25 | Somewhere only we know
»I told the stars about you.«
Gedankenverloren wischte Nylah mit einem Lappen über den Tresen. Seit dem gestrigen Besuch des Musiklabels konnte sie an nichts anderes mehr denken.
Sie wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, das Angebot abzulehnen. Aber sie konnte nicht anders, als der Chance hinterher zu trauern. Was, wenn sie so eine Möglichkeit nie wieder bekommen würden? Die Zweifel nagten unaufhörlich an ihr. Sie seufzte und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
Neben ihr stand Nathan, der gerade eine Frau bediente und offensichtlich von ihr in ein Gespräch verwickelt worden war. Wie immer wirkte er absolut sorglos, sein Lachen klang echt und unbeschwert. Wie konnte er nur so positiv bleiben, wenn sie möglicherweise den Traum irgendwann groß rauszukommen verspielt hatten? Nicht zum ersten Mal wünschte sich Nylah, etwas gelassener sein zu können.
„Ihr hattet doch hier vor ein paar Wochen einen Auftritt, oder?", erkundigte sich die Frau nun bei Nathan. Sie stützte ihren Kopf mit der Hand ab und musterte ihn.
Der Bassist nickte bestätigend. Das Gesicht der Frau hellte sich auf.
„Dann lag ich doch richtig! Ich war mir nicht mehr ganz sicher, ob ich dich nicht verwechsle", erklärte sie.
Nathan schraubte eine Flasche zu, als er gespielt überheblich antwortete: „So einen gutaussehenden Bassisten gibt es nur einmal."
Die Frau lachte über seinen dummen Spruch, auch Nylah konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es war einfach unmöglich ihn nicht zu mögen, dafür war Nathan viel zu umgänglich.
„Und oben drein bist du auch noch der bestaussehendste Barkeeper. Ich bin schwer beeindruckt", sprang die Frau auf Nathans Spiel an. Es war nicht zu übersehen, dass sie ihn gut fand.
Er zuckte mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Ich habe viele Talente."
Nylah zog eine Augenbraue nach oben und sah ihn an, was die Frau am Tresen sofort bemerkte. „Deine Kollegin scheint das anders zu sehen", machte sie Nathan auf Nylahs Reaktion aufmerksam, woraufhin dieser seine Kollegin gespielt entrüstet anblickte.
„Da musst du wohl noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten", überlegte die Kundin.
Nathan winkte ab. „Sie tut nur so, in Wahrheit liebt sie mich."
Die Frau lachte abermals über seine Bescheidenheit. „Ihr seid also in einer Beziehung?"
Während Nylah ein perplexes „Nein!" ausrief, war Nathans Antwort ein „Noch nicht". Nylah blickte ihn irritiert an, bevor sie lachte. Er ließ wirklich keine Möglichkeit aus, um sie zu ärgern.
„Ich arbeite noch dran", flüsterte Nathan der Frau verschwörerisch in Zimmerlautstärke zu, woraufhin diese grinste, während Nylah nur die Augen verdrehte.
„Ich drücke dir die Daumen", sie zwinkerte Nathan zu, bevor sie sich vom Stuhl erhob und Richtung Toilette verschwand.
Mit einer hochgezogenen Augenbraue blickte Nylah der Frau nach, bevor sie sich an Nathan wandte. „Du hast dir gerade die Chance auf ein Date vermasselt mit deinem dämlichen Spruch. Sie hat offensichtlich anfangs versucht, bei dir zu landen."
Nathan legte sich mit einer theatralischen Geste die Hand aufs Herz und blickte sie schockiert an. „Mit meinem dämlichen Spruch? Das war die Wahrheit, für mich gibt es nur dich. Und du trampelst so auf meinen Gefühlen herum!", beleidigt schob er seine Unterlippe nach vorn.
Nylah gab ihm einen Klaps auf den Arm. „Du hast sie nicht mehr alle", antwortete sie. Nathan grinste.
Für einen Moment schwieg sie. Nicht zum ersten Mal hatte Nathan sie von ihren düsteren und pessimistischen Gedanken abgelenkt. Und nicht zum ersten Mal, war sie dankbar dafür, dass sie mittlerweile so gut befreundet waren. Mit ihm fühlte sich alles so unbeschwert und einfach an.
Sie räusperte sich. „Darf ich dich etwas fragen?", ergriff sie das Wort. Er nickte bestätigend und sah sie erwartungsvoll an.
Nylah polierte das Glas, das sie gerade mit einem Tuch bearbeitete, besonders sorgfältig, um ihre Gedanken zu ordnen. „Wie schaffst du es, so positiv zu sein? Nach all dem was gestern passiert ist?", sprach sie schließlich das aus, was sie bereits den ganzen Tag beschäftigte.
Nathan sah sie an, in seinem Blick lag Verständnis. „Glaub mir, mir fällt es auch nicht immer leicht, positiv zu bleiben. Aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass das gestern nicht unsere letzte Chance gewesen ist. Wir werden etwas anderes, etwas besseres finden, wofür wir uns nicht verbiegen müssen."
Nylah seufzte. „Ich weiß, dass du Recht hast. Es fällt mir nur irgendwie schwer, mir das selbst vor Augen zu führen und mich nicht die ganze Zeit verrückt zu machen."
Sanft lächelte er sie an. „Dafür hast du ja mich. Ich werde dich so lange daran erinnern, wie es notwendig ist."
Für einen kurzen Moment spürte Nylah, wie ihre Sicht durch ihre aufsteigenden Tränen verschwamm. Obwohl Nathans Worte objektiv gesehen so simpel gewesen waren, hatten sie sie dennoch tief bewegt. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie dringend sie das hatte hören müssen: Dass jemand für sie da war.
Sie stieß den Atem aus und blinzelte die Tränen weg. Das Lächeln, das sie Nathan nun schenkte, war so aufrichtig, wie schon lange nicht mehr. „Danke", wisperte sie, gerade laut genug.
Seine Mundwinkel bogen sich nach oben. „Dafür nicht", antwortete er.
Neue Kunden betraten die Bar und Nathan und Nylah machten sich wieder an die Arbeit.
⸻
Erleichtert verließ Nylah, gemeinsam mit Nathan, die Bar. Irgendwie hatte sich der Arbeitstag heute besonders gezogen. Jedes Mal, wenn sie einen Blick auf die Uhr geworfen hatte, schien es ihr, als ob der Sekundenzeiger sich extra langsam bewegte, um sie zu ärgern. Vielleicht lag es auch daran, dass sie heute so viele verschiedene Gefühle in so kurzer Zeit erlebt hatte, die sich sonst meist über mehrere Tage erstrecken konnten. Bis Nylah sich beruhigen und von ihren düsteren Gedanken ablenken konnte, vergingen meist ein paar Tage. Doch Nathan hatte diesen Prozess beschleunigt, was ihr Zeitgefühl wohl noch nicht ganz einordnen konnte. Ihre Schicht in der Bar hatte sich wie eine ganze Woche angefühlt.
Demnach stieg Nylah nun völlig erledigt und mit einem herzhaften Gähnen in Nathans Auto ein, der bereits auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte.
„Müde?", fragte er mit einem grinsenden Seitenblick, woraufhin sie nickte.
„Und wie. Ich glaube heute werde ich so schnell einschlafen, wie schon lange nicht mehr."
Er schmunzelte und fädelte sich in den nächtlichen Verkehr New Yorks ein. Um diese Uhrzeit war das Autofahren deutlich angenehmer.
Entspannt blickte Nylah auf die Straße und dachte ausnahmsweise an Nichts und Niemanden, als sie so in Nathans Auto saß. Dass Nylah so abschalten konnte, lag auch durchaus an Nathans Fahrstil, da dieser im Vergleich zu dem von Ewan und Reece eine willkommene Abwechslung war. Bei ihm musste man nicht jede Sekunde um sein Leben bangen.
„Ich wollte dir noch etwas sagen", Nathans Worte rissen sie aus ihrem tranceartigen Zustand und überrascht blickte sie ihn an. Sie konnte gerade so seine Umrisse in der Dunkelheit ausmachen.
„Ja, schieß los?"
„Ich habe mich letztens mit Ewan und Reece über Kol unterhalten." Die Erwähnung des Namens von ihrem Exfreund fühlte sich an wie eine Ladung Eiswasser, das ihr über den Kopf geschüttet wurde.
Sie schluckte. „Okay?", ihre Stimme hörte sich so zittrig an, wie sie sich plötzlich fühlte.
„Keine Sorge, nichts Schlimmes", beeilte er sich, aufgrund von ihrer Reaktion, zu sagen, „sie haben mir nur erzählt, was ungefähr damals gelaufen ist und ich glaube es gibt keine richtigen Worte, um zu sagen, wie leid mir das tut. Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich hier bin, falls du reden möchtest. Ich weiß, wie es ist, wenn man sich so fühlt, als ob die Welt sich weiterbewegt und man selbst nicht von der Stelle kommt." Seine Miene verdüsterte sich für einen Moment.
„Ich hoffe, du bist Reece und Ewan nicht böse, dass sie mir davon erzählt haben. Das haben sie nur gemacht, weil ich danach gefragt habe." Nathan schloss den Mund, obwohl er noch so viel mehr sagen wollte.
Nylah stieß den Atem aus und entspannte sich ein wenig. „Keine Sorge, ich bin weder dir, noch ihnen böse. Du hättest es früher oder später sowieso erfahren und irgendwie hast du auch ein Recht darauf zu wissen, was damals vorgefallen ist – auch wenn wir das selbst nicht so genau wissen... Ich dachte wirklich er liebt mich, so wie ich ihn", sie lachte freudlos auf, „und ich dachte, dass er das mit der Band wirklich durchziehen will. Aber dem war offensichtlich nicht so und –„
Sie suchte nach den passenden Worten, fand sie jedoch nicht. Wie sollte sie etwas beschreiben, was sie selbst nicht verstand?
„Du musst mir das nicht erklären, ich kann mir vorstellen, wie schwierig das für dich ist." Nathan drehte sich zu ihr und mit einem überraschten Blick aus dem Fenster stellte sie fest, dass sie bereits vor ihrer WG angekommen waren. Die Fahrt war unglaublich schnell vergangen.
„Wie gesagt: Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich hier bin", wiederholte er seine Worte von vorhin und blickte sie unsicher an.
Ein sanftes Lächeln erschien auf Nylahs Lippen und aus einem Impuls heraus beugte sie sich über die Mittelkonsole und zog ihn in eine Umarmung. Sie wusste nicht, ob Nathan sich dem überhaupt bewusst war, aber, obwohl sie ihn erst seit wenigen Monaten kannte, hatte er schon so vieles für sie getan.
Nathan, der gerade noch so unsicher drein geschaut hatte und nicht gewusst hatte, ob er nicht doch eine Linie überschritten hatte, als er Kol angesprochen hatte, entspannte sich, als Nylah ihn umarmte.
„Danke. Für alles. Das bedeutet mir viel", murmelte sie. Sein angenehmer Duft lullte sie ein und sie blieb einen Augenblick länger in der Umarmung. Sie fühlte sich wohl in seiner Nähe.
Als sie sich schließlich von ihm löste, traf sein Blick auf ihren und für einen Moment war sie verunsichert von der Intensität, die in seinen Augen zu finden war. Ihr Herz klopfte mit einem Mal etwas schneller, als es notwendig gewesen wäre.
Sie schluckte und räusperte sich dann, um ihm dann nochmal ein kurzes Lächeln zu schenken. „Gute Nacht, Nathan. Fahr vorsichtig", sagte sie, als sie aus dem Wagen ausstieg.
„Gute Nacht, Nylah. Bis morgen", hörte sie ihn sagen, bevor sie die Autotür schloss.
Sie atmete aus, als sie das Gebäude betrat und versuchte ihren merkwürdig beschleunigten Herzschlag zu beruhigen, als sie die Treppen nach oben lief.
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