30 - Wir bauen uns unser eigenes Nest
Kapitel 30 – »Wir bauen uns unser eigenes Nest«
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»Birds-eye view, awake the stars 'cause they're all around you
Wide eyes will always brighten the blue
Chase your dreams, and remember me, sweet bravery
'Cause after all those wings will take you, up so high
So bid the forest floor goodbye as you race the wind
And take to the sky«
To The Sky – Owl City
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Moonhee
Jetzt im Nachhinein war es wirklich eine genauso bescheuerte Idee gewesen, die drei Schwalbenküken mit zu mir nach Hause zu nehmen, wie sie in den Dorm zu verfrachten, wo sich die meiste Zeit keiner um sie kümmern konnte. Als meine Eltern am Abend die Wohnung betreten und von Hudu, Bamnamu und Cheonsa Wind bekommen hatten, waren sie in einen verheerenden Wutausbruch verfallen.
Was würde mir nur einfallen, irgendwelche wilden Tiere in unser Heim zu schleppen? Was, wenn sie Parasiten hätten? Oder sonst irgendwelche Krankheiten??
Ihr Befehl war jedenfalls eindeutig: Bring die Viecher hier raus und sonst wo hin, oder wir tun es selbst! Am Ende passierte es dann auch so...nur dass ich zusammen mit Hudu, Bamnamu und Cheonsa im wahrsten Sinne des Wortes »auszog«.
Bewaffnet mit dem alten Topf, in dem wir die drei untergebracht hatten, der Futtertüte aus dem Tiermarkt am Arm baumelnd und einem mit meinen Sachen vollgestopften Rucksack zog ich an diesem Abend fuchsteufelswild durch die Straßen. Niemals würde ich zulassen, dass den drei Küken etwas zustoßen würde. Nicht nur ihretwillen, sondern auch, weil es mir so viel für Jimin bedeutete.
An diesem Abend blieb mir nichts anderes übrig, als den Kleinen die U-Bahn zuzumuten. Mein Ziel war der Dorm der Jungs und diesen musste ich so schnell es eben ging erreichen. Busse wären für diese Strecke viel zu kompliziert gewesen, vor allem während Seouls berüchtigtem Feierabendverkehr.
Auf dem ganzen Weg schaffte ich es nicht, Jimin zu erreichen und auch keiner der anderen, mit denen ich inzwischen schon lange Telefonnummern ausgetauscht hatte, ging an sein Handy. Ich vermutete schwer, dass sie noch beim Training waren. Deswegen hatte Jimin schließlich vor ein paar Stunden auch losgemusst.
Als ich endlich an der Sinsa-Station ankam, war es schon nach 22 Uhr. Die Luft war immer noch warm, dennoch konnte man durch den Smog keinen einzigen Stern am Himmel ausmachen. Ich wanderte die Straßen Gangnams so schnell entlang, dass ich letztendlich mit Seitenstechen und Schmerzen in den Armen durch das Tragen des Topfes an der Zieladresse ankam. Zu meiner großen Erleichterung brannte durch die Fenster des Dorms Licht. Seltsam nur, dass mich bisher niemand zurückgerufen hatte...
Ich klingelte wie gewohnt. Inzwischen musste ich nicht mehr die Nummern an den Tasten checken, sondern fand den richtigen Knopf auf Anhieb. Und es dauerte auch nicht lange, bis mir aus der Sprechanlage Hobis verwirrte Stimme entgegenquäkte.
Er schien sehr überrascht, mich am anderen Ende zu hören, ließ mich jedoch ohne weiteres rein. Mit klopfendem Herzen umklammerte ich ein letztes Mal fest den Topf in meinen Armen und hastete durch das muffige Treppenhaus hoch zu ihrer Wohnungstür. Es war natürlich Jimin, der dort schon auf mich wartete.
»Was machst du denn so spät noch hier?«, fragte er mich bestürzt und ich erkannte sofort an seinen feuchten Haaren und dem Shampoo-Geruch, der ihn umgab, dass er frisch aus der Dusche gekommen sein musste. Die Frage schien er sich jedoch noch ehe ich zum Zug kam selbst zu beantworten, als er den Topf bemerkte. Augenblicklich weiteten sich seine Augen.
»Lass mich das erklären«, platzte es aus mir. »Aber kann ich vielleicht erst das hier abstellen? Meine Arme fallen gleich ab.«
Jimin schien sich wieder zu fangen, nickte und ließ mich in die hell erleuchtete Wohnung eintreten. Den Geräuschen nach musste gerade immer noch jemand in der Dusche sein. Nur Hoseok und Jungkook starrten mir mit neugierigen Blicken vom anderen Ende des Gangs entgegen.
»Woah, Moonie, bringst du uns Essen?«, witzelte der Rapper und deutete auf den Topf. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»Nicht ganz«, erwiderte ich mit einem gequälten Lächeln, doch noch ehe ich mich versah, hatte Jimin mir das improvisierte Nest auch schon netterweise abgenommen und trug es mit höchster Vorsicht wie einen Schatz ins Wohnzimmer. Wir anderen folgten ihm.
»Meine Eltern wollten sie rauswerfen«, erklärte ich Jimin mit leiser Stimme. »Also hab ich meine Sachen gepackt und bin mit ihnen los, bevor sie mir die Drei wegnehmen konnten...«
Er musterte mich mit einem zutiefst bestürzten Blick, ehe er vorsichtig den Deckel abnahm und einen Blick nach drinnen warf. Ein wenig verschreckt, aber putzmunter starrten uns die drei halb kahlen Köpfchen der Kleinen entgegen.
»Wooooow«, entfuhr es Hoseok, wobei sich seine Augen weiteten und auch Jungkook schaute, als hätten wir ihm gerade das 8. Weltwunder vor die Nase gesetzt.
»Sind das die Küken, von denen du erzählt hast?«, hörte ich plötzlich Taehyungs Stimme hinter mir und spürte schon bald seine ebenfalls feuchten Haare an meiner Schulter, als er einen Blick in den Topf erhaschen wollte.
Jimin nickte, wirkte dabei aber nicht wirklich bereit, ein Gespräch einzugehen. Stattdessen machte er sich schon wieder an der Tierfutter-Tüte zu schaffen und zog eine der Heimchen-Packungen und eine Pinzette hervor. Man sah ihm förmlich an, wie eingenommen er von den drei Schwalbenbabys war.
»Und deine Eltern wollten sie echt einfach irgendwo in den Busch werfen?«, fragte mich Jungkook fassungslos.
»Ja...deswegen bin ich abgehauen«, murmelte ich und sah zu Boden. Ich wollte die Jungs eigentlich nicht fragen, ob ich hier bei ihnen bleiben konnte. Ich war aus reinem Instinkt hierhergekommen, ohne wirklich weiter darüber nachzudenken. Die Schwalben brauchten schließlich ein sicheres Dach über dem Kopf...
»Dann bleib erst mal hier«, sagte Jimin plötzlich und starrte mich mit fester Miene an. »Du wirst heute Nacht nicht auf der Straße schlafen.«
Er kannte mich inzwischen wirklich zu gut. Wahrscheinlich hätte ich wirklich eher in Kauf genommen, in irgendeinem Park zu pennen, als die Jungs zu fragen, ob sie mir einen Schlafplatz bieten konnten. Obwohl ich inzwischen sie alle als meine Freunde bezeichnen konnte, so traute ich mich doch noch lange nicht alles.
»Nur, wenn das für alle okay ist«, sagte ich leise und dachte dabei zurück an Namjoon an seinem Geburtstag, der es gar nicht leiden konnte, wenn solche Übernachtungsgeschichten über alle Köpfe hinweg geklärt wurden.
Leider sollte das heute nichts mehr werden, denn wie sich laut der Aussagen der anderen herausstellte, waren Yoongi und Namjoon nach dem Training noch ins Studio von BigHit gefahren. Keiner wusste, ob sie in dieser Nacht überhaupt noch nach Hause kommen würden. Ein wenig froh war ich darüber tatsächlich... Keiner der anwesenden Bandmitglieder schien etwas gegen meine oder die Gesellschaft der drei Schwalbenküken zu haben. Bei Namjoon war ich mir da aber nicht ganz so sicher.
An diesem Abend kam ich, wie schon ein paar Male zuvor, in den Genuss von BTS' Daueressen: Hühnchenbrust und ein paar Süßkartoffeln. Meistens hatten die Jungs neben ein paar Cornflakes gar nichts anderes zuhause, doch da ich so glücklich war und dieses Essen nicht jeden Tag zu mir nehmen musste, störte es mich gar nicht. Ganz im Gegensatz zu dem Rest, der ziemlich mürrisch in den von Seokjin zubereiteten Speisen herumstocherte.
Nach dem Essen setzten Jimin und ich uns ins Wohnzimmer, um an unseren Handys weitere Recherchen zur Aufzucht von Schwalbenküken anzustellen. Dabei blieb mir mit klopfendem Herzen nicht unverborgen, wie nah er neben mir Platz genommen hatte. Unsere Schenkel berührten sich dauerhaft und die Wärme, die von seinen Beinen ausging, gab mir ein unglaublich wohliges Gefühl. Dazu die Tatsache, dass ich heute tatsächlich hier schlafen würde...
Hudu, Bamnamu und Cheonsa, die laut des Internets gerade mal neun Tage alte Mehlschwalben sein mussten, sollten alle zwei Stunden von uns gefüttert werden. Hoseok war nach unserer Informationssuche tatsächlich freiwillig zu der nahegelegenen Tierhandlung Oopsie Daisy gesprintet, um uns obendrauf noch Vitamin-B-Komplex zu kaufen. Laut einigen Blogbeiträgen konnte es bei den Vögeln ohne diese Nahrungsergänzung zu schweren Entwicklungsstörungen kommen. Um die Küken warm zu halten, platzierten wir wie bei mir zuhause schon den Topf auf eine Heizung im Wohnzimmer und stellten diese auf eine niedrige Stufe.
Als es spät wurde, holte Jimin eine Decke und Kissen für mich und brachte zu meiner Verwunderung sein eigenes Schlafzeug gleich mit. Mit einem verlegenen Lächeln platzierte er aus auf der anderen Seite der Couch.
»Ich schlaf auch hier, wenn das für dich okay ist... Nicht, dass heute Nacht noch irgendwas mit den Kleinen sein sollte.«
Nichts fiel mir leichter, als es ihm mit einem Nicken zu gewähren. Wir mussten die Küken nachts nicht füttern, da Schwalbeneltern nachts auch nicht auf Futtersuche gingen, aber trotzdem blieb die Sorge, dass irgendetwas mit ihnen passieren könnte, während wir nicht wach waren. Ich konnte voll und ganz verstehen, dass Jimin da lieber hier bei mir blieb.... Wobei ich mich hauptsächlich einfach nur tierisch darüber freute, mit ihm auf der gleichen Couch zu schlafen. Wann hatte dieser Abend bitte noch einmal eine so gute Wendung genommen??
»Du solltest einfach hierbleiben, solange wir die beiden nicht freilassen können«, murmelte Jimin in die Dunkelheit hinein, als wir uns nach dem Zähneputzen und Umziehen unter unsere jeweiligen Decken gekuschelt hatten. Jeder von uns hatte einen der im rechten Winkel zueinander stehenden Sofa-Arme zum Schlafen. Mit den Köpfen lagen wir beide an der Couchecke und ich hätte nur ein paar Zentimeter rücken müssen, um ihn zu berühren... Genauso hatten wir an seinem Geburtstag hier gelegen.
»Das geht doch nicht«, erwiderte ich leise. »Ihr wohnt hier schon zu siebt, das ist doch mehr als genug für so eine kleine Wohnung... Außerdem würde euch das euer Management nie erlauben.«
Jimin kicherte in sich hinein. »Wer sagt, dass die davon erfahren werden? Außerdem ist es doch nur für ein paar Tage...Wir sind so oft beim Training, dass sich keiner von uns Jungs tagsüber um die Kleinen kümmern kann...«
Da wären wir wieder bei dem Problem, das ich die ganze Zeit in eine hintere Ecke meines Kopfes zu verdrängen versuchte. Morgen war Sonntag, also noch alles gut. Die Jungs hatten ausnahmsweise mal frei, ab Montag ging jedoch alles wieder wie gewohnt weiter. Ich würde die Schule schwänzen müssen, um Hudu, Bamnamu und Cheonsa alle zwei Stunden füttern zu können, aber das erschien mir eigentlich ziemlich irrelevant. Was mir mehr Sorgen bereitete, war die Tatsache, was der Rest der Jungs dazu sagen würde, dass Jimin mich hier im Wohnzimmer einquartieren wollte...vor allem Namjoon.
»Ich werde mich darum kümmern, mach dir keine Sorgen«, fügte er mit seiner leisen Stimme plötzlich hinzu und bescherte mir einen kleinen Herzinfarkt, als sich plötzlich seine Hand und meine schloss, die vor meinem Gesicht neben dem Kissen ruhte. Ich drehte meinen Kopf Jimin zu, der auf dem Bauch lag und dessen dunkle Augen mich durch die Dunkelheit anfunkelten. Er dachte nicht daran, meine Hand wieder loszulassen...stattdessen verschränkte er unsere Finger ineinander.
Mein Herz schlug unterdessen Purzelbäume und ich fragte mich, ob er meinen Puls über die Hände spüren konnte. Es fühlte sich wie ein Déjà-Vu zu unserem Moment früher an diesem Tag an, als wir uns fast...
Ich schloss die Augen und sog den Moment in mich auf. Versuchte mir das Gefühl von seiner weichen Haut auf meiner einzuprägen. Er würde niemals einen weiteren Schritt als diesen auf mich zugehen. Übernächsten Monat stand sein Debüt an und dabei konnte er sich keine Ablenkung wie mich leisten. Auch, wenn er mir immer wieder predigte, dass der Start seiner Karriere nicht bedeutete, dass wir uns aus den Augen verlieren würden. Genau wie Yoongi.
Ich wollte mich ihm nicht aufdrängen. Ihm nichts aufbürden, was ihm in irgendeiner Weise später im Weg stehen könnte. Anders sah es da aus, wenn er sich sicher war... Wenn es von ihm ausgehen würde. Vielleicht bedeutete das aber auch nur, dass ich unglaublich feige war. Ich traute mich ja nicht einmal, mit ihm darüber zu reden. Aber wer tat das schon...bei solchen Themen.
Um Jimin wenigstens ein kleines Zeichen nach meinem ganzen Schweigen zu geben, drückte ich seine Hand etwas. Kurz darauf begann er, mit seinem Daumen über meine Haut zu streichen. Hatte er eigentlich eine Ahnung, was er mir damit für eine Gänsehaut über die Arme jagte?
»Gute Nacht, Jebi«, murmelte er mit sanfter Stimme in die Dunkelheit hinein, die meinem Gesicht so nah klang.
Ich kam nicht drum herum, ein wenig in mich hineinzulächeln. Vielleicht war das der Moment, in dem ich mal etwas mutiger sein sollte. Ihm zeigen, dass er mir etwas bedeutete. Auf eine Weise, auf die man es nur in unserem Land, in unserer Sprache tun konnte... Auf eine Weise, die ihm viel, aber nicht zu viel sagte.
»Gute Nacht, Jimin-ah.«
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