37 | Used to know me
»If your heart has seen better days, I swear to you it will see them again.«
Nathan fuhr sich durch die Haare und bemühte sich um einen entspannten Gesichtsausdruck, während er der Radiomoderatorin dabei zuhörte, wie sie das Live-Interview, zu welchem sie heute als Band alle gemeinsam eingeladen worden waren, ankündigte.
Objektiv betrachtet gab es wohl keinen Grund nervös zu sein. Das Einzige, was sie heute zu tun hatten, war auf die Fragen, die ihr Gegenüber ihnen gleich stellen würde, zu antworten. Das sollten sie doch hinbekommen, oder?
Und trotzdem spürte Nathan, wie ein leichter Schweißfilm seine Handinnenflächen benetzte. Die Situation war einfach sehr neu und ungewohnt. Auch die Tatsache, dass dieses Interview für sie wie ein kleines Sprungbrett sein konnte, je nachdem, wie gut sie sich schlagen würden, beruhigte Nathan nicht wirklich.
„Also, genug von meiner Seite!", der plötzliche Aufschwung in der Stimme der Moderatorin beförderte den Bassisten wieder ins Hier und Jetzt, „nun seid ihr an der Reihe. Stellt euch gerne einmal alle vor."
Nathan schluckte, sein Hals fühlte sich plötzlich staubtrocken an und alle Gedanken waren wie weggefegt. Zum Glück war Nylah, die an seiner rechten Seite saß, offensichtlich etwas gefasster. Er hörte ihr dabei zu, wie sie sich vorstellte. Sie klang souverän, ihre Stimme war klar und fest. Hätte er nicht das leichte Zittern ihrer Hände, die in ihrem Schoß lagen, gesehen, hätte Nathan ihr das auch voll und ganz abgekauft.
Für einen kurzen Moment stellte er sich vor, wie es wäre, wenn er ihre Hand nehmen und ihr so zeigen könnte, dass sie nicht allein war. Dass er immer bei ihr sein würde, wenn sie ihn brauchte.
Schnell stieß Nathan die Gedanken beiseite. Er wusste ganz genau, dass diese Vorstellung nie Realität werden würde. Es brachte nichts, darüber nachzudenken.
„Dann bist du aber mit Sicherheit durch deine großen Brüder abgehärtet und hast die Jungs hier gut im Griff, oder?", scherzte die Moderatorin nun, als Nylah ihre Familie erwähnte.
Die Sängerin lachte. „Aber klar! Auch wenn es Reece, Ewan und Nathan nie zugeben würden, wissen sie ganz genau, dass ich die Hosen anhabe."
Reece zog eine Augenbraue nach oben und gab ein Schnauben von sich, was die Frau des Senders natürlich sofort aufgriff. „Mit dieser Aussage sind wohl nicht alle konform."
Nylah verdrehte die Augen. „Das wundert mich nicht. Unser werter Gitarrist hat gefühlt an allem, etwas auszusetzen."
Die Moderatorin lachte. „Ich erkenne eine gewisse Dynamik. Aber was sich liebt, das neckt sich, oder?"
Nylah und Reece verzogen angewidert das Gesicht. „Das Sprichwort mag an sich oft zutreffen, in diesem Fall ist es aber so weit entfernt von der Realität, wie nur irgend möglich", meinte Nylah.
„Das ist schade, ich dachte, dass ich hier direkt den richtigen Riecher gehabt hätte. Was ja nicht ist, kann ja aber noch werden!" Die Frau schob den Haufen an Blättern, der vor ihr lag, zusammen.
„Gut, dann machen wir gerne einfach der Reihe nach mit den Vorstellungen weiter."
Nathan nickte. Das kurze Gespräch zwischen Nylah und der Moderatorin hatte ihm etwas Zeit gegeben, sich zu sammeln.
„Ja, gerne. Ich bin Nathan und bin tatsächlich noch gar nicht allzu lange dabei. Vor etwa einem halben Jahr hat Serendipity einen neuen Bassisten gesucht, wovon Reece, den ich von früher aus der Schule kenne, erzählt. Spontan habe ich mich entschlossen vorzuspielen und dann ging alles sehr schnell. Ich habe die drei quasi nach New York geholt und jetzt sind wir hier und wollen einfach so viel Musik machen, wie nur möglich."
„Dann danke ich dir natürlich sehr herzlich, denn sonst könnte ich euch heute nicht interviewen! Auch eure Musik klingt sehr vielversprechend, einen Song namens „Falling" werden wir außerdem im Anschluss hören", sie machte eine kurze Pause, „ich würde gerne nochmal darauf zurückkommen, dass du das neueste Mitglied bist. Wie ist das für dich, Nathan? Fühlst du dich irgendwie im Nachteil? Hast du das Gefühl, dass dir die anderen womöglich voraus sind?"
„Eigentlich gar nicht", antwortete er ehrlich, „Nylah, Ewan und Reece haben mich sofort sehr herzlich aufgenommen und wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Tatsächlich fühlt es sich auch so an, als ob ich bereits viel länger ein Teil von Serendipity wäre. Auch musikalisch harmoniert das alles sehr gut. Ich habe bereits davor in anderen Bands gespielt, jetzt fühle ich mich aber zum ersten Mal so, als ob ich angekommen wäre."
Nathan glaubte kurz im Augenwinkel zu sehen, wie sich ein Lächeln auf Nylahs Lippen bildete, bevor er sich wieder auf die Moderatorin konzentrierte. „Das klingt ja wie aus dem Märchen! So soll es sein", wieder eine kurze Pause, „der Wechsel ist also sehr fließend passiert. Trotzdem hätte ich eine Frage, auch an die anderen: Wieso habt ihr euch überhaupt entschieden, euch von eurem alten Bassisten zu trennen?"
Nathan verkniff sich ein resigniertes Seufzen. Er hatte gewusst, dass diese Frage früher oder später aufgekommen wäre. Auch die anderen blickten für einen Augenblick eher unglücklich drein.
„Tatsächlich war es die Entscheidung unseres alten Bassisten, die Band zu verlassen", ergriff Ewan zum ersten Mal das Wort. Seine Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Keine Spur seines sonst so aufgeschlossenen Lächelns.
„Oh, das ist natürlich ein spannendes Detail! Könnt ihr euch vorstellen, woran das möglicherweise gelegen hat?", fragte die Moderatorin.
„Er hat einfach nicht mehr zu uns gepasst", mischte sich Nylah an und lächelte angespannt. Sie warf einen kurzen warnenden Blick in Richtung Ewan. Doch diesen schien das nicht zu interessieren.
„Er war Nylahs damaliger Freund und als er sich von ihr getrennt hat, lag der Ausstieg aus der Band wohl nahe", verkündete er geradeheraus zum Schrecken aller anderen Bandmitglieder. Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille im Studio und Nathan wunderte sich, dass Nylah nicht über den Tisch hechtete und Ewan zu erwürgen versuchte.
„Dann gab es also doch eine Liebelei in eurer Band, ich habe nur die falschen Personen rausgepikt", die Moderatorin wandte sich an Nylah, „dann erzähl uns gerne, wie das damals für dich gewesen ist. Das ist ja durchaus nicht uninteressant."
Nylahs höfliches Lächeln wirkte in diesem Augenblick mehr als gequält. „Da gibt es tatsächlich gar nicht so viel zu sagen, es kam für uns alle sehr plötzlich. Im Nachhinein würde ich aber sagen, dass es für alle Beteiligten das beste gewesen ist", sie machte eine kurze Pause, „außerdem eignet sich Herzschmerz natürlich perfekt, um Songs zu schreiben."
Glücklicherweise sprang die Moderatorin auf Nylahs kleinen Witz an und stimmte lachend zu. Die Situation entspannte sich wieder.
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Sie hatten das Studio gerade hinter sich gelassen, als Nylah sich direkt, offensichtlich schämend vor Wut, Ewan vorknüpfte :"Was genau sollte der Scheiß?"
Nathan hatte Nylah noch nie verärgert erlebt.
Ein Außenstehender hätte sie vermutlich durchaus als sehr aufbrausend und temperamentvoll eingestuft – mit ihren schwarz gefärbten Haaren, den Tattoos, der knappen Kleidung und dem starken Eyeliner bediente sie sich offensichtlich ein paar Klischees. Doch Nathan wusste, dass sie eigentlich sehr harmoniebedürftig war. Ganz nach dem Motto :"Harte Schale, weicher Kern."
Andererseits konnte Nathan verstehen, warum sie gerade, um es mal nett auszudrücken, so angepisst war.
„Was meinst du? Das mit Kol hätte man so oder so irgendwann rausgefunden", Ewan zuckte teilnahmslos mit den Schultern.
„Das mag sein, aber so viel preiszugeben, wie du es getan hast, war nicht notwendig. Nein, es war einfach nur bescheuert und dämlich. Jetzt wirken wir so, als wären wir nicht gut genug und deshalb hat uns Kol verlassen!"
„Nein, jetzt wirken wir spannend, wir heben uns von der Masse ab. Ich bin mir sicher, dass viele dem Interview sehr interessiert zugehört haben. Die Leute lieben Drama."
Nylah warf wütend die Arme hoch. „Das kann sein, aber ich will nicht mit irgendwelchen pikanten Details auf uns aufmerksam machen. Wir sollten durch unsere Musik bekannt werden und nicht durch Klatsch und Tratsch."
Ewan zupfte an seinem Nagel herum. „So funktioniert halt dieses ganze Showbusiness."
Nylah stieß schnaubend die Luft aus. „Hörst du dir eigentlich selbst zu? Diese ganze Aktion war einfach scheiße und das weißt du selbst. Du bist einfach nur den ganzen Tag schon angepisst und wolltest uns das spüren lassen. Wir habens kapiert, okay!?"
Ewan zuckte wieder mit den Schultern, antwortete jedoch nichts.
„Von Reece hätte ich sowas vielleicht noch mehr kommen sehen, aber von dir? Was ist nur in dich gefahren?", fragte Nylah, während von Reece ein beleidigtes „Hey, was hab ich jetzt getan?" kam. Nathan klopfte ihm tröstend auf die Schulter.
„Ich hoffe wirklich, dass du uns das heute nicht vermasselt hast", sagte Nylah nach einer Pause und lief zu Nathans Auto.
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