14 | Life worth living
»Tonight, she'll choose sleep over you.«
Nylahs Herz schlug wie wild in ihrer Brust, als sie und ihre drei Bandkollegen das Tonstudio betraten. Ihr Magen fühlte sich flau an.
Zittrig näherte sie sich dem Mikrofon, das mitten im Raum stand und nur auf sie wartete.
Sie fühlte sich hier vollkommen fehl am Platz. Es war nicht richtig, dass sie hier war. Ohne Kol.
Allein, weil sein Name in ihren Gedanken hochkam, fühlte sie sich noch zehn Mal schlimmer. Sie sehnte sich so sehr nach ihm. Nach seinen braunen Augen, die nur kurz ihren Blick hatten suchen müssen, um ihr zu vermitteln, dass alles in Ordnung war. Dass alles möglich war, solange sie zusammen waren.
„Nylah? Ist alles gut?" Ihre Augen benötigten einen Moment, bevor sie Nathan, der sie besorgt musterte, fokussiert hatten. Offensichtlich hatte Nylah ihre Panik doch mehr nach außen durchdringen lassen, als sie beabsichtigt hatte. Sie hasste es, dass man ihr ihre Schwäche sofort ansah.
Trotz allem bemühte sich das schwarzhaarige Mädchen um ein tapferes Lächeln. „Na klar! Es ist einfach nur ungewohnt, wieder in einem Studio zu sein", das war zwar nicht ganz die Wahrheit, aber auch nicht ganz eine Lüge.
Nathans wissende Augen lagen auf ihr, doch auch seine Mundwinkel zogen sich nach oben, um ihr das Gefühl zu geben, dass sie nicht so eine lausige Lügnerin war, wie es ihr vorkam. „Das glaube ich dir, für mich ist es auch komisch, ich bin schließlich noch in der Probezeit."
„Probezeit?", wiederholte Nylah mit einer hochgezogenen Augenbraue.
„Ja, so wie Reece heute wieder drauf ist, schmeißt er mich sofort raus, wenn ich auch nur einen falschen Ton spiele", raunte Nathan Nylah verschwörerisch zu und deutete unauffällig auf Reece, der heute tatsächlich noch grummeliger drauf war, als sonst.
„Wenn wir dich rausschmeißen, stellen wir uns damit selber ein Bein. Wir sind dir nicht nach New York gefolgt, in eine so riesige Stadt, von der wir keine Ahnung haben, um dich wieder loszuwerden", erinnerte sie ihn.
„Stimmt, das hab ich schlau eingefädelt. Das Stockholm-Syndrom leistet gute Arbeit", überlegte Nathan, woraufhin Nylah grinsend den Kopf schüttelte. Und ohne, dass sie es wirklich bemerkt hatte, hatte Nathan zumindest ein paar dunkle Wolken verjagt.
„Okay, wie siehts aus? Sind alle bereit?", meldete sich Ewan, der schon vor seinem Schlagzeug saß, zu Wort. Er wirkte total hibbelig und aufgeregt.
Nylah holte einmal tief Luft und nickte dann. Sie legte eine Hand an das Mikrofon, das vor ihr stand und in einer Halterung befestigt war.
Ein kurzer Moment des Schweigens erfüllte das Studio, alle waren hochkonzentriert und als Ewan mit seinen Drumsticks dreimal gegeneinander schlug und dabei „One, two, three" rief, begannen die drei Männer um sie herum im selben Moment zu spielen.
Sie hatten sich dafür entschieden zuerst einmal ein älteres Lied zu üben, um langsam wieder reinzukommen. So richtig als Band geprobt hatten sie schon lange nicht mehr und mit Nathan überhaupt noch nicht.
Die vertrauten Töne des Lieds, dass sie damals zusammen mit Kol geschrieben hatte, erklangen im Studio. Es trug den Namen „Someday" und handelte von dem gemeinsamen Traum der Band groß rauszukommen, von der Musik leben und sie jeden Tag aufs Neue, genießen zu können.
Sie spürte einen Stich im Herz, da Kol kein Teil mehr von diesem Traum war.
Bevor sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, bemerkte sie, zum Glück noch rechtzeitig, dass nun ihr Einstieg kam. Für einen kurzen Moment bekam sie schreckliche Angst. Ich kann das nicht, ich kann das nicht, flüsterten ihre Zweifel ihr zu.
Doch Nylahs Mund bewegte sich wie von selbst. Sie hatte diesen Song schon so oft gesungen, es war, als wäre er ihr bereits ins Blut übergegangen.
Als die ersten Worte des Liedtexts im Studio zu hören waren, fühlte sich ihre Stimme für einen Moment fremd an. Doch nach einigen Momenten verschwand diese Emotion und wich der der Euphorie und des Glücks. Erst jetzt bemerkte sie wahrhaftig, wie sehr ihr das Singen gefehlt hatte.
Sie wurde mutiger, die Wörter purzelten wie von selbst aus ihr heraus und sie gab sich diesem berauschenden Gefühl hin. Nylahs Stimme wurde kraftvoller und sicherer.
Zum ersten Mal, seit Kol sie verlassen hatte, war sie am richtigen Platz. Ihre Freunde um sie herum, die gemeinsam mit ihr den Moment erlebten, ihre Seele, die bei jedem Ton leichter wurde, die mit jedem Wort, das sie sang, ein wenig heilte.
Ihr Blick glitt hinüber zu Nathan. Er war völlig versunken und schien nichts und niemanden, um sich herum wahrzunehmen. Sein Blick war auf seinen E-Bass gesenkt und seine Haare fielen ihm leicht in die Stirn.
Scheinbar mühelos bewegten sich seine Arme und Finger, als würden sie jeden einzelnen Ton des Liedes auswendig kennen.
Nylahs Herz brannte nach wie vor lichterloh in ihrer Brust, weil Kol fehlte. Dennoch war sie froh, dass, von allen Personen, die ihren Exfreund hätten ersetzen können, Nathan nun zu ihnen gehörte. Er strahlte eine unglaubliche Ruhe aus, war unkompliziert und Nylah hatte von Anfang an gemerkt, dass sie sich in seiner Gegenwart wohl fühlte.
Die Frontsängerin wandte ihren Blick vom Bassisten ab und konzentrierte sich wieder ganz auf sich selbst. Sie genoss den Moment vollkommen und auch wenn das Lied nur etwas über drei Minuten dauerte, fühlte es sich an wie eine kleine Ewigkeit.
Hier fühlte sie sich beschützt, hier fühlte sie sich sicher.
Viel zu schnell verließen die letzten Worte des Songs ihren Mund. Tränen schossen ihr in die Augen.
„Mann, bin ich froh, wieder zurück zu sein", sprach Ewan Nylahs Gedanken, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, aus. Er streichelte über das Schlagzeug, als ob es etwas Zartes und Zerbrechliches wäre und als ob er dieses gerade nicht mit den Drumsticks bearbeitet hätte.
Nylah räusperte sich und nickte. „Kann ich nur zustimmen."
Reece, der nicht viel von dieser Gefühlsduselei hielt, brummte nur etwas vor sich hin, aber Nylah entging das Lächeln, das an seinen Mundwinkeln zupfte, nicht.
„Und Nathan, du warst großartig!", lobte Ewan Nathan euphorisch, „ich wusste ja, dass du gut bist, aber es klang, als hättest du das Lied schon tausend Mal gespielt. Hast du es etwa so oft geübt?"
Nathan zuckte nur mit den Schultern, da er von so viel Anerkennung etwas überfordert war. „Nachdem du mir die Noten vor zwei Tagen gegeben hast, habe ich es ein paar Mal gespielt, ja."
„Wäre ich eine Frau, würde ich dir sowas von zu Füßen liegen. Ich würde dir meinen getragenen BH auf die Bühne werfen!"
Reece schüttelte den Kopf über Ewans Worte und Nathan kratzte sich grinsend am Kopf.
„Äh, danke, nehm ich an?", es klang eher wie eine Frage, als eine Aussage.
Ewan wackelte anzüglich mit den Augenbrauen, was selbst Reece zum Lachen brachte. Nylah konnte sich ein Schmunzeln ebenfalls nicht verkneifen.
Auch wenn die Wunden, die Kol hinterlasse hatte, tief waren und sie nicht wusste, ob sie jemals heilen würden, spürte Nylah nun etwas, was sie für verloren gehalten hatte: Hoffnung.
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