19 - Das bescheidene Irrenhaus

Kapitel 19 – »Das bescheidene Irrenhaus«


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»Sperrmöbel doch mehr wollt' ich nicht
War stolz drauf, so verdammt stolz auf dich.
Tag und Nacht, tanzend über's Laminat
Mitgesungen, angelacht, mit Weinflaschen als Mikrofon
Packten Zeug zusammen, räumten es ein
Vielleicht sind 20 Quadratmeter zum Träumen zu klein«

20qm – Casper

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Fr., 5. Oktober 2012

Moonhee


Mit nervös grummelndem Magen starrte ich auf die Fassade des Mehrfamilienhauses vor mir, das eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte. Chaewon neben mir war unterdessen damit beschäftigt, die Adresse mit der in ihrem Chat mit Taehyung abzugleichen.

»Hier sind wir richtig«, stellte sie schließlich zufrieden fest und drückte auf die Klingel mit der richtigen Nummer. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ein surrendes Geräusch ertönte und die Haustür sich öffnen ließ.

Wir betraten das etwas muffig riechende Treppenhaus und ich folgte Chaewon die Stufen hinauf, bis sie vor einer Tür auf der rechten Seite stehen blieb, die nur leicht angelehnt war. Wir schlüpften schnell aus unseren Schuhen und traten vorsichtig in den hell erleuchteten Flur ein. Sofort stieg mir der himmlische Geruch von gebratenen Nudeln, Knoblauch und Gemüse in die Nase.

Schon auf den ersten Blick ließ sich erahnen, wie klein diese Wohnung sein musste. Der Flur war schmal und beherbergte einen Schuhschrank, der mehr als überquoll. Bei der Garderobe sah es ähnlich chaotisch aus. Und obendrauf hatte man noch einen vollgehängten Wäscheständer daneben gequetscht, der das Durchkommen zu den anderen vom Flur abgehenden Türen etwas umständlicher machte.

»Da seid ihr ja endlich«, ertönte Taehyungs wohlbekannte tiefe Stimme und wir wandten den Kopf nach links. Sein Kopf ragte aus einem Raum, der wohl den Ursprung der ganzen leckeren Düfte darstellte und von dem die brutzelnden Geräusche herzurühren schienen. Tae drehte den Kopf wieder in die offensichtliche Küche, aus der er gekommen war.

»Hyung, unsere Gäste sind da!«

Wider meines Erwartens war es nicht Yoongi, der auf den Flur trat, sondern ein anderer, ziemlich breitschultriger Typ. Er überragte Chaewon und mich und sah mit einem erstaunlich symmetrischen und gutaussehenden Gesicht auf uns herab. Um seinen Oberkörper trug er eine braune Schürze mit einem aufgestickten Super-Mario. Dies wirkte in Verbindung mit seiner Model-Visage fast schon etwas zu paradox.

»Willkommen im Irrenhaus«, begrüßte er uns mit einem breiten Grinsen. »Ich bin Kim Seokjin. Aber ihr könnt es gerne bei Jin-oppa belassen, wenn euch das lieber ist.«

Er wackelte mit den Augenbrauen und ich spürte sofort, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Ich hatte mich zwar mental darauf eingestellt, hier noch anderen Mitgliedern ihrer Wohngemeinschaft und Band zu begegnen, aber gleich diese Anrede von einem von ihnen angeboten zu bekommen, kam doch etwas überraschend. Chaewon, die sich daran gar nicht zu stören schien, erwiderte sein Lächeln.

»Ich bin Jung Chaewon«, flötete sie ihrem typischen charismatischen Lächeln.

»Yeong Moonhee, aber Moon reicht«, schloss ich mich ihr schnell an.

»Ah, Jimins Nachhilfeschülerin?«, fragte Jin belustigt. »Hab gehört, du kannst so toll fotografieren.«

Nun war ganz sicher der Moment gekommen, in dem ich vollkommen zu einer Tomate mutierte. Jimin hatte von mir erzählt?! Ich öffnete den Mund, um Jin zu antworten, doch ich wurde unterbrochen mit dem plötzlichen Auftauchen von eben jenem aus einem anderen Zimmer. Als er uns entdeckte, weiteten sich seine Augen ein wenig und er kratzte sich verlegen am Nacken.

»Hey«, begrüßte Jimin uns mit einem seichten Lächeln, wobei sein Blick hauptsächlich an mir hängen blieb. Kein Wunder, so rot wie mein Kopf inzwischen aussehen musste. »Äh...wollt ihr mit ins Wohnzimmer kommen? In der Küche ist nicht so viel Platz, als dass wir uns da alle reinquetschen können.«

»Och man, ich hätte so gerne Jin und Yoongi beim Kochen belästigt«, seufzte Taehyung theatralisch und begann darauf, uns auf die Tür zuzuschieben, aus der Jimin gerade gekommen war. Jin schüttelte darauf nur augenverdrehend den Kopf und verschwand wieder in der Küche.

Beim Vorbeigehen erhaschte ich einen kurzen Blick auf Yoongi, der gerade an einem winzigen Herd stand und ganz offensichtlich Knoblauch anbriet. Just in diesem Moment drehte er sich um und unsere Augen trafen sich für ein paar Sekunden. Er schenkte mir ein kleines Lächeln und ich tat es ihm gleich, ehe er sich wieder der Pfanne zuwandte.

Als wir das Wohnzimmer betraten, fiel mir sofort die ungeheure Menge an Krimskrams auf, mit dem die Regale an der Wand vollgestopft waren. Auch die Fenster hatten die Jungs mit schmalen Kleiderständern zugestellt und irgendwo dazwischen quetschte sich ein Fernseher, der wohl aus dem letzten Jahrzehnt stammte. Ansonsten wurde der relativ kleine Raum größtenteils von einem großen Sofa und einem Zataku – dem typischen koreanischen Knietisch – eingenommen.

»Setzt euch«, forderte Jimin uns auf und mir entging nicht die Röte, die ihm ins Gesicht gestiegen war.

In mir keimte der leise Verdacht auf, dass ihm diese Wohnsituation und die nicht ganz so galante Einrichtung ziemlich peinlich sein musste. Wenn ich im Kopf nachrechnete, blieben nur zwei Räume, in denen die Jungs schlafen konnten. Dieses Apartment war wirklich viel zu winzig, um ganze sieben Personen zu beherbergen! Dagegen kam mir die Wohnung unserer Familie ja fast schon riesig vor. Wir besaßen einen ganzen Raum mehr und waren obendrauf zwei Bewohner weniger. Lediglich meine Schwester und ich mussten uns ein Zimmer teilen und das auch nicht mehr so lange.

»Wollt ihr etwas trinken?«, fügte Jimin hinzu, als Chaewon und ich uns niedergelassen hatten. »Wir haben vorhin sogar noch etwas Chilsung Cider gekauft.«

»Ihr ward extra für heute einkaufen?«, fragte ich verwundert.

»Klaro«, antwortete mir Taehyung. »Hätten wir unsere beiden Chefköche mit dem vorhandenen Material arbeiten lassen, hätte es Hühnchenbrust mit ein bisschen Süßkartoffeln gegeben.« Er machte ein angeekeltes Gesicht und deutete ein Würgen an. »Wir essen seit Wochen nichts anderes. Einfach nur widerlich.«

»Hey, wage es nicht, meine Kochkünste zu beleidigen«, brüllte Jin aus der nebenanliegenden Küche, der offensichtlich trotz der Abzugshaube und dem Brutzeln der Pfanne alles gehört hatte.

»Nicht mal du kannst zwanzig Mal hintereinander Hühnchenbrust erträglich machen«, rief Tae zurück und schüttelte darauf den Kopf, als hätte er gerade seinen eigenen bockigen Sohn getadelt. Chaewon brach darauf gleich in ihr typisches Gekicher aus.

»Bekommen wir eigentlich noch eine Wohnungstour?«, fragte sie, nachdem sie sich wieder halbwegs einbekommen hatte. »Ich finde das ja total krass, dass ihr hier alle in einer WG wohnt, obwohl ihr noch zur Schule geht!«

»Nun...ähm...«, stotterte Jimin los und seine Augen weiteten sich etwas, ehe er damit begann, nervös an seinen Haaren herumzufummeln. »Wir haben noch ein Kleiderzimmer, wo wir alle Klamotten aufbewahren...und das Zimmer gegenüber von hier...ist unser Schlafraum.«

»Ihr schlaft alle in einem Zimmer? Seid ihr nicht zu siebt?«, platzte es schockiert aus Chaewon und ich hätte ihr am liebsten in die Seite geboxt. Mir war bewusst, wie unangenehm Jimin das sein musste. Mir war es auch keine Freude, vor anderen zuzugeben, dass ich mir mit meiner großen Schwester einen Raum teilen musste.

»Ja, aber es geht schon«, murmelte Jimin und fuhr sich verlegen durch die Haare.

»Darf ich das Zimmer mal sehen?« Chaewon starrte begierig in Richtung des Flurs und dieses Mal handelte sie sich wirklich einen bösen Blick von mir ein.

»Sei nicht so neugierig«, platzte es aus mir heraus. »Es ist nur ein Schlafzimmer.«

Mir entging nicht, wie Jimin mich kurz voller Dankbarkeit anschaute, ehe er sich wieder an meine beste Freundin wandte. »Ich hätte es dir gezeigt, aber...unser Maknae...Jungkook heißt er...Nun ja, er ist da drin und ich will ihn jetzt nicht stören.« Er räusperte sich, ehe er die Stimme etwas senkte. »Er ist ziemlich schüchtern. Ich hoffe mal, er kommt überhaupt zum Essen dazu.«

»Ich dachte, ihr wollt Idols werd– ...AUA!«

Nun hatte ich mich wirklich nicht mehr zurückhalten können und Chaewon meinen Ellenbogen in die Seite gerammt. Heute benahm sie sich wirklich unmöglich! Vielleicht lag es auch daran, dass ich die ganzen Unsicherheiten des Trainee-Alltags schon vage von meiner Schwester kannte. Mir war es nie so ganz bewusst gewesen, dass es Jimin und den anderen genauso ging, doch jetzt, wo ich hier in ihrem Dorm saß, wurde es mir geradewegs vor Augen geführt. Dass ich bei dem ganzen Diätengequatsche nicht schon früher darauf gekommen war!

Es war irgendwie nachvollziehbar, dass Chaewon keine Ahnung davon hatte. Viele besaßen völlig falsche Vorstellung vom Trainee-Alltag. So bestimmt auch sie, die sonst keine Berührungspunkte in ihrem Leben damit hatte.

»Man trainiert jahrelang, bis man letztendlich auf eine Bühne gelassen wird«, erklärte ich ihr schließlich. »Nicht jeder ist von Anfang an eine Rampensau. Geht bei Sohee im Training auch vielen so.«

»Erstens das und Jungkook ist erst 16«, ergänze Jimin mit einem schwachen Lächeln. »Und für ihn ist es einfach sehr hart, hier so weit weg von seiner Familie zu sein und plötzlich mit sechs älteren Jungs zusammenzuwohnen.«

»Von denen drei jetzt auch noch zwei fremde Mädchen angeschleppt haben«, fügte Taehyung hinzu und kicherte.

Chaewon schien es langsam zu dämmern, dass sie die falsche Schiene gefahren war und hielt sich von nun an sehr dezent mit ihren Fragen zu dem Leben der Band. Jedoch wurde ohnehin schon bald das Thema wieder zurück zum überstandenen Projekt gelenkt und wir erzählten uns noch einmal in aller Ausführlichkeit von unseren jeweiligen Präsentationen. Ich erfuhr, dass Jimin großes Lob für seine Fotos erhalten hatte, während die Lehrerin bei Taehyung sogar der Verdacht aufgekommen war, er hätte die Leinwand von jemand anderem bemalen lassen.

Gegen 19 Uhr war es dann soweit und Jin und Yoongi baten uns darum, mitzuhelfen, den Zataku im Wohnzimmer einzudecken. Einen richtigen Esstisch besaßen die Jungs nämlich nicht. Die beiden Ältesten hatten sich alle Mühe gegeben beim Kochen. Es gab einen riesigen Topf Ramen, Knoblauch-Gambas und noch einige weitere Banchans wie Kimchi, Sojabohnensprossen und gebratene Zucchini.

Gerade, als wir anfangen wollten, uns über die Schüsseln herzumachen, hörte ich Jimin zu Taehyung sagen, dass er jetzt nach Jungkook sehen würde. Kurz darauf verschwand er hastig durch auf den Flur und durch die Tür gegenüber, hinter der nach seiner letzten Aussage ja das Schlafzimmer lag. Ich starrte ihm gespannt hinterher, während die anderen gar nicht wirklich bemerkt zu haben schienen, dass Jimin verschwunden war. Sie schlürfen schon eifrig Ramen und lobten Yoongis gebratene Gambas, als hätten sie in ihrem Leben noch nie etwas Besseres gegessen.

Es dauerte knapp eine Minute, bis sich die Tür zum Wohnzimmer wieder öffnete und Jimin wiederkam – dieses Mal in Begleitung eines kleineren Jungen mit ein wenig Akne und scheuem Gesichtsausdruck. Man merkte ihm eindeutig an, dass er jünger war als der Rest der Band. Als unsere Blicke sich trafen, weiteten sich seine Augen kurz, ehe er schnell wegsah und sich hastig zwischen Taehyung und Jimin an den Tisch hockte.

»Kookie, das sind Moon und Chaewon«, erklärte ihm Tae mit einem warmen Lächeln und deutete dabei auf uns. Noch einmal rang sich der Jüngste der Runde dazu durch, uns anzuschauen und kurz zu nicken, ehe er schnell wieder auf den ein gedeckten Tisch starrte und rot anlief. Und ich dachte immer, ich wäre schüchtern...

Während des Essens ergriffen hauptsächlich Seokjin, Taehyung und Jimin das Wort. Und ich bekam schnell den leisen Verdacht, dass Jin, nur weil er der Älteste war, sich keineswegs so benehmen wollte. Einmal fixierte er mich mit einem durchdringenden Blick und hielt mir seine Stäbchen mit einer Gamba vor die Nase.

»Was sagt ein Polizist zu seinem Kind, wenn er es füttert?«

Völlig perplex starrte ich ihn an. »Ehm...ich...äh...«

»Aufmachen! Polizei!«

Chaewon, Jimin und Taehyung brachen in schallendes Gelächter aus, während ich mich vor Schreck noch immer nicht rühren konnte. Yoongi vergrub stöhnend das Gesicht in den Händen.

»Vergraul sie doch nicht jetzt schon mit deinen Dad-Witzen«, brummte er mit wehleidigem Unterton. »Das macht sie auch nicht witziger.«

»Also ich fand es ziemlich witzig«, kicherte Jimin, während ihm Tae über den verschreckten Jungkook hinweg immer wieder auf den Oberarm klopfte.

Yoongi schnaubte leise. »Du findest alles lustig, was aus Jins Mund kommt.«

»Zurecht!«, tönte Seokjin und schwellte die Brust. »Zeuge dem Ältesten hier etwas Respekt und lach über seine Witze! LOS!«

»Ha ha ha«, gab Yoongi tonlos von sich und wandte sich darauf wieder seinen Ramen zu, als wäre nichts gewesen.

Etwas widerwillig aß ich schließlich die Gamba, mit der Jin immer noch vor meiner Nase herumfuchtelte, was ihn ein Glück ziemlich zufrieden stellte. Chaewon, Jimin und Taehyung hatten sich ein Glück wieder zusammengestaucht und allmählich kehrte wieder Ruhe am Tisch ein.

Aber wie sagte man so schön? Der Abend war noch jung. Und obendrauf ein Freitagabend.

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