18 - Unerwünschter Abholservice und hochheiliger Retter

Kapitel 18 – »Unerwünschter Abholservice und hochheiliger Retter«


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»Psychotic kids, they don't know what they want
Psychotic kids, we've got to keep control of them
We've got to keep control of them
We've got to keep control of them«

Psychotic Kids – YUNGBLUD

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Fr., 5. Oktober 2012

Yoongi


Yoongi starrte auf seine blassen Hände, die auf dem schon etwas abgewetzten Leder um das Lenkrad ruhten. In dem kleinen Hyundai, den er von ihrem Manager Kim Sejin zur Verfügung gestellt bekommen hatte, roch es penetrant nach dem Zitronen-Lufterfrischer, der vom Rückspiegel baumelte. Und dies trug nicht besonders positiv zu seinem ohnehin schon grenzwertigen körperlichen Zustand bei.

Die erneute Nachtschicht war dem Rapper nicht besonders gut bekommen. Bis in die frühen Morgenstunden hatte er jede noch so kleine Songidee, jegliche Beats und Textparagraphen aus seinem Kopf gepresst und war doch nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. Nun zeigte die Uhr bereits Nachmittag, er hatte bisher nicht eine Sekunde geschlafen, nur einen Apfel gegessen und hielt sich lediglich noch durch den Liter Kaffee wach, den er vor dem Losfahren in sich reingekippt hatte.

Yoongi hätte es auch Sejin überlassen können, Jimin und Taehyung von der Schule abzuholen. Doch als er realisiert hatte, dass er so schnell keine Zeit mehr zum Schlafen haben würde, war bei ihm der Entschluss gefallen, ein Tapetenwechsel würde ihm guttun. Und ihn vielleicht wieder etwas wacher machen, angesichts des bevorstehenden Trainings.

Sejin war nicht begeistert gewesen, das stand fest. Er hatte innerhalb kürzester Zeit die Rolle eines Beschützers für ihre kleine Truppe übernommen und sorgte sich wegen jeder Kleinigkeit um sie. Als ihm Yoongis Zustand aufgefallen war, hatte er sich nur schwer dazu überreden lassen, die Autoschlüssel rauszurücken. Vor allem in Hinsicht darauf, dass der Rapper erst Anfang des Jahres in einen Unfall verwickelt gewesen war...wenn auch als Fahrradfahrer. Leider entließ BigHit Yoongi jetzt nur noch ungern ohne Begleitung in den Straßenverkehr.

Es war Schwachsinn, natürlich. Er hasste es, wie ein schwacher, unvorsichtiger Junge behandelt und angesehen zu werden. Er konnte gut auf sich selbst aufpassen. Trotzdem fiel es ihm in diesem müden Zustand wirklich schwer, sich nicht von seinen negativen Gefühlen deswegen überrollen zu lassen. Auch, wenn er es nicht nach außen hin zeigte...sein Kopf spielte manchmal schon aufgrund solcher Dinge verrückt.

Yoongi richtete seinen Blick nach rechts und schaute durch das Schultor, vor dem er geparkt hatte. Ein ziemlich bescheuerter Platz, um zu warten, aber eigentlich sollten die beiden Jüngeren gleich hier auftauchen. Soweit er es im Dorm mitbekommen hatte, war heute die Vorstellung ihres Schulprojekts gewesen. Taehyung hatte mit seinem „Kunstwerk" auf Leinwand gestern noch das halbe Wohnzimmer eingesaut, weil er unter Zeitdruck geraten war und Jimin hatte nicht aufgehört, jeden nach seiner Meinung zu den auf hochwertig glänzendem Papier ausgedruckten Fotos zu fragen.

Die ersten Schüler wanderten aus der kleinen Eingangstür über den Schulhof durch das Tor nach draußen und verschwanden nach rechts und links. Nach einer Weile erspähte Yoongi tatsächlich Taehyung und Chaewon, die offensichtlich keine großen Anstalten machten, in Richtung Gehweg zu laufen. Auch schienen sie ihn in dem schwarzen Hyundai nicht zu bemerken. Doch der Rapper wollte nicht hupen und auf sich aufmerksam machen. Zumindest so lange nicht, bis auch Jimin auftauchte.

Drei Minuten vergingen...dann fünf...und langsam stellte es Yoongis Geduld auf die Probe. Er war schon kurz davor, seine Hand zur Mitte des Lenkrads wandern zu lassen, als er endlich Bewegung auf dem Schulhof wahrnahm. Jimin war aufgetaucht. Und mit ihm Moon.

Die beiden passten Taehyung und Chaewon ab und bewegten sich endlich auf das Tor zu. Yoongi atmete erleichtert aus und ließ das Fenster des Beifahrersitzes herunter. Darauf lehnte er sich etwas nach vorne, dass die Gruppe ihn auch sehen konnte.

»Yoongi-hyung?!«, platzte es aus Tae, der ihn als erster am Straßenrand parkend entdeckte. »Was machst du denn hier?«


»Nach was sieht es denn aus?«, brummte Yoongi. »Wir haben Training, schon vergessen?«

»Was?!« Taehyung riss seinen Kopf zu Jimin herum, der mindestens genauso schockiert aussah, jedoch nichts sagte. »Seit wann denn das?«

»Wurde vorhin beschlossen. Sejin hat euch geschrieben.«

Kurz starrten die beiden Jüngeren Yoongi an, ehe sie fast zeitgleich ihre Handys hervorzogen und auf die Bildschirme starrten.

»Schön zu sehen, dass ihr wisst, wie man die benutzt«, brummte der Rapper und sog reflexartig die Luft ein. Eigentlich war es wirklich erstaunlich, dass keiner der beiden die Nachrichten gesehen hatte, so oft wie sie sonst an ihren Smartphones hingen.

»Die lassen uns auch keinen einzigen Tag Ruhe«, jammerte Taehyung und packte genervt sein Handy wieder weg.

»Ich bin auch nicht sonderlich scharf drauf«, sagte Yoongi, »aber ich wäre euch sehr dankbar, wenn ihr jetzt einsteigen würdet. Wir sind ohnehin schon spät dran.«

Er bemerkte sofort den plötzlich auftauchenden Welpenblick auf Jimins Gesicht, den er bald darauf an Moon richtete. Na, kein Wunder las er seine Nachrichten nicht, wenn er nur Augen für sie hatte. Wäre Yoongi nicht so fertig und genervt gewesen, hätte er sich an dieser Stelle bestimmt ein Schmunzeln verkneifen müssen.

»Tut...tut mir leid, dann wird das wohl doch nichts mit dem Essen.« 

Jimin senkte den Kopf ein wenig und starrte auf seine Füße. Moon, deren Gesicht sonst nicht viel über ihre Gefühlswelt verriet, sah man ebenfalls an, dass ihr diese Neuigkeiten nicht gefielen.

Taehyung schien es nicht sonderlich besser zu gehen. Er schmollte. Und das nicht gerade unauffällig. Irgendwas schienen die vier geplant zu haben. Wieso sollten sie sonst alle schauen, als hätte man ihnen gerade die Wiedereinführung des Samstagsunterrichts verkündet?

»Hattet ihr was anderes vor?«, fragte Yoongi mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Wir wollten zur Feier des Tages Burger essen gehen«, murrte Tae, während er die Hintertür des Wagens öffnete und seinen Rucksack achtlos bis auf einen der Sitze warf. »Jimin wäre sogar mitgekommen und hätte seine Diät mal halbwegs außer Acht gelassen.«

Sofort schnellte der Blick des Rappers zu Jimin, der immer noch ziemlich bedröppelt zu Boden sah. Ihm war sehr wohl bewusst, was für einem harten Essensplan er sich da momentan aussetzte. Und Yoongi gefiel das nicht. Ganz und gar nicht. Ihm war schon bewusst, dass man als angehendes Idol eine gewisse Verantwortung für seinen Körper trug und auch er selbst aß oft viel zu wenig. Aber die Art und Weise, die Jimin nutzte, um an sein wahrscheinlich nicht einmal existentes Traumgewicht zu kommen, war Schwachsinn. Er würde sich kaputt machen, bevor seine Karriere überhaupt angefangen hatte.

»Jin und ich könnten heute Abend kochen«, sagte Yoongi nach einer Weile und ließ seine Augen dabei von einer Person zur nächsten wandern.

»Im Dorm?!«, platzte es schockiert aus Jimin. »Aber...wir haben doch kaum Platz.«

»Namjoon und Hoseok gehen direkt nach dem Training zum Bahnhof und fahren übers Wochenende nach Hause, schon vergessen?«

»Also ich hab's nicht vergessen«, meldete sich Taehyung zu Wort, dessen fröhliche Stimmung mit einem Schlag wieder zurückgekehrt zu sein schien. »Und außerdem hätten wir selbst mit den beiden genug Platz!!" Er drehte sich zu Jimin um und musterte ihn schelmisch von oben bis unten. „Ich denke, Jimin-ssi ist es einfach zu peinlich, zwei Mäd–«

»Halt die Klappe!«, zischte Jimin und stürzte sich an ihm vorbei, um auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen.

»Wärt ihr denn dabei, wenn unser hochheiliger Retter Yoongi-hyung ein Vier-Gänge-Menü für uns zubereitet?«, flötete Tae an die beiden Mädels gewandt, die bisher kein Wort gesprochen hatten.

»Klaro!«, grinste Chaewon und vereinnahmte Yoongi mit ihrem strahlenden Lächeln. Etwas unbeholfen zuckten seine Mundwinkel. Ihre Persönlichkeit überforderte ihn. Fast schon fragte er sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, diese Einladung auszusprechen.

Als sein Blick zu Moon wanderte, fühlte er sich dennoch wieder bestärkt in seinem Vorhaben, heute Abend zu kochen. Ihre dunklen Augen starrten ihn schüchtern an, ehe sich der Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen abzeichnete. Bei ihr fiel es ihm nicht schwer, es zu erwidern. Und das, obwohl sie sich gerade erst zum zweiten Mal sahen.

»Vier Gänge also?«, fragte Moon ihn mit einem neckischen Hauch in der Stimme.

»Kommt drauf an, ob sich Taehyung danach auch um den Abwasch kümmert«, erwiderte Yoongi leicht amüsiert an sie gerichtet, während der Jüngere theatralisch aufseufzte und sich endlich auf die Rückbank fallen ließ.

»Wir schicken euch die Adresse«, rief Tae den beiden Mädels durch das offene Fenster zu, indem er seinen Kopf an Jimins Kopflehne vorbeiquetschte.

»Viel Spaß euch beim Training«, flötete Chaewon und winkte ihnen zu, während Moon es bei einem kleinen Kopfnicken beließ. »Wir sehen uns dann heute Abend. Ich freu mich schon auf das Vier-Gänge-Menü!«

»Und ich erst«, brüllte Tae in den vorderen Teil des Autos, um Yoongi zu übertönen, der demonstrativ den Motor startete und gar nicht erst auf den Kommentar einging.

Die Jungs verabschiedeten sich und es dauerte nicht lange, da hatte er den Wagen auch schon an der Kreuzung um die Ecke gelenkt. Nun erfüllte lediglich die Stille und der penetrante Zitronengeruch das Auto. Der Rapper nahm Jimin aus den Augenwinkeln wahr und ihm fiel sofort auf, dass ihm etwas nicht passte. Auch, wenn Yoongi ihn noch nicht so ewig kannte, so hatte ihr Aufeinanderhängen im Dorm doch schon lange dafür gesorgt, dass er ihm so etwas schnell am Gesicht ablesen konnte. Und er hätte seine Kamera darauf verwettet, dass es dabei in irgendeiner Weise um Moon ging. Er schien sie zu mögen. Ziemlich sogar.

»Du bist nicht scharf darauf, dass die beiden in den Dorm kommen, Jiminie?«, erklang Taehyungs Stimme plötzlich ganz nah an Yoongis Ohr. Im Rückspiegel sah er, dass er sich wieder weit nach vorne gelehnt hatte, dieses Mal zwischen ihre beiden Vordersitze.

»Wir hatten noch nie Freunde zu Besuch«, murmelte Jimin und fuhr sich durch die Haare. »Die werden weiß der Himmel was über uns denken, wenn sie diese kleine Bude sehen.«

»Was ist an der Wohnung schlimm?«, fragte Yoongi ganz neutral, während er das Auto über die Dongho-Brücke raus aus dem Seonsang-gu und rein in den Gangnam-gu lenkte. Der schleppende Verkehr der Metropole ließ den Tacho nicht einmal über 40 km/h kommen.

»Nein, so meinte ich das nicht«, jammerte sein Beifahrer und seufzte. »Es ist nur...nun ja...«

»Ich glaube, Jimin steht auf Moon und es ist ihm unangenehm, sie in eine Bude voller Jungs zu lassen«, kicherte Taehyung mit ketzerischer Stimme, woraufhin Jimin ohne Zögern herumwirbelte und ihn boxte.

»Schwachsinn!«, zischte er. »Aber wenn der Dorm noch so aussieht wie heute Morgen, dann kann es euch allen peinlich sein, zwei Mädchen eingeladen zu haben!«

Yoongi schmunzelte kaum merklich. Sofort erschien ein Bild vor seinen Augen, wie Hoseok die jüngeren Bandmitglieder aufgrund ihrer herumliegenden Sachen zur Schnecke machte. Es hatte sich innerhalb der wenigen Monate ihres Zusammenlebens schnell herauskristallisiert, dass er einen kleinen Putzfimmel besaß. Dabei stieß er bei Namjoon und Taehyung aber leider gegen eine harte Gegenwehr, die sich keinen Pfifferling um herumliegende Sachen scherten.

»Da hat er nicht ganz Unrecht«, stimmte der Rapper schließlich Jimin zu.

»Räumen wir halt später noch ein wenig auf«, winkte Taehyung ab, als wäre es das Belangloseste auf der Welt. Darauf beugte er sich wieder weiter nach vorne, bis Yoongi zu seiner großen Missgunst seinen Atem an seinem Hals spürte.

»Aber Hyung, sag mal, seit wann bist du überhaupt so frei und kümmerst dich um soziale Kontakte?«, wechselte Tae mit einem neugierigen Unterton das Thema. »Versteh mich nicht falsch, aber du bist der letzte, von dem ich so eine Einladung erwartet hätte.«

Das war allerdings eine gute Frage vom Jüngsten im Auto. Yoongi besaß außer ein paar Kollegen aus der Underground-Szene nicht wirklich Freunde in Seoul und war auch eigentlich nicht besonders scharf darauf, sich neue zu suchen. Es reichte ihm vollkommen, jetzt in einer WG mit sechs anderen Typen zu wohnen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Der Rapper konnte Taehyung jedoch schlecht antworten, dass er in diesem Fall gerne über seine eigenen Wohlbefindensansprüche hinwegsah. Er machte sich Sorgen um Jimin und wenn dieses Angebot ihn dazu bringen würde, mal wieder eine vollwertige Mahlzeit zu sich zu nehmen, dann nahm der Rapper gerne die Last auf sich. Zugeben wollte er dies allerdings nicht. Schon gar nicht vor Taehyung.

Umso länger Yoongi darüber nachdachte, umso mehr wurde ihm klar, wie gerne er eigentlich auf eine Chaewon im Dorm verzichten könnte. Sie war so eine anstrengende Persönlichkeit. Und Moon...nun ja, bei ihr war es irgendwie etwas anderes. Er mochte sie und das nicht nur, weil sie auch aus Daegu kam. Das Mädchen hatte etwas an sich, dass ihm ein Gefühl von Komfort gab. Sie war nicht aufdringlich, wahrte ihre Distanz (was ihm sehr wichtig war) und kam ihm trotzdem unheimlich nett rüber. Dazu gesellte sich noch die Tatsache, dass sie selbst in nicht den besten Verhältnissen lebte und nach Dingen strebte, die ihrer Familie ein Dorn im Auge waren. Dies weckte eine gewisse Verbundenheit, die Yoongi zu ihr fühlte. Gegen ihre Anwesenheit im Dorm hätte er auch ohne einen bestimmten Anlass nichts einzuwenden.

»Yoongi-hyung ist halt selbstlos und wollte uns die Möglichkeit geben, doch noch das Ende des Projekts zu feiern«, antwortete plötzlich Jimin an seiner Stelle. »Also zieh ihn jetzt nicht damit auf. Gerade du solltest ihm dankbar sein.«

Der Rapper sah, wie sein Beifahrer süffisant seine Augenbrauen nach oben zucken ließ und hörte gleich darauf, wie Taehyung sich mit einem theatralischen »Tze!« wieder in die Polster der Rückbank warf.

Yoongi grinste ein wenig in sich hinein, als er gerade den Hyundai in die Straße des Gebäudes einlenkte, in dem sich der von BigHit gemietete Trainingsraum befand. Irgendwie hatte er diese Strolche ja schon ziemlich liebgewonnen. Auch, wenn sie verdammt kindisch und nervig sein konnten.

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