93 - Blumen, die zu spät blühen
Kapitel 93 – »Blumen, die zu spät blühen«
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»Time, mystical time
Cuttin' me open, then healin' me fine
Were there clues I didn't see?
And isn't it just so pretty to think
All along there was some
Invisible string
Tying you to me?
Ooh
A string that pulled me
Out of all the wrong arms right into that dive bar
Something wrapped all of my past mistakes in barbed wire
Chains around my demons, wool to brave the seasons
One single thread of gold tied me to you«
invisible string – Taylor Swift
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Die Erkenntnisse, die auf der Lichtung auf mich einprasselten, waren überwältigend. Ich hatte diesen Ort noch nie bei Tageslicht gesehen, doch nun raubte er mir jeden Atem mit seiner bedingungslosen Schönheit.
Kirschblüten. Es waren wirklich Kirschblüten, die dort auf dem Baum gerade ihre Knospen geöffnet hatten und in ihrer vollen zartrosafarbenen Pracht erblühten. Ich konnte es einfach nicht fassen.
Was jedoch die Schönheit der Kirschblüten in den Schatten stellte, war das, was sich in ihrem Schatten auf dem Waldboden befand. Min Yoongi lehnte am Stamm des Baumes, seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen...ein Bein angewinkelt, das andere von sich gestreckt. Er trug unauffällige Klamotten und Chucks, die vom matschigen Weg ein wenig dreckig geworden waren.
Bisher schien er mich nicht bemerkt zu haben, doch ich traute mich kaum, einen Mucks von mir zu geben. Zu groß war meine Angst, er könnte einfach abhauen, wenn er mich sah. Immerhin hatte er sich an diesen von jeglicher Zivilisation abgeschiedenen Ort zurückgezogen, um seine Ruhe zu haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er froh darüber sein würde, dass ich nun ebenfalls hier war.
Letztendlich verriet ich mich durch das Rascheln der Blätter unter meinen Füßen, als ich mich zu einem weiteren Schritt durchrang. Yoongi drehte den Kopf zu mir herum. Er hatte seinen Mundschutz übers Gesicht gezogen und aus seinen Augen glimmte mir Misstrauen entgegen. Vielleicht hatte er mich im ersten Moment für eine fremde Person gehalten. Als er jedoch erkannte, wer da nur wenige Meter vor ihm stand, verdunkelte sich sein Blick. Gleich darauf drehte er sich wieder von mir weg.
»Was willst du hier?«, fragte er mich trocken und verschränkte seine Finger über seinem angewinkelten Knie.
Ich schluckte und dankte dem Himmel in diesem Moment für den Regen, der meine Tränen verschleierte. »Ich...ich habe dich gesucht...«
»Herzlichen Glückwunsch, du hast mich gefunden. Kannst du jetzt bitte wieder gehen?«
Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging noch ein paar weitere Schritte auf ihn zu. »Ich bin hier, um mit dir zu reden. Es ist wichtig.«
Yoongi schielte zu mir herüber. Er wirkte ganz ruhig und gelassen. Als wäre er wirklich nur hierhergekommen, um sich einen freien Tag in der Natur zu gönnen. Doch niemand setzte sich bei diesem Regen einfach in den Wald. Das Gesamtbild stimmte einfach nicht.
»Ist nicht alles geklärt?«, fragte er mich nach einer Weile. »Dein Ex ist weg. Ich würde jetzt gerne der Sache nachkommen, die ich eigentlich vorgehabt hatte, bevor du mir damit mit der Tür ins Haus gefallen bist.«
»Das kannst du gerne tun«, erwiderte ich mit inzwischen wieder unkontrolliert zitternder Stimme. »Aber vorher wirst du mir zuhören, was ich dir zu sagen habe. Ich habe heute bestimmt nicht dreimal kurz vor einem Nervenzusammenbruch gestanden und bin durch halb Seoul gefahren, nur um mich jetzt direkt von dir wegschicken zu lassen! Mir ist sehr wohl bewusst, was das hier für ein Ort ist, klar? Vielleicht sollte ich ja genau deswegen auch anzweifeln, ob du wirklich der Sache nachkommst, der du so gerne nachkommen würdest.«
Mit der Sache meinte er natürlich den Abstand zu mir und es war mehr als paradox, dass er diesen hier suchte. Unter dem Kirschblütenbaum, unter dem wir miteinander geschlafen hatten. Umso länger ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, dass es auch hier gewesen war, dass ich unterbewusst erste Gefühle für ihn entwickelt hatte. Dieser Sex hier im Freien war etwas Besonderes gewesen. Mehr als das.
»Schön«, brummte Yoongi kühl. »Dann rede. Und komm dafür bitte endlich aus dem verdammten Regen raus, bevor du dir noch eine Lungenentzündung einfängst!«
Fast schon etwas trotzig stiefelte ich zu ihm unter den Baum, wo der Regen dank der Blätter nur sehr vereinzelt zu uns herabdrang. Das Gefühl der Wut wich jedoch rapide, als ich mich neben ihm auf dem kleinen Stück trockenen Boden am Stamm niederließ. Ich hatte nicht darauf geachtet, dass wir nun – wenn auch durch einige Kleidungsschichten getrennt – dicht an dicht nebeneinandersaßen.
»Ich habe mit Jimin Schluss gemacht«, platzte schließlich der alles eröffnende Satz aus mir, ohne dass ich den Rapper dabei ansah.
Yoongi schwieg. Für eine Weile waren wieder nur die Geräusche des Waldes und des Regens zu hören, bis sich das Rascheln seiner Jacke dazu mischte. Er hatte den Kopf zu mir gedreht. Ich konnte seinen Blick von der Seite spüren.
»Wieso?«
Ich schloss die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. »Weil ich...nun ja, ich...«
Es nun wirklich vor ihm in Worte zu fassen, gestaltete sich schwieriger, als je angenommen. Ich hatte eine solche Riesenangst vor seiner Reaktion. Vor seiner fast schon todsicheren Zurückweisung. Warum sollte er sich auch jetzt noch dafür interessieren? Der Zug war inzwischen abgefahren. Ich hatte keine Chance mehr bei Min Yoongi.
»Habt ihr euch wieder gestritten?«, versuchte der Rapper schließlich, mir irgendwie auf die Sprünge zu helfen. Aus seiner Stimme klang deutlich heraus, wie ungern er gerade mit mir darüber sprach. Und irgendwie bestärkte mich das ein wenig, mich endlich zusammenzureißen und ihm mit aller Überwindungsgewalt den Kopf zuzudrehen. Er hatte sich inzwischen die Maske übers Kinn geschoben und musterte mich mit seinem Pokerface. Mein Blick fiel auf seine dunklen Augen. Und plötzlich dachte ich an Mitternachtsblau.
»Ich habe ihm gesagt, dass ich niemals die Gefühle für ihn aufbringen kann, die ich für jemand anderen habe«, sagte ich leise und ohne dabei wegzusehen.
Yoongis Lider schlossen und öffneten sich wieder wie in Zeitlupe, doch sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Trotzdem schien nun ein offenes Fragezeichen über seinem Kopf zu schweben. Himmel, wie gerne hätte ich ihn in diesem Moment einfach geküsst. Der Drang danach beherrschte mich nun mehr, als er das in irgendeiner Form jemals getan hatte.
»Yoongi«, fuhr ich mit erstickter Stimme fort. »Ich...ich habe...Ich denke, ich habe mich sehr lange selbst belogen, aber jetzt trifft mich das alles umso härter. Ich weiß nicht, wie ich mir das selbst je verzeihen oder bei dir wiedergutma –«
Er unterbrach mich mit einem summenden Geräusch und einem heftigen Kopfschütteln. »Nein, Moon...Hör auf zu reden. Ich will das nicht hören.«
Sein Blick war nun wieder stur geradeaus gerichtet. Nur an den hervortretenden Knöcheln der auf seinem Knie verschränkten Hände konnte man seine Anspannung ablesen. Mein Herz raste in diesem Moment wie ein Presslufthammer in meiner Brust.
»Wieso?«, zwang ich mich, ihn zu fragen. »Wieso willst du es nicht hören?«
»Ich denke, du hattest einfach nur zu große Schuldgefühle. Das ist kein Grund, um alles hinzuschmeißen. Du solltest schnellstmöglich zu Jimin zurück und das wieder in Ordnung bringen. Ich habe keine Lust, schon wieder in seinem Kreuzfeuer zu landen. Genau deswegen halte ich mich doch von dir fern.«
Ich presste die Lippen zusammen und zwang mich dazu, nicht schon wieder zu schluchzen. »Er ist mitunter der Grund, weshalb ich hier bin, Yoongi...Und ich bin hier, weil ich hier sein muss. Weil ich es dir schuldig bin und mir selbst auch. Ich habe uns beide viel zu lange angelogen.«
Yoongi schnaubte, sah jedoch immer noch nicht zu mir. »Was redest du da für einen Quatsch?«
»Ich redete zum ersten Mal keinen Quatsch mehr!«, fuhr ich ihn unfreiwillig energisch an, so dass er letztendlich doch erschrocken den Kopf zu mir herumriss. »Ich wollte es die ganze Zeit nicht glauben, weil ich dachte, dass das alles ein Fehler war. Aber das war es nicht! Es war das Beste, was mir hätte passieren können und ich habe viel zu lange weggeschaut und alles verdrängt, was mich von meinem eigentlichen Weg hätte abbringen können. Dem Weg, den ich für den richtigen gehalten habe! Dem Weg, dem ich heute Morgen den Rücken gekehrt habe.«
Der Rapper starrte mich an, als würde ich ihm gerade mit voller Überzeugung erzählen, die Erde wäre eine Scheibe. Sein Schutzwall war zumindest für den Moment verschwunden und seine Emotionen lagen offen vor mir. Die Überraschung...und die Ungläubigkeit.
»Yoongi, bitte...«, fügte ich flehentlich hinzu. »Ich weiß, es ist absolut lächerlich, dass ich dir das jetzt sage. Aber...die Person, von der ich gesprochen habe, bist du und niemand sonst. Als mir das gestern vor Noah rausgerutscht ist, habe ich das ernst gemeint. Ich habe bisher nur zwei Personen in meinem Leben so richtig geliebt. Aber diese Gefühle sind nur bei...bei dir so beständig geblieben. Wenn nicht sogar stärker. Nur habe ich das nie wahrhaben wollen, weil es mir so eine beschissene Angst gemacht hat.«
Yoongis Augen sahen aus, als würde er nicht in mein, sondern in das Antlitz einer Kobra starren, die sich vor ihm aufbäumte. Es brach mir das Herz.
»Hör auf, Moonhee«, sagte er nach einer Weile leise. »Sag sowas nicht. Du hast keine Ahnung, was du da redest.«
Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. »Und wie ich das habe! Himmel, ich hab zum ersten Mal seit Ewigkeiten das Gefühl, irgendwas richtig zu machen! Und wenn es bedeutet, dass ich Jimin und dich verliere, dann war ich zumindest ehrlich zu jedem, eingeschlossen mir selbst. Diese ganze Sache mit Noah und auch das, was davor war...das alles hat mir Schritt für Schritt immer mehr Klarheit verschafft. Und ich weiß es jetzt, okay? Scheiße, Yoongi...du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass...dass ich...«
Ich schluckte und eine vereinzelte Träne rann über meine Wange, ehe ich mich dazu zwang, ihm in die Augen zu schauen.
»...dass ich dich liebe.«
Ich sah genau, wie sich Yoongis Brust hob und senkte. Wie seine Lider sich immer und immer wieder für ein paar Sekunden zu lange schlossen, als wollte er so bezwecken, aus einem Tagtraum zu erwachen. Er schien eine ganze Weile zu brauchen, bis er meine Worte richtig verarbeitet hatte. Und als es langsam bei ihm durchzudringen schien, begann er auf eine seltsame Weise kaum merklich den Kopf zu schütteln und sein Blick flog unkontrolliert um uns herum.
»Nein«, sagte er entschlossen. »Das kann es nicht sein. Das ist nicht das, was du fühlst.«
Ich atmete tief durch, während meine Wangen heiß brannten. »Ich schwöre dir, ich sage die Wahrheit. Und ich sage sie dir, um sie dich wissen zu lassen...nicht, um dich...du weißt schon...Wenn du weiterhin Abstand zu mir möchtest, verstehe ich das. Eigentlich bin ich lange zu spät dran, dir das zu sagen...«
Yoongi schnaubte mit einem Hauch von Hysterie in der Stimme. »Gut erkannt, Moon...gut erkannt.«
Mit diesen Worten begannen meine Hoffnungen, die ich bezüglich des Verhältnisses zwischen uns noch gehabt hatte, stetig zu sinken. Wir saßen hier unter dem Baum, unter dem es zumindest für mich zwischen uns erst richtig begonnen hatte...doch anscheinend war es nun zu spät, noch einmal auf diese Ebene zu kommen. Es war inzwischen zu viel Zeit vergangen. Zu viel passiert. Yoongi und ich...das war wohl genauso nicht dazu bestimmt, zu sein, wie Jimin und ich.
»Nun...gut«, murmelte ich leise und erhob mich wackelig von meinem Platz am Boden. »Ich werde jetzt gehen...Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe...«
Ich schaffte es nicht, noch einmal zu ihm zu sehen, sondern konzertierte mich voll und ganz darauf, auf meinem Weg zurück zum Pfad nicht im Matsch auszurutschen oder über einen Ast zu stolpern. Ich wollte auch nicht die zwar vom Regen ein wenig eingeweichten, aber dennoch blühenden Kirschblüten noch einmal sehen. In ein paar Tagen würden sie schon wieder zu Boden fallen und zu einem braunen Einheitsbrei werden. Immer weiter verblassen...genauso wie alle Erinnerungen, die ich mit mir herumtrug.
Schritt für Schritt ging ich weiter und schlang dabei die Arme um meinen Oberkörper, als könnte das verhindern, dass ich einfach auseinanderbrach. Mein Gesicht war ein einziger Krampf, weil ich nicht in Yoongis Hörweite einfach losheulen wollte. Ich hatte heute zudem genug geweint. Ich wollte es mir erst wieder erlauben, wenn ich es heil nach Hause geschafft hatte.
Ein heftiger Schreck durchfuhr meinen Körper, als sich plötzlich etwas auf meinen Rücken legte. Ich riss den Kopf herum und starrte in das Gesicht des Rappers, das nun wieder von seiner Maske verdeckt war. Er trug nur noch seinen Hoodie, denn seine noch halbwegs trockene Jacke hatte er mitsamt der Kapuze über mich gelegt.
Er sagte gar nichts und starrte mich einfach nur für einen kurzen Moment an, ehe er mich mit einem leichten Druck seiner Hand auf meinem Rücken dazu antrieb, weiterzugehen. Er nahm sie den ganzen Weg zurück und auch den Berg hinunter nicht mehr weg. Erst, als die Straße vor dem Halbleiterforschungszentrum sichtbar wurde, bemühte er sich mehr darum, seine Verhüllung aufrecht zu erhalten und zog sich beidhändig seine Hoodiekapuze tiefer ins Gesicht.
Er ging ab diesem Punkt voraus und ich folgte ihm schweigend, seine so wundervoll nach ihm riechende Jacke eng um mich geschlungen. Er führte mich letztendlich zu einem etwas abseits liegenden Parkplatz, wo tatsächlich sein Auto stand. Als wir dort ankamen, öffnete er mir sogar die Beifahrertür, um mich einsteigen zu lassen.
Es fühlte sich alles so unwirklich an. Als befände ich mich gerade in einem Traum. Yoongi startete den Wagen und fuhr uns in aller Ruhe vom Gelände der Seoul National University, während aus den Lautsprechern leise seine Hiphop-Playlist dudelte. Dabei sprachen wir weiterhin kein einziges Wort miteinander. Jedoch konnte ich in diesem Moment wirklich nicht sagen, ob es nun eine angenehme oder unangenehme Stille zwischen uns war.
Ich war überzeugt davon, dass Yoongi mich einfach nur nach Hause fahren wollte. Vielleicht würde er sich noch bereiterklären, einen Umweg über den Dorm zu machen, damit ich meine Sachen holen konnte, die immer noch dort waren...Immerhin lag ich mit meiner ersten Annahme richtig, als ich sah, wie wir in die Straße meines Apartmentkomplexes einfuhren.
»Ich habe meine Sachen noch bei euch«, sagte ich leise, als Yoongi allmählich den Wagen vor den Eingang rollen ließ.
»Du bist klatschnass«, erwiderte er tonlos. »Du solltest dich lieber umziehen, bevor du wirklich krank wirst.«
Ich hob die Hand, um meinen Gurt zu lösen, zögerte dann jedoch.
»Was ist mit dir?«, fragte ich schließlich zögerlich. »Du bist auf dem Rückweg auch ganz schön nass geworden.«
»Ich steck das schon weg.«
»Nein.«
Yoongi drehte verwundert den Kopf zu mir herum. Offensichtlich hatte er nicht mit einem dermaßen direkten und überzeugten Widerspruch von mir gerechnet. Ich schniefte demonstrativ mit der Nase und nahm meine Finger wieder vom Gurt, ehe ich mit dem Finger auf eine Tiefgaragenzufahrt zeigte.
»Fahr da rein«, befahl ich ihm trocken. »Ich gebe dir was Trockenes von mir für die Rückfahrt.«
Ich war mir sicher, dass er sich querstellen und mir an den Kopf werfen würde, dass er die verdammten 15 Minuten Fahrtzeit zurück auf Hannam The Hill auch ohne trockene Klamotten überleben würde. Ich wusste das selbst, aber in diesem Moment wollte ich einfach nicht, dass er ging. Ich wusste, es war vielleicht egoistisch...aber letztendlich war es auch einfach nur meine Antwort auf die Tatsache, dass er mir im Wald hinterhergelaufen war. Ich wollte ihn mit hoch zu mir nehmen. Himmel, ich wollte ihn am liebsten nie wieder gehen lassen!
Und was tat Yoongi? Er ließ kommentarlos den Wagen anrollen und steuerte ihn tatsächlich auf die Einfahrt der Tiefgarage zu.
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