42 | Falling
»The rain falls for you the same way I do
unapologetically, over and over.«
Wie alle anderen im Raum blickte auch Reece auf den großen Fernseher, auf dem das Video ablief. Gerade war eine Szene mit Jude und Thane zu sehen. Zumindest glaubte er das. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf Ada gerichtet, die so nah neben ihm stand, dass ihr Ellbogen ihn berührte.
„Sorry, was hast du gesagt?“, raunte er nun und beugte sich etwas zu ihr hinunter.
„Das Video ist wirklich gut geworden!“, wiederholte Ada ihre Worte, während ihre Augen immer noch auf den Bildschirm gerichtet waren. Ihr Mund war nicht weit entfernt von seinem Ohr und ihr Atem strich über seine Wange.
Er biss die Zähne zusammen. Sein Herz raste.
Er verschränkte die Arme vor der Brust, um seine eigenen Hände unter Kontrolle zu halten. Es fiel ihm immer schwerer, sich in Adas Nähe selbst zu vertrauen.
In den letzten Wochen hatte sich etwas in Reece verändert. Er merkte, dass sich alles in ihm nach Ada verzehrte.
Jeder Traum handelte von ihren blauen Augen, die ihm tief in die Seele zu blicken schienen. Jeder Gedanke, schien irgendwie mit ihr zu tun zu haben. Und er erwischte sich dabei, dass er sich wünschte, dass seine Hand die von Ada wäre, wenn er sich selbst anfasste.
Doch es war nicht die Lust, die ihn antrieb. Mit Sicherheit spielte sie auch eine Rolle, aber es war auch etwas anderes. Etwas Unbekanntes und Neues. Etwas, das von ihm Besitz ergriffen hatte und ihn nicht mehr losließ: Er war verliebt.
Und das machte Reece eine Scheißangst.
Aus Romanen und Filmen sollte er eigentlich gelernt haben, dass das Verliebtsein etwas schönes war. Dieses Herzklopfen, die Sehnsucht nach jemand anderem. Doch für ihn war diese Erfahrung bisher ganz anders.
Reece bekam immer mehr das Gefühl, dass er keine Kontrolle über sich selbst hatte. Selbst, wenn er es nicht wollte, wanderten seine Gedanken zu Ada. In den letzten Wochen hatte er immer mehr Ausreden gefunden, um sie sehen zu können. Und das obwohl er wusste, dass das mit Ada und ihm kein gutes Ende nehmen würde. Sie waren einfach zu verschieden.
Eigentlich war das genau der Grund, warum Reece sich so von ihr angezogen fühlte. Ihre Sicht auf die Dinge war so gegensätzlich, so positiv. Und diese Charaktereigenschaft musste unbedingt erhalten bleiben. Reece hatte schon zu viel in seinem Leben zerstört, was ihm etwas bedeutet hatte. Zu oft hatte er rücksichtslos gehandelt, Menschen mit in den Abgrund gezogen. An seinen Händen klebte Blut.
Diese Seite von ihm kannte Ada nicht. Und Reece wollte um jeden Preis verhindern, dass sie sie kennenlernte.
Selbst wenn er nicht sowas durchgemacht hätte, wie sollte er ihr das geben, was sie verdiente? Damals bei ihrem Gespräch auf dem Balkon hatte Ada von der großen Liebe geredet. Und es hatte sich immer mehr herauskristallisiert, wie wichtig ihr das war. Wie sollte er, ein Typ, der zum ersten Mal dieses Gefühl verspürte, ihren Erwartungen entsprechen? Es war schlichtweg unmöglich.
Und obwohl sich all dem Reece bewusst war, fiel es ihm trotzdem schwer, sich von ihr fernzuhalten.
„Das liegt nur an deinem Text“, entgegnete Reece auf ihr Kompliment und selbst in der Dunkelheit, die nur hin und wieder durch die Partylichter durchbrochen wurde, bemerkte er, dass sich ihre Wangen rot färbten.
„Ach quatsch. Wenn dann an unserem Text. Wir haben den doch gemeinsam geschrieben“, verbesserte sie ihn und blickte zu ihm hoch. Sein ganzer Körper flehte ihn an, sich zu ihr herunterzubeugen und sie zu küssen. Endlich herauszufinden, wie ihre Lippen schmeckten, wie sich ihre Haut anfühlte.
Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte.
„Ada, da bist du ja“, erklang Daphnes Stimme, die auf einmal neben ihr auftauchte. Sie wirkte völlig durch den Wind. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihre Brust hob und senkte sich schneller, als es notwendig gewesen wäre.
„Was ist?“, fragte Ada alarmiert und berührte Daphnes Arm.
Reece machte einen Schritt zur Seite, um den beiden etwas Privatsphäre zu geben. Schließlich ging es ihn nichts an, weshalb Daphne so aufgewühlt war. Trotzdem hörte er, dass Thanes Name fiel und als er zu eben genanntem sah, der gemeinsam mit Jude etwas am Rande stand und dessen Blick auf Daphne lastete, konnte er sich zusammenreimen, dass es wohl mit dem Tänzer zutun hatte.
„…und deshalb möchte ich jetzt lieber nach Hause. Ich glaube, ich hole mir ein Taxi“, hörte er Daphne ihre Erzählung schließen.
„Ein Taxi? Bis nach Hause kostet das ein Vermögen!“ Ada schüttelte entschieden den Kopf.
„Wir könnten irgendwen fragen, ob er uns fahren kann“, überlegte das blondhaarige Mädchen weiter und scannte den Raum nach möglichen Kandidaten.
„Ich kann euch fahren“, schlug Reece direkt vor. Ada blickte ihn überrascht an.
„Reece, das ist doch praktisch eure Feier. Das können wir nicht von dir verlangen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Sorge, ich mache mir nicht viel daraus. Außerdem bin ich praktisch der einzige, der nicht getrunken hat. Ich hatte von vornerein mit Nathan ausgemacht, dass ich zurückfahre. Demnach habt ihr praktisch keine andere Wahl.“
Ada gab sich seufzend geschlagen. Daphne nickte langsam. „Danke, Reece“, entgegnete sie kleinlaut. Er winkte ab.
„Aber Ada, du musst nicht mitkommen, ich schaffe es auch alleine vom Auto bis zu unserer Wohnungstür“, sprach Daphne an Ada gerichtet weiter.
„Nein, ich möchte dich nicht alleine lassen.“ Ada drückte Daphnes Hand und die Brünette lächelte als Antwort. Reece konnte sich nicht daran erinnern, so etwas jemals auf ihrem Gesicht gesehen zu haben.
-
Wenige Minuten, nachdem die drei in Nathans Auto Platz genommen hatten, steckte Reece den Schlüssel ins Zündschloss. Nach dem Starten des Motors und der Lockerung der Handbremse, parkte er rückwärts aus und fädelte sich in den Verkehr ein.
Die Fahrt verlief schweigend. Jeder ging seinen eigenen Gedanken nach, während New York, das durch die Straßenlaternen und die vielen Schilder von verschiedenen Geschäften beleuchtet wurde, an ihnen vorbeizog. Das einzige, was die Stille durchbrach, war der leichte Nieselregen, der gegen die Scheibe prasselte und die Musik, die leise aus dem Radio erklang.
Fieberhaft überlegte Reece, wie er Ada dazu bekommen konnte, wieder mit ihm zur Feier zurückzufahren, damit er noch etwas mehr Zeit mit ihr hätte. Er biss sich auf die Innenseite der Wange.
Viel zu schnell kamen sie an ihrem Ziel an.
In einem Bruchteil einer Sekunde schnalte Daphne sich ab und verließ beinahe fluchtartig das Auto. „Danke fürs Fahren, Reece! Gute Nacht. Ada, ich gehe schon mal hoch“, rief die Brünette noch, bevor sie die Autotür schloss und auch schon im Gebäudeinneren verschwand.
Überrascht blickten Ada und Reece zu der Stelle, wo Daphne gerade noch gestanden hatte.
„Sie hatte es wohl sehr eilig“, schlussfolgerte Reece und Ada nickte, immer noch etwas perplex.
„Ja, anscheinend. Sie… ist etwas durch den Wind“, bestätigte Ada. Für einen Moment schwiegen beide. Unschlüssig blickte sie auf ihre Schuhe.
„Ich schätze, ich sollte dann auch gehen“, sagte sie langsam und Reece schluckte, bevor er nickte.
„Ja, vermutlich. Ich hätte gerne heute etwas mehr Zeit mit dir gehabt.“ Er biss sich auf die Lippe, bereute die Worte sofort, doch Ada lächelte. Ihre blauen Augen funkelten in der Dunkelheit.
„Geht mir auch so“, pflichtete sie ihm bei und strich ihren Rock glatt. Ihre Finger zitterten, als sie über den Stoff glitten.
Scheu blickten sich die beiden an. Es war nicht so, als ob Reece noch nie alleine mit Ada gewesen wäre. Doch die Atmosphäre, die diesen Moment umgab, ließ sein Herz gegen seinen Brustkorb hämmern. Das Unwissen, was sie als nächstes sagen würde. Ob sie diesen Augenblick verlängern oder ihn mit seinen Gedanken allein lassen würde.
Sie holte tief Luft und er schon darauf vorbereitet, dass sie ihm eine „Gute Nacht“ wünschen würde, als sie stattdessen sagte: „Ich habe übrigens an der Geschichte weitergearbeitet.“
Reece blickte sie an. Seine Kehle fühlte sich eng an. „An welcher?“
„Erinnerst du dich noch daran, wie Ewan meinte, dass ich ein Buch über all das schreiben sollte, was euch gerade wiederfährt? Tja, ich arbeite tatsächlich daran.“
„Und wie läuft es?“, fragte er weiter. Ada strich sich eine Strähne hinters Ohr.
„Ganz gut. Das einzige Rätsel ist ein Charakter namens ‚Reece‘“, erklärte sie unschuldig und er zog eine Augenbraue nach oben, bevor er lachte.
„Vielleicht kann ich da eine Hilfe sein.“
Ada grinste, bevor sie ihren Blick nach unten senkte. „Ja, das hatte ich auch gehofft… Also, am Anfang des Buches lernt Reece so eine Blondine kennen. Und ich würde sagen, dass sich die beiden auf jeden Fall gut verstehen. Trotzdem bin ich mir als Autorin nicht ganz sicher, wie genau die Beziehung zwischen den beiden aussieht. Wie Reece das Mädchen findet.“
Reece lachte wieder. „Du musst dir gar keine Anmachsprüche von mir mehr klauen, du schaffst das auch ganz gut alleine.“
Ada grinste mit roten Wangen. „Danke, ich habe vom Meister gelernt.“
Er schmunzelte, bevor sein Lächeln langsam verebbte. Seine Finger, die in seinem Schoß lagen, zitterten.
„Also, dieser Reece ist nicht darin, über Gefühle zu sprechen“, gestand er und starrte auf das Lenkrad, „aber… dieser Reece mag das Mädchen. Vielleicht zu sehr. Und er muss viel zu oft an sie denken, auch wenn er das gar nicht will…“
Er schluckte und schloss den Mund. Ausgesprochen klangen die Worte für ihn noch viel lächerlicher. Wie sollte er ihr ansatzweise klarmachen, dass er verrückt nach ihr war?
„Das ist gut. Weil diese Ada genau gleich denkt“, sagte sie. Er erstarrte und es dauerte einige Sekunden, bevor die Bedeutung der Worte zu ihm durchsickerte. Sein Blick schoss zu ihr. Sie schluckte und in ihren Augen spiegelten sich seine eigenen Emotionen: Angst, Unsicherheit und Sehnsucht.
„Nachdem das jetzt geklärt ist, sollte ich wohl diese typische romantische Szene schreiben“, sprach sie zittrig weiter. Ihre Stimme wurde immer leiser, ihre Finger krampften sich in den Stoff ihres Rocks. Reece starrte sie an, gebannt von ihrem Anblick.
Er hätte noch die Möglichkeit gehabt, sich zurückzuziehen. Doch er hatte bereits aufgegeben. Ein Blick in ihre blauen Augen, zwang ihn in die Knie, riss alle seine Mauern hinunter. Wehrlos ergab er sich.
„Und wie soll die aussehen?“, raunte er. Sein Herz schlug so laut in seiner Brust, dass er sich sicher war, dass sie es hören konnte.
Beinahe unbemerkt hatte er sich in ihre Richtung gebeugt. Ihr Gesicht war ganz nah an seinem und ihr heißer Atem traf auf seine Lippen.
Die Sekunden zogen sich in die Länge, die Welt stand still.
„Vielleicht ungefähr so?“, murmelte sie an seinem Mund und küsste ihn.
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