08 - Verlorene Orte und gefundene Hoffnung
Kapitel 8 – »Verlorene Orte und gefundene Hoffnung«
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»Ba de ya, say do you remember?
Ba de ya, dancing in September
Ba de ya, never was a cloudy day«
September – Earth, Wind and Fire
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Es war nicht nur die teils gruselige, aber doch eindrucksvolle Anmutung des Badehauses, welche uns zuerst ins Auge stach. Als wir Taehyung über die Treppe nach oben folgten, eröffnete sich vor uns ein riesiges leeres Schwimmbecken, auf dessen Boden die blaue Farbe und die Bahnenstreifen nur noch zu erahnen waren. An manchen Stellen lag schon so viel Erde, dass Grashalme daraus wuchsen und die Beckenwände zierte das ein oder andere Graffiti. Auf der Fläche, auf der wir alle standen und die das Dach des Badehauses bildete, befand sich noch ein kleiner Pavillon, der vielleicht einmal als Kiosk oder Handtuchverleih gedient haben musste.
Es jagte mir eine Gänsehaut über die Arme, dieses Relikt der Zeit hier so vor mir zu sehen. Vor meinem inneren Auge spielten sich Szenen ab, als der Pool gefüllt gewesen sein musste und Kinder von der Seite ins Wasser gesprungen waren. Wie sich Mütter am Rand des Beckens gesonnt und ein Bademeister durch die Luft gepfiffen hatte. Es war nostalgisch und zugleich irgendwie traurig, den Pool nun so verfallen und von der Natur eingenommen hier vor uns zu sehen. Gleichzeitig hatte es etwas Friedliches...ja, sogar Magisches an sich.
»Wow«, platzte es aus Jimin. »Das ist wirklich mal ein cooler Ort. Woher weißt du davon, Tae?«
Taehyung zuckte mit den Achseln, ehe er über eine rostige Leiter runter in das Becken kletterte. »Einer aus dem Film-Department hat mir davon erzählt. Die haben hier mal einen Horrorfilm gedreht.«
»Beruhigend zu wissen«, kicherte Chaewon und sprang ihm hinterher ins leere Schwimmbecken, um dort die Wände zu inspizieren. »Aber du hattest recht, hier kann man wirklich alles üben. Malerei an den Wänden...man kann coole Bilder von der Location schießen...«
»...und genug Platz zum Tanzen hat man auch«, grinste Jimin und zwinkerte mir dabei zu, ehe er sich ebenfalls daran machte, die Leiter hinunter zu klettern. Auf halber Höhe wanderte er sein Blick jedoch an mir vorbei zurück zur Treppe. »Wo ist Yoongi?«
Ich drehte mich ebenfalls um und sah, dass ich mich alleine auf der Plattform befand. Schnell wandte ich mich wieder Jimin zu. »Ich geh mal runter und schau nach ihm.«
Er nickte mir zu, woraufhin ich schnell die Steinstufen hinab zum Badehaus eilte. Hier unten hörte man fast gar nicht mehr die Stimmen der anderen, nur noch das Vogelgezwitscher und das Rauschen der Blätter im leichten Wind. Mit einem etwas mulmigen Gefühl betrat ich das Gebäude und wurde sofort in ein dämmriges Licht gehüllt. Es roch nach modrigem Beton und abgestandenem Wasser, vermischt mit dem Duft von Moos und Blättern.
Meine Schritte knirschten auf dem von Scherben und Steinen bedeckten Boden und die Geräusche hallten an den vollgesprühten Wänden wider. Ich folgte dem Flur an den eingeschlagenen Fenstern entlang und warf dabei einen Blick in jeden der angrenzenden Räume. Immer wieder vermutete ich, dass gleich etwas um die Ecke springen und mich furchtbar erschrecken könnte, doch das blieb ein Glück aus. Und das Klicken einer Kamera warnte mich schon früh vor, in welchem Raum sich Yoongi wohl befinden musste.
»Fotografierst du gerne?«, fragte ich, während ich ihn dabei beobachtete, wie er ein Graffiti an der Wand aus dem perfekten Winkel zu knipsen versuchte. Er wirkte dabei so konzentriert, dass ich zuerst vermutete, dass er meine Frage gar nicht wahrgenommen hatte.
»Ja«, antwortete er mir schließlich doch noch nach einigen Sekunden, ohne dabei aufzusehen. »Aber diese Kamera habe ich erst seit Kurzem. Ich habe lange darauf gespart.«
Yoongi erhob sich vom Boden, wählte den Ansichtsmodus aus und betrachtete das von ihm geschossene Bild. Ich trat ein paar Schritte vor und lugte ihm dabei vorsichtig über die Schulter, unsicher darüber, wie nah ich ihm treten durfte und wie er reagieren würde. Doch zu meiner Überraschung hielt er mir die Kamera sogar so hin, dass ich einen einwandfreien Blick auf das Foto bekam.
»Probier mal, die Blendenzahl zu verkleinern...und den ISO-Wert hochzudrehen«, schlug ich ihm vor und nach einem kurzen Zögern tat er, wie geheißen. Wieder ging er in seine hockende Position und schoss ein Bild von dem Graffiti. Als wir uns das Ergebnis auf dem Bildschirm besahen, nickte er mit zusammengepressten Lippen und schenkte mir darauf den Ansatz eines Lächelns.
»Das ist viel besser. Danke.«
»Kein Ding«, erwiderte ich und strich mir verlegen die aus meinem Zopf entflohenen Haarsträhnen hinter meine Ohren.
»Woher kommst du?«, fragte Yoongi mich plötzlich, während er sich schon nach einem neuen Motiv an den Wänden umschaute. »Dein Dialekt kommt mir bekannt vor.«
Verdammt, dachte ich mir im Kopf. Wenn ich zu nervös war, vergaß ich oft, den Gyeongsan-Satoori zu unterdrücken. Wie sonst hätte ihm das auffallen können?
»Daegu«, murmelte ich. »Ich wohne erst seit ein bisschen mehr als einem Monat hier in Seoul.«
Diese Antwort veranlasste Yoongi erneut dazu, ein wenig zu grinsen. »Wusste ich's doch.« Er drehte mir den Kopf zu und ein seltsamer Ausdruck hatte sich in seine Augen gelegt. »Ich bin auch aus Daegu.«
»Echt?«, platzte es aus mir heraus, ehe ich mich schnell räusperte. »Ist deine Familie auch mit dir hier her gekommen...du weißt schon...dass du hier ein Trainee werden kannst?«
»Nein«, erwiderte Yoongi knapp und gab in diesem Moment wohl auf, noch ein schönes Motiv in diesem Raum zu finden. »Meine Eltern sind noch dort. Sie unterstützen mich nicht wirklich bei meinem Karrierewunsch.«
»Oh...das tut mir leid«, erwiderte ich leise, doch sein erwartungsvoller Blick forderte mich geradezu dazu auf, weiterzusprechen. »Meine Eltern haben ihr ganzes Geld zusammengekratzt, um hier her zu ziehen, als meine Schwester die Zusage von JYP Entertainment bekommen hat. Jetzt wohnen wir eben in so einer winzigen Wohnung in Seongdong, wo wir von Glück sprechen können, dass meine große Schwester bald in ein Wohnheim der Agentur auszieht. Momentan teilen sie und ich uns noch ein Zimmer.«
Yoongi sagte darauf nichts und beobachtete mich einfach nur. Doch aus irgendeinem Grund gab alleine das mir schon auf irgendeine Weise einen gewissen Komfort. Als hätte er die Informationen in sich aufgesaugt und hinter die Sätze geblickt. So dumm es auch klang...es wirkte auf mich so, als würde er es wirklich verstehen. Sein Blick sprach es jedenfalls aus. Worte waren nicht nötig.
Es schien, als ob dieser Moment etwas mit diesem Ort gemacht hätte. Als wären die halbdunklen Räume und vollgeschmierten Wände nur noch halb so gruselig. Plötzlich fühlte es sich mehr so an, als könnte ich hier an diesem verlorenen Platz mitten im Wald Frieden finden. Und vielleicht sogar Freunde.
»Komm«, brummte Yoongi mit seiner tiefen Stimme und half mir sogar dabei, durch eines der ohnehin ausgeschlagenen, fast bis zum Boden reichenden Fenster zu klettern. Draußen nahmen wir wieder die Treppe hoch zur Plattform, wo Taehyung und Chaewon tatsächlich schon dabei waren, eine der Innenwände des Pools mit großen Pinseln und den von ihr mitgebrachten Farben anzumalen. Offensichtlich versuchten sie die berühmte Malerei Sternennacht von Van Gogh nachzustellen.
Jimin dagegen hatte sich in eine kleine Grasfläche innerhalb des Beckens fallengelassen, lag dort mit unter dem Kopf verschränkten Armen und starrte in den von milchigen Wolken verhangenen Himmel. Kurz kam es mir so vor, als gehörte er zu diesem Ort. Als wäre er eins mit ihm geworden. Sein Profil war wirklich schön...
Yoongi und ich kletterten ebenfalls hinab in den Pool, woraufhin der Rapper auf den am Boden liegenden Jimin zu ging. Dieser bemerkte uns und setzte sich sofort wieder auf, wobei er penibelst seine Haare und Klamotten von jeglichem Dreck befreite und wieder zurechtrückte.
»Ich würde noch eine Runde rumlaufen und ein paar Fotos schießen«, sagte Yoongi. »Meintest du nicht, ihr wolltet noch eine Choreo üben?«
Jimin nickte und sprang schwungvoll auf seine Beine. »Ja, dann machen wir das zuerst...also wenn das okay für dich ist.«
Er warf mir einen unsicheren Blick zu, doch ich hob nur die Hände, um ihm zu bedeuten, dass es mir egal war. Mit einem Grinsen zog Jimin sein Handy und eine Bluetooth-Box aus seinem Rucksack und platzierte diese auf einem nicht bewachsenen Stückchen des Bodens.
»Hast du die von Jungkook geklaut?«, fragte Yoongi mit hochgezogenen Augenbrauen, woraufhin der Jüngere nur mit einem Grinsen den Kopf schüttelte.
»Er hat sie mir ganz freiwillig geliehen«, antwortete er stolz und begann sich währenddessen ein wenig zu dehnen. »Letzten Mittwoch hat er mir sogar ein wenig von seiner Familie erzählt.«
Aus irgendeinem Grund schienen Yoongi diese Worte zu beeindrucken, denn er nickte kaum merklich, aber anerkennend mit dem Kopf. Ich fragte mich, ob dieser Jungkook, neben dem vorhin in der U-Bahn erwähnten Namjoon, ebenfalls ein Mitglied ihrer Band war... Doch ich traute mich letztendlich nicht, sie deswegen zu fragen.
Nachdem Yoongi sich zu neuen Streifzügen über das Gelände aufgemacht hatte, kam Jimin mit seinem Handy zu mir und zeigte mir eine Reihe von Videos, die er bereits auf YouTube vorladen hatte lassen.
»Also wenn du sicher etwas von BIGBANG lernen willst, kann ich dir die Choreografien von Somebody To Love und Fantastic Baby anbieten.« Er fuhr sich etwas verlegen durchs Haar, während er das Handy wieder sinken ließ. »Aber ich warne dich. Die Tänze von denen sind eigentlich nicht schwer, aber haben schon ein paar Stellen, an denen es tricky werden kann...vor allem, wenn man davor noch nie wirklich getanzt hat.«
»Uff, okay«, seufzte ich und biss mir auf die Lippen. »Wie wär's...ähm...du zeigst mir einfach mal einen davon, den du für...passender hältst?«
»Okay, wie du willst«, grinste Jimin, tippte kurz auf dem Bildschirm herum und drückte mir darauf das Handy in die Hand. »Drück auf Play, wenn ich auf der Position stehe.«
Ich ließ mich auf dem Boden neben der Bluetooth-Box nieder, während er sich vor mir auf eine großzügig freie Fläche Poolboden stellte. Er atmete tief durch, ehe er mir mit einem Zwinkern zunickte und ich den Song Somebody To Love startete, den er ausgewählt hatte.
Sofort erfüllten elektrische Klänge die Luft und kaum setzte die Stimme einer der Rapper ein, begann der Trainee sich zu bewegen. Und zur Hölle mit mir, aber ich kam nicht dagegen an, dass mir der Mund aufklappte!
Jimin tanzte mit jeder Faser seines Körpers, bis hin zu seinen Gesichtszügen. Er tanzte mit solch einer Eleganz und Energie, dass es mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagte und ich sogar vergaß, dass ich K-Pop eigentlich gar nicht mochte. Nur durch die grazile Art, wie er sich bewegte und die Message, die er dabei rüberbrachte, schaffte er es, dass ich tatsächlich anfing, mit dem Beat zu wippen. Und das sollte verdammt nochmal was heißen!
Fast wagte ich es nicht zu atmen, während er sich mit Leichtigkeit durch den ganzen Song tanzte und jeden Schritt harmonisch ausführte. Erst, als mit schwerem Atem zu einem Ende kam, wurde mir mit einem Schlag bewusst, dass es ja nun darum ging, mir diese Choreografie beizubringen. Was zur Hölle hatte ich mir da nur eingebrockt?! Ich würde mich vor diesem ganz offensichtlichen Profi zu Tode blamieren!
»Wow, das war...wow.« Mehr bekam ich nicht zu Jimins Performance heraus, doch es reichte, um zu veranlassen, dass er sich peinlich berührt mit einem süßen Lachen das Gesicht hinter den Händen versteckte.
»WUHU, JIMIN-SSI«, brüllte Taehyung von der anderen Seite des Pools herüber, wobei er begeistert und wild klatschend in der Luft herumsprang. Auch Chaewon applaudierte und hob darauf mit einem breiten Grinsen beide Daumen in die Höhe, ehe sie Tae am Ärmel wieder zu ihrer Wandmalerei herumzerrte.
»Und fühlst du dich bereit?«, fragte Jimin, worauf ich leider nichts weiter zustande brachte, als mit weit aufgerissenen Augen den Kopf zu schütteln.
»Ich kann eigentlich gar nicht tanzen. Und das sah so verdammt schwer aus.«
»Wir bekommen das schon hin«, lächelte er mir aufmunternd zu und knuffte mir dabei leicht in den Oberarm, was mir erneut den Hauch eines Kribbelns über den Körper jagte.
Jimins positive Energie war ansteckend, selbst bei so einer Trantüte, die ich zu dieser Zeit darstellte. Irgendwie schaffte er es tatsächlich, mich dazu zu bewegen, die Tanzschritte von Somebody To Love zu lernen. Dabei brachte er so eine unglaubliche Geduld auf, dass ich ihn fast nicht wiedererkannte. War er bei unseren Mathe-Stunden nicht immer so schnell angenervt von mir gewesen? Vielleicht lag es daran, dass es hierbei wirklich um seine Leidenschaft ging. Etwas, woran er so viel Freude fand, dass er es unbedingt mit anderen Leuten teilen wollte.
So vergingen die Stunden und langsam aber sicher prägten sich die hip-hop-artigen Schritte in meinem Kopf ein – wenn ich sie auch nicht ansatzweise so gut wie Jimin ausführen konnte...und wahrscheinlich auch nie würde. Immerhin schaffte er es sogar irgendwie, dass ich mich beim Üben nicht wie ein kompletter Banause fühlte. Und obendrauf gelang es ihm auch, dass die Zeit verflog, ohne dass ich es auch nur im Ansatz merkte...
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