12 | desultory

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d e s u l t o r y

dezember 2012

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Allison || „Wieso genau muss ich dieses Monstrum eigentlich jetzt schon tragen, Jill?"

Während ich eingewickelt in einem Bettlaken durch den Wald stampfe, zweifele ich kurz wirklich an meinem Verstand. Aber meine beste Freundin neben mir quatscht so begeistert über ihr neues Projekt, während der Matsch unter unseren Füßen durch die Luft wedelt, vermischt mit einzelnen nassen Regentropfen und Moss, das sich wie ein nicht zu bändigendes Ungeheuer jede Sekunde mehr zu vermehren scheint.

„Damit es authentisch wirkt", entgegnet sie, als wäre das das Selbstverständlichste der Welt. „So kannst du dich schon einmal in deine Rolle reinfühlen und die Matschflecken sollen schließlich auch überzeugend wirken. Nicht wie halbwegs rangeklatscht, schließlich ist das hier eine Filmproduktion."

Mir zuliebe ist Jillian ebenfalls in einem Bettlaken unterwegs und durch ihre dicke Winter Jacke darunter wirkt sie wie ein Michelinmännchen, das durch den Wald rollt. Sie sieht mindestens genauso schlimm aus wie ich, während wir uns auf die Lichtung durchkämpfen, die sie als Kulisse nutzen will.

„Wo bist du Mittwoch mit Harry gewesen?" Fragend sieht Jillian in meine Richtung, wobei ich das genau genommen nur daran festmachen kann, dass die behelfsmäßigen Augenschlitze, die sie kurzerhand in die Laken geschnitzt hat, ein wenig nach links wandern.

„Bowlen", entgegne ich ihr und unterdrücke ein Quietschen, als mir eine Spinne über den Fuß läuft. „Wundersamer Weise haben wir sogar irgendwie den einzigen Tag im Jahr in Dannys Bowl Club erwischt, an dem die einzig anderen Gäste aus dem Altenheim kamen. Also kreischfreie Zone."

Jillian schützt ihre Kamera, als wäre sie lebendig, während der Regen auf uns herabprasselt. Irgendwie scheint sie der Meinung zu sein, dass wir beide mehr Wasser vertragen können als ihr Lieblingsgerät.

„Harry führt dich zum Essen aus, nimmt dich mit zu tausenden Dates und letzte Woche wart ihr sogar Lasertag spielen. Ich meine, Lasertag!" Meine beste Freundin wedelt durch die Luft, um ihren Standpunkt zu unterstreichen. Dabei verfängt sie sich jedoch beinahe in einem Ast, weswegen ich hastig ihren Arm festhalte. „Ich will auch endlich mal wieder ein gutes Date haben. Die Jungs unserer Schule sind alle Nieten. Also könntest du Harry bitte mal fragen, ob er vielleicht noch einen Zwillingsbruder hat? Vielleicht die unberühmte Variante? Die würde mir ja schon reichen."

Lachend laufe ich neben ihr durch den Wald, der mein Gelächter sekundenspäter schon wieder verschluckt und in ein gruseliges Echo verwandelt hat.

„Hat er nicht", antworte ich grinsend und werde dann wieder ernst, was nicht einfach ist, wenn man immer noch in einem Bettlaken unterwegs ist. „Aber wirklich, es ist mir egal, ob Harry nun berühmt ist oder nicht. Ich mag ihn einfach gerne."

„Das weiß ich doch, Ally", entgegnet meine beste Freundin mit einem freundschaftlichen Stups, wobei sie leider nicht bedacht hat, dass wir beide gerade aufgrund unserer Verkleidung motorisch nicht die besten sind.

Ihre Berührung bringt mich dazu, zu stolpern und panisch halte ich mich an ihr fest, wodurch ich sie ebenfalls mit mir auf den Boden reiße. Mit einem lauten Platsch landen wir in der flüssigen Matsche und müssen so sehr lachen, dass es eine Weile dauert, bis wir wieder aufstehen können.

„Nun sind unsere Kostüme aber auch wirklich authentisch genug", kommentiere ich trocken, als ich die braunen Flecke an unserem Hintern entdecke.

Jillian bricht erneut in Gelächter aus, das wie eine Wolfkolonie durch den Wald schallt. Es tut unheimlich gut, etwas gemeinsam mit ihr zu unternehmen, selbst wenn ich dafür diesen Höllentrip hinter mich bringen muss. Denn wenn ich ehrlich bin, hat sie doch Recht mit ihrer Aussage, dass Harry und ich die letzten Wochen ununterbrochen miteinander zu tun hatten.

An den Tagen, an denen er nicht nach Manchester gegurkt kommt, telefonieren wir stundenlang und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich meine beste Freundin ein wenig vernachlässige. Doch diese hat mich bloß augenverdrehend angesehen, als ich ihr das heute Morgen gebeichtet habe und mir gesagt, dass ich das gefälligst genießen soll. Trotzdem habe ich mich sehr viel schneller als sonst für ihr neues Kameraexperiment bereitschlagen lassen.

„Ally, ich weiß wirklich, dass es dir nicht egaler sein könnte, dass Harry berühmt ist", geht Jillian schließlich wieder auf unser ursprüngliches Gespräch ein, nachdem sie sich versichert hat, dass ihre Kamera den Sturz schadenlos überstanden hat. „Aber hast du dir mal Gedanken gemacht, was das bedeutet? Sein Leben wird von Millionen Menschen beobachtet. Außerdem hat dein Freund –"

„Harry ist nicht mein Freund", unterbreche ich sie mit roten Wangen und bin zum ersten Mal froh über dieses furchtbare Bettlaken, das mein brennendes Gesicht vor ihr versteckt.

Jillian wedelt kraftvoll durch die Luft und ich weiß, dass sie die Augen verdreht, auch wenn ich sie nicht vor mir sehe. Dafür kenne ich meine beste Freundin seit Kindheitstagen gut genug.

„Details, Ally. Es ist ja nicht so, als wärt ihr nicht exklusiv und du über beide Ohren verknallt."

Ihre Worte bringen mich dazu, kurz zu stolpern und leider ist nicht der matschige Untergrund Schuld daran.

„Wir sind nicht exklusiv", merke ich möglichst beiläufig an, während mein Herz gerade tausend Tode stirbt. Bis zu diesem Moment habe ich mir nicht einmal Gedanken darüber gemacht, sondern habe einfach bloß angenommen, dass Harry niemand anderen trifft. Aber wenn wir ehrlich sind, kann ich von mir keine Rückschlüsse auf ihn ziehen. Vielleicht ist das mit mir einfach nur eine willkommene Ablenkung für ihn.

„Also geht ihr mit anderen aus?" Jillians vorsichtige Frage reißt mich zurück aus meiner Gedankenwelt, die sich immer panischer in die Höhe treibt.

Ich schlucke hörbar, doch der Kloß in meinem Hals will dennoch nicht verschwinden. „Keine Ahnung. Harry und ich haben nie wirklich darüber geredet."

„Was ist, wenn er das tut, Ally?"

Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich Jillian mit deutlich langsameren Schritten durch den Wald folge. Meine Gedanken können nicht aufhören, sich immer weiter im Kreis zu drehen. Sie wirbeln wie ein Tornado und ich habe Angst, dass mich die Unsicherheit niederreißen wird. Das ist nichts für das Mädchen, das ansonsten das Risiko scheut.

„Glaubst du, dass er das tut?" Meine Stimme ist viel zu leise, als sie schließlich den Weg in das Gefängnis der Freiheit findet.

„Ich weiß es nicht", entgegnet meine beste Freundin langsam. „Für mich ist Harry einfach nur eine Person aus dem Fernsehen. Ich kann ihn null einschätzen. Du bist diejenige, die ihn näher kennt."

Das dachte ich auch, doch gerade sind meine Gedanken blank. Harry könnte zehn Frauen gleichzeitig haben, sicherlich sogar hunderte, so wie sich die Fans damals im Club an seinem Hals geworfen haben, und ich wüsste es nicht einmal. Es wäre nicht einmal falsch von ihm, weil wir einfach nie darüber geredet haben. Seit unserem Kuss am Rastplatz hat sich das, was auch immer zwischen uns ist, einfach verselbstständigt und ich war der Illusion erlegen, dass wir beide das gleiche wollen. Aber vielleicht ist das auch einfach nur naiv.

„Keine Ahnung, Jill. Ich habe wirklich keine Idee."

Sie legt mir aufmunternd einen Arm über die Schulter, was durch das Bettlaken durchaus ungemütlich für sie sein muss. „Dann finde es einfach heraus, bevor du zu tief drin steckst."

Ich lache, doch es ist kein belustigtes Lachen, sondern eher ein kapitulierendes.

„Tue ich schon", flüstere ich leise, um den Worten nicht zu viel Kraft zu geben. „Ich glaube, ich bin bereits dabei, mich in Harry zu verlieben."

„Kopf hoch, viele seiner Fans tun das sicher auch", meint Jill aufmunternd und ich bin ihr dankbar für den Scherz. Sie hilft mir dabei, mich an die Realität zu klammern, während mich die Panik meiner Gedanken zu überwältigen droht.

„Aber ernsthaft, Ally. Das ist bloß ein Grund mehr, um schleunigst herauszufinden, wie genau er sich euer Dating vorstellt."

Wir haben die Lichtung ihrer Kulisse längst erreicht, dennoch hängt ihre Kamera vergessen um ihren Hals, während meine beste Freundin sich ganz auf mich konzentriert.

„Ich frage ihn irgendwann mal", murmele ich.

Sie hebt ihr Bettlaken an, was einen Moment dauert, nur um mich intensiv mustern zu können. Ihr Blick wirkt wie ein übertragener Tritt in den Hintern, wie immer, wenn ich vor etwas davon laufen will. „Nicht irgendwann, sondern heute."

„In den nächsten Tagen, Jill?", versuche ich zu verhandeln.

„Heute", entgegnet sie seufzend, während ihr Blick nicht eine Sekunde an Kraft verliert. „Glaub mir, Ally, es ist besser so, als wenn du dich weiter mit dem Gedanken quälst."

„Tue ich doch gar nicht", entgegne ich stur, doch ich klinge nicht überzeugend genug. Nicht, wenn meine Gedanken gerade dabei sind, einen Fehler nach dem anderen zu durchdenken.

Jillian zieht eine Augenbraue hoch. „Tust du doch. Wahrscheinlich datet Harry ohnehin nur dich. Ich hätte es dir gar nicht erzählen sollen, ich weiß doch, wie sehr du dich in die Gedanken reinsteigern kannst."

Seufzend schüttele ich den Kopf. „Nein, es ist gut, dass du es mir gesagt hast. Himmel, ich komme mir gerade so dumm vor. Was ist wenn ich einfach viel zu viel in all das hineininterpretiere und Harry das mit uns gar nicht ernst meint?"

Meine beste Freundin kämpft sich gänzlich aus ihrem Bettlaken, das mittlerweile von dem ganzen Schlamm steif geworden ist. Ich protestiere nicht, dass ich nun die einzige bin, die total bescheuert aussieht, weil es zum einenWwichtigeres gibt und ich mich zum anderen auch wirklich so fühle.

„Harry schickt dir jede Woche einen Blumenstrauß, das ist schon nicht mehr normal, aber doch irgendwie richtig süß. Außerdem ist er in den letzten Wochen so oft vor deiner Haustür aufgetaucht und hat dich auf Dates mitgenommen, dass er es sicherlich ernst meint", sagt Jillian schließlich und lässt das Bettlaken auf einen Baumstumpf fallen, damit es nicht direkt in dem Matsch des Waldbodens landet. „Wirklich, Ally. Ich habe dich in letzter Zeit kaum gesehen –" Sie wirft mir einen warnenden Blick zu, als ich mich dafür entschuldigen will. „Und das ist auch total okay. Ich meine damit nur, dass Harry so oft hierher gefahren ist. Vier Stunden von London aus wohlgemerkt. Das macht niemand, der kein ernsthaftes Interesse hat."

Ihre Worte bringen mich dazu, dass ich endlich wieder leichter atmen kann. Meine Gedanken wirbeln immer noch, aber ihre Sätze legen sie in Ketten, mäßigen sie und werden sie hoffentlich gleich gänzlich hinter Käfigtüren sperren.

„Es sind bloß dreieinhalb Stunden", merke ich an. „Zumindest wenn Harry fährt."

Jillians Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. „Dann können wir bloß hoffen, dass er sich nicht irgendwann einmal um einen Baum wickelt."

„Er fährt wirklich gut", murmele ich, während ich das Bettlaken immerhin so zurechtzurücken versuche, dass ich wieder freie Sicht habe und meine Augen durch die Gucklöcher schauen können.

„Das erwähntest du bereits", lacht meine beste Freundin. Als sie mir dieses Mal einen freundschaftlichen Stups verleiht, ist dieser so sanft, dass wir tatsächlich auf den Beinen bleiben. „Nur deswegen hast du überhaupt meine Erlaubnis, bei Harry Styles ins Auto zu steigen."

Ihre Worte bringen mich zum Lachen und sperren meine Gedanken gänzlich mit einem Knall hinter dicke Käfigtüren. Nun schreien sie bloß nur noch stumm.

„Danke dass du meine beste Freundin bist, Jill."

„Ich habe zu danken, Ally." Sie zieht mich in eine Umarmung, wobei es sie nicht kümmert, dass ihre Jacke durch mein Bettlaken dreckverschmiert ist, als wir uns wieder voneinander lösen. „Und jetzt lass uns endlich diese Szene drehen. Nur weil Harry berühmt ist, wird uns das sicherlich nicht davon abhalten, dieses Filmprojekt zu beenden. Da kann er meinetwegen Obama persönlich sein und er wäre es nicht wert."

Lachend stelle ich mich darauf ein, dass ich in den nächsten Stunden einiges ertragen werden muss. Wenn es um ihre Filmclips geht, ist meine beste Freundin die Perfektionistin schlechthin. Aber während ich schreiend mit einem Bettlaken durch den Wald renne, so ganz abseits meiner sonstigen Persönlichkeit, muss ich tatsächlich zugeben, dass es nach einigen Takes wirklich anfängt Spaß zu machen. Es hilft mir, die Gedanken zu vergessen, die in meinem Kopf immer stärker werden. Zumindest für eine Weile.

„Und Cut. Die Szene sitzt", ruft Jillian schließlich begeistert, als es bereits anfängt dunkel zu werden. „Danke für deine Hilfe, Ally. Du warst ein sehr guter böser Geist."

Erschöpft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, ziehe ich mir das schlammbehangene Bettlaken aus, das mittlerweile wirklich gut in einem Horrorfilm mitspielen könnte.

Aufgrund der mangelnden Ausrüstung, die bloß aus einer Kamera bestand, mussten wir jegliche Szenen deutlich öfter drehen als gedacht, weil meine beste Freundin verschiedene Blickwinkel einfangen wollte.

Doch alleine ihr breites Lächeln zu sehen, als sie mir nun eine Thermoskanne mit längst kalt gewordenem Kakao reicht, ist es die Anstrengung wert gewesen. Ich liebe es, ihr bei ihren Filmprojekten zu helfen, solange es sie glücklich macht. Und gerade strahlt sie von einem Ohr zum anderen.

„Es hat Spaß gemacht, einfach einmal den Wald zusammenzuschreien, wenn keiner zuhört", entgegne ich grinsend und reiche ihr die Thermoskanne, damit sie ebenfalls einen Schluck nehmen kann.

„Dir zuzuhören war noch besser", lacht sie vergnügt. „Das hatte Hollywoodpotenzial."

„Wer weiß, vielleicht lande ich ja doch irgendwie in Los Angeles", scherze ich, während sie ihre Kamera vorsichtig wieder in der dazugehörigen Tasche verstaut. Sie hat vor Jahren einmal meinem Dad gehört und Jillian pflegt sie wie ein Heiligtum.

„Dann machen wir beide gemeinsam die Stadt unsicher, Ally."

Ich rolle vorsichtig mein Bettlaken zusammen und hänge es mir dann so über den Arm, dass es meine Winterjacke nicht dreckig macht. Meine beste Freundin hat keine solcher Bedenken, sondern wirft sich ihr Matschhemd einfach über die Schulter, sodass es eine Spur durch den Wald zieht, als wir uns auf den Rückweg machen.

„Hast du schon neue Informationen zu dem Nachwuchswettbewerb bekommen?", frage ich sie schließlich, als wir uns in einen Bus quetschen und den irritierten Blick des Fahrers gekonnt ignorieren. Ich habe ebenfalls keine Erklärung dafür, warum wir aussehen, als hätten wir das letzte Jahrzehnt im Wald gehaust.

„Ich habe gestern den Brief bekommen, dass ich ins Halbfinale eingeladen bin", berichtet sie mir strahlend. „Das Halbfinale, Ally! Wie cool ist das bitte?"

Lachend werfe ich meine Arme um sie, was in der beengten Sitzreihe des Buses nicht ganz so einfach ist.

„Gratuliere, ich bin stolz auf dich."

„Ohne dich und deinen Dad hätte ich es nicht geschafft", entgegnet Jillian, was von ihr ein riesiges Kompliment ist.

Während der restlichen Rückreise werde ich über alle Details des Wettbewerbs informiert und sie klingt so begeistert, dass ich es nicht über das Herz bringe, ihr zu beichten, dass sie mir all das bei weitem nicht zum ersten Mal erzählt. Stattdessen lächele ich bloß und genieße ihre Freude.

Als sich unsere Wege in Manchester schließlich trennen, wirft Jillian mir noch einen aufmunternden Blick zu.

„Rede mit Harry. Tu es für dich, bevor du wahnsinnig wirst."

„Werde ich", murmele ich. „Versprochen."

Eine letzte Umarmung folgt und dann lässt meine beste Freundin mich mit meinen Gedanken zurück, während wir beide in unterschiedliche Richtungen unterwegs sind. Während der Metrofahrt wirbeln meine Gedanken wieder verrückt und ich muss mich anstrengen, damit sie mich nicht auf den Abgrund ziehen.

Deswegen bin ich froh, als ich endlich mein Haus betrete, in dem es wieder einmal völlig chaotisch vorgeht. Seths klassische Musik dringt schallend durch das ganze Gebäude und ich brauche nicht lange, um den Ursprung zu finden. Im Wohnzimmer wirbelt er mit geübtem Blick über den Holzfußboden und wirkt so konzentriert, dass ich ihn nicht unterbreche.

„Wie war dein Tag, Allison?", erkundigt sich meine Mutter, als ich mir in der Küche etwas zu essen nehme.

„Filmdreh", antworte ich erschöpft und lasse mich auf einen der Küchenstühle fallen, der leicht knatscht, als ich ihn zu schwungvoll an den Esstisch heranschiebe. „Jillian probiert ein paar neue Einstellungen für einen Horrorstreifen aus."

Mum fragt interessiert nach einigen Details und ich versuche, so gut es geht zu antworten, doch meine Gedanken wirbeln immer noch zu sehr immer um dieses eine verbotene Thema herum, das ich einfach nicht loswerde, weswegen ich froh bin, als ich mich endlich ins Bett fallen lassen kann.

Meine Finger gleiten wie selbstverständlich über das Handydisplay.

Das Telefon an meinem Ohr ist längst zu meinem täglichen Ritual abends geworden, weswegen Drake mich bereits für verrückt erklärt hat. Aber es gibt nichts Schöneres, als jede Nacht vor dem Schlafen stundenlang mit Harry telefonieren. Wir reden über alles Mögliche.

Doch die Momente, in denen wir beide schweigen und ich in der Stille seinen ruhigen Atem hören kann, bevor ich langsam in den Schlaf gleite, sind meine liebsten.

Heute jedoch habe ich Angst davor, dass Harry wirklich abhebt, weil das bedeutet, dass ich mein Versprechen einhalten muss.

Während die Hälfte von mir also betet, dass er nicht erreichbar ist und der andere Teil mehr als alles andere hofft, seine Stimme hören zu dürfen, entwickeln sich meine Gedanken zu einem Orkan.

„Hi Al." Harrys sanfte Worte reißen mich zurück in die Wirklichkeit.

Ein Lächeln legt sich so selbstverständlich auf meine Lippen, dass es mir Angst macht.

„Hey Harry", murmele ich. „Hast du Zeit zum Telefonieren? Oder eher nicht?"

„Für dich habe ich immer Zeit. Gib mir bloß eine Sekunde, okay? Wir sind gerade vom Interview wiedergekommen und ich freue mich schon den ganzen Tag auf meine Jogginghose."

„Die mit den Löchern?", ziehe ich ihn auf.

Harrys herzhaftes Lachen entweicht ihm. „Genau die."

Seine Stimme klingt ein wenig weiter weg, weil er den Lautsprecher angemacht hat und ich höre ein Rascheln, bevor seine Schranktüren – vermute ich zumindest, dem Knall nach zu urteilen – krachend ins Schloss fallen.

„So, jetzt bin ich ganz für dich da", meint er schließlich und stellt den Lautsprecher wieder ab. „Also erzähl, was hast du heute gemacht?"

Ich lasse mich auf den Rücken fallen und starre an meine Zimmerdecke, die im Laufe der Jahre zwei Flecken angesammelt hat.

„Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich in einem dreckigen Bettlaken schreiend durch den Wald gerannt bin?"

„Sollte ich dir das denn glauben?", fragt er mich unsicher.

„Ja, denn es ist die Wahrheit", erzähle ich grinsend. „Jillian hatte da diese neue Filmidee, die sie sofort umsetzen musste und jetzt fühlen sich meine Zehen an, als würden sie gleich abfallen."

Er lacht erneut und wie jedes Mal in den letzten Wochen trifft es mich direkt ins Herz. „Das hört sich nach einem Abenteuer an."

„War es", bestätige ich gähnend. „Aber auch total anstrengend. Ich könnte jeden Augenblick einschlafen."

Kurz ist es still am anderen Ende und ich befürchte schon, dass unser Gespräch beendet ist, als Harry dann doch wieder etwas sagt.

„Sollen wir dann lieber morgen telefonieren, Al?"

In den meisten Momenten ist er die Selbstsicherheit in Person, aber dann gibt es diese Augenblicke, in denen eine ganz andere Fassade von ihm zum Vorschein kommt. Diese unsichere Seite von ihm macht mir manchmal Angst, meistens jedoch bringt sie mich einfach zum Lächeln.

„Nein. Jetzt ist super. Ich werde einfach ein paar Horrorszenarien im Kopf abspielen, um nicht einzuschlagen."

Sein Lachen ist dieses Mal deutlich leiser, aber nicht weniger süß. „Vielleicht hilft es dir, dass ich heute vor dem nationalen Fernsehen gefragt wurde, wie es ist, mit Louis zusammenzuwohnen?"

„Kommt auf deine Antwort an."

„Ich habe ein paar Floskeln sagen wollen, doch Lou hat den Interviewer knallhart angesehen und gesagt, dass ich es liebe, solange er mit Eleanor nicht die Couch besetzt", berichtet Harry mir. „Ich meine, das kann man doch nicht sagen! Das ist so furchtbar peinlich."

Lachend wickele ich mich in meine Bettdecke ein. „Ist es", stimme ich ihm zu. „Aber sieh es positiv, immerhin weiß Lou anscheinend, dass es dich stört. Vielleicht ändert er dann was."

Harry schnaubt. „Nie im Leben. Eher scheint in London jeden Tag die Sonne."

Meine Augen starren auf den Mond, so kontrastreich zu jedem anderen Himmelsgestirn, dass er mich immer schon nachdenklich gestimmt hat. Heute jedoch erinnert er mich bloß an das Versprechen, dass ich gegeben habe.

„Al? Bist du noch da?", murmelt Harry schließlich, als das Schweigen zwischen uns gewinnt.

Ich räuspere mich. „Darf ich dich was fragen?"

„Klar. Du kannst mich alles fragen. Das weißt du doch", entgegnet er, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Er klingt so selbstsicher, während mein Inneres gerade tausend Kriege kämpft.

Meine Gedanken gewinnen immer mehr an Kraft, entwickeln sich wie eine Lawine und am liebsten hätte ich das Thema nie bedacht, geschweige denn die Sorgen in die Freiheit entlassen. Aber das Versprechen, welches mir Jillian gegenüber über die Lippen geschlüpft ist, hindert mich am Schweigen, denn nun bleibt mir nichts anderes übrig, als es einzuhalten. Ich breche keine Versprechen, nicht ein einziges habe ich je unter meinen Fingerspitzen zerstört.

„Könnten wir –" Meine Stimme bricht und ich muss erneut ansetzen. „Daten wir theoretisch auch andere?"

Kurz ist es still am anderen Ende, während ich Harry bloß hörbar schlucken höre. „Hast du das vor?"

„Was? Nein", versichere ich ihm eilig. „Ich dachte bloß, dass du –"

„Nein", unterbricht er mich. „Ich treffe mich nicht mit anderen. Nur mit dir, Al."

Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Das ist – das ist gut. Heißt das, dass das zwischen uns was Ernstes ist?"

Harry lacht leise. „Natürlich. Zumindest dachte ich das immer. Du bist das einzige Mädchen, was ich date und das meine ich grundsätzlich ernst."

Ich nicke, bis mir einfällt das er mich gar nicht sehen kann. „Okay, das ist gut. Weil ich es –  Ich meine es auch ernst."

Ein kurzes Rascheln ertönt und ich habe in letzter Zeit so oft mit ihm telefoniert, dass ich mittlerweile weiß, dass es daher stammt, dass er sich auf sein Bett fallen lässt.

„Hättest du mich sonst wieder auf einen Rastplatz gezerrt und mir die Idee andere zu daten ausgeredet?", zieht er mich auf.

Ich grinse, obwohl ich eigentlich gar nicht will. „Hör auf dich darüber lustig zu machen. Du warst derjenige, der völlig panisch war."

„Ich weiß, aber nur weil ich Angst hatte, mein erstes Date mit dem tollsten Mädchen versaut zu haben."

„Schleimer", murmele ich mit roten Wangen.

„Nur die Wahrheit, Al."

Ich verdrehe die Augen. „Fällst du oft auf deine eigenen Lügen rein?"

„Keine Lüge. Versprochen."

Harrys sanften Worte bringen mein Herz zum Fliegen und ich muss kurz die Augen zusammenpressen, den Rest der Welt ausblenden, um mich zu versichern, dass das hier die Realität ist. Doch selbst mit schwarzen Augenlidern sind seine Worte nicht weniger wahr.

„Ich könnte übermorgen vorbeikommen", schlägt er vor, während ich immer noch mein Herz bändigen muss. „Ich habe den Nachmittag frei und wir könnten uns  wenigstens ein paar Stunden sehen."

„Du musst nicht extra den ganzen Weg von London aus hierher kommen, Harry."

„Ich will aber, okay?", entgegnet er ohne Zögern. Das sind die Momente, in denen ich realisiere, dass ich nicht die einzige von uns beiden bin, die stur sein kann. „Ich will dich am liebsten jeden Tag sehen, Al."

Ein Lächeln legt sich wie von selbst auf meine Lippen. „Sagst du mir das noch einmal bitte?"

„Ich würde alles dafür geben, um dich jeden Tag sehen zu können, Allison Baker."

Mein Herz fliegt bis ins Universum und ich schaffe es nicht, ihm hinterherzurennen, ihm eine Warnung zuzurufen. Es fällt einfach immer tiefer, während es immer weiter in die Höhe steigt.

„Genau genommen haben wir uns erst letzte Woche gesehen", ziehe ich ihn lächelnd auf.

„Zu lange her", murmelt Harry. „Außerdem freut meine Mum sich sicherlich auch, wenn ich vorbeischaue.

Seine Worte bringen mich zum Lachen. „Hat sie schon wieder Wühlmäuse in der Küche?"

Seit unserem ersten Date musste er angeblich andauernd seine Mutter besuchen, was er anfangs noch darauf geschoben hat, dass er einfach viel helfen müsste. Doch spätestens nachdem er mir weiß machen wollte, dass seine Mum eine ganze Mäuseplage hat, bin ich nicht mehr darauf reingefallen.

„Nein", gibt er zu. „Aber ich komme trotzdem vorbei, weil ich dich sehen will. Es sei denn, du willst nicht?"

Mittlerweile kenne ich ihn gut genug, um zu wissen, dass seine Wangen einen Rotschimmel bekommen in diesem Augenblick. Ich liebe es, langsam all diese kleinen Details über Harry Styles zu kennen, die sonst niemand weiß. So viel über ihn ist der ganzen Welt bekannt, dass ich mich mit aller Kraft an diese Kleinigkeiten klammere, die nur mir gehören.

„Doch, natürlich will ich das", flüstere ich und unterdrücke ein Gähnen, das sich letztendlich doch einen Weg in die Freiheit kämpft.

„Ich lasse dich wahrscheinlich jetzt lieber schlafen", lächelt er. „Hören wir uns morgen?"

„Auf jeden Fall."

Die Stille zieht uns um eine Umarmung, doch ich würde am liebsten wochenlang mit ihm hier eingesperrt sein.

„Harry?"

„Al?"

Mein Herz klopft wie verrückt, während ich die nächsten Worte vorsichtig in die Luft entlasse.

„Ich will dich auch am liebsten auch jeden Tag sehen", flüstere ich mit roten Wangen.

„Das hoffe ich doch sehr, weil ich dich, sobald ich übermorgen aus dem Auto steige, leider küssen muss. Da kommst du gar nicht drum herum."

„Ich werde mich nicht wehren. Keine Sorge." Lächelnd starre ich an meine Zimmerdecke, während mein Herz tausend Hüpfer macht. „Bleibst du am Telefon, bis ich eingeschlafen bin?"

„Natürlich. Gute Nacht, Al."

„Gute Nacht, Harry."

Sein leiser Atem ist wie Musik in meinen Ohren, während ich langsam in den Schlaf gleite. Er ist wie mein Lieblingslied, das ich mein Leben lang kannte und bloß einige Jahre vergessen hatte. Nun wirbeln die Töne farbenfroh wieder durch mein Herz.

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