27 | Piece
TW: Erwähnung von Drogenmissbrauch
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»Everything about you is made out of soul.«
Als Reece gemeinsam mit Nylah, Ewan, Reece, Ada und Brianna, die ebenfalls dazu gestoßen war, den Club betrat, kam ihm ein Schwall heiße Luft entgegen, der nach Schweiß und Alkohol roch. Laute Musik dröhnte ihnen entgegen und brachte den Boden zum Beben, als sie sich gemeinsam einen Weg zur Bar bahnten.
Früher war so etwas seine Welt gewesen. Ständig war Reece unterwegs gewesen, hatte sich viel zu viel Alkohol und manchmal auch ein paar illegalere Sachen reingepfiffen und nicht selten waren die Abende aus dem Ruder gelaufen. Es war nicht so, als ob es jemanden interessiert hätte, wenn er wieder mal sturzbesoffen, zugedröhnt und mit einem blauen Auge nach Hause gekommen war. Die einzige Person, die darüber sehr unglücklich gewesen wäre, wäre seine Schwester. Aber sie war damals zu klein gewesen, um wirklich zu begreifen, was los war.
Doch die Dinge hatten sich geändert. Reece hatte sich geändert. Er flüchtete sich jetzt nicht mehr beinahe jeden Abend ins Nachtleben, hüpfte mit jeder ins Bett, die ihn einmal zu nett anlächelte und war sich seinem Alkoholkonsum sehr bewusst geworden. Auch wenn niemand daran geglaubt hatte, allen voran nicht sein Vater, war Reece tatsächlich vernünftig geworden in den letzten Jahren.
Und das war auch bitter notwendig gewesen. Schließlich war er mit seinen 24 der Älteste aus der Band und hatte sich bis vor zwei Jahren wie ein Möchtegern-Badboy benommen. Zum Glück war er noch rechtzeitig aus diesem Albtraum aufgewacht. Auch wenn er sich dadurch von seinen ehemaligen Freunden hatte entfernen müssen.
Dean, Rosalie und Quentin waren nie schlechte Menschen gewesen. Doch zu viert hatten sie einen toxischen Freundeskreis abgegeben, der sich gegenseitig mit dummen Ideen immer weiter angestachelt und dabei gar nicht gemerkt hatte, dass sie sich damit alle gegenseitig in einen Strudel rissen, aus dem man nur schwer entkommen konnte.
Und für seinen Freund Dean war jede Rettung zu spät gekommen. Er war an einer erhöhten Dosis Drogen verstorben.
Auch Quentin ging es nicht viel besser, da er sich seit einem Jahr im Gefängnis befand und auch noch zwei weitere Jahre absitzen musste.
Von Rosalie hatte Reece seit jeher nichts mehr gehört. Er konnte nur hoffen, dass sie es vielleicht halbwegs unbeschadet rausgeschafft hatte.
Er wusste, dass er das richtige getan hatte, als er ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Trotzdem war es ihm nicht nur einmal egoistisch vorgekommen, als er sich von seinen alten Freunden entfernt hatte und sie ihnen ihrem Schicksal überlassen hatte. Aber Reece hatte sich damals kaum selbst helfen können. Wie hätte er noch drei andere retten sollen?
Womöglich war das ein weiterer egoistischer Gedanke von ihm, aber er war froh, dass er nicht mehr in Montreal war, wo er immer wieder am Friedhof, wo Dean beerdigt lag, an Rosalies altem Haus und am Gefängnis, in dem Quentin festsaß, vorbeikommen konnte. Hier in New York wurde er nicht mehr an jeder Ecke an seine Vergangenheit erinnert.
Reece Gedanken wurden unterbrochen, als Nylah vor seinem Gesicht rumwedelte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihm einen Shot in die Hand drückte. Eigentlich hatten ihn Nylah, Ewan und Kol anfangs gedrängt gar keinen Alkohol mehr zu trinken. Aber als sie merkten, dass er jetzt verantwortungsvoll damit umging, hatten sie sich ein wenig entspannt. Unter Nylahs stechendem Blick hätte er sich auch gar nicht getraut, eins über den Durst zu trinken. Diese Frau konnte einem echt Angst machen.
Er stieß mit den anderen an und kippte das Getränk hinunter. Heiß glitt die Flüssigkeit seine Kehle hinunter und wärmte ihn von innen auf.
Mit etwas zu viel Wucht stellte Brianna ihr nun leeres Glas auf dem Tresen ab und wandte sich an ihre Freunde: „Okay, wer geht mit mir tanzen?"
Als alle eher milde dreinschauten, stieß Brianna ein genervtes Stöhnen aus. „Und ihr wollt New York als Band erobern? Ihr seid absolute Langeweiler!" Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah alle vorwurfsvoll an.
„Puh, damit bin ich wohl aus dem Schneider!", kam es leise aus Adas Richtung. Und obwohl man allein schon wegen der Musik kaum etwas verstand, hatte Brianna dies dennoch gehört.
„Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Du kommst so oder so mit, dich frag ich nicht mal mehr! Aber zu zweit tanzen, können wir auch sonst immer", Ada gab an der dieses Stelle ein tiefes Seufzen von sich.
„Na gut, ich komm ja schon. Aber ich warne dich: Ich bin ein furchtbarer Tänzer. Wenn es nachher Verletzte auf der Tanzfläche gibt, braucht ihr nicht mir die Schuld zu geben", warnte Ewan, was Brianna mit einer Handbewegung abtat.
„Ach, das ist nicht so schlimm. Wir sind doch hier, um die Leute ein bisschen aufzumischen", sie grinste. „Aber damit gebe ich mich noch nicht zufrieden." Mit einer hochgezogenen Augenbraue blickte sie von Reece, zu Nathan und dann zu Nylah, woraufhin letztere seufzend kapitulierte.
Schließlich quetschten sich also Nylah, Ewan, Ada und Brianna durch die Menge, um sich einen Platz auf der Tanzfläche zu ergattern.
„Du hast Glück, dass du ein so ‚grummeliger und geheimnisvoller' Typ bist, Reece. Brianna hat nicht mal wirklich versucht, dich zu überzeugen", meinte Nathan.
Reece gab ein freudloses Schnauben von sich. „Das ist auch besser so. Ich hätte selbst dann nicht nachgegeben, wenn sie mich auf Knien angebettelt hätte."
„Was anderes hätte mich auch überrascht", Nathan grinste. Reece und er kannten sich ja bereits seit der Mittelschule und schon damals war der Gitarrist kein besonders großer Sonnenschein gewesen. Irgendwie ein verrückter Gedanke, dass sie damals beinahe nichts miteinander zu tun gehabt hatten und jetzt in einer gemeinsamen Band spielten. Das einzige, was sie von einander gewusst hatten, war, dass der jeweils andere ein guter Musiker war.
„Ich hab mich nie bei dir dafür bedankt, dass du mich damals zum Probespielen eingeladen hast", wandte sich Nathan wieder an Reece, nachdem er für sie beide wieder etwas an der Bar bestellt hatte.
Reece zuckte mit den Schultern. „Das war auch ehrlich gesagt ziemlich spontan. Ich wusste ja, dass du gerade in der Stadt bist und dachte, dass man es ja zumindest mal probieren kann", er machte eine Pause, „im Nachhinein bin ich gottfroh darüber, sonst hätten wir wahrscheinlich immer noch keinen neuen Bassisten. Davor hat Nylah gefühlt bei jedem etwas auszusetzen gehabt."
„Ihr habt mir nie wirklich davon erzählt, wie der Entscheidungsprozess verlaufen ist. Ihr habt mir ja erst zwei Tage später Bescheid gegeben", erinnerte sich Nathan.
Reece nickte. „Wir wussten eigentlich schon direkt, nachdem du zur Tür rausgegangen bist, dass du unser neuer Bassist sein wirst."
Nathan grinste und wandte sich für einen Moment zur Bar, bevor er die beiden Shots, die der Barkeeper ihm reichte, entgegennahm und einen an Reece weitergab.
„Da hab ich wohl Glück gehabt, ich hatte an dem Tag echt die Hosen voll", der schwarzhaarige Bassist musste über sich selber lachen, als er an den Tag zurückdachte.
„Dazu gab es keinen Grund, du hast super gespielt", Reece zuckte mit den Schultern, das war nicht seine subjektive Meinung, sondern eine Tatsache. Sonst war Reece schwer zu beeindrucken, aber es wäre eine Lüge zu sagen, dass Nathan kein Talent hatte.
„Ich bin auf jeden Fall froh, dass es geklappt hat und dass du halbwegs normal bist. Eine weitere Nervensäge, so wie Ewan, hätte ich nicht ertragen."
Nathan lachte und stieß mit seinem Gegenüber an. „Ich weiß, dass das in deiner Welt ein großes Kompliment war, also danke."
Die beiden kippten die Flüssigkeit runter und stellten die Gläser auf dem Tresen ab.
„Ich bin gleich wieder da", teilte ihm Nathan wenige Augenblicke später mit, was Reece mit einem Nicken quittierte. Der Bassist verschwand in Richtung Toiletten.
Reece ließ seinen Blick über die tanzende Menge schweifen.
Die Neonlichter flackerten im Beat des Liedes und tauchten die Szenerie in eine unwirkliche Atmosphäre. Der Bass hämmerte unter seinen Füßen und schien seinen ganzen Körper zum Beben zu bringen.
Er fuhr sich durch die Haare, um die Strähnen, die an seiner Stirn klebten, nach hinten zu schieben. Die Luft war stickig und drückend und obwohl Reece nur an der Bar lehnte, war er dennoch angestrengt. Sein Shirt klebte ihm am Körper und sein Mund fühlte sich trocken an.
Seine Aufmerksamkeit wurde nach links gelenkt, als er glaubte ein vertrautes Gesicht auf der Tanzfläche zu entdecken. Bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass er sich nicht geirrt hatte: Nylah, Ewan, Brianna und Ada hatten einen größeren Bereich auf der Tanzfläche ergattern können und schienen sich offensichtlich gut zu amüsieren.
Brianna tanzte vollkommen ausgelassen, diese Frau schien wirklich keinerlei Hemmungen zu haben. Auch Ewan war aufgetaut, obwohl er anfangs gar nicht hatte tanzen wollen. Doch vielleicht wäre das auch besser gewesen: Die Art und Weise, wie seine Arme wie wild um ihn herflogen, erschien Reece nicht ganz ungefährlich. Er erinnerte ihn irgendwie an einen Affen.
Nylah hingegen wirkte nicht ganz so entspannt und ausgelassen wie die beiden. Ihr konnte man immer noch deutlich ansehen, dass sie sich unwohl fühlte.
Seine Augen wanderten weiter zu Ada und für einen Moment versuchte er sich dagegen zu wehren und seinen Blick von ihr abzuwenden, aber es gelang ihm nicht.
So wie Nylah auch hatte sich Ada umgezogen, bevor sie sich auf den Weg zum Club gemacht hatten. Sie trug ein enges schwarzes Kleid, dass sich an ihre Figur schmiegte. Bereits vorhin, als sie fertig umgezogen aus ihrem Zimmer gekommen war, war Reece Blick ein wenig länger als notwendig auf ihr verweilt.
Während der Beat in seinen Ohren dröhnte, sah er Ada dabei zu, wie sie ihre Hüften im Takt bewegte, gemeinsam mit den anderen lachte und offensichtlich den Moment genoss. Diese Seite an ihr war neu und doch fand Reece nicht weniger Gefallen daran. Er mochte sowohl die zurückhaltende und schüchterne Ada, die immer so verträumt wirkte, wie auch die Ada, die sich gerade auf der Tanzfläche befand und sich traute, so befreit zu tanzen.
Welche Facetten wohl noch in ihr steckten?
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