29 - Die tschirpenden Date-Zerstörer
Kapitel 29 – »Die tschirpenden Date-Zerstörer«
────•~❉᯽❉~•────
»Here I go again, I'm dizzy
Watching the room spinnin' around you, around you
Here you go again, you're dizzy
Butterflies are swimmin' around you, around you
You, you«
Dizzy – DREAMERS
────•~❉᯽❉~•────
Sa., 20. April 2013
Moonhee
»Irgendwie ist es hier viel friedlicher, wenn man nur zu zweit ist.«
Jimins Stimme fühlte sich an wie ein warmes Prickeln auf meiner Haut, passend zu der ohnehin schon wirklich angenehmen Frühlingsluft, die Seoul seit Wochen auf den bevorstehenden Sommer vorbereitete. Ich drehte mich mit einem Lächeln zu ihm um und beobachtete ihn dabei, wie er auf dem Rand des Schwimmbeckens balancierte. Ich dagegen saß im Schneidersitz an die Theke der kleinen Kioskruine gelehnt und genoss die sanfte Brise auf meinem Gesicht.
Heute hatten wir es endlich einmal geschafft unser heiß ersehntes Treffen zu zweit in die Tat umzusetzen. Fast eineinhalb Monate lagen zwischen heute und unserem letzten Besuch des alten Universitäts-Badehauses. Zuerst hatten wir geplant, in den Seoul Forest oder einen anderen Park zu gehen, doch die Anweisungen von seiner Agentur wurden immer deutlicher. Die Jungs sollten sich so kurz vor dem Debüt in der Öffentlichkeit nicht mit Personen des weiblichen Geschlechts sehen lassen. Und Jimin nahm diese Regel sehr ernst.
»Zerstör es nicht, indem du runterfällst und dir noch was brichst«, rief ich ihm zu, woraufhin ich nur ein freches Grinsen von ihm erntete. Allerdings gab er es nach zwei weiteren Schritten tatsächlich auf, einen Sturz ins Becken zu riskieren. Stattdessen setzte er sich an den Rand und warf den Kopf in den Nacken, um den Himmel zu beobachten.
Auch ich lehnte mich zurück und ließ mich wieder von der Idylle einnehmen. Es störte mich dabei gar nicht, dass Jimin nicht direkt neben mir saß. Irgendwie fühlte ich mich ihm trotzdem näher als je zuvor und genoss jede Sekunde unseres gemeinsamen Ausflugs...bis ein seltsames Geräusch meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
»Hast du das gehört?«, fragte ich Jimin verwundert und lehnte mich dabei etwas vor, um meinen Kopf besser in alle Richtungen drehen zu können.
Verwunderte wandte er sich mir zu. »Was meinst du?«
Ich erhob mich vom Boden und ließ meinen Blick schweifen. »Es war sowas wie ein Fiep– ...Ach du scheiße!«
Mit weit aufgerissenen Augen war ich losgerannt, um die Theke herum ins Innere des Kiosks. Im Schatten der verdunkelten Ecke der Steinwand bot sich mir ein Anblick, der mir fast die Tränen in die Augen trieb.
Es dauerte keine paar Sekunden, da tauchte Jimin neben mir auf und ihm klappte die Kinnlade runter, als sein Blick ebenfalls auf den Boden fiel. Dort, zwischen Müll und altem verrotteten Laub vom letzten Herbst, hockten drei winzige, nur halb mit flaumigen Federn bedeckte Vogelküken.
Unsere Blicke wanderten wie automatisch nach oben an die Decke des Kiosks. Dort befand sich ein seltsames, pilzartiges Nestgebilde, das ziemlich verlassen wirkte. Doch die Bauart kam mir irgendwie bekannt vor...
»Das sind Schwalben!«, platzte es bestürzt aus mir heraus, während ich vor den beiden fiependen Winzlingen auf die Knie ging. »Aber die brüten doch erst im Mai...«
»Woher weißt du das?«, fragte mich Jimin, während er sich ebenfalls neben mich hockte und die von Mitleid geprägten Augen nicht eine Sekunde von den Küken abließ.
»In Daegu hatten wir immer ganz viele Nester am Haus«, erklärte ich ihm. »Aber die Küken sind immer erst gegen Ende Mai oder Anfang Juni geschlüpft. Ich weiß noch ganz genau, wie eines von ihnen mal bei den ersten Flugversuchen durch unser offenes Wohnzimmerfenster geflattert ist.«
Einen kurzen Moment saßen wir einfach nur da und beobachteten die beiden Schwalbenbabys mit ihrer rosa hervorstechenden Haut, den grauen Flaumbüscheln und den für ihren Körper noch viel zu großen gelben Schnäbeln. Ihre kleinen schwarzen Knopfaugen beobachteten uns aufmerksam, doch seit sie uns entdeckt hatten, gaben sie keinen Mucks mehr von sich.
»Sie wurden bestimmt aus dem Nest geworfen«, sagte ich schließlich wehleidig. »Wenn die Mutter sich noch um sie kümmern würde, wäre sie hier irgendwo ganz wild am Rumfliegen und würde versuchen, uns vom Nest wegzulocken.«
»Wir können sie nicht hierlassen«, murmelte Jimin und streckte vorsichtig die Hand nach den Küken aus, nur um sie schnell wieder zurückzuziehen, als diese erschrocken die Köpfe einzogen. Mein Herz zerbrach in tausend Stücke bei diesem Anblick.
Von diesem Moment an machten ich mich daran, eine geeignete „Transportbox" für die drei Schwalben aufzutreiben. Letztendlich musste meine Brotbüchse dafür herhalten, die wir notdürftig mit etwas weichem Gras auspolsterten. Jimin dagegen setzte sich tatsächlich freiwillig in den Matsch, hob Moosbetten hoch und sammelte alles, was irgendwie wurmig oder madig aussah. Immerhin wussten wir nicht, wie lange die Kleinen schon nicht mehr gefüttert worden waren. In diesem jungen Stadium konnten schon ein paar Stunden zu viel ohne Nahrung gefährlich werden.
Mein Herz sprang mir fast aus der Brust, als wir die drei Küken mit der größten Vorsicht, die wir aufbringen konnten, in unsere Hände nahmen und in die Transportbox setzten. Sie wirkten so zerbrechlich und wogen einen Hauch von nichts... Kurz darauf setzten wir uns in die warme Sonne und Jimin begann mit einer Pinzette aus meiner Tasche langsam den ersten Wurm an die Schnäbel der beiden heranzuführen. Sie wirkten immer noch unglaublich verschreckt, doch als sie realisierten, dass da Futter auf sie wartete, sperrten sie ohne zu zögern die Mäuler auf und schluckten alles, was drinnen platziert wurde, unter großem Gefiepe und Gezappel.
»Wir sollten sie zu einem Tierarzt bringen«, schlug ich vor, worauf Jimin jedoch vehement den Kopf schüttelte.
»Das wird viel zu teuer...«, erwiderte er resigniert. »Und wilde Tiere nehmen sie sowieso fast nie an. Mein Bruder und ich haben mal einen verletzten Igel gefunden und wurden bei allen Tierärzten in Busan abgelehnt.«
Ich schluckte. »Hat er...hat er es trotzdem überlebt?«
»Nein...hat er nicht.« Trotz der plötzlich auf Jimins Gesicht erschienenen Traurigkeit, legte sich eine gewisse Entschlossenheit in seine Augen. »Aber dieses Mal will ich es besser machen.«
»Aber du kannst sie nicht mit in den Dorm nehmen«, sagte ich und musterte die von mir in der Zwischenzeit auf dem Handy aufgerufene Seite zur Schwalbenhandaufzucht. »Du bist dafür viel zu wenig zuhause. Sie müssen alle zwei Stunden gefüttert werden... am besten mit Heimchen aus der Zoohandlung. Und sie sollten in einem Topf auf einer Heizung untergebracht werden, dass sie es warm genug haben.«
Jimin linste verwundert auf meinen Bildschirm. »Steht das alles da auf der Seite? Krass.«
Ja, krass beschrieb es ziemlich gut. Nicht nur das ganze Tamtam, das mit einer Handaufzucht von Wildvögeln einherging, sondern auch der komplizierte Nachhauseweg, den wir bald darauf antraten. Wir bekamen ein Glück vom Busfahrer die Erlaubnis, das Fahrzeug mit den drei Tieren zu betreten und wurden kurz darauf von allen Seiten mit großen Augen angestarrt, wenn die Küken wieder zu Tschirpen begannen. Sie mit in die U-Bahn zu nehmen erschien uns dann aber doch zu krass, weswegen wir lieber einige weitere umständliche Buslinien nahmen und uns letztendlich aufteilten. Jimin wollte in eine Zoohandlung, um das richtige Futter zu besorgen und ich wollte bei mir zuhause schon mal ein geeignetes „Nest" herrichten.
Ein Glück hatte ich an diesem Tag sturmfreie Bude. Meine Eltern waren bei einem Get-Together, Yunhee bei einer Freundin und Sohee lebte ohnehin inzwischen in ihrem Dorm. So kam es also, dass ich mir einen der am wenigsten benutzten, alten Töpfe aus dem Schrank holte, mit Küchentüchern eine kleine Kuhle formte und diese dann auf dem Topfboden platzierte. Das Ganze kam dann auf meine Zimmerheizung, die ich auf einer niedrigen Stufe erhitzte.
Es klingelte an der Tür, kaum hatte ich die drei Küken mit aller Vorsicht in ihrem neuen Nest platziert und ihnen eine weitere Runde Futter gegeben. Tatsächlich wunderte ich mich darüber, dass Jimin es wirklich so schnell geschafft hatte, in eine Tierhandlung zu flitzen und schließlich mein Haus zu finden. Immerhin war er noch nie hier gewesen und hatte mit meiner Adresse und Maps arbeiten müssen.
Mit großen Augen und einer großen Tüte in der Hand betrat er unseren Wohnungsflur und sah sich auffällig unauffällig um. Er kam jedoch schnell wieder zur Besinnung, als er das Fiepen aus meinem Zimmer hörte und sich mit mir zusammen vor den Topf auf der Heizung stellte. Meiner Wanddeko in Form von Rocklegenden-Postern schenkte er dabei ein Glück keine Beachtung.
»Wir sollten ihnen Namen geben«, grinste er und warf mir einen Blick von der Seite zu. »Oder meinst du nicht?«
Ich biss mir nachdenklich auf die Lippen. »Woher wissen wir, was für ein Geschlecht sie haben?«
»Ist doch egal«, lachte Jimin. »Das Rechte hier frisst viel mehr...das ist bestimmt ein kleiner Mann. Du solltest ihm einen Namen geben.«
Ich kam nicht ganz hinter seine Logik, beschloss aber, nicht weiter darauf einzugehen. Stattdessen dachte ich angestrengt über einen Namen für den kleinen Flauschball nach.
»Hudu«, sagte ich schließlich bestimmt und schenkte dem Piepmatz ein warmes Lächeln. »Hudu soll er heißen.«
»Walnuss? Nein, wie niedlich«, kicherte Jimin und stupste mich dabei leicht mit der Schulter an. »Dann kann der andere hier doch Bamnamu heißen... Kastanien sind doch auch Nüsse, oder?«
»Ja, sind es«, grinste ich und musterte das letzte namenlose Küken im Trio, das mich mit großen schwarzen Knopfaugen musterte. »Und was ist sie oder er für ein Geschlecht, deiner Meinung nach?«
»Definitiv weiblich«, sagte er und rückte dabei näher an die drei Kleinen heran. »Wärst du für die kleine Dame denn mit dem Namen Cheonsa zufrieden?«
»Nur wenn du mir sagst, woher du weißt, dass dein "Engel" eine Sie ist«, schmunzelte ich und beobachtete Jimin aufmerksam dabei, wie er jeden noch so kleine Detail der Vogelbabys mit seinem Blick in sich aufzusaugen schien.
»Naja«, murmelte er und sah mich dabei direkt an. »Irgendwas an ihren Augen erinnert mich an dich.«
Erstaunt starrte ich zurück, während er sich verlegen am hinter Kopf kratzte und ein wenig rot um die Nasenspitze wurde. Wollte er mir gerade sagen...dass er mich süß fand? Oder interpretierte ich gerade völligen Müll in diese Aussage?!
»Vielleicht stammst du ja von Schwalben ab«, lachte Jimin schließlich, als er sich nach kurzer Zeit wieder gefangen hatte. »Den Mondschwalben!«
»Ha ha!«, erwiderte ich gespielt trocken und boxte ihn in die Seite. »Sehr lustig...«
Er grinste. »Ich glaube, ich nenn dich von nun an nur noch Jebi. Was hältst du davon?«
»Tu, was du nicht lassen kannst«, seufzte ich und untersuchte in der Zwischenzeit den zirpenden Tüteninhalt aus der Zoohandlung. Oh man, mit dem Insektenstall im Zimmer, den Jimin da mitgebracht hatte, würde ich nachts bestimmt kein Auge zu tun. Geschweige denn, die drei Vögel vor meinen Eltern geheim halten können!
Als ich meiner Begutachtung seufzend beendet hatte, fiel mein Blick wieder auf ihn. Seine schwarzen Haare klemmten wie so oft unter einem Basecap. Seine leuchtenden Augen wollten nicht von den beiden Schwalbenküken ablassen. Hudu, Bamnamu und Cheonsa. So hießen sie jetzt also, unsere drei Date-Crasher.
Eigentlich machte es mir nicht wirklich viel aus, dass Jimin und ich die Zeit nun anders als geplant verbrachten. Auch wenn es in vielerlei Hinsicht noch wie eine Challenge der Unmöglichkeit wirkte, so fühlte es sich doch unbegreiflich schön an, dass wir diese kleinen Waisen gefunden hatten und ihnen nun gemeinsam helfen würden.
»Moon-ah?«
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf und merkte zu meinem Schrecken, dass ich Jimin angestarrt hatte. Hilfe, wie peinlich. Nun musterte er mich mit einer gewissen Belustigung und seinem typischen frechen Grinsen auf dem Gesicht...von dem er wahrscheinlich keine Ahnung hatte, wie unwiderstehlich gut es aussah. Oder vielleicht ja doch...Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass er seine Reize mehr als gezielt zum Einsatz brachte. Sofort schoss mir wieder die Szene mit dem Strohhalm im Restaurant in den Kopf.
»Hab ich was im Gesicht?«, hakte Jimin lachend nach, als ich keine Anstalten machte, ihm zu antworten. Verdammt, was war nur los mit mir?!
Doch dann tat er etwas, was mir nur noch einmal mehr die Sprache verschlug. Ja, sogar jegliche Luft zum Atmen nahm. Sein freches Grinsen verwandelte sich in ein süßes, und seine Augen formten Halbmonde über seinen runden Wangen, als er zögerlich die Hand ausstreckte...und mir eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr strich. Oh Himmel!!!
Sein Blick verfing sich in meinem und ich starrte in seine wunderschönen dunklen Iriden. Seine Fingerspitzen ruhten immer noch irgendwo hinter meinem Ohr und brachten meine Haut dort zum Kochen. Was zur Hölle sollte das hier werden? Was würde er tun? Eins war klar. Ich selbst schien zu einer bewegungs- und sprachunfähigen Steinstatue mutiert zu sein.
Minutenlang schienen wir in dieser Position zu verharren, während seine Pupillen von meinem rechten zu meinem linken Auge und wieder zurück huschten. Oder bildete ich mir das ein und er kam mir Millimeter um Millimeter immer näher? Ob er wohl meinen Presslufthammer von Herz hören konnte?!
Das waren nur wir. Er und ich. Nebeneinanderkniend vor der Heizung am Fenster meines Zimmers. Die Sonne strahlte warm auf uns herab und ließ mich angesichts dieser Situation fast schon in Schweiß ausbrechen. Doch ich konnte mir gerade nichts Schöneres vorstellen, als genau hier zu sein. Mein Gesicht nur noch Zentimeter von Jimins entfernt...seine Fingerspitzen inzwischen irgendwo an meinem Hals...seine Lippen so voll und mit diesem wunderschönen blütenblätterförmigen Schwung...
Vielleicht hätte ich an diesem Tag die Chance bekommen, sie auf meinen zu spüren...hätte da nicht plötzlich das herzzerreißende Fiepen von Hudu, Bamnamu und Cheonsa in unseren Ohren geschellt, die uns wohl verständlich machen wollten, dass sie ganz sicher gleich verhungern würden, wenn wir ihnen jetzt nicht sofort ein verdammtes Heimchen gaben!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top