lachen dringt durch das Innere des Autos, das erstaunlicherweise mehr Platz aufweist, als ich gedacht hätte.
„Tut mir leid. Meine Mum hat mir den mit Sechzehn gegeben und mich dann ermahnt, dass ich bloß erst gar nicht mit einem Jungen schlafen soll."
„Ich beneide dich", kommentiere ich trocken. „Das ist genau das, was Eltern sagen sollten. Stattdessen habe ich mir gerade anhören dürfen, wie toll ein Sexleben doch ist – vorzugsweise natürlich das meiner eigenen Eltern – und das Harry süß genug ist, um mit ihm zu schlafen."
„Okay, es ist offiziell. Ich liebe deine Mum", prustet Eleanor.
„Wir können gerne tauschen", erwidere ich grinsend. „Ist es okay, wenn ich den Musiksender wechsele?"
„Sicher. Solange überhaupt etwas läuft, bin ich für alles zu haben."
Sofort durchsuche ich das Radio nach einem Lied, das mein Herz einen Augenblick stocken lässt. Dieser Augenblick fühlt sich immer ein wenig an, als eine Sekunde lang fliegen zu können und alle Lieder, die dieses Gefühl nicht in mir auslösen können, höre ich nicht.
Zeit mit Harry zu verbringen, fühlt sich nur noch besser an, weswegen ich mich schon darauf freue, ihn endlich wieder in meine Arme schließen zu können.
„Schickes Auto übrigens", lächele ich, während wir uns einen Weg quer durch Manchester nach Westen bahnen.
„Danke. Hat Lou mir letztes Jahr geschenkt."
Ich will Eleanor wirklich nicht anstarren, aber ich kann einfach nicht anders. „Louis hat dir ein Auto geschenkt?"
„Purer Eigennutz, damit er in Manchester nicht immer Taxi fahren muss."
Ich nicke bloß stumm, während ich ihre Worte verarbeite. Andere Leute schenken ihrer Freundin Blumen, Louis einen Wagen.
Am liebsten will ich mich bei Eleanor erkundigen, ob sie das nicht stört, doch ich kenne sie nicht gut genug, um mir die Frage erlauben zu können. Wir haben uns in den letzten Wochen zwar geschrieben und sind einige Male gemeinsam im Café gewesen, aber unsere Freundschaft ist bisher erst dabei, zu entstehen.
Ich bin ohnehin nicht gut darin, neue Freundschaften zu schließen und bis auf wenige Ausnahmen brauche ich meine Zeit, um mich anderen gegenüber zu öffnen. Eleanor ist eine dieser wenigen Personen, bei denen es mir leicht, weswegen ich lieber keine unangenehmen Fragen stelle.
„Muss ich mich fürs Konzert umziehen?", erkundige ich mich stattdessen. Einerseits um das Thema zu wechseln, andererseits aber auch einfach, weil ich die Antwort wirklich wissen muss.
„Nein, warum denn?" Sie wirft mir einen verwirrten Blick zu, bevor sie wieder nach vorne schaut. Mittlerweile haben wir den Highway erreicht, der uns nach Liverpool bringen wird.
Es ist wirklich bequemer als mit dem Zug, weswegen ich froh gewesen bin, dass Eleanor mich dazu überredet hat, einfach mit ihr mitzufahren.
„Ich weiß nicht", murmele ich. „Vielleicht braucht man Fankleidung? Ich meine, nicht dass ich welche hätte, aber vielleicht kann man sowas ja vor Ort kaufen? Oder geht man auf ein One Direction Konzert eher in High Heels? Darauf kann ich zwar überhaupt nicht laufen, aber zur Sicherheit habe ich ein paar im Koffer."
„Zu dem Anblick wird Harry sicherlich nicht Nein sagen."
Ich verziehe das Gesicht, denn ich hasse monströse Absätze. Sie sind ein Grauen der Welt, das erst gar nicht hätte erfunden werden sollen. „Also wirklich High Heels?"
„Nein, du kannst einfach deine Kleidung anlassen", beruhigt mich Eleanor lachend. „Zieh dir bei den Konzerten einfach an, worauf du Lust hast. Manchmal komme ich in Jogginghose, manchmal im Kleid. Es gibt keinen Dresscode."
Erleichtert atme ich aus, denn das ist wirklich gut zu hören. Ich habe schon mein Gespartes verschwinden sehen, bloß weil ich für Harrys Konzerte ein bestimmtes Aussehen zur Schau tragen muss.
„Bist du oft auf den Konzerten der Jungs, El?"
Louis' Freundin nickt und schüttelt dann sogleich den Kopf. Eine wirklich liebenswürdige Eigenart, die ich schon oft bei ihr beobachten konnte. „Anfangs ja, da habe ich jedes Konzert mitgenommen, wenn ich die Gelegenheit hatte. Wenn ich Louis mittlerweile besuche, warte ich auch oft einfach bloß im Hotel auf ihn. Das ist manchmal weniger stressig."
Ich nicke, auch wenn ich nicht wirklich verstehe, was genau sie meint. So viel Stress kann es wohl nicht sein, in einem Wagen in die Halle zu fahren und dann wieder zurück.
Als hätte Eleanor meinen Gedankengang erraten, schüttelt sie den Kopf. „Es ist nicht die Fahrt, die stressig ist, Ally. Eher die Fans und manchmal habe ich nicht genügend Energie mich mit Larry-Anhänger auseinanderzusetzen. Außerdem kann man den Ablauf irgendwann auswendig, dann sind die Konzerte nicht mehr ganz so interessant."
„Ich glaube nicht, dass ich Musik jemals uninteressant finden könnte", erwidere ich vorsichtig.
Sie schenkt mir ein trauriges Lächeln. „Dann lass uns beide hoffen, dass das auch so bleibt."
Ich versuche, den Klumpen in meinem Magen zu ignorieren und beschäftige meine Finger eilig mit der Suche nach einem weiteren Lied, das meinen Ansprüchen genügt.
Eleanor fängt an, voller Euphorie Britney Spears neuen Hit mitzugrölen und nachdem ich feststelle, dass sie beim Singen ebenso begabt ist wie ich es bin – nämlich überhaupt nicht – stimme ich lachend mit ein.
Die einstündige Fahrt nach Liverpool kommt mir sehr viel kürzer vor und ich bin froh, dass ich mich dafür entschieden habe, gemeinsam mit Eleanor anzureisen. Zum einen weil wir zusammen viel Spaß haben und zum anderen auch, weil sie sich auf dem Konzertgelände auskennen zu scheint.
Louis' Freundin steuert ihren Mini sicher zu einem etwas versteckten Tor, an dem jemand von der Security ihren Ausweis kontrolliert und ihr zwei Backstagepässe überreicht.
„Danke Arnold", lächelt Eleanor und hängt dann eines der Plastikschilder an mich weiter. „Den darfst du keinesfalls verlieren, Ally. Die Security nimmt ihren Job sehr ernst und ohne den Pass kommst du nach dem Konzert nicht wieder hinter die Kulissen."
Ich nicke, während ich mir die Eintrittskarte in die Welt der Stars um den Hals hänge. Der Pass wiegt nicht viel, dennoch kommt es mir vor, als trüge ich nun ganze Steine am Körper.
„Wie viel Spritgeld kriegst du eigentlich von mir?", erkundige ich mich, als Eleanor das Auto schließlich neben einem Bus parkt.
„Nichts, alles gut."
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Sicher, El?"
„Sicher", entgegnet sie.
„Dann danke."
„Immer wieder gerne, Ally." Sie schenkt mir ein Lächeln. „Und jetzt komm. Wir sollten endlich unsere Jungs suchen."
Sie führt mich durch einen Hintereingang, wo unser Ausweis erneut kontrolliert wird und führt mich dann selbstverständlich durch die Gänge unter der Arena. Ich muss zugeben, dass ich sie etwas feudaler erwartet hätte, doch tatsächlich sind es bloß kahle Betonwände, auf denen von Zeit zu Zeit einige Richtungsanweisungen angebracht sind.
„Wie oft bist du bereits hier gewesen?", frage ich Eleanor, die die Schilder nicht einmal brauchen zu scheint.
„Ich gehe normalerweise immer auf die Konzerte in London, Manchester und Liverpool", erzählt sie mir und zuckt dann mit den Achseln. „So oft war ich jetzt auch noch nicht hier. Ich habe einfach einen guten Orientierungssinn."
„Das ist bewundernswert", antworte ich beeindruckt.
Sie lacht leicht. „Orientierung ist also nicht ganz so deins?"
„Nein, nicht wirklich", gebe ich zu. „Ich meine, ich finde mich schon zurecht, aber es ist jetzt nicht eine meiner stärkeren Eigenschaften."
„Dann kannst du froh sein, dass du Harry hast. Er ist ganz gut darin", plaudert Eleanor munter drauf los und erzählt mir dann eine Geschichte aus ihrer Kindheit, wie sie gemeinsam mit meinem Freund nach Manchester aufgebrochen ist. Ich höre stumm zu, während ich versuche, all die Details über Harry in mich aufzusaugen.
Ein beschriftetes Blatt, das in eine Plastikfolie geschoben und dann auf eine Tür geklebt wurde, kündigt ohne großen Glanz den Aufenthaltsraum an. Doch eigentlich ist das Schild ohnehin überflüssig, hört man doch schon von weiten angeregte Unterhaltungen und lautes Lachen.
„Es ist immer voller Leben, egal wo die Jungs sind, Ally. Daran kannst du dich schon einmal gewöhnen, denn das wird sich wohl nie ändern."
Eleanor wirft die Tür schwungvoll auf, sodass diese knallend gegen die Betonwand schlägt, und springt dann Louis in die Arme, der sie lachend durch die Luft dreht. Dann küssen sie sich so intensiv, dass ich schleunigst woanders hinsehen muss.
Mein Blick findet Harry, der mich mit einem breiten Grinsen ansieht und die Arme ausbreitet, als würde er die Welt umarmen wollen. Doch ich bin alles, was gerade haben will.
Lächelnd lasse ich mich in seine Umarmung fallen und klaue mir einen unschuldigen Kuss von seinen Lippen, bevor ich mein Gesicht an seinem Nacken vergrabe. Seine Lippen finden meine Wange und als ich mich wieder ein Stück von ihm löse, um ihn ansehen zu können, sind seine Lippen zu einem wunderschönen Lächeln verzogen.
„Hey, Al. Du siehst gut aus."
„Du auch." Mit roten Wangen sehe ich ihn an. „Ich habe dich vermisst."
„Nicht so sehr wie ich dich", flüstert Harry und küsst mich sanft.
Als wir uns wieder voneinander lösen, wird mir bewusst, dass uns einige der Anwesenden neugierig anstarren. Mit roten Wangen vergrabe ich mein Gesicht in Harrys T-Shirt, dessen Lachen daraufhin wie mein Lieblingslied in mein Ohr fliegt.
„Sie haben versprochen, nett zu sein", flüstert mein Freund mir zu. „Komm, ich stell dich vor."
Bevor ich überhaupt die Gelegenheit habe, zu protestieren, zieht Harry mich bereits zu einem der beiden Sofa herüber, die in der Ecke des Raumes behelfsmäßig aufgestellt wurden. Er lässt sich auf die Couch fallen und zieht mich mangels weiterer Sitzplätze auf seinen Schoß. Ich beschwere mich nicht, denn als er wie selbstverständlich die Arme um mich legt und ich seinen regelmäßigen Herzschlag im Rücken spüren kann, wird mir bewusst, wie sehr er mir wirklich gefehlt hat. Ich habe vor, jeden Moment dieser kleinen Unendlichkeit heute mit ihm zu genießen.
Es wird nicht lange dauern, bis Harry wieder unterwegs ist, aber deswegen werden wir unsere kurze Zeit nur umso mehr zu schätzen wissen.
„Ihr beiden seid mir eindeutig lieber als Lou und Ellie." Niall Horan nickt lachend in Richtung des Paares, das immer noch aussieht, als würden sie sich gegenseitig auffressen.
„Danke?", murmele ich, unsicher, was er von mir erwartet.
„Hey, Al. Freut mich, dich kennen zu lernen", meint Liam lächelnd und dreht sich in meine Richtung, um mir die Hand schütteln zu können.
„Freut mich ebenfalls", antworte ich leise.
Innerlich sterbe ich tausend Tode, doch entweder merkt Harrys Bandkollege nichts von meiner Unsicherheit oder ist nett genug, um mich nicht darauf hinzuweisen.
„Das dort hinten sind Zayn und das neben ihm ist unser Ire –"
„Ich bin übrigens Niall", unterbricht dieser Liam lächelnd und schüttelt mir wie selbstverständlich die Hand, während er sich über Liams Schulter, der neben Harry und mir sitzt, in meine Richtung beugt. „Was du wahrscheinlich bereits weißt, wie ich hoffe."
Ich nicke überfordert. „Ja, das hat Harry mir bereits erzählt."
„Harry versteckt seine Freundin nämlich nicht vor seinen Freunden im Gegensatz zu anderen Leuten", meldet sich mein Freund trocken.
Dieses Mal sind es Nialls Wangen, die sich verdächtig verfärben. „Ich verstecke niemanden vor euch. Es ist momentan bloß alles ein wenig kompliziert."
„Also ist Ellie einfach nur dein Buddy, während ihr euch die Zungen in den Hals schiebt?", merkt Zayn lachend an.
Niall streckt ihm den Mittelfinger entgegen. „Vielleicht spielen wir auch einfach bloß Karten."
„Wahrscheinlich spielt ihr eher, wie kann ich dem anderen am schnellsten die Kleider vom Leib reißen, Nialler."
Ich drehe mich in Harrys Armen, damit ich ihn ansehen kann.
„Wer ist Ellie?", flüstere ich ihm ins Ohr, während ich mit ungutem Gefühl im Magen zu Eleanor und Louis herübersehe, die immer noch völlig in ihrer eigenen Welt sind. „Doch nicht Louis' El?"
Harry fängt so heftig an zu lachen, dass er sich an seinem eigenen Atem verschluckt. „Nein, keine Sorge, Al. El und Lou sind wahrscheinlich die treuesten Leute, die du hier finden wirst. Niall hat etwas mit Ellie Goulding am Laufen." Er wird lauter und sieht Niall an. „Auch wenn er das nicht zugeben will."
Der Ire schüttelt bloß den Kopf und vergräbt sein Gesicht in seinem Handy.
„Na, hat Ellie dir geschrieben?", zieht Zayn ihn auf.
„Ist es bei euch immer so hektisch?", frage ich Harry leise, der mich daraufhin verwirrt ansieht.
„Gerade ist doch alles total ruhig und entspannt."
Ich nicke bloß stumm, denn wenn dieser laute Aufenthaltsraum für Harry schon Entspannung bedeutet, macht es keinem Sinn, ihm nun zu erzählen, dass mich all das bereits überfordert.
Als würde er jedoch spüren, dass es mir nicht so gut geht, verteilt er leichte Küsse auf meinem Nacken, bis ich lächele.
„Geht es dir gut, Al?"
Ich kann Harrys besorgten Blick in meinem Rücken spüren, weswegen ich vorsichtig unsere Finger miteinander verschränke, um ihm zu versichern, dass es mir gut geht. Ich bin einfach bloß kein Fan von Unbekannten und großen Menschenmengen.
„Alles super", schwindele ich und gebe ihm einen kurzen Kuss, damit er nicht weiter nachhakt.
„Du gehst also noch zur Schule, Ally?" Fragend sieht Liam mich an.
Ich nicke stumm.
„Geht sie, aber sie macht bald ihren Abschluss", antwortet Harry für mich.
Liam dreht sich weiter in meine Richtung. „Welche A Levels hast du denn?"
„Nichts interessantes", murmele ich und stelle dann hastig eine Frage zur Tour, um nicht über mich selbst reden zu müssen. Es ist nett, dass er sich bemüht, mich kennenzulernen, aber ich habe immer schon Probleme damit gehabt, viel über mein eigenes Leben zu berichten.
Die restlichen Minuten fühlen sich unter meinen Fingerspitzen an wie zähes Kaugummi und einzig Harrys beruhigende Umarmung stellt sicher, dass ich nicht panisch aus dem Raum stürme. Ich bleibe meistens stumm und folge den Gesprächen schweigend, doch das scheint glücklicherweise niemandem aufzufallen, denn alle anderen verhalten sich so, als hätten sie den Spaß ihres Lebens.
„Jungs, ihr müsst los. Das Meet und Greet beginnt", ruft irgendwann eine professionell aussehende Dame, die mit dem Klemmbrett wedelt und Louis mahnend ansieht, als er versucht, ihr das Stück Holz zu entwenden.
„Ich bin gleich wieder da", flüstert Harry mir ins Ohr.
Schweigend nicke ich, während ich schweren Herzens seine Finger aus meinen gleiten lasse und dann aufstehe, damit er mit den anderen den Raum verlassen kann.
Nachdem die Band aufgebrochen ist, lässt Eleanor sich schwungvoll neben mich aufs Sofa fallen und kickt ihre Schuhe von den Füßen, bevor sie diese selbstverständlich auf meinen Beinen ablegt.
„Und?" Mit hochgezogener Augenbraue sieht sie mich an.
Verwirrt blinzele ich. „Was und?"
„Was hältst du so von den Jungs, Ally?"
„Sie sind alle nett", versichere ich ihr. „Es ist nur so, dass –"
„Dass du nicht so darauf stehst, viele neue Leute gleichzeitig kennenzulernen?"
Überrascht sehe ich sie an. „Woher weißt du das? Das habe ich dir nie erzählt."
„Nicht so schwer herauszufinden, wenn man ein wenig aufmerksam ist. Ich habe die Vermutung schon damals auf Harrys Geburtstagsparty gehabt und heute ist es mir dann erneut aufgefallen. Aber keine Sorge, Ally, dein Geheimnis ist sicher bei mir", entgegnet sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Du bist wirklich verdammt aufmerksam. Ich bin mir nicht sicher, ob Harry das bisher überhaupt bewusst realisiert hat", gebe ich leise zu.
Eleanor schüttelt grinsend den Kopf. „Hat er nicht. Aber man muss fairerweise zugeben, dass ich Soziologie studiere. Also musst du Harry einfach ein wenig Zeit geben. Oder es ihm sagen."
„Ich glaube, dann warte ich einfach."
„Wieso? Du kannst mit ihm reden, weißt du? Er ist meistens eigentlich ganz okay", versichert sie mir.
Ich lache leicht. „Das weiß ich. Glaubst du echt, ich wäre sonst mit ihm zusammen?"
„Nein, du wärst niemals mit einem Idioten zusammen, Ally. Dafür bist du zu intelligent." Sie nippt wie selbstverständlich an der Cola, die Liam auf dem Couchtisch zurückgelassen hat und schüttelt den Kopf. „Aber du kannst wirklich mit Harry reden. Was hält dich davon ab?"
Ich zucke seufzend mit den Achseln. „Keine Ahnung. Ich... Es ist einfach nicht so einfach für mich, über wichtige Dinge zu reden."
„Aber Harry und du werdet es schon hinbekommen", versichert Eleanor mir und sieht mich dann gespielt mahnend an. „Dafür werde ich schon sorgen, denn es ist mal eine ganz gute Abwechslung mit dem Haufen der Jungs nicht immer alleine sein zu müssen."
Ihre Worte machen mir zum ersten Mal wirklich bewusst, welches Glück ich habe, dass Eleanor Calder existiert. Ich kann mir nicht vorstellen, wie viel schwerer ich es hätte, wenn sie mich nicht heute auf diesen Nachmittag vorbereitet hätte.
„Was ist mit Liams Freundin? Dani?", werfe ich dennoch ein. „Ist sie nie bei den Konzerten?"
Eleanor zögert kurz, als wäre sie sich nicht sicher, wie viel sie sagen darf. Es ist ungewohnt, die Studentin so zu sehen, denkt sie ansonsten doch nie nach und lässt alle Worte unbekümmert über ihre Lippen fliegen, als wären sie nichts wert.
„Danis und Liams Beziehung ist kompliziert, weil sie beide ziemlich viel unterwegs sind und sich viel zu selten sehen", meint Eleanor schließlich. „Immer wenn sie auf einem der Konzerte ist, wird ihr bewusst, wie unterschiedlich Liams Leben eigentlich ist und deswegen kommt sie nicht so oft. Sie glaubt, dass das ihre Beziehung leichter macht."
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Aber das hilft doch auch nicht."
„Das weiß ich. Und Dani wahrscheinlich auch irgendwie", entgegnet Eleanor. „Aber die Liebe bringt einen manchmal dazu, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen."
Seufzend lasse ich mich ein wenig an der Lehne des Sofas heruntergleiten. „Die Liebe ist meistens nicht einfach, sondern total unlogisch."
„Aber dennoch irgendwie das Beste, was einem passieren kann, oder?"
Sofort gleiten meine Gedanken zu Harry und zu der Art, wie er mich zum Lächeln bringen kann, selbst wenn ich das gar nicht will. Zu all den Gesprächen, die selbst meine dunkelsten Tage in die wunderschönsten verwandeln können, einfach weil ich seine Stimme höre. Zu seinen sanften Küssen, seinen Berührungen, die mir das Gefühl geben können, die ganze Welt zu besiegen.
Es ist keine Liebe, was ich für Harry empfinde. Noch nicht. Aber ich habe keine Zweifel daran, dass die Möglichkeit zumindest besteht.
„Ja, vielleicht ist die Liebe gar nicht so schlecht", flüstere ich.
Die Tür des Aufenthaltsraums fliegt krachend auf und mir kommt der Gedanke, dass Eleanor anscheinend nicht die einzige ist, die schwungvoll durchs Leben marschiert. Ihr Freund schreitet genauso selbstsicher durch den Raum, bevor er sich zwischen Eleanor und mich auf das viel zu kleine Sofa quetscht.
„Autsch", protestiert die Studentin lachend und schlägt ihm leicht gegen den Oberarm. „Hau ab, Lou."
Ich lache, bis mein Blick auf Harry fällt, der als letzter in den Raum zurückkehrt und aussieht, als wäre er gerade das Opfer eines Regenschauers geworden.
Mit gerunzelter Stirn erhebe ich mich vom Sofa und gehe dann langsam zu ihm herüber.
„Was ist los, Hazza?"
Er weicht meinem Blick aus, während er wie verrückt an seiner Wange reibt, die bereits ganz gerötet ist. Erst jetzt fällt mir auf, dass ein roter Lippenstiftabdruck sich dort verewigt hat.
„Ich wollte das wirklich nicht, Al", versichert er mir. „Ich würde überfallen, bevor ich überhaupt protestieren konnte."
„Schon gut", murmele ich und halte seine Hand fest, als er keine Anstalten macht, mit dem Reiben aufzuhören. „Warte kurz."
Harry sieht mir stumm hinterher, während ich ein Taschentuch aus meiner Tasche fische und behelfsmäßig ein wenig Mineralwasser darauf verteile. Dann gehe ich wieder zu ihm herüber und wische sanft, bis sich der Lippenstiftabdruck verflüchtigt. Nach ein paar Augenblicken ist die Rötung seiner Haut alles, was noch daran erinnert.
„Wirklich, es tut mir wahnsinnig leid, dass das passiert ist, Al. Ich will nicht, dass du denkst, dass du das auf jedem Konzert passiert."
Harry sieht mich an, als hätte ich ein Messer in der Hand, das ich jeden Moment in sein Herz stoßen könnte. Doch selbst wenn ich eine Klinge hätte, könnte ich sie doch nicht führen, weil ich mich damit gleichzeitig selbst verletzten würde.
„Solange es nicht dein Mund ist, sondern bloß die Wange", murmele ich, in dem Versuch, ihn ein wenig aufzuheitern. Doch die Falten auf seiner Stirn, die eine ein wenig größer als die andere, furchn sich nur noch weiter in seine Haut.
„Al."
Seufzend nehme ich seine Hand in meine und verschränke unsere Finger miteinander. Er folgt meiner Bewegung mit Blicken, als wäre er bloß so sicher, dass das hier gerade wirklich passiert.
„Was willst du von mir hören, Harry? Dass ich es nicht toll finde, dass dir ein anderes Mädchen Abdrücke verpasst? Natürlich tue ich das nicht", murmele ich. „Aber wir können es jetzt nicht ändern, oder? Also lass uns bitte einfach die verbleibende Zeit genießen."
„Okay", flüstert er. Dann küsst er mich, das erste Mal richtig, seitdem ich durch die Tür geschritten bin. Er küsst mich, ohne sich darum zu kümmern, dass all seine Bandkollegen sich direkt neben uns befinden. Er küsst mich, als wäre ich das einzige, was ihm am Leben hält. Mir bleibt keine Zeit für Panik, keine Zeit für Scham, denn alles was in diesem Augenblick zählt, sind seine Lippen auf meinen, so wunderbar weich und liebevoll.
„Nur damit du es weißt, meine Lippen gehören nur dir, Al", lächelt er, als wir uns schließlich außer Atem wieder voneinander lösen.
„Ihr seid auch nicht besser als Lou und El", ruft Niall uns zu.
Ich vergrabe mein Gesicht an Harrys Schulter, während mein Freund ihm bloß lachend den Mittelfinger entgegenstreckt. „Such du dir lieber mal eine Freundin und beende das Theater mit Ellie."
Harry zieht mich in eine Umarmung und ich weiß nicht, wie lange wir einfach bloß dastehen, die Anwesenheit des anderen genießen, während wir die Welt um uns herum ausblenden. Ich weiß bloß, dass mein Herz mit jeder Sekunde schneller schlägt und fällt, bis sein Name das einzige ist, was noch in meinen Gedanken präsent ist.
Irgendwann jedoch wird unser Wunderland zerstört und Harry verschwindet mit den anderen, während Eleanor mich selbstsicher durch den Backstagebereich steuert, bis wir den abgesperrten Platz direkt vor der Bühne erreichen. Ich bin noch nie auf einem Konzert so nah dran gewesen und dennoch kommt es mir einen Augenblick ein wenig so vor, als wäre nichts hiervon real.
Einen Augenblick lang ist alles dunkel, dann blitzt etwas und ohrenbetörendes Gekreische ertönt, während die Jungs auftauchen.
„Das ist verdammt laut", schreie ich Eleanor entgegen. Ich brauche drei Versuche, bis sie mich überhaupt verstehen kann.
Ich sehe, dass sie lacht, kann sie dennoch nicht wirklich verstehen. „Das ist noch gar nichts, Ally. Warte mal ab, da kommt noch mehr", entgegnet sie.
Zwanzig Minuten später wird mir bewusst, wie Recht sie hat. One Direction ist ein anderes Universum, das mir bisher verborgen geblieben ist.
Während Harry über die Bühne hüpft, wird mir zum ersten Mal wirklich bewusst, wie unterschiedlich unsere Welten wirklich sind. Einen Augenblick lang befürchte ich, dass ich in seiner nie willkommen sein werde.
Er wirkt immer noch wie mein Freund du gleichzeitig auch wie ein Fremder. Alles an ihm ist strahlender, lauter und bestimmter. Die Zweifel und Nachdenklichkeit, die Harry in ruhigen Momenten zur Schau trägt, sind vollkommen verschwunden.
Es macht mir Angst, ich befürchte, dass ich in dieser Welt keinen Platz haben werde.
Doch als Harrys Blick auf mich fällt und sich seine Lippen zu einem breiten Lächeln verziehen, verschwinden meine Gedanken. Alles außer meinem schnell klopfenden Herzen wird durch einen Schleier versteckt.
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