37 - Das zu Boden gefallene Mikrophon

Kapitel 37 – »Das zu Boden gefallene Mikrophon«


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»Kick me when I'm down, keep me on the ground
From the ones who I thought they would never leave
Who gave you so much faith?
Who gave you so much power?
You turned it all against me

I'm feeling alive like it's the first time
But you're going, and you're going and you're gone tonight
I'm feeling alive like it's the first time
Never gonna be a part of me this time«

I'd Rather See Your Star Explode – Slaves

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Do., 25. Januar 2018

Moonhee


Ich hatte keine Ahnung, zu welchem Zeitpunkt ich in meinem Leben je so auf heißen Kohlen gesessen hatte. Meine Hände schwitzten und eine unangenehme Übelkeit hatte sich in meiner Hals-Magen-Gegend breitgemacht. Und das nur, weil die Moderatorin der Seoul Music Awards gerade erneut BTS auf die Bühne gerufen hatte. Für einen Award, den dieses Mal sie bekamen. Sie steckten bereits in ihren lässigen Kostümen für ihre Performance, als sie als Gruppe die Bühne betraten.

Es war so seltsam, Taehyung mit dem Blumenstrauß in den Händen so souverän vor diesem riesigen Publikum sprechen zu hören. Wie ein Profi dankte er für die Unterstützung der Fans und brachte eben diese in den Rängen hinter mir förmlich zum Ausrasten. Eine Gänsehaut machte sich auf meinem ganzen Körper breit.

Hoseoks kleines Freudentänzchen. Yoongis aufrichtiges Grinsen. Jimins viel zu niedliches Schmunzeln, das er mit Ernsthaftigkeit und einem sexy Blick zu überspielen versuchte... Eine explosive Mischung, von deren Wirkung er sich wahrscheinlich genau im Klaren war. Dafür kannte ich ihn zu gut.

Die Show gab mir nur drei weitere Award-Vergaben Verschnaufpause, bis ich mich dann schließlich dem Super-GAU des Abends stellen musste. Dem Auftritt von BTS. Und zur Hölle nochmal, ich war nicht bereit für das, was sich dort auf der Bühne anbahnte.

Alles begann mit einem Intro über die riesigen Bildschirme verteilt, die so ziemlich mein ganzes Blickfeld einnahmen. Riesige Fotos der Members in einem Vintage-Schwarzweiß-Look. Die Buchstaben BTS flimmerten wie von einem Projektor abgespielt überlebensgroß über unsere Köpfe hinweg.

Der Heimweg vom Hakdong-Park. Es erinnerte mich an den Heimweg vom Hakdong-Park.

Dort saßen sie alle mit verwegenen Gesichtsausdrücken. Lässig an ein Pult gelehnt, auf dem Mikrophone standen. Schallplattensounds. Sie sprangen auf die Tische. MIC Drop war in vollem Gange.

Ich kannte den Song von meinen nächtlichen Spotify- und YouTube-Eskapaden, die nie in einem guten Gefühl geendet hatten. Und dennoch erwischte er mich in diesem Moment, als würde ich ihn zum ersten Mal hören. Als würde er mir den ersten eindeutigen Schlag in die Magengegend geben. Und doch...riss er mich auf eine seltsame Weise mit, die ich mir nicht wirklich erklären konnte.

Den Höhepunkt fand dieses Gefühl, als Yoongis Solo begann. Als er seinen Rap-Part in sein Mikrophon bretterte und dabei auf eine dermaßen coole Weise seine Hände durch die Luft schneiden ließ, entfachte dies ein Feuer in mir, das ich schon längst erloschen geglaubt hatte. Ein Feuer, das mir eine ungeheure Angst einjagte. Yoongis Hände. Die Flammen in seinen Augen. Die Art, wie er sich auf die Lippe biss. Nein...nein, nein, nein.

Und dann kam doch wieder der Moment, an dem Jimin den Mittelpunkt ihrer Performance einnahm. Eingerahmt von den rot-weißen Flimmerlichtern der Bildschirme, den Lasern und Scheinwerfen, die sein Gesicht erstrahlen ließen. Ebenfalls ein Feuer in seinen Augen, das an ein Inferno grenzte. Eins, dessen Funken auch einmal meine Welt in Brand gesetzt hatte. Auf tausend verschiedene Weisen.

Er besaß in diesem Moment so viel Macht. Nicht nur über die ganze Halle, sondern auch über mich. Er besaß mich immer noch. Nichts hatte sich verändert über die vergangenen Jahre. Das wusste ich nun.

Aber wenn ich sagte nichts...dann meinte ich auch wirklich nichts. Und das wurde mir mit einem schmerzhaften Stich mit einem Blick zurück zu Yoongi bewusst.

Wenn die beiden wüssten, dass ich mich hier bei ihnen in der Halle befand. Dass ich ihnen in eben diesem Moment zusah. Wenn sie wüssten, wie mich ihre Fähigkeiten überwältigten, die sie über die Jahre ins Unermessliche gesteigert hatten. Wenn sie nur wüssten, was ich gerade fühlte...

Suga (und ich nannte ihn mit Absicht in Gedanken so, denn das hier war Suga) war der letzte, der noch auf der Bühne stehen blieb, als alle anderen schon nach hinten liefen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als er seinen Blick langsam zum Publikum drehte und in einer viel zu lässigen Bewegung das Mikrophon fallen ließ.

Da lag es. Wie die Verbindung, die einmal zwischen uns geherrscht hatte. Zurückgelassen auf dem Boden. Achtlos fallen gelassen, ohne es vorher in eine gepolsterte Box zu packen.

Doch dann...blinkte der Boden auf. Wie ein weißes Wellenbad. Lichter kräuselten sich um das da liegende Mikrophon wie Hilfeschreie. Als würden sie nur von ihm ausgehen. Und sie wurden mehr und mehr. Bis Jeon Jungkooks Gesicht aus ihnen entstand. Dann Kim Seokjins. Jung Hoseoks. Und schließlich Park Jimins.

Überdimensional laute Fangesänge erfüllten den Gucheok Sky Dome, als die Bildschirme und Laser sich plötzlich in ein grünliches Blau tauchten und die ersten Töne von DNA erklangen.

»Ich will diese Liebe, ich will echte Liebe...Ich bin nur auf dich fokussiert...Es zieht mich an...Von Anfang an wollte dich meine DNA...Das ist Schicksal, ich liebe uns...Nur wir sind wahre Liebe...«

Von Anfang an hatten sich diese Verse von Yoongi in meinen Kopf gefressen. Wie eine plötzliche Traumvorstellung, die einen dann doch den ganzen Tag begleitete. Die einen mit ins Bett verfolgte und der man sich hingab, bevor man einschlief. Eine, die einen traurig machte, weil man tief in seinem Inneren genau wusste, dass sie für immer eben das bleiben würde. Eine Traumvorstellung. Wahre Liebe war da gewesen. Nur eben kein Wir. Und bei dem Wir, das existiert hatte, war keine wahre Liebe beteiligt gewesen. Zumindest war ich davon überzeugt.

Nichts konnte in Worte fassen, was für ein Durcheinander gerade in meinem Kopf herrschte. Vier Jahre lang hatte ich ihre Gesichter nicht mehr auf diese Weise gesehen. Klar, Seokjin und Taehyung ausgenommen, aber sie alle zusammen. BTS als Ganzes. Als unzerstörbare Einheit, die inzwischen nur so von Macht trotzte. Macht über die tausenden Menschen in dieser Halle. Und Millionen auf der ganzen Welt.

»Weil das hier alles kein Zufall ist...Weil wir unsere Bestimmung gefunden haben...«

Ja, vielleicht war es kein Zufall, dass ich heute hier in dieser Halle saß, zu Füßen ihrer Bühne. Sie hatten ihre Bestimmung gefunden. Ihre Bestimmung in der Musik, die sie machten. Und ich? Ich saß hier unten, verdammt dazu, dem Publikum anzugehören. Als jemand, der noch keine Ahnung hatte, was er eigentlich mit seinem Leben anfangen wollte.

Die Anblicke von meinen alten Freunden verfolgten mich weiter über den ganzen Abend. Ließen den Auftritt von 6Teen an mir vorbeiziehen, als wäre es nicht das erste Mal, dass ich meine Schwester performen sah. Auch ihren Bonsang-Gewinn verfolgte ich nur schlecht als recht, während meine Gedanken überhandnahmen. Später würde Sohee mich wahrscheinlich dafür mit einem enttäuschten Blick mustern, aber andererseits wusste sie bestimmt genau, auf was sie sich hier mit mir eingelassen hatte.

Ein letztes Mal musste ich mich dem Anblick von BTS auf der Bühne stellen, als sie den Grand Price gewannen. Den Award der Awards. Namjoon hielt eine Rede, wie sie nur aus seiner Feder hätte stammen können und selbst Yoongi fand sich darauf vor dem Mikrophon wieder und dankte ebenfalls noch einmal in aller Ausführlichkeit den Fans. Bald darauf schlenderten sie über das von Bildschirmen unterlegte Parkett und sangen ein letztes Mal DNA als Outro für die ganze Show.

Die Stimmung rund um mich herum war ausgelassen. Alle standen von ihren Sitzen auf und klatschten den Gewinnern des Abends zu, die dem Publikum gerade wirklich die volle Aufmerksamkeit schenkten. Mehr als es bei einer Choreografie je möglich gewesen wäre. So kam es auch, dass sich nach dem zweiten Refrain Taehyung auf dem Fetzen Bühne wiederfand, der ganz in meiner Nähe war. Sein Blick wanderte mit solch einer Intensität durch das Publikum, dass mich fast schon die Überzeugung beschlich, dass er nach mir suchte. Als unsere Augen sich trafen verfestigte sich dieser und verpuffte gleich darauf wieder im Nichts. Die Überraschung, die sich in seinen Pupillen widerspiegelte, war nur ein Aufblitzen. Aber sie war da. Er wusste nun, dass ich ihnen zusah. Und das nur, weil dieser verdammte VIP-Bereich viel zu nah an der Bühne lag.

Ich hatte keinen Schimmer, was Taehyung aus meinem Blick gelesen haben musste, aber er schien für eine Weile an Ort und Stelle zu verharren. Ging sogar in die Hocke, wobei seine Augen umherwanderten und doch immer wieder bei mir landeten. Eine Ernsthaftigkeit lag auf seinem Gesicht, von der ich nicht wusste, ob sie zu seiner Rolle als V gehörte, oder seine wahren Gefühle widerspiegelte. Und eben diese verfolgte mich noch auf dem ganzen Weg zurück durch den Backstage-Bereich, in dem es nach der Show von Personal nur so wimmelte.

Ich hielt den Kopf geduckt, als ich mir den schnellsten Weg zurück zum Aufenthaltsraum von der Band meiner Schwester suchte. Mein Herzschlag ging jedoch nicht runter, als ich endlich dort eintrat und mich inmitten der vorherrschenden Aftershow-Ausgelassenheit auf die Couch fallen ließ. Meine Schwester und die anderen Mädels waren noch damit beschäftigt, ein paar Bilder mit ihrer Fotografin zu schießen und schenkten meinem Auftauchen deshalb keine Beachtung.

Ich war gerade dabei, meinen Kopf in die Polster fallen zu lassen, mit dem Vorsatz, etwas runterzukommen, als es passierte. Und ich wusste schon, bevor ich mein vibrierendes Handy hervorholte, wessen Name mir dort entgegenspringen würde. Es war Taehyung. Und es war ein Anruf.

Mit zitternden Fingern betrachtete ich den Bildschirm und weigerte mich strikt, den grünen Button nach oben zu ziehen. Ich konnte jetzt nicht mit ihm reden. Das ging einfach nicht.

Leider sah er das ganz anders. Nachdem der erste Anruf abbrach, folgte ein zweiter. Und als dieser abbrach, noch ein dritter. Und das war der Moment, in dem meine Finger sich gegen mich und meine Prinzipien verschworen, mein Daumen über den Touchscreen nach oben wischte und meine Hand das Smartphone zu meinem Ohr führte. Worte wollten meinen Mund dennoch nicht verlassen.

»Endlich!«, erklang Taehyungs tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung erfreut, als nehme er nur an, ich hätte seine ersten beiden Anrufe wirklich verpasst. »Wo bist du? Du bist doch hier irgendwo im Backstage-Bereich, oder? Bist du bei deiner Schwester?«

Ich schluckte. Natürlich war ihm klar, dass ich nur wegen Sohee in so einer Sektion wie der VIP-Lounge gelandet sein konnte. Und natürlich hatte er eins und eins zusammengezählt und vermutete mich nun genau an dem Ort, an dem ich auch war. Im Aufenthaltsraum von 6Teen. Dennoch war mir auch aufgefallen, dass er meinen Namen nicht gesagt hatte. Wenn sich die anderen in seiner Nähe befanden, sollten sie wohl nicht wissen, mit wem er gerade telefonierte.

»Ich...äh...«, stammelte ich los, ohne wirklich zu wissen, was ich ihm eigentlich darauf antworten sollte. Die Wahrheit sagen wollte ich ihm nicht. Ihn anlügen aber auch nicht.

»Warum treffen wir uns nicht irgendwo hier hinten? Wir haben hier gerade noch Essen bekommen, aber ich habe sowieso kein Hunger.«

»Ich denke, das ist keine gute Idee.«

»Bitte!«, flehte Taehyung und überraschte mich in diesem Moment mit der Dringlichkeit, die in seiner Stimme lag. Offensichtlich schien es ihm wirklich wichtig zu sein, mich zu sehen. Als er jedoch weitersprach, war seine Stimme leiser, ja, geradezu gedämpft.

»Du kannst bei uns vorbeikommen! Nur fünf Minuten, wirklich! Die anderen sind ohnehin gleich kurz weg, die treffen sich mit ein paar Freunden.«

Ich zog misstrauisch eine Augenbraue hoch. »Und du etwa nicht?«

»Jimin will Sungwoon sehen und Jungkook geht mit, weil er seine ganze 97er-Gruppe treffen will und die anderen –«

»Das beantwortet nicht meine Frage.«

Taehyung schnaubte, jedoch klang er dabei mehr wie ein trotziges Kind, als ein genervter erwachsener Mann. »Ich könnte mich auch mit meinen Leuten treffen, aber trotzdem rufe ich gerade dich an. Also nimm deine Beine in die Hand und beweg deinen Hintern zu Raum B306...aber erst, wenn ich dir das Go über KakaoTalk gebe und die Luft rein ist.«

Nun war ich an der Reihe zu schnauben. »Du bist unglaublich nervig, weißt du das?«

»Ich weiß.«

Unfreiwillig stahl sich ein kleines Grinsen auf mein Gesicht, das er ein Glück nicht sehen konnte. Dann jedoch entglitt es mir wieder, als ich genauer über seinen Wunsch und den möglichen Ablauf dieses Treffens nachdachte. Einerseits hatte ich nichts dagegen, lediglich Taehyung wieder zu sehen. Nach unserem unfreiwilligen Treffen auf Chaewons Geburtstag hatte ich zumindest meine Angst ihm und Jin gegenüber ablegen können. Tatsächlich musste ich zugeben, dass ein kleiner Teil von mir sich sogar danach sehnte, wieder Zeit mit ihm zu verbringen. Dennoch...das Risiko war zu groß, dass uns im BTS-Aufenthaltsraum eine böse Überraschung in Form der anderen Members blühen könnte.

»Ich will mich nicht in eurer Garderobe treffen«, sagte ich schließlich. »Wenn die anderen zurückkommen, dann... Du kannst mir auf jeden Fall nicht erzählen, dass du genau weißt, dass sie nicht irgendwann jeden Moment reinplatzen könnten! Du weißt, das ist theoretisch möglich!«

Taehyung seufzte und sprach dann wieder sehr leise. »Weißt du...es gibt da so eine lauschige Besenkammer gegenüber von unserem Raum.«

»Aha, und das weißt du warum?«

»Gehen wir lieber nicht näher darauf ein. Ich will wirklich unbedingt mit dir reden, also schau, dass du dich gleich auf den Weg machst, wenn ich dir schreibe. Bis gleich!«

Und mit diesen Worten legte er einfach auf.

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