10 | coruscate
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c o r u s c a t e
november 2012
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Allison || Manche unerwarteten Augenblicke kann man vorhersehen, wie durch ein irritierendes Magengrummeln oder die vibrierende Luft unter seinen Fingerspitzen, die sich den ganzen Tag lang nach etwas Unbekannten sehen. Dieses hier ist einer der Augenblicke, die einen aus dem Nichts überraschen.
„Du hast gelogen. Du hast ja doch eine Lieblingsjogginghose, Al. Das kannst du überhaupt nicht leugnen, so ausgewaschen wie die ist", grinst er, als wäre es eine völlig normale Konversation.
Harry Styles vor meinem Haus zu sehen, gehört selbst mit Ankündigung zu den merkwürdigeren Momenten des Lebens. Aber nun ist er wie aus dem Nichts aufgetaucht, mit seinen grünen Augen und dem Lächeln auf den Lippen, von dem ich schon bei unserem ersten Treffen nicht genug bekommen konnte.
„Was machst du hier?", frage ich ihn mit aufgerissenen Augen.
Ich kann sehen, dass er hier vor mir steht. Natürlich kann ich das. Aber zwischen sehen und verstehen liegen manchmal Welten. Ganze Universen mit riskanten Augenblicken, die mich nun zu überwältigen wollen.
„Ich habe doch gesagt, dass ich dich abholen komme. Wir haben ein Date." Er fährt sich durch die Haare, die Finger gleiten langsam durch die Locken, bevor sie ihm wieder zurück in die Stirn fallen. „Hast du das vergessen, Al?"
„Ich dachte, das wäre ein Scherz", flüstere ich.
„War es nicht. Warum sollte ich darüber scherzen?"
Mein Zeigefinger beginnt manisch gegen meinen Oberschenkel zu klopfen, in seinem ganz eigenen Rhythmus, den ich noch nicht ganz durchschaut habe. Drei Sekunden lang, bevor ich überhaupt meine Lippen wieder öffnen kann, weil ich erst einmal seine Worte verarbeiten muss.
„Weil – Keine Ahnung. Es ist einfach so absurd, dass du hier stehst. Solltest du nicht auf einer Bühne stehen oder was auch immer Sänger an einem Wochenende tun?"
Harry beißt sich auf die Unterlippe. „Ich weiß nicht, was andere tun, aber ich hatte heute eigentlich vor, mit dir auszugehen. Bin ich den ganzen Weg umsonst hierher gefahren oder steht unser Date noch?" Er macht eine bedeutungsschwere Pause und zwinkert mir zu. „Es war ziemlich voll auf den Straßen, falls dir das ein schlechtes Gewissen macht."
„Ich schätze, dann kann ich dich nicht einfach zurückschicken", lache ich und öffne die Haustür, damit er über die Schwelle schreiten kann. Hinaus aus der Kälte des heranreifenden Winters, hinein in ein viel zu kleines Haus, das durch die Liebe seiner Bewohner am Leben gehalten wird.
Harry folgt mir wie selbstverständlich und es dauert einen Augenblick, bis mir wieder bewusst wird, dass er sich nicht zum ersten Mal in unserem Hausflur befindet.
„Wie genau hast du dir dieses Date denn vorgestellt?", frage ich, wobei ich ihm nicht in die Augen sehen kann. Alleine der Gedanke ist schon so unwirklich, doch meine Handflächen fangen langsam an zu schwitzen.
Wenn ich ehrlich bin, klopft mein Herz gerade bereits schneller als es sollte. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir bereits bei unserem letzten Treffen vorgestellt, wie einfach es ist, Zeit mit Harry zu verbringen. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich wirklich überhaupt gar kein Problem damit, mit ihm auszugehen.
„Das ist eine Überraschung", antwortet Harry mir, während er seine Schuhe ordentlich auf der Hausmatte austritt. Ich kann mich nicht erinnern, dass diese überhaupt je einmal von jemandem benutzt wurde in all den Jahren, in denen sie bereits in unserem Hausflur wohnt.
„Nur damit du es weißt: Ich hasse Überraschungen, Harry", erinnere ich ihn mit leiser Stimme.
Er schenkt mir ein Lächeln. „Und nur damit du es weißt: Ich glaube, dass ich es irgendwann lieben werde, dich überraschen zu dürfen."
„Vom Serienmörder zur Liebeserklärung? Soll keiner sagen, dass du langsam bist", lache ich.
Harrys Mundwinkel zucken erneut nach oben und mir fällt nicht zum ersten Mal auf, dass er andauernd lächelt. Das hat er bereits bei unserer ersten Begegnung getan, so frei und unbekümmert, dass ich es erst auf den Alkohol geschoben habe. Aber mittlerweile glaube ich, dass das einfach Harry ist.
„Wer sagt, dass Serienmörder und Liebeserklärung nicht gleichzeitig gehen?", meint er grinsend.
Ich verdrehe amüsiert die Augen. „Ist das hier gerade eine? Dann müsstest du das nämlich noch einmal üben."
Die Worte stehlen sich über meine Lippen, bevor ich sie zurückhalten kann.
Harry Styles ist gefährlich, das größte Risiko von allen, denn er bringt mich dazu, die Gedanken auszusprechen, die ansonsten bloß still in meinem Inneren ihre Fantasiewelt aufbauen. Er zwingt die Worte über meine Lippen, die eigentlich immer schon in mir schlummerten, sich aber nie an die Freiheit trauten. Doch in seiner Anwesenheit fliegen sie geradezu und es beginnt mir Angst zu machen.
„Keine Sorge, solltest du je eine Liebeserklärung von mir kriegen, läuft das anders ab", entgegnet er lachend.
„Wie denn genau? Nur damit ich mich auf den unwahrscheinlichen Fall vorbereiten kann?"
Sein linker Mundwinkel hebt sich. „Da wirst du dich überraschen lassen müssen, Al."
„Oh okay", flüstere ich, denn ich bin plötzlich vollkommen überfordert mit der Situation.
Mit den Worten, die wir so ohne Warnung durch die Welt schmeißen. Mit Harrys grünen Augen, die sich in meine bohren und keine Absicht haben zu scheinen, meinen Blick loszulassen.
Mit meinem Herz, das einen gefährlichen Hüpfer macht und sich zum ersten Mal in seinem Leben nach einem Abenteuer sehnt. Direkt auf den Abgrund zu, bereit sich über die Klippe stürzen zu lassen, freiwillig, die es seit jeher gemieden hat.
Harry Styles ist ein Meister des Risikos und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich nicht schmerzhaft an ihm verbrennen werde.
„Also kommst du mit, Al? Ich würde nämlich wirklich gerne mit dir ausgehen."
Mein Herz übernimmt die Kontrolle und es fürchtet mich, dass ich nicht einmal etwas tue, um es am Sprechen zu hindern. Ich sperre die Wörter nicht hinter Gitterstäben, sondern lasse sie ohne Widerstand über meine Lippen fliehen. „Ja, ich komme mit."
Harry will die Haustür wieder öffnen, alles in ihm ist laut, schreit nach dem Abenteuer, er folgt dem Ruf in die Freiheit, dem Ruf in die Kälte des Novemberwetters. Als wäre er selbst das Feuer, dass selbst das kälteste Eis zum Schmelzen bringen kann.
Meine Finger legen sich vorsichtig um seinen Arm, als er den Griff umklammert, um ihn abzuhalten.
„Ich gehe mit dir aus, allerdings nicht in meiner Lieblingsjogginghose", murmele ich und wedele dann mit roten Wangen an meinem Körper herab.
Die pinkfarbene Hose, die ich vor Jahren irgendwo ergattert habe, ist wirklich ausgewaschen, da hat er nicht gelogen und der viel zu große Pullover, den ich mir von Seth geklaut habe, komplimentiert mein Aussehen auch nicht gerade. Keinesfalls werde ich so auf ein Date gehen, allen voran dann nicht, wenn es sich um ein Date mit einem Jungen handelt, den ich unter Umständen einmal mehr mögen könnte.
„Wusste ich doch, dass du auch eine Lieblingshose hast", grinst Harry.
Mit roten Wangen weiche ich seinem Blick aus und gehe schnellen Schrittes in Richtung Treppe. „Gib mir zehn Minuten, okay? Dann bin ich fertig."
„Ich gebe dir sogar fünfzehn", ruft Harry mir hinterher, während ich barfuß über die hölzernen Stufen ins Obergeschoss eile und schließlich in mein Zimmer renne, wobei ich so hastig bin, dass ich den Türrahmen mitnehme.
Mit verkniffenen Augen rubbele ich mir über die pochende Stelle am Arm, an der ich morgen sicherlich einen blauen Fleck zur Schau tragen werde. Doch für mehr Mitleid habe ich nun keine Zeit, denn es ist so schon peinlich genug, dass ich mich nun in zehn Minuten vorbereiten muss. Panisch bändige ich meine Haare in einen unordentlichen Dutt, wobei ich drei Versuche brauche, weil meine Finger zu sehr zittern. Dann reiße ich meine Schranktüren auf und wühle zwischen den Kleidungsstücken, während mir tausend Gedanken durch den Kopf schießen. Diese ganze Aktion ist völlig verrückt und wahrscheinlich sollte ich mich einfach in meinem Zimmer einschließen. Doch mein klopfendes Herz lässt mich nicht, weswegen ich schließlich ein Kleid überwerfe und aus den Tiefen meines Kleiderschranks eine Strumpfhose ziehe, um nicht zu erfrieren.
Gleichzeitig wechsele ich einige hastige Worte mit Jill, um mich dafür zu entschuldigen, dass ich heute bei dem Videodreh nicht dabei sein kann. Meine beste Freundin versichert mir, dass ich kein schlechtes Gewissen haben zu brauche und droht mir dann an, dass ich bloß keinen weiteren Gedanken daran verschwenden, sondern mein Date mit meinem mysteriösen Jungen genießen soll, denn ansonsten würde sie mich persönlich an ihn ketten. Lachend versichere ich ihr, dass ich ihren Anweisungen folgen werde und lege dann auf.
Ich zwänge mich in die Strumpfhose, rücke sie so zurecht, dass man das Loch am Oberschenkel behelfsmäßig unter dem Stoff des Kleides verstecken kann und stecke dann mein Handy in eine der wenigen Handtaschen, die ich überhaupt besitze.
Nur ein wenig Mascara, nicht aus Zeitgründen, sondern weil ich ohnehin völlig überfordert bin, wenn es um Make Up geht und dann rase ich die Treppe wieder herunter, wobei ich fast die letzte Stufe übersehe. Mit roten Wangen stolpere ich in den Hausflur und stelle erleichtert fest, dass Harry zumindest mein Missgeschick nicht gesehen hat.
Stattdessen ist der kleine Raum völlig verlassen, bloß aus der anliegenden Küche ist die ruhige Stimme meines Vaters zu hören, die ich überall auf der Welt erkennen kann. Von Zeit zu Zeit mischt sich Harrys dunklere in die Unterhaltung ein, aber die meiste Zeit redet mein Vater.
Neugierig biege ich um die Ecke und muss mir ein Grinsen verkneifen, als ich sehe, dass mein heutiges Date anscheinend von meinem Vater dazu genötigt wurde, sich einige Schnappschüsse auf seiner Kamera anzusehen. Wo mein Dad ist, ist auch sein Equipment nicht weiter entfernt und ich bin es so gewöhnt, ihn mit seiner Canon durch das Haus streifen zu sehen, dass ich den Anblick meistens nicht einmal mehr bewusst realisiere. Nun jedoch ist die Kamera auf dem Küchentisch abgelegt, während Harry und mein Dad auf den Bildschirm starren.
„Das hier habe ich erst letzte Woche gemacht, als Allys beste Freundin zum Drehbuchschreiben hier war", plaudert mein Vater munter und reicht Harry die Kamera, der daraufhin nachdenklich das Display starrt.
Ich räuspere mich, woraufhin Harry die Spiegelreflex fasst fallen lässt und gerade noch auf dem Tisch abstellen kann, bevor er sich in meine Richtung dreht.
„Fertig", murmele ich und beiße mir auf die Unterlippe.
Unsicher sehe ich auf den Boden, während Harry mich mustert. Es ist sicherlich nicht der übliche Datinglook, den er gewöhnt ist und still verfluche ich mich, dass ich mir nicht etwas Aufwendigeres ausgedacht habe. Jungen wie er sind garantiert Models mit glitzernden Kleidern gewöhnt und Handtaschen, die mehr kosten als die Hälfte meiner Studiengebühren. Stattdessen bin nun ich hier, das Mädchen aus dem kleinen Haus in Manchester, das den stillen Worten verfallen ist.
Doch als Harry schließlich redet, hat er ein Lächeln auf den Lippen, das mein Herz hüpfen lässt. „Du siehst hübsch aus."
„Danke." Meine Wangen fangen an zu brennen und ich sehe schnell woanders hin. „Wollen wir dann los?"
„Ich bringe Ally heute Abend wieder sicher zurück", meint Harry zu meinem Dad, was mich mit den Augen rollen lässt und meinen Vater zum Lachen bringt.
Dann folgt Harry mir in den Flur, wo ich in meine Schuhe schlüpfe. Dieses Mal wähle ich jedoch keinesfalls die weißen Converse, die mir bloß Unglück bringen zu scheinen und ziehe stattdessen die unauffälligen schwarzen an, bevor ich mir meine Winterjacke über den Arm hänge.
„Dein Dad ist nett", meint Harry, während wir aus dem Haus treten und die Tür krachend hinter uns ins Schloss fällt.
Möglichst unauffällig versuche ich meine Eltern vom Küchenfenster zu vertreiben, die uns neugierig zusehen und hoffe, dass Harry das nicht auffällt. Mein Vater streckt mir grinsend beide Daumen in die Höhe und ich verdrehe die Augen.
„Worüber habt ihr geredet?", erkundige ich mich eilig bei Harry, um ihn bloß nicht dazu zu verleiten, zurück zum Haus zu sehen.
Doch das hat er ohnehin nicht vor, so wie er mit lauten Schritten über die Straße stapft.
„Darüber dass ich dein Herz ruhig brechen darf, weil du in der Lage bist, dich zu wehren", erzählt Harry grinsend. „Außerdem hat dein Dad mir einige seiner Schnappschüsse gezeigt. Ich habe keine Ahnung von Fotografie, aber es sah sehr professionell aus. Fotografiert er oft Menschen?"
Der Winterwind fährt mir durch die Haare und reißt einige der ohnehin schon widerspenstigen Strähnen aus dem eigentlich einmal gelungen Dutt. Doch komischerweise stört es mich nicht einmal, weil ich Harry schon in schlimmeren Zuständen gesehen habe. Sein betrunkener Anblick und meine vollgekotzten Schuhe haben das Level an Peinlichkeiten ohnehin schon abgeschossen.
„Zuhause ja. Und auf der Arbeit Passbilder und Familienshootings und so", entgegne ich. „Aber eigentlich ist Dad Reisefotograf."
An Harrys Porsche angekommen, will ich gerade den Türgriff umfassen, als er mir zuvor kommt und mir die Tür aufhält.
Überrascht sehe ich ihn an, doch er nickt bloß lächelnd und fordert mich zum Einsteigen auf.
„Das musst du wirklich nicht machen, Harry", murmele ich mit roten Wangen. „Ich kann meine Türen selbst öffnen."
„Wir haben ein Date", entgegnet er lächelnd.
Als ich ihn zweifelnd ansehe, zucken seine Mundwinkel nach oben. „Ich mache das wirklich gerne, Al. Außerdem wir meine Mum mich sonst der Familie verstoßen."
Ich lache leicht, während er um das Auto herumgeht und einen Augenblick später auf dem Fahrersitz Platz nimmt. Der Motor des Autos erwacht röhrend zum Leben, was wie beim letzten Mal Musik in meinen Ohren ist und als Harry schließlich auch noch in Richtung Radio nickt, um mir zu zeigen, dass ich wieder einmal die Macht über unsere Ohren habe, bin ich vollends zufrieden.
„Wie lange fahren wir nach London?", frage ich ihn, während ich die Musikauswahl durchsuche, die gerade aus den Lautsprechern gespielt wird.
„Normalerweise vier Stunden, aber ich schaffe es in dreieinhalb", teilt Harry mir beiläufig mit.
Seine Worte lassen mich ruckartig meinen Kopf in seine Richtung drehen. „Du fährst drei Stunden, nur um mich zu einem Date abzuholen? Wann bitte bist du aufgestanden?"
Harry fährt sich durch die Haare. „Ich habe bei meinen Eltern geschlafen. Also fahre ich genau genommen bloß jetzt die drei Stunden mit dir nach London und wieder zurück."
„Wir können auch einfach hier in Manchester was machen. Dann musst du dir die Fahrerei nicht antun", murmele ich.
Denn auch wenn sich mein Herz nach der Großstadt sehnt, nur weil das Fernweh jede Faser meines Körpers nach London bewegen will, so ist es dennoch nicht so, dass ich das von Harry verlangen kann. Mein Fernweh und ich stehen ohnehin ständig im Krieg. Ich bin es gewohnt, es nicht gestillt zu bekommen.
„Du hast dich letztes Mal angehört, als würdest du gerne mal nach London, Al. Es macht mir wirklich nichts aus", versichert er mir. „Ich fahre gerne Auto und heute ist es den Roadtrip auf jeden Fall wert."
Er legt mir kurz seine Hand auf den Oberschenkel, so selbstverständlich, dass er vielleicht nicht einmal wirklich bemerkt, was genau seine Finger da tun. Als er sie hastig wieder zurückzieht und ich ihn mit großen Augen anstarre, beißt er sich verlegen auf die Unterlippe.
„Sorry, Al."
Ich räuspere mich. „Schon okay."
Selbst als seine Finger bereits wieder das Lenkrad umklammern, kann ich das Gefühl von seiner Hand nicht vergessen. Gleichzeitig verwirrend, beruhigend und ein wenig so, als hätte jemand mein Herz unter Strom gesetzt.
„Wenn dein Dad Reisefotograf ist, dann musst du als Kind total oft gereist sein, oder?", fragt Harry mich, während er das Auto in Richtung der M6 steuert. „Das ist bestimmt aufregend gewesen."
Ein trauriges Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Nein, eigentlich habe ich kaum etwas außerhalb Manchesters gesehen. Das war einfach Dads Arbeit, da konnte er niemanden umsonst mitnehmen. Meine Eltern haben kein Geld gehabt, um mit drei Kindern zu reisen", erzähle ich ihm leise. „Was ist mit dir? Bist du oft im Ausland gewesen? Ich meine, jetzt natürlich durch One Direction. Aber als du klein warst?"
Kurz ist es still im Auto, während Harry seine Worte sucht. Dann flüchten sie so hastig über seine Lippen, als wollte er nichts mehr, als mich an der Wahrheit teilhaben zu lassen.
„Als mein Dad noch bei uns gewohnt hat, bin ich oft mit Mum und meiner Schwester Gem in den Urlaub gefahren. Er hat es oft während der Arbeit nur ein paar Tage geschafft hinterher zu reisen, aber ich habe einiges gesehen", meint Harry mit ein wenig zu viel Freude in seinen Worten, sodass ich ihn direkt durchschaue. Das ist nichts, woran er bloß positive Erinnerungen hat. „Als meine Eltern sich dann getrennt haben, bin ich lange nirgendwo gewesen."
„Immerhin hast du überhaupt etwas gesehen", entgegne ich mit sanfter Stimme.
Er schenkt mir ein Lächeln. „Das stimmt und jetzt habe ich so viele Reisen, dass es mir manchmal sogar zu viel wird."
Ich finde ein Lied im Radio, das mich zufriedenstellt und der erste Song unseres Roadtrips ins Abenteuer beginnt zu laufen. Seth zieht mich immer damit auf, dass in meinem Körper zwei Herzen schlagen. Fernweh und die Angst vorm Risiko könnten einfach nicht miteinander überleben. Doch mein Bruder hat Unrecht, denn manchmal kommt es einfach nur darauf an, welches der beiden höher schlägt und den Schrei des anderen übertönt. Heute gewinnt das Abenteuer auf allen Längen, was eine Seltenheit ist, die ich bis auf den letzten Moment auskosten werde.
„Können Reisen echt irgendwann zu viel werden, Harry?", erkundige ich mich neugierig, weil ich mir das nicht vorstellen kann. Nicht wenn mein Herz nach fremden Orten schreit. Jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde.
„Irgendwann schon, wenn man so viel nacheinander sieht, dass man es gar nicht mehr wirklich zu schätzen weiß. Außerdem dürfen wir während der Tour ohnehin nicht wirklich alleine durch die Städte laufen. Es ist ein wenig so, als hätte man das Glück direkt vor dem Fenster und kann nicht raus."
Ich lehne mich gegen die kühle Fensterscheibe, die einen daran erinnert, dass wir uns gerade in dieser Blase fernab der wirklichen Welt befinden. Irgendwie ist Harrys Auto ein anderes Universum, ein sicheres, in dem ich keine Angst habe, dass meine Worte sich gegen mich wenden. Stattdessen lasse ich sie einfach ohne nachzudenken frei, ohne zu fürchten, dass er mich verraten wird.
„Glaubst du, das ist schlimmer als nie zu reisen?"
„Nein, das glaube ich nicht." Harry schüttelt den Kopf und sieht mich kurz intensiv an, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße wendet. „Und ich bin überzeugt davon, dass du deine Reisen auch noch kriegen wirst, Al."
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Daran glaube ich schon seit langem nicht mehr."
„Dann solltest du wieder damit anfangen, denn Wunder passieren immer genau dann, wenn man sie nicht erwartet."
Als ich dieses Mal seinem Blick begegne, lächeln wir beide.
„Also Al, wo wärst du gerade am liebsten?"
Ich grinse. „Das hast du mich damals im North Café bereits gefragt. Hast du das bereits vergessen?"
„Nein, du hast Paris gesagt. Das weiß ich noch", meint er. „Aber ich werde dich das öfter fragen. Vielleicht hat sich deine Meinung ja seitdem geändert?"
Kopfschüttelnd drehen meine Finger am Radio, um einen neuen Song für unsere Reise zu suchen.
„Nein, wenn ich mich einmal für etwas entschieden habe, dann bleibt die Antwort auch. Ich bin niemand, der das oft ändert", entgegne ich.
Er nickt nachdenklich. „Also immer noch Paris."
„Immer noch Paris."
„Ich hoffe zumindest, dass London heute erst einmal als Trostpreis zählt, Al?"
Ich lächele. „London ist mehr als ein Trostpreis."
„Dann werde ich uns dorthin bringen", erwidert er grinsend und verwickelt mich dann so mühelos in ein Gespräch, das es mir vorkommt, als würde die Zeit fliegen.
Harry fährt wie ein Wahnsinniger, immer in Richtung Abenteuer, viel zu schnell und dennoch habe ich keine Angst, während ich mich mit ihm in seinem Auto befinde. Ohnehin hat der Junge mit den grünen Augen die Gabe, mich dazu zu bringen, über meinen Schatten zu springen. Mit offenen Armen laufe ich dem Risiko entgegen und hoffe, dass er mich nicht in den Abgrund ziehen wird.
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Ihr Lieben,
Harry hat Ally also tatsächlich zu ihrem ersten Date abgeholt. Meint ihr, dass das gut laufen wird?
Ich hoffe, ihr genießt das schöne Wetter!
Bis zum nächsten Mal.
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