91 - Das Ende vom Anfang
Kapitel 91 – »Das Ende vom Anfang«
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»Never meant to stay
Never meant to be unbroken
We are meant to fade
Back into the silence unspoken
Is it the way we are
The way we feel
Is it the missing pulse
That tear away
Away from everything
That could be real«
Never Meant To Stay – Robot Koch ft. Delhia de France
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Jimin starrte auf seine Finger, die sich eben noch an meinen Wangen befunden hatten. Würde man mit der Zunge darüberfahren, würden sie nun salzig schmecken. Er hatte sie in seinem Schoß ineinander verschränkt, während er im Schneidersitz auf seinem Bett saß. Sein Blick war schmerzvoll verzerrt, obwohl er dies mit all seiner Macht zu unterdrücken versuchte.
»Ich wusste es«, murmelte er nun schon zum dritten Mal vor sich hin. »Ich wusste es einfach schon von Anfang an. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen.«
»Jimin...«, presste ich in einem erbärmlichen Ton hervor. »Es tut mir so leid...«
Er schnaubte weinerlich und drehte den Kopf noch weiter von mir weg, so dass ich sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Offensichtlich wollte er sich diesen Stolz vor mir bewahren. Und das, obwohl ich selbst wie die letzte heulende Leiche neben ihm saß.
»Du...du bist dir also wirklich sicher?«, fragte er mit hohler Stimme, in der er seine Gekränktheit kaum unterdrücken konnte. Und es brach mir das Herz.
Ich war nun kaum wieder eine halbe Stunde im Dorm. Die Jungs waren zu meinem Glück noch nicht zur Arbeit aufgebrochen, da viele ihrer heutigen Termine sich auf den Nachmittag beschränkten. So hatte ich mich, dank meiner neu aufgebauten Fassung, auch endlich in aller Ruhe bei denen bedanken können, die mir wegen der Noah-Sache geholfen hatten. Naja...bei allen, bis auf einem. Yoongi hatte in der Zeit, in der ich bei meiner Mutter gewesen war, den Dorm verlassen.
Nun jedoch war es, wie man vielleicht schon gemerkt hatte, wieder um meine Fassung geschehen. Ich hatte all meinen Mut zusammengefasst und war mit Jimin zusammen in Hobis und sein Zimmer gegangen, um unter vier Augen zu reden. Um Schluss zu machen. Es war das Einzige, was mir irgendwie richtig vorkam.
»Hat es sich denn für dich dieses Mal richtig angefühlt? Also...im Vergleich zu vor vier Jahren?«, fragte ich ihn leise schniefend. Ich saß direkt neben ihm auf dem Bett, aber achtete darauf, dass unsere Beine sich nicht berührten.
Jimin hob den Kopf. »Ich...ich hätte es gerne rausgefunden.«
»...das klingt nicht wie ein Ja.«
Er atmete zittrig durch und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, die immer noch leicht nass waren. »Weißt du...ich habe mich die ganzen Jahre über gefragt, "was gewesen wäre, wenn..."...Du warst und bist auch jetzt wieder einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Du hast mich immer verstanden und aufgebaut. Ich habe das Gefühl, bei dir kann ich leichter zu der besten Version von mir selbst werden. Es passt einfach zwischen uns. Also...warum sollte die Zukunft nicht mehr für uns bereithalten?«
Eine gewisse Verzweiflung lag in seiner Stimme und sie schmerze mich mit jedem Ton wie tausende Nadelstiche auf der Haut. Vor meinem inneren Auge flogen die Erinnerungen aus unserer Jugend vorbei. Unser Kennenlernen durch die Nachhilfe. Unsere ersten Treffen am Schwimmbad der SNU. Sein Geburtstag im Seoul Forest. Unsere kleine Schwalbenaufzucht und die Tage, die ich bei BTS im Dorm gewohnt hatte. Unser erster Kuss auf dem Kioskdach, während im Hintergrund unsere Freunde lachten und das Lagerfeuer prasselte... Jimin nun wieder verletzen zu müssen, fühlte sich fast wie ein Déjà Vu an. Nur dass ich es dieses Mal bewusst und auf eine Weise tat, die...nun ja...richtig war.
»Manchmal soll es einfach nicht sein«, presste ich hervor. »Manchmal ist einfach nicht dazu gemacht, um auf dieser Ebene zu funktionieren.«
Jimin betrachtete mich lange und traurig. »Ich verstehe, was du meinst... Aber warum hast du es dann überhaupt so weit kommen lassen? Warum hast du Ja gesagt, als ich dich gefragt habe, ob wir es nochmal probieren wollen?«
»Weil ich dachte, dass es das Ziel ist. Weil es immer mein Ziel war und ich geglaubt habe, dass es jetzt immer noch das gleiche sein muss. Ich glaube, ich habe mich von der Vorstellung hinreißen lassen, endlich das erreichen zu können, was mir vor vier Jahren verwehrt worden ist. Dabei hätte ich es damals schon anders sehen müssen. Ich hätte damit abschließen sollen, aber ich war zu dumm und naiv, um es zu verstehen. Und bis zu dem Punkt, als wir miteinander geschlafen haben, war ich auch noch von vorne bis hinten davon überzeugt, dass das zwischen uns passt...Ich will den Sex nicht dafür verantwortlich machen...aber ging es dir nicht genauso, dass es sich ab diesem Punkt angefühlt hat, als wären wir...einen Schritt zu weit gegangen? Als würde es ab diesem Punkt nicht mehr harmonieren?«
Jimin dachte nach. Er tat es wirklich. Dabei flog sein Blick über die Decke, fast als würde er dort Sternenbilder ausfindig machen wollen. Als er sich wieder mir zuwandte, hat sich etwas in seinen Augen verändert und für einen kurzen Moment bekam ich Panik, er würde meine Worte falsch aufnehmen und daraus deuten, ich fände ihn einfach zu schlecht im Bett.
»Ich...ich verstehe, was du meinst«, sagte er schließlich leise. »Irgendwie...war das alles ziemlich komisch. Als würde es mehr, darum gehen, die Sache an sich hinter sich zu bringen, als das zwischen uns.«
»Ja«, nickte ich zögerlich. »Als hätte ab diesem Punkt jemand die Grenze gezogen. Ihr funktioniert bis hierhin und nicht weiter.«
»...So könnte man es nennen.«
Jimin sah betreten in seinen Schoß und pflückte lustlos am Stoff seiner Jogginghose herum. Es schien ihn unglaublich zu frustrieren, dass es so war, wie es eben war. Mich beschlich das leise Gefühl, dass es ihm ähnlich ging wie mir. Dass er sich bis zu diesem Punkt auch mehr eingeredet hatte und sich nun unangenehmen Tatsachen stellen musste. Irgendwie beruhigte es mich, denn es bedeutete immerhin, dass ich ihm nicht direkt das Herz brach. Auf der anderen Seite machte es mich nur noch trauriger, als ich ohnehin schon war, denn es fühlte sich trotzdem so an, als würde mir etwas aus den Händen gleiten.
»Jimin«, begann ich erneut leise und legte nach langem Überlegen eine Hand auf seinen Arm. »Du bedeutest mir so unglaublich viel, wirklich. Und ich hätte mir nichts lieber gewünscht, als dass das zwischen uns...das Richtige ist...Aber so...so kann ich nicht weitermachen.«
»Wenn du dieses Zimmer verlässt«, sagte er nach einer Weile, ohne mich dabei anzusehen. »Wirst du dann zu Yoongi gehen und ihm sagen, dass du ihn liebst?«
Es hatte ihn wohl einiges an Kraft gekostet, diese Worte über die Lippen zu bringen. Er wischte sich schnell mit dem Handrücken über die Augen und gleich darauf krallten sich seine Finger in seine Hose.
»Ich...«, erwiderte ich erstickt. »Ich...ich weiß nicht...Ich denke, ich sollte nicht –«
»Doch, solltest du.«
Mit einem Mal hatte sich Jimin umgedreht und starrte mich aus seinen roten Augen an. Plötzlich wirkte er ein bisschen trotzig, aber gleichzeitig immer noch extrem verletzt und niedergeschlagen.
»Du solltest ihm die Wahrheit sagen«, fügte er krächzend hinzu. »Für was das ganze Theater, wenn du dich am Ende nur wieder verkriechen willst? Für was stecke ich hier gerade zurück? Jetzt mache ich einmal das, was Yoongi schon seit Jahren tut und er profitiert noch nicht einmal daraus? Klasse, Moon!«
Ich riss erschrocken die Augen auf und zog reflexartig meine Hand wieder zurück. »Was...was redest du da? Du warst immer eifersüchtig auf Yoongi! Was für ein Arsch wäre ich, wenn ich jetzt zu einem deiner besten Freunde gehe und –«
»Moon!«, fiel er mir fast schon wütend ins Wort und schüttelte fassungslos den Kopf. »Du hast gerade vor mir zugegeben, dass du stärkere Gefühle für ihn als für mich hast! Yoongi qualmt sich wieder die Birne weg, weil es ihn so fertigmacht, dich und mich zusammen zu sehen! Und jetzt willst du das mit mir beenden und dann einfach...nichts tun? Sorry, aber das ist einfach nur dämlich.«
Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Stachelst du mich gerade ernsthaft dazu an, was mit Yoongi anzufangen?«
»Oh Himmel, sag das nie wieder, sonst fang ich echt noch an zu heulen.«
Er presste die Lippen aufeinander, als wollte er sich zu sowas wie einem Lächeln zwingen, doch es endete lediglich in einem unkontrollierten Zucken seiner Mundwinkel. Er sah so zerstört aus in diesem Moment, dass mir fast augenblicklich die Tränen in die Augen schossen. Und als hätte ich ihn damit den Stein ins Rollen gebracht, brachen keine paar Sekunden später auch bei Jimin alle Dämme.
Da saßen wir also nun und weinten wie die Babys. Irgendwann schien sich zumindest er ein Herz fassen zu können, rückte näher zu mir heran und zog mich in seine Arme. Ich klammerte mich gleich darauf an ihm fest, als könnte er sich ansonsten einfach in Luft auflösen. Die Angst, ich könnte ihn durch diese ganze Sache komplett verlieren, machte mich wahnsinnig. Ganz anders als bei Noah, bei dem ich mich sehr schnell nur nach Abstand gesehnt hatte.
»Weißt du, was ich manchmal gedacht habe?«, schluchzte Jimin an meiner Schulter. »Immer...immer wenn ich Serendipity gesungen habe...«
Ich drückte ihn enger an mich. Serendipity. Ich hatte den Song angehört. Fast jeden Tag, nachdem ich Yoongi das Kaliko-Armband geschenkt und er mir von dem Zusammenhang dazu erzählt hatte. Auch jetzt schallte mir Jimins süße, helle Stimme dazu in den Ohren, die gerade so zerbrechlich und tief klang. Als wäre die Person in meinen Armen und die, die den Song gesungen hatte, nicht ein und dieselbe.
»Ich konnte nichts dagegen tun...Ich habe immer dich und Yoongi vor meinem inneren Auge gesehen, wenn ich mir die Szenen dazu vorgestellt habe...Ich hatte das Gefühl, dass ich den Song unfreiwillig für euch singe, weil es irgendwie...besser passt. Ich hasse es, das zuzugeben. Ich hasse es wirklich. Denn eigentlich wollte ich immer, dass dieser Song auf uns passt.«
»Kam er nicht raus, als du mich noch aus tiefster Seele gehasst hast?«, murmelte ich an seinem Hals und hoffte inständig, ihn damit ein bisschen aufheitern zu können. Das kleine schnaubende Lachen, das er von sich gab, war halbherzig, aber dennoch immerhin etwas...
»Ich...ich hab dich nie wirklich gehasst«, sagte er und strich mit der Hand über meinen Rücken. »Ich hab dich vermisst. Und ich war verletzt. Aber ich hab mir trotzdem immer gewünscht, dass alles anders gelaufen wäre und Serendipity zum richtigen Zeitpunkt einfach unser Song geworden wäre.«
»Du hast ihn mir nie abgespielt...«
»Ja...weil es sich irgendwie nie ergeben oder richtig angefühlt hat. Jetzt weiß ich auch, dass mein Bauchgefühl die ganze Zeit recht hatte. Es sollte einfach nie unser Song sein.«
Ein heißes Gefühl an meiner Schulter verriet mir, dass er wieder weinte und alleine diese Tatsache jagte auch wieder Tränen in meine Augen.
»Ich will dich wirklich nicht verlieren«, wimmerte ich und drückte ihn wieder näher an mich. »Ich will nicht, dass es jetzt einfach komplett vorbei ist.«
Jimin schwieg auf meine Aussage hin, so dass für eine ganze Weile nur die fernen Geräusche von Seouls Morgenverkehr und das ab und an vorkommende Schniefen unserer Nasen den Raum erfüllten. Ich fragte mich, ob sein Herz genauso schmerzhaft in seiner Brust pochte. Eigentlich war die Frage rhetorisch.
»Ich will dich auch nicht verlieren«, sagte er schließlich leise. »Aber ich weiß gerade echt nicht, wie ich mit all dem hier umgehen soll.«
Ungesagte Worte schwebten darauf im Raum und ich wusste genau, was in seinem Kopf gerade vorging. Die Vorstellung von Yoongi und mir machte ihn wahnsinnig...und wer konnte es ihm verübeln? Dabei war doch noch nicht einmal sicher, wie das hier alles weitergehen würde. Wer sagte, dass der Rapper nach allem, was inzwischen passiert war, überhaupt noch Lust hatte, mit mir zu reden? Geschweige denn, sich auf mich einzulassen. Ob ich das bei ihm konnte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt ja selbst nicht einmal genau. Alles, was mir inzwischen klar war, war die Tatsache, dass das mit Jimin und mir so nicht weitergehen durfte. Und deshalb fühlte sich diese Trennung auf irgendeine schräge Weise richtig an. Brutal, herzzerreißend und schmerzhaft – aber richtig.
»Geh bitte einfach zu Yoongi«, wiederholte Jimin, nachdem er mich sanft von sich weggeschoben hatte, um mich aus seinen verheulten Augen traurig anzusehen. »Ich weiß inzwischen, dass niemand anderes das für dich sein kann, was er für dich ist.«
»Es tut mir so leid, Jimin«, hauchte ich, erneut den Tränen nahe.
Er schüttelte wehleidig den Kopf. »Du hast nichts Falsches gemacht...Nicht dieses Mal. Für Gefühle kann man nichts, Jebi.«
Dass er meinen Spitznamen noch verwendete, wirkte auf mich wie ein warmer Lufthauch an einem bitterkalten Wintertag. Es war, als hätte er mir damit signalisiert, dass es auf irgendeine Weise wirklich okay für ihn war. Irgendwie.
Jedenfalls genügte dieser kleine Lufthauch, um mir selbst zum ersten Mal so richtig zu erlauben, an Yoongi zu denken. Die Person, die mein Kopf für so lange Zeit verleugnet hatte, so dass mir nun absolut nicht klar war, wie ich ihm je wieder unter die Augen treten konnte, ohne an meinen Schuldgefühlen zu ersticken. Dennoch wurde mir auch erst jetzt so richtig bewusst, wie schmerzhaft mein Herz danach pochte, ihn zu sehen. Mit ihm zu reden. Ihm einfach alles zu erzählen. Ihm zu sagen, wie ich mich fühlte. Scheiße, was würde ich gerade alles dafür geben, ihn lachen zu hören. Mir schien, als ob das letzte Mal, dass es mir zu Ohren gekommen war, Jahrhunderte zurücklag.
»Ich weiß nicht mal, wo er ist«, fanden die Worte schließlich den Weg über meine Lippen. »Er war nicht da, als ich vorhin zurückkam.«
Jimin senkte den Kopf wieder zu seinem Schoß. »Er hat niemandem gesagt, wohin er will. Wahrscheinlich ist er schon auf der Arbeit...«
Ich senkte ebenfalls den Blick den Blick auf meine Hände. Sie steckten in den Ärmeln meines Cardigans, der vom ganzen Weinen immer noch nasse Flecken hatte.
»Du kannst hierbleiben, solange wir weg sind«, sagte Jimin nach einer Weile unsicher. »Immerhin...war es ja sowieso geplant, dass du ein paar Nächte hier schläfst, bis wir vollkommen sicher sind, dass Noah die Stadt verlassen hat.«
»Hm«, machte ich, ohne dabei aufzusehen. Die Vorstellung, einen ganzen Tag hier herumzusitzen und die Zeit totzuschlagen, kam mir ungeheuer niederschmetternd vor. Zudem wegen der Tatsache, dass heute Abend wahrscheinlich alle fünf Jungs etwa gleich hier ankommen würden und ich mit Yoongi ebenfalls hier im Dorm reden musste. Irgendwie fühlte sich das falsch an, jetzt wo ich ebenfalls in diesem Apartment mit Jimin Schluss gemacht hatte.
»Vielleicht...kann ich ihn ja dazu bringen, etwas eher hier her zurückzukommen...«, sagte dieser plötzlich, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Dann könnt ihr wenigstens...nun ja...alleine reden. Ich denke, ich schlaf heute Nacht einfach bei Taehyung...«
Seine Worte machten mich wieder traurig, doch ich raffte mich zu einem Nicken auf. Was blieb uns gerade schon anderes übrig, als uns bestmöglich mit der Situation zu arrangieren. Es war völlig verständlich, dass Jimin nun ein wenig Abstand suchte. Und den würde ich ihm auch gewähren.
»Ich denke, ich mach mich jetzt mal fertig...«, fügte er lustlos hinzu und erhob sich schwerfällig vom Bett. »Du weißt ja, wo hier alles ist...oder?«
»Ich denke schon«, gab ich ein wenig betreten zurück und stand ebenfalls auf, um der stillen Aufforderung, das Zimmer zu verlassen nachzukommen.
»Oh...Jebi?«
Kurz vor der Tür drehte ich mich noch einmal zu Jimin um. Plötzlich bekam ich Flashbacks an den Moment, als ich das Apartment nach unserem ersten Date verlassen und er mich noch einmal aufgehalten hatte. Auch jetzt lag ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. Wenn auch ein ziemlich trauriges.
»Du bleibst meine beste Freundin...zumindest will ich, dass du das bleibst.«
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