1 | sonorous

_________________

| 1 |

s o n o r o u s

september 2012

_________________

Allison || Manchmal gibt es Tage, die alles verändern. Dieser Montag ist einer dieser Tage.

Doch während ich an meinem Schreibtisch sitze, meinen Stift fest umklammert, versuche ich, diesen Montag zwanghaft zu vergessen.

Die Tinte tropft auf das Papier wie die Wörter in mein Herz. Die Zahlen verschwinden vor meinen Augen in einem Gedankensturm, den nichts aufhalten kann. Die Welt der Bücher verschließt sich mir, ist sie doch sonst immer meine willkommene Flucht.

Dieser Montag zerbricht unter meinen Fingern wie ein nicht ernstgemeintes Versprechen, das einen auf den Abgrund ziehen kann. Mit zerbrochenen Flügeln wehrt er sich, doch letztendlich gewinnt das Risiko.

Ich hasse Wochenanfänge ohnehin, doch dieser wird mein Leben verändern. Das war mir bereits klar, als mein älterer Bruder Seth heute Morgen durchs Wohnzimmer hüpfte, weil er bei der New Yorker Ballettakademie vortanzen darf. Mit einem Lächeln auf den Lippen habe ich ihm zugesehen, während ein Teil von mir bereits am liebsten geweint hätte.

Seths Aufnahme ist keine Überraschung für mich gewesen, gänzlich anders als der Anruf, der mich an diesem alles verändernden Montag kurz vor Mitternacht erreicht.

Unser Haustelefon klingelt wie aus dem Nichts und alleine das lässt mich schon zweifeln, denn abgesehen von meiner Großmutter, die letztes Jahr verstorben ist, besitzt niemand diese Rufnummer.

„Es klingelt", rufe ich lautstark, während ich die Seite meines Mathebuches weiterhin anstarre.

Niemand scheint mich zu hören, was keine Seltenheit ist, denn meine Familie gleicht manchmal einem Zoo.

Aus Seths vier Wänden ertönt die literarische Klassik des Schwanensees in einer solchen Lautstärke, dass ich das Libretto für einen Thriller, der alle durch seine Töne in den Wahnsinn treiben will, gehalten hätte, wenn ich mir das Ballett meinem älteren Bruder zuliebe nicht bereits unzählige Male angesehen hätte.

In den zwölf Quadratmetern neben meinen diskutiert Mum lautstark mit Drake darüber, dass sie Ego-Shooter-Spiele nicht für pädagogisch wertvoll hält, während mein jüngerer Bruder darauf pocht, dass diese das Reaktionsverhalten steigern. Diese Diskussion kann noch eine Weile dauern, weswegen auch niemand von ihnen zu dem Telefonhöher greifen wird.

Mein Vater ist schon vor Stunden in seinem Arbeitszimmer verschwunden und hat die Tür geschlossen. Ein deutliches Zeichen, dass er in der Welt der Fotografie versunken ist und ihn selbst der dritte Weltkrieg nicht wieder aus dem Raum locken kann.

Man sollte meinen, dass in einem Fünfpersonenhaushalt direkt jemand zu erreichen sei, aber anscheinend bin ich die einzige, die sich überhaupt für das Telefon verantwortlich fühlt.

Seufzend lasse ich das Mathebuch auf meine Matratze fallen und tapse barfuß in den Flur. Die Fliesen fühlen sich eisig kalt unter meinen Fußsohlen an, doch manchmal muss man sich seinem Schicksal stellen.

Ich atme zweimal tief durch, um mich vor dem Unbekannten des Anrufs zu wappnen, dann hebe ich zögerlich ab.

„Oma, falls du es bist, dann ruf mich bitte nicht aus dem Jenseits an, denn das ist durchaus gruselig", begrüße ich die Person am anderen Ende mit entnervtem Unterton.

Heute ist der erste Abend abseits der Freiheit der Sommerferien und bereits jetzt habe ich zu viel von meinem letzten Schuljahr. Als wäre es zu viel verlangt, einen einzigen Abend einmal in Ruhe ein Buch lesen zu können. Stattdessen darf ich mich direkt am ersten Tag zurück in der Schule mit den Zahlen meines Mathebuchs quälen.

Ein dunkles Lachen ertönt am anderen Ende des Hörers, doch ich kann die folgenden Worte aufgrund des Chaos meines Hauses nicht vernehmen. Bloß ein durchgehendes Nuscheln, das klingt wie ein Wasserfall mit Schluckauf ist zu hören.

„Könntet ihr bitte etwas leiser sein?", schreie ich durch das Haus, doch der gewohnte Lärm in den Abendstunden verschwindet nicht. Dieses Haus am Rande Manchesters lebt ein spannenderes Abenteuer als ich es tue.

„Ich sagte, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, denn ich bin garantiert deutlich jünger als deine Oma. Außerdem männlich, aber soweit ich weiß, kann man dieses Problem mittlerweile durch Operationen lösen lassen", ertönt die Stimme erneut. „Hier ist übrigens Harry."

Die Partymusik auf seiner Seite macht das Verstehen ebenfalls nicht unbedingt einfacher. Doch mein Herz schlägt für die Musik, weswegen ich das eher verzeihe als die schwach gebrüllten Argumente meines Bruders, der immer noch glühender Verfechter seiner Egoshooterspiele ist.

„Tut mir leid. Ich bin nur gerade nicht beste Laune", entschuldige ich mich hastig, während meine Wangen einen ungesunden Rotton annehmen. „Bist du ein Freund von Seth? Willst du ihn sprechen?"

Am liebsten würde ich den Telefonhörer direkt wieder loswerden, denn mit Fremden zu kommunizieren, gehört eindeutig nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. In diesem Momenten wäre ich immer am liebsten ganz woanders.

„Nein."

Seufzend lehne ich mich gegen die Wand in unserem Flur. „Dann willst du Drake sprechen?"

„Ebenfalls Nein", lacht er.

Ich runzele die Stirn, während ich verzweifelt versuche einzuordnen, ob ich Harry bereits einmal begegnet bin und dieses Treffen bloß vergessen habe. Seine Stimme klingt einzigartig und ich kann sie keinem Gesicht zuordnen, doch ein Teil von mir ist sich sicher, dass ich sie bereits einmal gehört habe. „Kennen wir uns dann?"

Er schweigt kurz am anderen Ende, während Drakes Schwanensee sich auf gruselige Weise mit der schnellen Partymusik vermischt und meine Ohren in die Hölle schickt.

„Ich schätze, wir kennen uns gar nicht", gibt Harry zu. Seine Stimme klingt leicht lallend und es dauert, bis er seinen Satz endlich vollständig in die Freiheit entlassen hat. „Könntest du mir bitte April geben?"

Dieses Mal hülle ich uns beide in Schweigen, während ich mich verwirrt in unserem Hausflur umsehe, auf der Suche nach einer versteckten Kamera. Drake ist durchaus dafür bekannt, mich immer wieder mit den unmöglichsten Ideen zu überraschen, aber er beobachtet das Drama gerne live und gerade ist keine Spur von ihm.

„Ich kenne keine April, Harry", sage ich schließlich.

Durch das Telefon höre ich einen Knall und dann ein lautes Fluchen, was Harrys Lippen wie ein Orkan entweicht, doch ich frage nicht nach, weil es mich nichts angeht. Stattdessen schweige ich bloß, unsicher, ob ich einfach auflegen sollte. Während meine Gedanken die Optionen abwägen, stehlen sich doch erneut einige Worte über seine Lippen.

„Das ist nicht April Kanes Telefonnummer, oder?"

Ich schüttele den Kopf, bis mir einfällt, dass er mich überhaupt nicht sehen kann. „Nein, das ist nicht Aprils Nummer. Ich kenne diese April nicht einmal. Du hast dich verwählt."

Wir schweigen erneut. Die Stille zwischen uns fühlt sich an wie ein Herbstgewitter, das sich mit tiefen Krallen in meine Haut bohrt und mich leiden lässt.

„Ich hätte schwören können, dass das Aprils Nummer ist."

„Kannst du sie nicht einfach erneut anrufen?", schlage ich vor. „Die Nummer müsste doch in deinem Handy gespeichert sein."

„Ich habe ihre Nummer nicht gespeichert. April ist eine alte Freundin von mir und ich dachte, ich hätte mich noch an ihre Festnetznummer erinnern können, weil es damals ja noch keine Handys gab. Wir haben uns einige Zeit nicht gesehen, weswegen ich ihre Nummer nicht habe, weil ich – Ist eigentlich auch egal." Ein Seufzer ertönt. „Könntest du mich vielleicht abholen?"

Mein Atem wirkt hektisch, während ich hastig nach einer Ausrede suche. „Ich weiß nicht, das ist gerade kein guter Zeitpunkt. Ich bin echt beschäftigt."

„Womit?" Harry klingt durchaus interessiert an der Antwort, was es mir nicht einfacher macht.

Verzweifelt sehe ich mich in unserem Flur um, doch abgesehen von dem verstaubten Buch übers Fischen, das mein Vater einmal von einem seiner Klienten geschenkt bekommen und nie gelesen hat, sehe ich nichts, das auch nur annähernd als Inspiration dient. Da wir in Manchester jedoch nicht wirklich Tiefseefischen anbieten, fällt auch diese Option aus.

„Ich bin eben beschäftigt", meine ich ausweichend.

Harrys herzliches Lachen ertönt erneut. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das nicht ganz so die Wahrheit ist."

„Ist es", behaupte ich stur, während ich froh bin, dass er meine roten Wangen nicht vor sich sehen kann.

„Wenn du dann fertig mit deiner Beschäftigung bist, könntest du mich dann abholen?", fragt er mich erneut. „Bitte. Ich habe keine andere Alternative. Ich verzweifele hier gerade ein wenig."

Ich hasse das Risiko so sehr wie nichts anderes auf der Welt. Veränderungen wirbeln Leben auseinander, sie zerstören Gewohntes und lassen Träume wie Versprechen mit einem Fingerschnipsen zerbrechen. Nichts hasse ich so sehr und an anderen Tagen hätte ich das Telefonat nun einfach wortlos abgebrochen.

Doch heute ist kein normaler Tag.

In den heutigen vierundzwanzig Stunden habe ich dreizehneinhalb Freudenschreie meines ältesten Bruders hören dürfen, weil sein Leben eine Hundertachtziggradwendung vollführt.

In den heutigen vierundzwanzig Stunden habe ich elf Vorträge meines jüngeren Bruders Drake über mich ergehen lassen müssen, dass er definitiv Seths Zimmer bekommen wird, sobald dieser auszieht.

In den heutigen vierundzwanzig Stunden hat mein Vater vergessen, die Pizza auf dem Rückweg abzuholen, obwohl er es mit einem Versprechen besiegelt hatte. Dad sind Versprechen so heilig wie mir, weswegen dies dem achten Weltwunder glich.

Der heutige Tag ist bereits so mit Veränderungen durchzogen gewesen, dass ich einmal tief einatme und den Gedanken bekomme, dass ein weiteres Risiko meinen ohnehin zerstörten Mauern nichts mehr anhaben kann.

Also beschließe ich, dass ich einmal in meinem Leben genau das tun werde, von dem ich ansonsten mit schreienden Lungen weglaufe. Ich stürze mich ins Unbekannte.

„In Ordnung. Ich hole dich ab, Harry. Versprochen."

Damit ist mein Schicksal besiegelt, denn ich breche keine Versprechen. Viel zu sehr klammere ich mich an die Wahrheit, die Verlässlichkeit hinter ihnen, als das ich sie unter meinen Fingern zerstören könnte.

„Vielen, vielen Dank! Du rettest mir gerade das Leben! Wir sehen uns dann also gl–"

„Stopp", unterbreche ich ihn hastig, bevor er wirklich auflegen kann. „Wie soll ich dich denn überhaupt auf der Party erkennen?"

Die Zeiger der Uhr neben dem Badezimmer wandern unaufhörlich weiter nach vorne, dem Abenteuer und meinem Ende entgegen, während Harry sich Zeit lässt zu antworten.

„Keine Sorge. Du wirst mich schon erkennen", antwortet er schließlich.

„Und wie genau bitte?"

Seine Worte bahnen sich unscharf den Weg in die Wirklichkeit und ich befürchte, dass sich mehr Alkohol unter sie gemischt hat, als ihm zu raten gewesen wäre. „Ich bin der Idiot, der das Motto falsch verstanden hat und im Anzug gekommen ist, während alle anderen so grelle Farben tragen, dass meine Augen schon tränen."

„Was für ein Anzug genau?", erkundige ich mich, denn wenn ich mich schon ins Unbekannte wage, dann sicherlich nicht, ohne genügend Informationen zu besitzen.

„Schwarzweißgestreift."

Ich nicke, während ich mir gedanklich Notizen mache. „Das klingt allerdings auch nicht unbedingt unauffällig, Harry."

„Ich habe auch nichts von unauffällig gesagt. Bloß von fehlender Farbe", korrigiert er mich und seufzt dann. „Abgesehen davon sollte ich wirklich nicht so schwer zu finden sein. Folge einfach dem Kreischen der Mädchen, denen ich nicht entkommen kann auf dieser Party und dann wirst du mich schon finden."

Stirnrunzelnd lehne ich mich gegen meine Zimmertür. „Das ist eine sehr merkwürdige Beschreibung."

„Aber leider die Wahrheit", murmelt er, sodass ich ihn kaum verstehen kann. Erst dann wird seine Stimme wieder kräftiger und erreicht meine Ohren mühelos. „Könntest du mich bitte jetzt retten? So langsam wird es hier ungemütlich."

„Ich bräuchte noch die Adresse", merke ich vorsichtig an.

Harry lacht erneut und mir fällt auf, dass er das andauernd tut. Ich bin mir nicht sicher, ob es an dem Alkohol liegt oder er einfach jemand ist, der das Leben nicht zu ernst nimmt, aber es gefällt mir.

„Sorry, das hätte ich fast vergessen. Wenn ich dich schon anflehe, mich zu kidnappen, sollte ich dir zumindest alle Infos geben", scherzt er und gibt mir dann die Straße der Party durch.

Die Adresse kommt mir vage bekannt vor, was kein Wunder ist, denn anscheinend befindet er sich im Northern Quarter und damit meinem absoluten Lieblingsviertel Manchesters. Die Gegend ist berühmt für ihre alternativen Malereien und die Vintage-Läden, in denen man mit Glück wunderbare Einzelstücke erobern kann. Nicht dass ich mich trauen würde, die meisten der ausgefallenen Kleidungsstücke wirklich zu tragen, aber ich liebe es, ganze Nachmittage durch die Geschäfte zu streifen und den Stoff der Kostbarkeiten unter meinen Fingern zu fühlen. Außerdem befindet sich dort ebenfalls der wunderbarste Bücherladen der Stadt, was alleine schon das ausschlaggebende Argument für das Northern Quarter ist.

„Hallo? Bist du noch da?"

Ich blinzele, während mich seine Stimme wieder aus den Gedankenwelten reißt. „Ja. Ich fahre dann jetzt los."

„Dann bis gleich", verabschiedet Harry sich und legt auf.

Mein Zeigefinger klopft eine Melodie gegen das weißlackierte Holz der Kommode, um mich zu beruhigen. Ich atme einmal tief durch und versuche mich dann selbst zu überzeugen, dass das für mich alles überhaupt kein Problem ist, während ich mich innerlich verfluche, mich überhaupt auf den Wahnsinn eingelassen zu haben.

Doch nun gibt es kein Weg mehr zurück, denn ich habe diesem Harry ein Versprechen gegeben und ich werde die Aufgabe mit Bravour meistern. Zumindest nehme ich mir das vor, wenn ich doch in Wirklichkeit bereits weiß, dass mich die Situation an meine Grenzen und darüber hinwegbringen wird.

In meinem Zimmer ziehe ich mir die erstbesten Socken über, die ich finde. Eindeutig kein zusammengehörendes Paar, aber in dem Chaos des Raumes wäre es auch ein Wunder, wenn ich eines erwischt hätte. Achselzuckend betrachte ich die Mickey Maus auf der einen und ignoriere den langweiligen Schwarzton der anderen Seite direkt, bevor ich mich auf den Weg mache.

Meine sechzehn Sekunden Mut bleiben bestehen, bis ich am unteren Ende der Treppe mit meinem Vater zusammenstoße. Dann verschwinden sie wieder in die Unendlichkeit der mittlerweile gänzlich schwarzen Nacht, um mir für immer zu entfliehen.

„Wo willst du denn so spät noch hin, Spätzchen?"                               

Am liebsten würde ich direkt wieder umdrehen und mich in meinem Bett verkriechen.

Doch ich habe ein Versprechen gegeben und das Mädchen der Versprechen lässt nie eines über ihre Lippen gleiten, das sie nicht auch halten wird.

Denn während andere Leute Versprechen verschenken wie leere Worte, gehe ich sparsam mit ihnen um. Versprechen sind etwas, das einem Halt geben sollte. Etwas, an dem man sich festhalten kann, selbst wenn alles andere völlig verloren scheint. Versprechen sind die größte und kostbarste Wahrheit selbst. Das hat mein Vater mich vor Jahren gelehrt. Er hat mir versprochen, immer wieder zu mir zurückgekommen, egal wie weit er auch reisen würde, und mich seither nie enttäuscht.

Dieses einzige Versprechen reichte, um mir die Sicherheit und Bedeutung der Worte bewusst zu machen. Seitdem klammere ich mich an die Wahrheit von Versprechen, an die Endgültigkeit ihrer Aussagen.

„Ich muss einem Freund helfen, Dad", erkläre ich, wobei ich die Wahrheit kreativ unter meinen Fingern forme. Genau genommen ist Harry ein Fremder, dem ich noch nie in meinem Leben begegnet bin. Aber sollte ich das auch nur andeuten, wird mein Vater mich sicherlich davon abhalten, das Haus zu verlassen. Kurz überdenke ich, ob das nicht sogar besser wäre, aber die Macht des Versprechens und die Gefahr des Zerstörens von diesem hält mich davon ab.

„So spät noch, Spätzchen?"

Stirnrunzelnd richten sich seine strahlendblauen Augen, das Markenzeichen unserer Familie, auf die ledergebundene Uhr an seinem Handgelenk, die wir ihm vor Jahren einmal zum Geburtstag geschenkt haben. Mein Vater mag das Abenteuer der Reisefotografie lieben, doch ein Teil von ihm sehnt sich ebenso sehr nach Beständigkeit wie es jede Faser meines Körpers tut.

Einen Augenblick lang sehen wir dem Sekundenzeiger zu, wie er sich seinen Weg über das Ziffernblatt bahnt. Unerschütterlich, durch nichts aufzuhalten, auch trotz seiner so geringen Relevanz. Manchmal ist er es jedoch, der zwischen Leben und Tod entscheiden kann.

„Ich habe es Versprochen, Dad."

Er drückt den Auslöser seiner Kamera, deren leises Klickgeräusch mich schon mein Leben lang begleitet. Der Fluch eines professionellen Fotografen als Vater, der jeden Moment deines Lebens einfangen will, während man selbst manche am liebsten für immer hinter Käfigtüren schließen und für immer vergessen würde.

„Dann solltest du dich besser beeilen. Versprechen bricht man nicht, das weißt du ja", lächelt er und zieht mich in eine kurze Umarmung. „Ich bin stolz auf dich, dass du dich an solche Vereinbarungen hältst. Auf dich kann man sich wirklich verlassen und das ist toll."

Trotz meiner Größe überragt mein Vater mich dennoch um mehr als einen Kopf, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass er beim Schreiten durch Türrahmen beinahe die Schultern herunterziehen muss.

„Vergiss nur deinen Haustürschlüssel nicht und sei bitte leise, wenn du wiederkommst, okay? Deine Mum muss morgen früh im Krankenhaus sein."

Ich verdrehe die Augen. „Klar, ich werde leise sein. Wir wissen doch beide, in was für ein Monster sie sich verwandeln kann, wenn sie nicht genügend Schlaf bekommt."

Ein Lachen ertönt aus dem oberen Stockwerk und ich weiß sofort, dass es meiner Mutter gehört, denn ich würde es immer erkennen, ist sie doch diejenige, die mich mein Leben lang jeden Tag begleitet hat. „Das habe ich gehört, Allison. Verschwinde lieber, bevor ich dich in die Finger bekomme und du meiner Attacke ausweichen muss."

Trotz des stetigen Lärms dreier Kinder in unserem Haus entgeht ihren Ohren nichts. Als Siebenjährige bin ich deshalb davon überzeugt gewesen, dass sie eine Hexe sein muss, doch als sie das lachend verneinte, bin ich enttäuscht in mein Zimmer verschwunden.

„Sorry, Mum. Aber es ist die Wahrheit", rufe ich neckend nach oben und verschwinde dann nach draußen.

Kurz bevor die Haustür zuschlägt, kann ich noch das amüsierte Lachen meiner Mutter vernehmen, dann ist es endgültig still. Die vollkommene Ruhe ist der stärkste Kontrast zu dem Innenleben des kleinen Backsteinhauses, in dem ich meine ganzes Leben verbracht habe, und wie immer brauche ich eine Sekunde, um mich an die wirkliche Welt zu gewöhnen. Ich schließe die Augen und lasse die Stille wirken, bevor ich mich mit einem kleinen Lächeln auf dem Weg ins Northern Quarter mache.

Ich erwische eine der letzten Metros, die sich ins Stadtzentrum bewegen und lasse mich auf einen der Plastiksitze fallen.

Außer mir befindet sich bloß ein älteres Ehepaar in meinem Wagen, das sich verliebte Blicke zuwirft und mich einen Augenblick lang neidisch werden lässt. Ich bin wahrlich kein Verfechter der großen Liebe und glaube nicht daran, dass es für jeden Menschen ein Gegenstück gibt. Doch in Momenten wie diesen gerät meine Überzeugung immer ein wenig ins Wanken.

Während der Fahrt ins Stadtzentrum entsteht ein Klumpen in meinem Magen, der mit jedem Meter weiter anwächst. Ich bin völlig verrückt, dass ich mich überhaupt auf diese wahnwitzige Aktion eingelassen habe. Als ich schließlich durch die Straßen des Northern Quarters schlendere und vor dem Club stehen bleibe, dessen laute Musik ohne Zweifel kilometerweit als aus den Achtzigern erkannt werden kann, geht mein Atem so hektisch, dass ich mich erst einmal gegen die graffitibemalte Mauer lehnen muss, um mich zu beruhigen.

Der Türsteher mustert mich kurz und einen Augenblick lang befürchte ich, dass er mich aufgrund meines Gammeloutfits direkt aussortieren wird. Ich habe heute definitiv nicht damit gerechnet, noch einmal das Haus verlassen zu müssen, weswegen ich meine Lieblingsjogginghose samt Gebrauchslöchern trage.

Ich weiche dem Blick aus, denn ich habe es noch nie ausstehen können, wenn zu viel Aufmerksamkeit auf meiner Person liegt.

„Das macht einen Fünfer", merkt der Türsteher schließlich an und nickt in Richtung des Plakats, das mit schrillen Farben die Party bewirbt.

„Ich will nur kurz jemanden abholen", murmele ich.

Gelangweilte Augen durchbohren mich. „Dann ruf ihn an. Eintritt kostet."

Mit zittrigen Fingern wähle ich die Nummer, die ich vorhin vorsätzlich noch vom Festnetz in mein Handy übertragen habe. Wenn ich mich schon ins Risiko stürze, denn mit so viel Plan wie möglich. Stirnrunzelnd warte ich darauf, dass Harry sich meldet, doch auch nach dem dritten Versuche hebt niemand ab.

„Es geht niemand dran. Dann bitte doch eine Karte."

„Einen Fünfer", meint der Schrank eines Kerls erneut.

Seufzend reiche ich dem Türsteher einen meiner letzten Scheine, den ich gerade noch in meiner Jacke finde und verfluche diesen Harry dafür, dass er mir nicht nur meinen gemütlichen Abendplan versaut, sondern mich auch noch ärmer macht, als ich es ohnehin schon bin.

Außerdem bin ich trotz meiner Regenjacke völlig durchnässt, denn trotz des eigentlich noch offiziellen Sommers spielt das Wetter in Manchester wieder einmal nicht mit. Als würde es sich darum reißen, ständig aus der Reihe zu tanzen und alle mit seinen Regentropfen zu verfluchen.

Auch heute vergnügt sich der Regen mit aller Freude, sodass meine Haarsträhnen zusammenpappen und das eigentlich helle Blond viel dunkler wirkt.

Wahrscheinlich ist das der Fluch dafür, dass ich nicht an meinen Gewohnheiten festgehalten habe und tatsächlich etwas Ungewöhnliches wage.

Es dauert, bis der Türsteher endlich einen Stempel auf meinen Handrücken gedrückt und mich hereinlässt. Ich eile durch die dicke Glastür und bin froh, dass ich endlich der Gewitterflut entkommen kann. Sobald ich mich im Inneren befinde, dringt die Lautstärke umso durchdringender in meine Ohren. Doch während viele bei dem Lärm das Gesicht verziehen würden, legt sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen.

Nicht einmal meine Bücher liebe ich so sehr wie die Musik, die mich völlig verwandeln und auf eine Weise fühlen lassen kann, wie nichts anderes in diesem Universum es vermag.

Kurz schließe ich die Augen, um die Töne gänzlich in mir aufnehmen zu können und reiße sie erst wieder auf, als jemand mich anrempelt.

„Entschuldige", meint ein Mädchen, bei deren greller Köeidungsfarbe ich kurz blinzeln muss.

Im nächsten Moment ist sie auch schon wieder verschwunden und ich mache mich auf der Suche nach dem Fremden, dessen Rettungstaxi ich spielen muss. Verflucht sei die Kraft der Versprechen und meine Gewissenhaftigkeit.

Minutenlang wandere ich durch den Club, der durch das Gedränge und die Farbenwelten sehr viel größer erscheint, als er wahrscheinlich letztendlich ist.

Als ich den Jungen in dem schwarzweißen Anzug endlich entdecke, vergesse ich einen Moment lang zu atmen. Er hat nicht übertrieben, als er behauptet hat, dass ihm ein halber Pulk an Mädchen hinterherrennen würde. Nie im Leben werde ich unauffällig in seine Nähe kommen und bei dem Gedanken an die irritierten Blicke schrumpfe ich jetzt schon mehr in mich zusammen.

Mein persönlicher Alptraum wird wahr.

Als er sich in meine Richtung dreht, verstehe ich den Aufruhr endlich. Denn nur wenige Meter von mir entfernt steht Harry Styles.

Er sieht sich suchend in der Menge um, als wäre er auf der Suche nach jemandem. Es dauert einen Moment, bis ich verstehe, dass er nach mir Ausschau hält. Dem Mädchen, das bescheuert genug ist, einem Popstar die Rettungsleine vor seinen Fans hinzuwerfen.

Wieder wird mir bewusst, wieso ich Montage so sehr hasse. Doch dieser ist der schlimmste von allen, denn er wird mein Leben verändern.


_________________

Herzlich Willkommen an alle neuen Leser und Herzlich Willkommen zurück an alle meine Promise-Leser,

Hiermit startet Serendipity nun also auch offiziell.

Wie bereits erwähnt, wird es regelmäßige Updates geben, weil die Geschichte bereits fertig geschrieben und nur noch hochgeladen wird. Je mehr ihr also kommentiert und votet, desto mehr gibt es zu lesen ;)

Nein, das ist natürlich nur Spaß, aber ich würde mich wirklich freuen, wenn ihr kurz das Sternchen bei den Kapiteln drückt, wenn sie euch gefallen und mir ein paar Kommentare hier lasst!

Bis zum nächsten Mal.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top