80 - Kaffeeklatsch

Kapitel 80 – »Kaffeeklatsch«


────•~❉᯽❉~•────

»They say true love's blind
They tell me wait for a sign
It's time my head takes over
Last night was an eye opener«

Eye Opener – Slaves

────•~❉᯽❉~•────


Di., 27. März 2018

Moonhee


»Ich glaub's nicht...Erzähl mir alles! Bis aufs kleinste Detail!«

Ich warf Chaewon einen ungläubigen, ja, fast schon angewiderten Blick zu, den sie mit einem teuflischen Grinsen konterte. In vielerlei Hinsicht war sie definitiv nicht wie das durchschnittliche, zurückhaltende koreanische Mädchen. Oder besser gesagt lebte sie das ganz offen aus, was andere hier sich niemals trauen würden. Zum Beispiel mitten in einem Café nahe dem Standort ihrer Arbeitsstelle mich darüber auszufragen, was in der letzten Nacht zwischen Jimin und mir gelaufen war.

Zugegeben, wir hatten uns hier verabredet wegen mir. Weil ich Chaewon gefragt hatte, ob wir uns während ihrer Mittagspause irgendwo treffen könnten. Mir war es heute Morgen nicht wirklich gut ergangen, so ganz alleine in meinem Apartment, und ich hatte den Drang verspürt, mit jemandem zu reden. Ich wusste genau, dass es an dem Sex mit Jimin lag. Und insgeheim war mir auch klar, dass das auch genau den Grund bildete, warum ich überhaupt hier saß.

»Naja...es war halt...wie die meisten ersten Male mit jemandem«, murmelte ich unschlüssig und spielte mit einer Haarsträhne herum, damit meine Finger etwas zu tun hatten. Ich konnte wirklich von Glück reden, dass das Café relativ leer war, keine Menschenseele in unserer Nähe saß und die Musik aus den Boxen für potentielle Tischnachbarn sowieso alles übertönt hätte.

Chaewon verdrehte die Augen und beugte sich mit auf dem Tisch ausgebreiteten Händen über ihren Kaffee. »Das klingt auf jeden Fall schon mal nicht gut. Genau wie dein Gesicht mir förmlich entgegenschreit, dass irgendwas ganz schön kacke gelaufen ist.«

»Nein, so würde ich es nicht nennen...«

»Sag bloß nicht...« Meine beste Freundin räusperte sich und zog bestürzt die Augenbrauen zusammen, nur um dann mit gedämpfter Stimme weiterzusprechen. »Sag bloß nicht, er ist so eine Niete im Bett.«

Ich schnaubte. »Um Himmels Willen, nein! Verdammt, Chaewon...«

»Ganz ruhig!«, verteidigte sie sich mit gespielter Unschuldsmiene. »Hätte ja sein können...«

Ich vergrub das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. Wieso waren die einzigen beiden Personen, mit denen ich über sowas redete, eigentlich in jeglicher Hinsicht anstrengend? Mit Sohee wäre dieses Gespräch zu hundert Prozent genauso schrecklich geworden.

»Es geht und ging mir nicht darum, wie er...wie gut er ist«, erwiderte ich schließlich, die Finger immer noch an meinen Schläfen. »Ich denke, das Problem...lag irgendwie an uns beiden.«

»Also hast du etwa die Erfahrene raushängen lassen und er hat darauf voll den Abturn geschoben??«

Ich musste erneut die Augen schließen, um nicht vollkommen in Rage zu geraten. Bei diesem Thema vermisste ich wirklich die komplett andersdenkende westliche Gesellschaft. Sexuelle Erfahrungen waren bei einer Frau kein No-Go, sondern eher ein erheblicher Pluspunkt. Bei Noah hatte mich das zunächst mehr als schockiert. Besser gesagt hatte ich ihn schockiert, als ich versuchte, so zu tun, als wüsste ich nichts, nur um ihm dann irgendwann alles zu beichten, was damals mit »diesem einen Jungen« geschehen war. Und dann hatte er mich wiederum damit entsetzt, wie locker er das alles abtat und mir sogar noch gut zuredete, dass ich daraus doch nur gute Erfahrungen hatte mitnehmen können. Wenn eines der Vorurteile über die Europäer wirklich stimmte, dann dass sie locker drauf waren. Und in vielerlei Hinsicht hatte es für mich einiges einfacher gemacht.

»Ich glaube nicht, dass es ihm besser gefallen hätte, hätte ich unter ihm gelegen wie eine vor Angst zitternde Jungfrau«, erwiderte ich abfällig und nahm einen Schluck von meinem Latte Macchiato. »Ihm ist doch mehr als bewusst, dass es vor ihm schon andere gegeben hat. Und das gleiche gilt doch auch für ihn.«

»London hat dich wirklich verändert«, erwiderte Chaewon kopfschüttelnd, doch mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht. »Aber es gefällt mir nach wie vor.«

Diese Reaktion bewies nur wieder einmal mehr, dass sie nach all den Jahren immer noch die Alte war. Nur zu gut wusste ich noch von damals, dass sie diese ganz bestimmte Art von Typen hasste. Jene, von denen es so viele hier in Korea gab. Jene, die in ihrer kleinen Blase lebten, in der man als deren Freundin nur Augen für sie haben durfte. Keine männlichen Freunde gestattet. Kwangseok war definitiv einer dieser Kerle gewesen.

»Also, Moonie...«, begann Chaewon von neuem, als ich keine Anstalten machte, etwas zu sagen. »Was beschäftigt dich so sehr? Was ist schiefgelaufen?«

»Ich sagte ja bereits, nichts ist schiefgelaufen«, seufzte ich und begann erneut damit, an meinen Haaren herumzuzupfen. »Es hat sich einfach...seltsam angefühlt...Als ob es mehr um den Sex an sich ginge, als um uns. Es war alles irgendwie so...verbissen.«

»Von deiner Seite aus oder von seiner? Oder von beiden?«

»Von beiden...wie ich bereits sagte.«

Chaewon blies ihre Backen auf und pustete frustriert aus. »Uff...das klingt ganz schön ernüchternd...Aber denkst du nicht, das wird sich mit der Zeit schon legen? Ich meine...die ersten Male sind meistens nicht leicht. Man ist eben noch nicht...auf einander abgestimmt...«

»Ja, ich weiß«, murmelte ich resigniert. »Aber... Ach, keine Ahnung, es stört mich halt so. Ich hatte es mir einfach anders vorgestellt. Sogar mit Noah hat es sich nicht so seltsam angefühlt.«

»Noah?«, fragte meine beste Freundin misstrauisch und beugte sich sofort wieder mir entgegen. »Wer ist Noah?«

Ich hob überrascht den Kopf. Verdammt, mir war entgangen, dass ich ihr eigentlich nie von meinem Ex hatte erzählen wollen! Doch jetzt war das Ganze natürlich hinfällig. Ganz toll gemacht, Moon.

»Mein Ex«, erklärte ich knapp und starrte auf meinen Kaffee. »Aus London. Wir waren 'ne ganze Weile zusammen, bevor ich hier her zurückgekommen bin.«

Chaewon riss ihre Augen auf. »Und du hast es nicht für nötig gehalten, dieses kleine Detail mir gegenüber zu erwähnen?!«

»Sorry«, entschuldigte ich mich missmutig. »Aber das Thema ist heikler als du denkst... Ich wollte nicht, dass noch mehr davon wissen. Jimin und Yoongi haben es schon auf die beschissenste Weise erfahren, als er mich bei dem Date angerufen und angebettelt hat, dass er hier her nach Seoul kommen und wir es nochmal probieren könnten. Ich möchte nicht, dass der Name Noah nochmal vor Jimin fällt... Er und ich haben mit genug Altlasten zu kämpfen, als dass wir uns noch so eine leisten könnten.«

»Verstehe«, murmelte sie nachdenklich und fuhr sich mit den Fingern übers Kinn. »Und inwiefern war das jetzt bei diesem Noah...besser, als ihr euer erstes Mal hattet?«

»Naja...«, begann ich unschlüssig, wusste aber nicht so recht, wie ich das Thema verständlich angreifen sollte. Schließlich seufzte ich erneut resigniert und griff mit den Händen um meinen Kaffee. »Ich glaube, dafür muss ich ganz von vorne anfangen...bei Yoongi. Mal abgesehen von unserem ersten Sex, war das nämlich die Grundlage, weshalb es heute so ist, wie es ist. Er hat mich an die Hand genommen, verstehst du? Er hat...mir nichts beweisen wollen oder mit seinen Erfahrungen geprahlt...Es ging ihm vielmehr immer darum, dass es mir gut geht und ich mich aus meiner Muschel traue. Bei Noah war es dann absolut seltsam. Das erste Mal mit jemandem schlafen, mit dem man in einer Beziehung ist. Ich dachte, er würde mich hassen, wenn ich mich genauso verhalten würde, wie bei Yoongi...doch dem war nicht so. Er fand es gut, dass ich bereits Erfahrungen gemacht hatte und wollte nicht, dass ich so tue, als existieren diese nicht. Er hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, in solchen intimen Momenten man selbst zu sein und sich nicht zu verstellen. Und dann kam Jimin...und ich habe mich nicht verstellt. Nur um dann die ganze Zeit das Gefühl zu haben, als würden wir beide trotzdem ein Schauspiel aufführen. Eines, in dem ich um keine Rolle gebeten hab. Verstehst du, was ich meine?«

Chaewon starrte mich an, als müsste sie all das Gesagte erst mal richtig in sich aufnehmen und verarbeiten. Sie nahm darauf einen großen Schluck von ihrer Tasse, ehe sie die Hände vor dem Mund faltete und tief durchatmete. Wäre ihr Gesicht dabei nicht so ausdrucksstark, hätte sie mich glatt ein wenig an Yoongi erinnert.

»Wenn du mich fragst, klingt das ganz schön verzwickt«, sagte sie schließlich. »Scheint so, als würde es keine andere Lösung für das Problem geben, als dass du mit Jimin redest und ihm das erklärst.«

»Aber das ist ja schon das nächste Problem«, jammerte ich und ließ mich weiter in meinen Stuhl sinken. »Das letzte Mal hat er mich förmlich rausgeschmissen, als er von meinem Ex erfahren hat und wegen Yoongi hat es jetzt auch schon genug Streit gegeben! Ich will diese Themen mit ihm nicht mehr anreißen...Ich glaube, dann geht er wieder komplett auf die Barrikade...«

»Irgendwann wirst du es tun müssen«, erwiderte meine beste Freundin achselzuckend. »So funktioniert eine Beziehung.«

»Ich weiß...«

Wir verfielen in ein Schweigen, in dem jeder von uns beiden eine Weile über seinem eigenen Kaffee brütete. Ich spürte immer wieder Chaewons Blick auf mir, konzentrierte mich jedoch vehement auf den Milchschaum auf meinem Latte Macchiato.

»Wie...wie läuft's bei dir so auf der Arbeit?«, fragte ich notgedrungen, als die Stille zwischen uns unerträglich wurde.

»Puuh«, machte Chaewon und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ganz nett. Der heiße Amerikaner ist zwar manchmal etwas anstrengend, weil er kein Wort Koreanisch spricht und die meisten von uns kein Englisch, aber ansonsten alles wie immer.«

Ich deutete den Hauch eines Lächelns an. »Also werde ich wohl nicht die Ehre haben, ihn bei deinem nächsten Geburtstag kennenzulernen?«

»Nah...Den Plan, Jin eifersüchtig zu machen, habe ich aufgegeben«, schnaubte sie mit einem dickten Grinsen auf den Lippen. »Irgendwie habe ich die Lust verloren. Er hat mich viel zu früh durchschaut. Und selbst wenn er das nicht getan hätte...er weiß genau, dass ich nicht auf solche Ami-Sunnyboys wie diesen Sam stehe.«

»Hat Jin ihn denn jemals gesehen?«

Chaewon lachte auf. »Solange der noch keinen Geheimhaltungsvertrag unterschrieben hat, wird er keinen Fuß ins BigHit-Gebäude setzen dürfen, geschweige denn vor Jins Nase. Und selbst wenn, schon gar nicht auf irgendwelche Partys von mir. Der Typ kommt mir eigentlich inzwischen ziemlich arrogant rüber.«

Wir verloren uns noch eine Weile in Gesprächen über den anstrengenden, aber heißen Praktikanten Sam, über den meine beste Freundin, nachdem sie erstmal in Fahrt gekommen war, noch so viel mehr zu sagen hatte. Es erinnerte mich ein wenig an unsere alten Zeiten auf der High School. An unsere Unterhaltungen auf dem Schulhof und in der Kantine, welche Jungs in unserer Stufe süß waren und welche nicht. Erst, als ihre einstündige Mittagspause sich langsam dem Ende neigte und wir bereits bezahlt hatten, ließ Chaewon das Gespräch über ihre Arbeit wieder auslaufen und bedachte mich mit einem forschenden Blick.

»Rede mit Jimin«, forderte sie mich völlig aus dem Nichts auf. »Du wirst schon sehen, dass er zu schätzen wissen wird, dass du offen auf ihn zugehst. Nur so wird er dir von Zeit zu Zeit wieder richtig vertrauen können.«

Ich atmete tief durch und bedauerte für einen Moment, dass das Latte-Glas vor mir schon leer war und mir keine Ausrede gab, eine Antwort hinauszuzögern. Dabei war es völlig dämlich, dass ich jetzt am liebsten einfach wegrennen würde. Immerhin war dieses Thema doch genau der Grund, weshalb ich mich überhaupt mit meiner besten Freundin hatte treffen wollen, oder?

»Vielleicht wird er das...«, murmelte ich bedrückt. »Vielleicht...«

Chaewon zog misstrauisch die Augenbrauen hoch. »So, wie du das sagst, klingt das nicht so, als würdest du dem Ganzen überhaupt eine Chance geben wollen.«

»Natürlich will ich das!«, erwiderte ich empört. »Aber ich weiß einfach nicht, ob ich nochmal so eine Zurückweisung ertragen könnte...«

»Tja...dann bleibt dir wohl wirklich keine Wahl, als mit ihm zu reden.«

Ich stöhnte. »Ja, schon gut...Ich spreche ihn darauf an, wenn wir uns das nächste Mal sehen.«

Chaewon nickte anerkennend und beugte sich darauf wieder ein wenig weiter zu mir. »Pass aber bloß auf, wie du es formulierst. "Sorry, der Sex mit Yoongi und diesem Noah war irgendwie besser", steht definitiv nicht zur Debatte.«

»Schon klar«, schnaubte ich, wobei ich mir ein Grinsen jedoch nicht verkneifen konnte.

Mit einem theatralischen Seufzen ließ sie sich wieder tiefer in ihren Stuhl fallen und fixierte mich mit einem seltsam ironischen Blick.

»Weißt du, was lustig ist?«, fragte sie mit einer Stimme, die perfekt ihre ganze Haltung widerspiegelte. »Du bist wahrscheinlich die einzige Person auf dieser Welt, die gleich zwei BTS-Members im –«

»Schhhhhh!«, fuhr ich ihr ins Wort und taxierte sie mahnend. Auch, wenn nach wie vor wenig Menschen um uns herum im Café saßen, so mussten wir es dennoch nicht drauf anlegen, dass irgendwer von unseren Gesprächen mitbekam.

»...die mit gleich zwei von ihnen im Bett war«, beendete Chaewon augenverdrehend mit leiserer Stimme den Satz, »und trotzdem bist du nur am rumjammern.«

»Tu nicht so, als wäre das eine erstrebenswerte Errungenschaft«, grummelte ich in mich hinein. »Mir wäre es lieber, es wäre lediglich nur einer...«

Chaewons Stirn legte sich augenblicklich in tiefe Falten, als hätte sie plötzlich eine Eingebung bekommen. Und aus irgendeinem Grund machte sich beim Anblick ihres Gesichtsausdrucks ein flaues Gefühl in meiner Magengegend breit. Sag's nicht, schrie eine Stimme in meinem Kopf. Wag es ja nicht, es auszusprechen!

»Die Frage ist aber...«, begann meine beste Freundin nichtdestotrotz wieder auf eine langsame und gedämpfte Weise zu sprechen, »wenn du eine der beiden Erfahrungen ausradieren müsstest...welche wäre es dann?«

...Und mit diesem Punkt hatte sie mich in der Falle.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top