39 | Blame it on your love
»You can't go back and change the beginning, but you can start where you are and change the ending.«
„Und? Wie ist es gelaufen?", überfiel Ada Nylah mit ihrer Frage, als diese kaum einen Fuß in die WG gesetzt hatte. Die Blondine saß gemeinsam mit Daphne am Esstisch, vor ihr wie immer ein Laptop aufgebaut.
Nylah streifte ihre Jacke ab und hängte sie an die Garderobe. „Es lief sehr gut, wir haben tatsächlich einen Tänzer und eine Tänzerin gefunden", erzählte die Sängerin und glaubte für einen winzigen Moment, gesehen zu haben, wie Daphne bei ihren Worten zusammenzuckte. Stirnrunzelnd verwarf sie diesen Gedanken wieder.
„Das freut mich so sehr! Du musst mir dann unbedingt erzählen, wie genau das abgelaufen ist." Ada schien aufgeregter als sie, was Nylah nun zum Lächeln brachte. Sie war erschöpft, aber glücklich. Durch den Erfolg des heutigen Tages war eine kleine Last von ihr gewichen.
„Mache ich, ich bin auch sehr gespannt. Schließlich sind wir dann drei verschiedene Parteien am Set: Wir, die Produzenten vom Musikvideo und die Tänzer. Ich hoffe, dass es alles entspannt bleibt."
„Da bin ich mir sicher", sprach Ada ihr Mut zu und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Und ihr wart dann in dem Tanzstudio in Brooklyn?"
Nylah schüttelte den Kopf. „Das hatte ich noch gar nicht erzählt, die haben uns dann doch abgesagt, da sie sich wohl für irgendwelche Meisterschaften vorbereiten. Wir waren dann stattdessen in Queens. Moment, wie hieß das Studio noch gleich...? Center of arts oder sowas?"
„Center of moving arts", verbesserte Daphne sie prompt. Nylah konnte ihre Überraschung nicht verbergen und für einen Augenblick herrschte Stille im Raum. Sekunden verstrichen, bevor die Sängerin ihre Mimik wieder unter Kontrolle hatte.
„Oh, du kennst die Tanzschule also?", fragte Nylah vorsichtig nach, so als ob Daphne ein wildes Tier wäre, dass sie mit einer falschen Bewegung zum Angriff verleiten könnte.
Daphne nickte langsam, den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet. Ihre Finger, die um den Henkel einer Tasse geschlungen waren, verkrampften sich.
„Ich war damals auch an der Tanzschule. Hab quasi jeden Tag dort verbracht." Mit großen Augen verfolgte Ada die Unterhaltung. Für sie war das natürlich keine neue Information. Aber dass Daphne das auf einmal mit Nylah teilte, überraschte sie. Nein, Ada war regelrecht geschockt.
„Wenn ich gewusst hätte, dass ich praktisch an der Quelle sitze, hätte ich dich natürlich gefragt." Nylah ließ sich gegenüber von ihren beiden Mitbewohnerinnen nieder. Warum erzählte ihr Daphne plötzlich etwas über sich?
Daphne gab ein freudloses Schnauben von sich. Resigniert verzog sie den Mund. „Ich bin schon lange nicht mehr so gut, wie ich es damals noch gewesen bin. Das letzte Mal, dass ich wirklich trainiert habe, ist eine Ewigkeit her."
„Darf ich fragen, wieso du aufgehört hast? Klingt nicht so, als wäre das deine eigene Entscheidung gewesen."
Daphne blickte Nylah ausdruckslos an und zuckte mit den Schultern, versuchte nicht zu zeigen, wie sehr ihr Herz blutete. „Es hat einfach nicht mehr in mein Leben gepasst."
„Verstehe", entgegnete Nylah. Sie war nicht blind, sie wusste, dass Daphne log. Aber da sie zum ersten Mal, seit sie hier war, ein halbwegs normales Gespräch mit der Brünetten führte, würde sie einen Teufel tun und noch weiter nachhaken.
„Dann freut es dich vielleicht zu hören, dass die Tanzschule dir alle Ehre gemacht hat. Sämtliche Tänzer und Tänzerinnen waren wirklich gut, wir hatten die Qual der Wahl."
Daphne nickte und fast bildete sich Nylah ein, ein Lächeln auf den Lippen von ihrem Gegenüber zu sehen. „Natürlich, wir sind nicht umsonst eine der besten Tanzschulen New Yorks."
Daphnes Wortwahl verstärkte Nylahs Eindruck nur noch: Sie trauerte ihrem Hobby, ihrer Leidenschaft nach.
Für einen kurzen Moment stellte Nylah sich vor, wie es wäre, wenn sie plötzlich nicht mehr singen durfte. Wenn irgendwelche äußeren Umstände sie daran hindern würden.
Allein bei dem Gedanken schmerzte ihr ganzes Sein. Und für einen winzigen Augenblick erhaschte Nylah einen Blick auf Daphne von damals. Alls sie noch die Person gewesen war, die sie hatte sein wollen.
Aus einer plötzlichen Eingebung heraus flossen die nächsten Worte nur so aus der Sängerin heraus: „Sobald das Video abgedreht ist, hatten wir geplant eine kleine Party zu organisieren, um das zu feiern. Dort werden auch der Tänzer und die Tänzerin von deiner alten Tanzschule dabei sein... Vielleicht möchtest du auch kommen? Dann... keine Ahnung, könntest du dich ein wenig mit ihnen unterhalten, oder so?"
Nylah wusste selbst nicht so recht, was sie eigentlich damit bezwecken wollte. Aber sie war bereit, Daphne noch eine Chance zu geben. So absurd es vielleicht klang.
Ihr Gegenüber blinzelte überrascht. Daphnes Mund öffnete und schloss sich, Panik flackerte plötzlich in ihren Augen auf. Mit einem Ruck erhob sie sich vom Stuhl, der daraufhin ins Wanken geriet.
„Ich... Ich weiß nicht", rang sie um Worte, ein Zittern durchlief ihren Körper und mit schnellen Schritten durchquerte sie den Raum, um in ihr Zimmer zu flüchten. Alarmiert blickten Nylah und Ada einander an.
Diese mögliche Konfrontation mit ihrer Vergangenheit hatte Daphne kalt erwischt. Sie wusste nicht wieso, aber es machte ihr eine Heidenangst. Doch kam diese Panik von ihr oder war sie ihr nur eingetrichtert worden?
Dieser Gedanke ließ sie abrupt stehen bleiben. Schwer hob sich ihre Brust gegen ihr schwarzes Shirt. Langsam entspannte sie ihre verkrampften Schultern und warf Nylah und Ada einen scheuen Blick über die Schulter zu.
„Ich werde darüber nachdenken", sagte Daphne leise und schloss die Tür hinter sich.
Die am Tisch zurückgelassenen sahen einander an und lächelten. Aller Anfang war schwer. Aber das hatte sich wie ein Schritt in die richtige Richtung angefühlt.
⸻
Nylah hatte gewusst, dass der Videodreh anstrengend sein würde. Was das ganze jedoch noch mehr erschwerte war Ewan.
In einer hitziger Diskussion, da er sich mal wieder, wie so oft in letzter Zeit, daneben benommen hatte, hatte er seinen Bandkollegen quasi entgegen geschleudert, dass er und Lexi tatsächlich kein Paar mehr waren. Über Details wollte er immer noch nicht sprechen, aber zumindest hatte er die Vermutung, die bereits auf der Hand lag, bestätigt.
Das erklärte natürlich durchaus seine schlechte Laune. Nylah konnte das wohl von allen am besten nachvollziehen. Dennoch fand sie nicht, dass das Ewans Verhalten entschuldigte. Auch sie hatte damals sehr stark unter der Trennung von Kol gelitten, tat es ja teilweise immer noch. Doch sie hatte es nie an den anderen ausgelassen.
Aber Ewan ließ zurzeit jeden anderen spüren, wie verletzt er war. Nylah hatte ihren Freund, den sie als Optimist, der immer einen lustigen Spruch auf den Lippen hatte, noch nie so erlebt. Passiv aggressive Antworten, plötzliche Wutausbrüche und der Gestank von Alkohol schienen ihn plötzlich auszumachen. Jeden Versuch, den Nylah oder die anderen unternahmen, um mit ihm zu sprechen, blockte er ab.
Es war, als wollte er das Leben von jedem in seinem Umfeld zur Hölle machen.
Nylah seufzte und rieb sich über die Augen. Wie lange würde dieses Verhalten noch andauern, bis er sich helfen lassen würde?
„Alles in Ordnung?", erkundigte sich Thane, der sich gerade einen Kaffee geholt und nun auf einem Sessel Platz nahm, bei ihr. Dieser Pausenraum war wirklich ein Segen. Die ganzen verschiedenen Getränke und die Snacks, die tagtäglich bereit gestellt wurden, hatten Nylah heute wieder den Tag gerettet.
„Ja, ich... Alles gut." Nylah lächelte müde. Jeder am Set, selbst die Tänzer und Profis vom Videodreh, hatten Ewans Laune bemerkt. Trotzdem wollte die Sängerin gerade lieber nicht mit Thane darüber reden.
„Die letzte Szene von euch ist jetzt auch im Kasten?", wechselte Nylah das Thema.
„Ja, ich denke schon. Ben hat es erstmal abgesegnet und uns in die Pause geschickt." Thane nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Wenige Augenblicke später betrat Jude, die Tänzerin, ebenfalls den Raum. Sie trug immer noch das relativ knappe Outfit, das für den Dreh gewählt worden war. Ihre dunkelblonden Haare waren kompliziert hochgesteckt worden. Einige Haarklammern sorgten dafür, dass alles an Ort und Stelle blieb.
„Tun die nicht weh?", erkundigte sich Nylah. Sie selbst trug ihre schwarzen Haare am liebsten offen.
„Und wie! Gestern hatte ich totale Kopfschmerzen davon." Jude zupfte an einer Klammer herum, um sie anders zu positionieren.
„Das war ja wahrscheinlich unsere letzte Szene, wenn alles passt. Dann kannst du den ganzen Kram abmachen", mischte sich Thane ein.
„Ich hoffe es", brummte Jude und schnappte sich ein belegtes Brötchen.
„Das am Wochenende steht, oder?" Thane wandte sich an Nylah, die seine Frage bestätigte.
„Also, falls es für euch passt, ja. Nur im kleinen Kreis, aber wir würden uns freuen, wenn ihr kommt. Um das Video zu feiern und so."
Thane nickte und leerte sein Getränk. „Klingt gut, ich bin dabei."
Nylah lächelte. „Achja, ich habe auch meine beiden Mitbewohnerinnen eingeladen. Eine davon war früher mal bei euch in der Tanzschule. Vielleicht könntet ihr euch ein wenig mit ihr unterhalten. Sie musste das Tanzen aufhören und ist immer noch sehr geknickt deswegen."
Jude zog aufgrund dieser Bitte die Stirn kraus, doch Thane antwortete sofort mit einem „Klar, können wir machen.".
„Wie heißt sie denn? Vielleicht kennen wir sie, wir sind ja beide auch schon einige Jahre dabei", fuhr Thane fort.
„Daphne Park."
Thanes Augenbrauen schossen in die Höhe, bevor sich ein charmantes Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. Wäre Nylahs Herz nicht irgendwo zwischen Nathan und Kol gefangen, hätte sie Thane wohl spätestens jetzt etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Es wäre eine Lüge zu sagen, dass er nicht attraktiv war. Seine blauen Augen waren so einnehmend, dass selbst sie sich für einen Augenblick aus dem Konzept gebracht fühlte.
„Daphne? Oh, sie unterhalte ich sehr gerne", flötete Thane und erntete einen Klaps auf den Hinterkopf von Jude. Doch selbst das tat seinem zufriedenen Grinsen keinen Abbruch.
Irgendwie überkam Nylah die dumpfe Vorahnung, dass Daphne sich womöglich nicht so sehr über das Wiedersehen mit Thane und Jude freuen würde.
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