39 - Risiken und Nebenwirkungen

Kapitel 39 – »Risiken und Nebenwirkungen«


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»Are you deranged like me?
Are you strange like me?
Lighting matches just to swallow up the flame like me?
Do you call yourself a fucking hurricane like me?
Pointing fingers 'cause you'll never take the blame like me?«

Gasoline – Halsey

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Sa., 4. Mai 2013

Namjoon


»Warum kiffst du mit ihr? Und das im Wohnzimmer vor allen Leuten! Hyung, ich dachte, die Sache hätten wir geklärt!«

Namjoons Stimme war erzürnter, als zunächst beabsichtigt, doch angesichts dessen, was er vor wenigen Minuten beobachtet hatte (und vielleicht auch ein wenig wegen des Alkohols) ging seine Tonlage ein wenig mit ihm durch. Er hatte die erste Gelegenheit genutzt und Yoongi zur Seite gezerrt, als Moon aufgestanden war, um sich einen neuen Drink zu besorgen. Die laute Musik, die aus ihrer Anlage schallte, übertönte ihre Unterhaltung für alle anderen, die sich mit im Wohnzimmer befanden.

»Wo ist das Problem?«, entgegnete der Ältere und zog die Augenbrauen zusammen. »Du rauchst selbst ab und zu mit.«

»Sie nicht. Also wäre es mir recht, wenn du sie da raushalten würdest. Du bist doch sonst auch immer so verantwortungsbewusst.«

»Deswegen hab ich sie auch...wie oft davon ziehen lassen? Zweimal? Dreimal?«

»Hyung, du bist betrunken. Ganz eindeutig.«

Es war nicht bestreitbar, dass Yoongi einen sitzen hatte, dessen war Namjoon sich nun bewusst. Und das, obwohl er selbst gut gebechert hatte und es eigentlich auch noch weiter tun wollte. Nun sah er sich aber gezwungen, dieses Vorhaben noch einmal zu überdenken. Sein Hyung hatte einen Joint geraucht. Im Wohnzimmer. Mit Moon. Mit erster Tatsache konnte er sich noch abfinden...aber keinesfalls mit letzteren beiden!

»Jetzt mal abgesehen davon, dass du Moon daran ziehen lassen hast«, zischte Namjoon, bevor Yoongi zu Wort kommen konnte. »Wir sind hier im Wohnzimmer. Du weißt, wir haben deswegen einen Deal. Du weißt, verdammt nochmal, was hier auf dem Spiel steht!«

Ihr Leben. Ihre Zukunft. Ihre Freiheit. Es reichte nur ein verdammtes, vielleicht sogar unbeabsichtigtes Foto, das irgendwie im Netz landete und schon waren sie alle am Arsch. Wie konnte Yoongi nur so leichtsinnig sein? Und wie konnte er es nur wagen, Moon da mit rein zu ziehen? Ziehen zu lassen?! Was auch immer!

»Jetzt komm mal runter«, brummte sein Gegenüber schließlich und ließ sich dabei mit einer Spur zu viel Schwung gegen die Wand neben ihnen fallen. Lässig war jedenfalls anders. »Moon ging es nicht gut. Sie hat das gebraucht.«

»Wenn du wirklich denkst, dass jemandem, dem es nicht gut geht, sowas hilft, dann hast du echt einen Schaden«, schnaubte Namjoon, wobei er sich auch ein wenig schuldig fühlte. Wie oft hatte er selbst zu einem Joint ja gesagt, um ein wenig abschalten zu können? Um sich von dem dumpfen Gefühl der Schwerelosigkeit übermannen zu lassen und kurz den ganzen Stress zu vergessen? Wahrscheinlich war er durch die Underground-Szene sogar der Erste ihrer ganzen Band, der mit sowas überhaupt in Berührung gekommen war.

Yoongi musterte ihn auf eine Weise, die an eine Katze erinnerte. Eine, die darüber nachdachte, ob sie sich für den sie anlocken wollenden Menschen nun interessierte, oder nicht. Seine Augen waren dabei ein wenig zu schleierhaft und geschlossener als sonst. Es war selten, dass Namjoon ihn so erlebte. Und inzwischen beschlich ihn die leise Ahnung, dass der normale Yoongi die Party längst verlassen hatte.

Das hier war der andere Yoongi. Der, der sich zu viel Whiskey gekippt und Blunts geraucht hatte. Der, der irgendwie auf seine eigene Art und Weise versuchte, die Leere in seinem Kopf zu kompensieren. Die Leere, über die er nie sprach, doch von der Namjoon ganz genau wusste, dass sie da war. Die Leere, die ihn am Anfang ihrer Trainee-Zeit schon einmal zum Psychologen gezwungen hatte.

Eigentlich hatte der Leader der Band den Eindruck gehabt, es würde Yoongi besser gehen. Eigentlich würde ihm ein einfacher Joint keinen Grund zur Beunruhigung geben. Gras war kein Fremdwort in diesem Haushalt und auch nicht in der Branche. Schon gar nicht für Ex-Underground-Rapper wie sie beide. Und inzwischen wirklich für keins der BTS-Mitglieder mehr. Jeder hatte einmal seinen Punkt erreicht, an dem er nachgegeben hatte. An dem er mit allen Mitteln versucht hatte, den Stress zu kompensieren. Schlaf zu finden, wenn man es musste und nicht, wenn man es wollte. Das einzige Problem war der verdammte Hunger, der mit dem Rauchen einherging.

»Wie du willst, Namjoon-ah«, brummte Yoongi schließlich, ohne dass sich sein kühler Blick dabei veränderte. »Kein Kiffen mehr im Wohnzimmer.«

Mit diesen Worten zog er sich demonstrativ eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hosentasche und zündete sie mit einem Feuerzeug in seiner anderen an. Namjoon wich ein wenig zurück, um nicht die volle Breitseite seines Tabakatems in die Nase zu bekommen.

»Heyoooo, was macht ihr denn für lange Gesichter?«

Beide ihrer Köpfe drehten sich wie automatisch zum Klang von Moons Stimme um. Ihre dunklen, glatten Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, was sie in letzter Zeit immer öfter tat und sie trug ein schwarzes T-Shirt-Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte. Sie bedachte die beiden Rapper mit einem gespielt misstrauischen Blick, der jedoch ziemlich schnell in einem kindlichen Gekicher endete. Na super. Sie war also auch nicht mehr ganz bei sich.

»Jin-hyung?«, rief Namjoon über seine Schulter, als würde er nach dem in diesem Moment vorbeilaufenden Bandältesten wie nach einem Rettungsanker greifen. »Kannst du mal bitte kommen?«

Seokjin hielt etwas verwirrt angesichts seiner Tonlage mitten im Gehen inne und trat zu ihnen an die Wand. Den Blick ließ er dabei von Yoongi zu Moon und wieder zum Leader wandern.

»Kannst du bitte eine Weile auf Moon aufpassen? Ich muss hier noch was mit Yoongi klären.«

»Hä?«, rief Jin und verschränkte irritiert und gleichzeitig belustigt die Arme vor der Brust. »Bin ich ihr Babysitter oder was?«

»Ja, ist er mein Babysitter oder was?!«, wiederholte Moon in einem fast schon fassungslosen und dennoch viel zu lallenden Ton.

Namjoon seufzte. »Ihr könnt doch rüber gehen zu Chaewon und mit denen...was weiß ich...Karten spielen? Bitte, ich muss hier noch kurz was klären.«

Seokjins Blick verfinsterte sich augenblicklich und wie automatisch schielte er zur Couch, auf der besagte beste Freundin von Moon gerade Kwangseok mit Mandu fütterte. Mandu, die Jin gestern noch in größter Mühe für sie alle vorbereitet hatte.

»Neeeeein, wir gehen nicht zu so bescheuerten Pärchen«, maulte Moon und ließ sich dabei mit verschränkten Armen gegen Jin fallen. »Das kann man sich ja nicht mit ansehen. Lass uns lieber in die Küche gehen, jaaa?«

Sie klimperte ihm auf eine völlig un-Moon-hafte Weise mit ihren Wimpern entgegen, was Jin ziemlich vor den Kopf zu stoßen schien. Dann jedoch machte sich sein übliches verschmitztes Grinsen auf dem Gesicht breit und er legte freundschaftlich einen Arm um sie.

»Dann wird es Zeit, dass die Lady meine überragenden Cojinganmek-Mixkünste kennenlernt. Auf geht's, Moongesicht.«

»Hey, ich bin nicht diejenige, die gerade –«

»Ja ja, ist gut, du hast recht. Lass uns gehen.«

Jin warf Namjoon einen letzten neugierigen Blick zu, während er die viel kleinere Moon aus dem Wohnzimmer schob. Erst als sie auf dem Flur verschwunden waren bemerkte er, dass Yoongi ihnen immer noch hinterherstarrte. Ein wenig gereizt schnippte er mit den Fingern vor seinem Gesicht herum, so dass der Rapper doch tatsächlich ertappt zusammenzuckte.

»Wir sind noch nicht fertig, Yoongi-hyung!«, versuchte Namjoon die Diskussion von zuvor wieder ins Laufen zu bringen, doch sein Gegenüber schien jegliches Interesse daran verloren zu haben. Plötzlich wirkte er noch abwesender, als ohnehin schon.

»Ist doch geklärt«, brummte er leise. »Keine Tüten mehr im Wohnzimmer.«

»Und keine Tüten mehr für Moon.«

»Ich werde es ihr nicht verbieten.«

»Aber auch nicht mehr anbieten«, knurrte Namjoon. »Versprich es mir, Hyung!«

Yoongi funkelte ihn an, während die Zigarette immer wieder den Weg zu seinem Mund fand. Nach einem langen Starr-Contest und einem letzten Rauchatem, den der Leader in seinem halben Gesicht ertragen musste, schien er sich dann endlich dazu zu entschließen, ihm zu antworten.

»Was immer du dir wünschst, Namjoon-ah.«

Namjoon wich von ihm zurück. Das war nicht genau das, was er hatte hören wollen, doch für den Moment genug. Er fühlte sich eigentlich absolut nicht in der Stimmung, einen Streit mit Yoongi anzufangen. Vielleicht hatte er Glück und er würde sich ohnehin bald in ihr gemeinsames Schlafzimmer verkriechen. Dann wäre wenigstens eine Sorge von seiner Liste verschwunden.


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Yoongi

Yoongi hätte nicht erleichterter sein können, als Namjoon endlich Ruhe gab und ihn allein ließ. Die Zigarette in seiner Hand erreichte bereits den Filter und schrie danach, in einem nahen Aschenbecher ausgedrückt zu werden. Inzwischen war der Raum so von Rauch gefüllt, dass wohl jeder der Gäste unfreiwillig passiv mitgequalmt hatte. Doch das war dem sonst so auf andere bedachten Yoongi gerade herzlich egal.

Alles, worüber er gerade nachdachte, war das, was ihm Namjoon vorgeworfen hatte. Moon und der Joint. War er wirklich zu weit gegangen? Sein Gehirn konnte ihm in diesem seltsamen Zustand, den er bereits erreicht hatte, keine richtige Antwort darauf liefern. Alles, was er wusste, war, dass es ihr schlecht ging. Und zu 99 Prozent war er sich sicher, dass es mit Jimin zusammenhing.

Vielleicht war es eine seiner Kurzschlussreaktionen gewesen, ihr den Blunt zu reichen. Eine von vielen, die ihm bisher in ihrer Gegenwart unterlaufen waren. Dabei musste er sofort an ihre Umarmung an seinem Geburtstag am alten Schwimmbad zurückdenken. Oder wenn ihn des Öfteren um 4 Uhr morgens nach ewigem Wachliegen die plötzliche Lust überkommen hatte, ihr eine Nachricht zu schreiben. Oder einen Song zu schicken. Manchmal war sie sogar von dem Ton ihres Handys wach geworden, wenn sie vergessen hatte, es über Nacht auf stumm zu stellen. Und dann hatte sie ihm jedes Mal sofort geantwortet.

Und nun? Jetzt war sie mit Jin in der Küche. Cocktails machen, die sich aus Soju, Bier und Cola zusammensetzten. Widerlich. Ob er sich wohl zu ihnen gesellen sollte? Irgendwie juckte es ihm in den Fingern.

Noch ehe Yoongi aber eine Entscheidung darüber fällen konnte, waren besagte beide Personen plötzlich wieder am Türrahmen zum Wohnzimmer erschienen. Beide hielten ein Becher in der Hand, wobei Moon gerade die Hälfte des Inhalts über Jins Pullover kippte, weil sie das Gleichgewicht verlor. Dieser schien es allerdings ziemlich lustig zu finden und nahm ihr schließlich mit einem gespielt mahnenden Gesichtsausdruck das Getränk wieder ab.

Yoongi war drauf und dran sich von der Wand abzustoßen und auf die beiden zuzugehen. Sich vielleicht mit ihnen irgendwo ein ruhigeres Plätzchen zu suchen. Diese Party war ihm zu laut und zu voll. Und gerade konnte er sich wirklich nichts Gemütlicheres vorstellen, als mit Jin und Moon irgendwo zu sitzen und trockene Witze über die anderen, ihnen fremden Gäste zu reißen.

Leider wurde auch dieses Vorhaben in den Wind geschossen, als er sah, wie Moon innehielt und ihr Blick sich an etwas im Raum festkrallte. Yoongi drehte sich wie automatisch, um zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit plötzlich so vereinnahmte. Und als er es entdeckte, wusste er sofort, warum ihre Augen hervorquollen wie die eines Rehs im Scheinwerferlicht.

Es war Jimin. Jimin mit den drei Trainee-Mädchen, die am Zataku saßen. Eine leere Soju-Flasche lag auf dem Tisch, die sie offensichtlich für ein Spiel benutzt hatten, denn sie ruckelte noch leicht auf der Stelle. Das Hauptaugenmerk lag jedoch auf Jimin und dem offensichtlich ältesten der drei Mädchen. Die beiden versuchten sich eine Spielkarte mit der Saugkraft ihrer Lippen weiterzugeben. Wie ein Kuss durch den Hauch von Pappe.

Es war der Bruchteil einer Sekunde, in der die beiden so verharrten und das Blatt zwischen ihnen steckte. Der Bruchteil einer weiteren Sekunde, den es brauchte, um eben dieses zu Fall zu bringen. Nun lagen Jimins und die Lippen des Mädchens aufeinander. Die beiden verfielen in ein betrunkenes Kichern und lösten den nun echten Kuss sogar mit einem leichten Schmatzen.

Wie automatisch ging Yoongis Blick zurück zu Moon. Sie stand immer noch dort im Türrahmen. Jin hatte sich unwissend über das Geschehene abgewandt und redete mit einem Gast, der sich gerade an den beiden vorbei auf den Flur hatte quetschen wollen. Doch ihre Augen lagen immer noch auf Jimin.

Er konnte über die paar Meter Distanz genau sehen, wie sie anfing zu zittern. Wie sich eine Dunkelheit in ihre Augen legte und ihre Mundwinkel zuckten. Er konnte ihr Herz förmlich durch ihre Brust brechen sehen. Und der unglaubliche Wunsch keimte in ihm auf, Jimin für diese Aktion eine aufs Maul zu geben. Wäre er denn ein gewalttätiger Mensch.

Leider schien Yoongi in diesem Moment nicht wirklich zu irgendwas imstande zu sein. Wie versteinert lehnte er an der Wand und beobachtete hilflos Moon dabei, wie sie rückwärts in den Flur stolperte. Jin schien es gar nicht zu bemerken. Er war inzwischen viel zu vertieft in das Gespräch.

Erst, als Moon ganz aus Yoongis Sichtfeld verschwunden war, erlangte er langsam die Kontrolle über seine Gliedmaßen zurück. Schaffte es endlich, seine Arme zu benutzen, um sich von der Wand wegzustoßen.

Vielleicht wusste er nicht, was das alles für ihn zu bedeuten hatte. Vielleicht hatte er wirklich keine Ahnung, warum Moon ihn immer und immer wieder aufs Neue zu seltsamen Kurzschlussreaktionen brachte. Aber eins wusste er in diesem Moment ganz genau. Er musste ihr folgen.

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