45 | The rush

»You return like autumn and I fall every time.«

Nylah zupfte unruhig an ihrer Nagelhaut herum. Ihr erhöhter Herzschlag dröhnte ihr den Ohren, während sie ziellos umher tigerte.

Reece schnaubte genervt. „Nylah, kannst du dich endlich mal hinsetzen?"

Die Sängerin verkniff sich eine giftige Antwort und nahm auf einem Stuhl neben Nathan Platz. In jedem anderen Moment hätte sie Kontra gegeben, doch sie war zu nervös, um einen klaren Gedanken zu fassen.

Obwohl die Band in den letzten Wochen Unmengen an Konzerten gespielt hatten, konnte Nylah ihre Anspannung nicht abschütteln. Vielmehr kam es ihr so vor, als ob es durch die plötzliche Aufmerksamkeit, die ihnen durch das Musikvideo zuteil geworden war, noch schlimmer geworden war. Sie verspürte den Druck, gut sein zu müssen. Jetzt spielte die Band nicht mehr nur für sich, die halbe Welt schien gerade jeden ihrer Schritte zu beobachten.

Nylah wusste immer noch nicht so Recht, wie sie damit umgehen sollte, dass sie immer bekannter wurden: Ihre Songs wurden im Radio gespielt, sie spielten in immer größeren Hallen und letztens war die Sängerin sogar auf der Straße erkannt worden.

Schritte näherten sich dem Backstage Bereich und Nylah sprang, wie von der Tarantel gestochen, vom Stuhl auf. Ben, der Leiter ihres Plattenlabels, steckte den Kopf zur Tür herein.

„Seid ihr bereit?", fragte er gut gelaunt in die Runde. Ihm blickten sowohl ein genervt aussehender Ewan und Reece und eine nervöse Nylah entgegen. Nur Nathan nickte mit einem Lächeln.

Ben zog aufgrund der milden Begeisterung zwar eine Augenbraue nach oben, sagte aber nichts. Stattdessen deutete er der Band an, ihm zu folgen.

Nylahs Kehle fühlte sich mit einem Mal unsagbar trocken an, weshalb sie, zum wiederholten Mal, nach dem Wasserglas griff. Sie schluckte die Flüssigkeit nach unten und räusperte sich probeweise.

„Wenn du weiterhin so viel trinkst, hältst du die zwei Stunden niemals aus", bemerkte Nathan und panisch blickte Nylah ihn an.

„Du hast Recht, ich sollte nochmal schnell zur Toilette." Sie wollte schon an ihm vorbeihechten, als Nathan sie sanft nach vorne schob.

„Nylah, das war ein Witz. Du warst doch erst vor fünf Minuten, du wirst dir dort schon nicht in die Hose machen", beruhigte Nathan sie mit einem Grinsen. Seine Hand lag an ihrem unteren Rücken und zwang sie dazu, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

„Tut mir leid, heute bin ich irgendwie besonders nervös." Sie biss auf ihrem Fingernagel herum. Ihre Augen weiteten sich, als der Geräuschpegel sich durch das Verlassen des Backstage Bereichs plötzlich immens erhöhte. Man hörte die Rufe der Konzertbesucher bereits von ihr.

Nathan beugte sich zu ihr hinunter, sie spürte seine Brust an ihrem Rücken. „Keine Angst, wir sind bei dir", versicherte er ihr, sein Atem streifte ihren Hals. Sie schloss die Augen und lehnte sich für einen Moment an ihn, ließ zu, dass sein Geruch ihre Sinne benebelte und erlaubte es sich, seine Nähe zu genießen.

„Okay", wisperte sie leise und warf ihm über die Schulter einen Blick zu. Sein Gesicht war ganz nah an ihrem, seine grünen Augen schienen ihr geradewegs in die Seele zu schauen. Sie schluckte und ihr Puls, der sich gerade erst wieder beruhigt hatte, schoss plötzlich wegen was ganz anderem, als wegen ihrer Nervosität, in die Höhe.

„Also, es geht los. Viel Glück und habt Spaß!" Ben bedachte die Bandmitglieder mit einem strahlenden Lächeln. Nylah wandte sich von Nathan ab und ihre Knie wurden weich.

Die nächsten Momente rauschten an ihr vorbei.

Wie in Trance nahm sie wahr, wie sich ihre Beine nach vorne bewegten. Als sie auf die Bühne trat, wurde sie kurz von den Scheinwerfern geblendet, bevor sich ihre Augen an das Licht gewöhnten. Die Halle war riesig und trotzdem bis zum Anschlag gefüllt. Der Geräuschpegel schwoll an, das Publikum jubelte, als sie auf die Bühne traten.

Ewan nahm vor dem Schlagzeug Platz und Reece und Nathan griffen nach ihren Gitarren. Nylah blieb vor dem Mikrofon stehen.

Die Sekunden zogen sich in die Länge, bevor Ewan das Zeichen zum Start gab.

Auf das Kommando hin erklangen Reece Gitarre, Ewans Schlagzeug und Nathans Bass. Die vertraute Melodie von einem ihrer Lieder füllte die Halle. Das Adrenalin rauschte durch ihre Adern. Ihr Körper befand sich unter Strom und sie konnte nicht anders als zu grinsen.

Als das kurze Intro vorbei war, kam ihr Einsatz. Nylahs Hand legte sich um das Mikrofon. Die ersten Wörter strömten aus ihr hinaus.

Der Damm, ihre Anspannung und Nervosität, brach in sich zusammen. Die Menge jubelte und sang gemeinsam mit ihr die Zeilen des Liedes, das eine Mischung aus Pop und Rock war. Dementsprechend ausgelassen war die Stimmung.

Euphorie strömte ihren Körper, sie gab sich der Musik und den Menschen, die sie mit ihr zusammen feierten, hin. Das Gefühl, auf der Bühne zu stehen, war einfach unbegreiflich. Nylah hatte sich noch nie so lebendig gefühlt wie jetzt.

Die drei Minuten des Liedes rauschten an ihr vorbei und ehe sie sich versah, hatte sie die letzten Worte gesungen und die drei Jungs hinter ihr hielten für den Moment inne. Doch das war natürlich nur der Anfang des Konzerts.

„Guten Abend, New York!", rief Nylah nun und das Publikum jubelte als Antwort. Sie löste das Mikrofon aus der Halterung und lief ein paar Schritte über die Bühne. Sie schenkte der Menge ein strahlendes Lächeln.

„Wir freuen uns, heute hier spielen zu dürfen und bedanken uns für diesen grandiosen Auftakt", Pfiffe und Klatschen ertönten, weshalb sie eine kurze Pause machte, bevor sie weitersprach. „Wir würden direkt weitermachen, vielleicht kennt ja jemand von euch den nächsten Song?"

Sie stimmte probeweise „Flowers" an. Das war das Lied, das letztens gemeinsam mit dem Musikvideo erschienen war und außerdem mit Abstand das Bekannteste.

Die Menge flippte quasi aus, Jubel und Kreischen vermischten sich. Nylah grinste zufrieden und begab sich wieder langsam Richtung Mikrofonständer.

„Dann hoffe ich, dass ihr eure Handytaschenlampen bereit habt, denn jetzt wird es ein bisschen romantisch."

Erneut ertönte Beifall, bevor sich eine beinahe schon gespenstische Stille über die Halle legte. Das Licht der Scheinwerfer, das sie vorhin geblendet hatte, wurde runtergeschraubt. Ein warmer Schein legte sich über die Halle und erlaubte es, dass sie ihr Publikum sehen konnte.

Nylah warf einen Blick Richtung Nathan, Ewan und Reece und nickte. Momente darauf erklangen die ersten Töne des Lieds, langsam und zart, beinahe bedächtig schwoll die Musik an.

Nylah passte ihre Stimme dieser Atmosphäre an. Während sie vorhin beim ersten Song sehr kräftig und stark gesungen an, bemühte sie sich nun darum, die Verletzlichkeit der Zeilen auszudrücken. Leise stimmte das Publikum mit ein und eine Gänsehaut überzog ihren Körper.

Ihr Griff um das Mikrofon verstärkte sich und sie schloss die Augen, gab sich dem Moment hin. Die Melancholie und Sanftheit des Songs erfüllte ihr Herz.

Sie fühlte sich, als würde sie schweben.

Nylah öffnete die Augen wieder und ihr Herz flatterte in ihrer Brust. Die Konzertbesucher blickten andächtig zu ihr hoch. Der Großteil hatte tatsächlich die Taschenlampe des Handys angemacht und bewegte langsam im Takt der Musik den Arm, wodurch die Lichter hin und her schwankten.

Sie ließ ihren Blick über das Publikum gleiten, jetzt, wo sie tatsächlich die einzelnen Gesichter erkennen konnte.

Relativ weit rechts stand eine junge Frau, die leise mitsang und offensichtlich jedes Wort auswendig kannte. Langsam wiegte sie sich hin und her, ihre Augen funkelten.

Relativ mittig stand ein Pärchen. Ein Mann hatte seinen Arm um seinen Partner geschlungen und schien ihm, die Songzeilen leise zuzuflüstern. Sie wirkten glücklich und Nylah lächelte.

Ihr Blick wanderte weiter und-

Und plötzlich blieb die Welt stehen.

Sie geriet aus den Fugen, wirbelte wild durcheinander, zerbrach in ihren Händen.

Nylah hätte schwören können, dass ihr Herz in diesem Moment aussetzte.

Es war, als hätte jemand die Lautstärke, die in der Halle herrschte, vollkommen runtergeschraubt. Die Sängerin hörte nichts, bis auf das Pochen ihres Herzens.

Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals und sie wunderte sich, dass ihre Stimme nicht brach. Sie sang einfach weiter, obwohl sie sich selbst verlor.

Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Sie musste sich das einbilden. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Doch je länger sie den Mann anstarrte, desto sicherer wurde sie sich.

Diese haselnussbraunen Augen hätte sie überall erkannt.

Nylahs Seele fing Feuer.

Und Kol sah ihr dabei zu, wie sie verbrannte.

ENDE VON BAND 1

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