26 - Das Fundament unserer Freundschaft

Kapitel 26 – »Das Fundament unserer Freundschaft«


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»Oh I read between the lines
Holding onto better times
I can't let it go, I can't let it go
I wanna take back what was mine
But only you can change your mind
I won't let it go, I won't let it go«

Beautiful Way – You Me At Six

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Fr., 19. Januar 2018

Moonhee


Die gegenüberliegende Wand des Tunnels auf dem Woodland-Spielplatz schien meine Erinnerungen wie die Leinwand eines DIA-Projektors abzuspielen. Jimins Geburtstag. Meine erste Zigarette. Der Morgen danach mit dem Kater unseres Lebens. Meine Schwester, die mich irgendwann gegen frühen Mittag mit einem ihrer Fahrer von JYP zur gemeinsamen Heimfahrt aufgelesen hatte, um mir ein wenig Ärger von unseren Eltern zu ersparen...

All das war plötzlich wieder so präsent in meinem Kopf wie mein ganzer erster Winter in Seoul. Die vielen gemeinsamen Pausen mit Jimin und Taehyung. Die seltenen Treffen außerhalb der Schule und noch seltenere Wiedersehen mit der ganzen Band. Der Zeitplan der Jungs war strikt und mich hatte damals die leise Befürchtung beschlichen, dass BigHit unserem immer enger werdenden Verhältnis auf die Schliche gekommen war. Es würde auf jeden Fall erklären, warum Jimin auch oft an den Wochenenden plötzlich keine freie Minute mehr gehabt hatte.

Ich erinnerte mich so gut an das wunderbar beflügelnde Gefühl, das immer zusammen mit ihm und seinem glockenhellen Lachen einhergegangen war. Wie ich mich auf jeden noch so kleinen Moment mit ihm gefreut hatte. Und wenn es nur eine gemeinsame Unterrichtsstunde gewesen war...

Und Yoongi...er hatte sich nach Jimins Geburtstag sogar von selbst bei mir gemeldet. Mich gefragt, ob ich gut nachhause gekommen war. Eine schöne Geste, die mich ihn nur noch mehr hatte schätzen lassen. Aber jetzt...was war jetzt aus uns allen geworden?

Ob die Jungs wohl auch noch ab und zu an unser gemeinsames Silvester dachten, bei dem Jungkook zum ersten Mal so richtig mit mir geredet hatte? Als Jimins Zigarette ausversehen auf meinem Arm gelandet und daraus eine richtige kleine Brandwunde entstanden war? Wie er sich stundenlang dafür entschuldigt und mich umsorgt hatte wie ein kleines Kind? Oder den Tag, als Jimin und ich –

»Moon-unnie!! Ich hab dich überall gesucht, verdammt!«

Die Stimme meiner kleinen Schwester riss mich erschrocken aus meinen Gedanken und ich drehte den Kopf herum. Yunhee kam ein wenig geduckt ins Rohr gelaufen, den fassungslosen Blick auf mich gerichtet.

»Wir haben doch ausgemacht, wir treffen uns am Spielplatz und nicht...weinst du etwa?!«

Erschrocken kam sie auf mich zugestürzt, während ich hastig und etwas perplex die Tränen auf meinen Wangen wegwischte. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich geheult hatte. Genauso wenig, wie ich bemerkt hatte, wieviel Zeit inzwischen vergangen und wie erfroren mein Arsch eigentlich war. Morgen würde mir bestimmt eine Blasenentzündung blühen. Na super.

»Was ist denn los?«, hakte Yun mit besorgter Stimme nach, als sie neben mir ankam und ich immer noch keine Anstalten gemacht hatte, mich ihr zu erklären.

»Ich...ähm...«, stotterte ich los, während ich mich schnell vom Boden erhob. »Ich...es...nun ja...Hier hängen ein paar Erinnerungen, die mir gerade hochgekommen sind.«

Ich hatte nicht wirklich groß darüber nachgedacht, was ich da sagte. Wenn Yunhee nachhakte, wäre ich am Arsch. Dann würde kein Weg daran vorbeiführen, sie anzulügen oder ihr notgedrungen die Wahrheit zu sagen. Aber was hätte ich ihr sonst sagen sollen, wenn sie mich schon aus heiterem Himmel weinend in einem verdammten Tunnel neben einem Kinderspielplatz vorfand?!

Yunhee zog die Augenbrauen hoch und warf einen Blick um sich. »Was hast du denn für Erinnerungen, verbunden mit Sugas Tunnel?«

Sein Name traf mich wie ein Schlag und ließ mein Herz aussetzen. Scheiße! Ich hätte wissen müssen, dass sie als eingefleischter ARMY natürlich genau wusste, wo BTS ihre Fotoshootings in der eigenen Stadt verrichtet hatte. Besonders, wenn es um ihr Heiligtum, den Seoul Forest, ging.

»Ich...nun ja...« 

Fieberhaft suchte ich in meinem Kopf nach etwas, was einem Kompromiss gleichkam, während sie und ich den Tunnel wieder verließen. Irgendwas, was davon ablenken würde, dass dieser Platz mit BTS zu tun hatte. Bis ich mich schließlich dazu entschloss, ihr einen Teil der Wahrheit zu erzählen. Einen, den sie unmöglich auf die Idols zurückführen konnte.

»...Ich war hier mal mit einem Jungen, den ich mochte. Früher...als ich noch in der Schule war.«

Meine Schwester riss die Augen auf und blieb abrupt am Eingang des Rohrs stehen. »Du hattest einen Freund in der High School?! Hast du mir den etwa auch verheimlicht???«

Ich schüttelte schnell den Kopf, um sie zu beruhigen. »Nein, nein, so war das nicht. Wir waren nie ein Paar.«

Yunhee atmete fast unmerklich erleichtert aus, ehe sie erneut die Augenbrauen zusammenzog. »Aber du warst in ihn verliebt?«

»Ja...«, erwiderte ich und konnte dabei die Resignation in meiner Stimme nicht verstecken. »Aber es hätte ohnehin nicht funktioniert.«

»War er denn auch in dich verliebt?«

Yunhees Worte hallten unheimlich an den Wänden des Tunnels. Genau wie die Stimme in meinem Kopf diese Frage damals immer wieder widerhallen hatte lassen. Doch kannte ich inzwischen eine Antwort darauf?

»Ich denke nicht«, antworte ich schließlich bestimmt. »Vielleicht dachte er es mal, aber es war nicht so, da bin ich mir sicher.«

»Oh...das ist wirklich schade«, murmelte Yun, während sie sich von mir dazu bewegen ließ, endlich den Tunnel zu verlassen. »Er hat keine Ahnung, wen er da gehen lassen hat.«

Ich musste schwach grinsen aufgrund des süßen Kommentars meiner Schwester und legte unweigerlich einen Arm um sie, um sie ein wenig an mich zu drücken. »Weißt du, ich hab mich damals auch ziemlich beschissen ihm gegenüber verhalten. Ich nehme ihm das nicht übel. Für seine Gefühle kann man nichts.«

Ich war froh, dass Yunhee sich mit diesen spärlichen Informationen schließlich zufrieden gab und nicht weiter auf der Sache herumritt. Gemeinsam traten wir den Rückweg zum Hauptausgang des Seoul Forests an, um von dort mit der S-Bahn nach Hause zu fahren. Es fühlte sich irgendwie gut an, dass ich eine Möglichkeit gefunden hatte, sie nicht anlügen zu müssen und doch nicht den gefährlichen Teil der Wahrheit zu sagen.

Als wir eine gute Dreiviertelstunde später in der Dämmerung endlich zuhause angekommen waren, schienen unsere Eltern beide noch auf der Arbeit festzusetzen. Wir stellten uns deshalb zu zweit in die Küche und zauberten eine riesige Portion Naengmyeong-Suppe, die auch später für Eomma und Appa reichen sollte. Über die ganze Zeit erzählte mir Yunhee ihre typischen lustigen Geschichten aus ihrem Freundeskreis und dröhnte mir obendrauf die Ohren mit ihrer Lieblingsband EXO zu. Dabei vollführte sie teilweise sogar pseudomäßig ein paar »Choreografien«, wegen denen ich mir vor Lachen fast die Finger an der heißen Herdplatte verbrannte.

Erst gegen 21 Uhr, als unsere Eltern langsam nacheinander von der Arbeit eintrudelten, beschlossen meine kleine Schwester und ich, uns wieder in unsere Zimmer zu verziehen. Mit dem Schließen meiner Zimmertür und der damit einkehrenden Dunkelheit um mich herum fühlte ich mich allerdings sofort wieder in meinen emotionalen Erinnerungsbrei von heute Nachmittag zurückversetzt.

Mein Weg führte mich an mein Laptop, der wie immer auf meinem Bett ruhte. Ich ließ mich auf der Matratze nieder und klappte ihn auf meinem Schoß auf, so dass das grelle Licht sofort das Zimmer ein wenig erhellte und mir in den Augen blendete.

Mir war ein Gedanke gekommen. Eine böse Vorahnung. Und ich hoffte inständig, dass sich diese nicht bewahrheiten würde.

Dass Yoongi den Tunnel im Seoul Forest als Platz für ein Fotoshooting genutzt hatte, war schon verwunderlich genug gewesen. Ich ging zwar schwer davon aus, dass er da wenig mitzureden gehabt hatte, aber trotzdem war es irgendwie seltsam. Warum gerade dieser unscheinbare Platz? Zufällig genau der Platz, der so viel mit mir...mit uns zu tun hatte?

Mein Herz begann spürbar zu klopfen, als ich die Wörter, die die ganze Zeit schon in meinem Kopf herumspukten, in die Google-Suchleiste eintippte. Fast war ich mir eigentlich schon sicher, dass auf diese seltsame Anfrage keine Ergebnisse auf mich warten würden.

Und doch. Ein Video schlug mir als erstes entgegen, das zunächst ziemlich unscheinbar wirkte. Ein YouTube-Video mit dem Namen BTS on stage: prologue. Es ging fast zwölf Minuten.

Als ich es startete, lief mir schon bei der ersten Szene mit Taehyung ein eiskalter Schauer über den Rücken und der unglaubliche Drang überkam mich, das Video sofort wieder abzubrechen. Die herzzerreißende Piano-Musik verbunden mit seinem niedergeschlagenen Modelblick...in diesem mir allzu bekannten, mit Graffitis beschmierten Raum.

Dann...das Schwimmbad. Das zugewachsene, verfallene, von durch Blätter gebrochenes Sonnenlicht bestrahlte Schwimmbad. Unser Schwimmbad.

Wie hatten sie es nur zu einer weiteren Location für eines ihrer Videos machen können?! Ich beobachtete die Jungs dabei, wie sie spielerisch in der Ruine herumtollten. Den ungewohnt laut lachenden Yoongi auf einem Rollbrett herumschoben. Wie sie auf herangetragenen Polstern herumsprangen. Armdrücken spielten. Tanzten. Und ganz unscheinbar im Hintergrund Taehyungs und Chaewons Wandmalerei von einem bunten Wald.

Beim Anblick der sieben vereinten Jungs in diesem von so nostalgischer Musik unterlegten Filmstreifen schossen mir sofort wieder die Tränen in die Augen und rollten unbarmherzig heiß über meine Wangen. Warum taten sie mir das an? Warum tat ich mir das an? Das Video war von 2015...fast ein Jahr nach meinem Abgang nach London.

Es kam mir vor wie ein Verrat. Als hätten sie diesen Platz genommen, den Taehyung damals Jimin, Chaewon und mir zuerst gezeigt hatte, und ihn zu ihrem eigenen gemacht. Fast schon paradox, wie die Storyline fast darauf interpretiert werden konnte, dass sie alle dem am Boden zerstörten Tae zu Hilfe eilten, als ich sie alle sitzen lassen hatte.

...aber es war kein Verrat. Ich war gegangen. Ich hatte Scheiße gebaut. Zu was für einem Menschen machte es mich, die Sieben für dieses Video zu verurteilen? Auch, wenn es sich für mich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlte. Ein »Hey, wir können das alles auch super ohne dich«. Natürlich konnten sie das. Wie sollte es auch anders sein?

Mit verschwommenem Blick beobachtete ich Taehyung dabei, wie er den an der Beckenwand sitzenden Namjoon mit einer roten Sprühdose nachsprühte und ihm Katzenohren verpasste. Wie sie alle mit ihren Schlägern Golfbälle in den angesammelten Riesenpfützen des Schwimmbads versenkten. Wie Yoongi sich heimlich mit dem am verfallenen Kiosk eingeschlafenen Hoseok von Seokjin fotografieren ließ. Wie Jungkook auf dem Beckenrand balancierte und letztendlich das Foto crashte. Wie Taehyung das flache Dach des Kiosks bestieg...

Dann schwenkte die Szene zu einem Lagerfeuer...und letztendlich zu einem Roadtrip mit dem Pickup-Van zum Strand. All das sah ich nur spärlich durch die vielen Tränen, die sich unaufhaltsam einen Weg aus meinen Augen kämpften.

Jimins Fokus. Jimin, wie er in seinem schwarz-grauen Shirt mit seinen vom salzigen Seewind durchfegten braungefärbten Haaren die Arme ausbreitete. Wie sich die anderen vom Sonnenuntergang bestrahlt um ihn versammelten, damit Jin ein weiteres Foto schießen konnte.

Jimin, wie er bei einem abendlichen Halt an einer Tankstelle auf der Ladefläche des Vans schlief und Hobi ihn mit einem Lächeln eine Decke überlegte.

Jimin, wie er bei Sonnenaufgang zusammen mit den anderen Taehyung dabei beobachtete, wie er auf ein Gerüst am Hafen kletterte, Anlauf nahm und ins Meer sprang. Doch zu einem Aufplatschen kam es nie. Das Video stoppte mitten in der Luft, ehe über einem schwarzen Hintergrund der Abspann einblendet wurde.

Mit von den salzigen Tränen brennendem Gesicht schloss ich den Laptop und warf ihn achtlos neben mir aufs Bett. Ich hätte mir das nicht anschauen sollen. Nun sah ich mich wieder an einem Tiefpunkt, von dem ich mich die Tage so hart weggearbeitet hatte.

Fast schon juckte es mich in den Fingern, mein Handy zu nehmen und Taehyung deswegen zu schreiben. Ihn zu fragen, wieso sie dieses Video an unserem Platz gedreht hatten. Dem Ort, der so viel Bedeutung für unsere Freundschaft in sich trug. An dem wir später noch so viele gemeinsame Stunden verbracht hatten.

Tatsächlich ging ich so weit, das Chatfenster in KakaoTalk aufzurufen. Taehyung hatte ein Foto von einem weißen Pekinesen und sich als Profilbild – fotografiert von unten, natürlich. Nichts als mein eingestellter Hintergrund starrte mir entgegen. Und ich brachte es auch nicht über mich, auch nur ein Wort zu tippen. Warum er sich wohl noch nicht bei mir gemeldet hatte? Erst schien er so begeistert von der Idee gewesen zu sein, wieder Kontakt aufzubauen...

Frustriert warf ich auch mein Handy wieder weg und ließ mich rücklinks auf meine Matratze fallen. Die Erinnerungen, die mit dem verlassenen Schwimmbad an der Seoul National University verbunden waren, preschten wieder unbarmherzig in meinen Kopf...doch dieses Mal kämpfte ich erst gar nicht gegen sie an. Ich wusste, was sie mit sich bringen würden. Und Yoongis Gesicht erschien dabei vor meinen Augen. Yoongis noch so jungenhaftes Gesicht mit den ein wenig kürzeren schwarzen Haaren und der Basecap, die seinen Kopf nie verlassen wollte...

Und sein ehrliches Gummy-Grinsen, als ich ihm damals zu seinem 21. Geburtstag gratuliert hatte...

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