07 | Habits of my heart
»I've turned people into homes, and I ended up homeless.«
"Das lief irgendwie schon ein bisschen zu gut", sprach Nylah ihre Gedanken aus. Heute Abend waren sie in der Bar gewesen, in der Nathan arbeitete. Beziehungsweise in der ab jetzt auch Nylah ihr Geld verdienen würde.
Nylah war jemand, der von vornerein immer negativ eingestellt war. Deshalb hatte sie die Bar mit wenig Hoffnung betreten. Dass es auf Anhieb klappen sollte, kam ihr irgendwie zu einfach vor.
Dementsprechend perplex war sie gewesen, dass der Chef, der auf den Namen Lucas hörte, ihr direkt einen Platz angeboten hatten. Zwar erstmal nur zur Probe, bevor er eine endgültige Entscheidung treffen würde, aber dennoch: es schien einfach zu gut, um wahr zu sein.
"Tatsächlich lief es damals bei mir ziemlich ähnlich ab. Lucas ist ein sehr spontaner Typ und schwört auf seine Menschenkenntnis, anscheinend hatte er ein gutes Gefühl bei dir", Nathans Augen waren weiterhin auf die Straße gerichtet, als er ihr antwortete.
"Er hatte ein gutes Gefühl bei mir? Selbst schuld würde ich sagen", scherzte Nylah, woraufhin Nathans Zähne in der Dunkelheit, die nur durch das Licht der Neonreklamen und die Scheinwerfer der anderen Autos durchbrochen wurde, blitzen.
"Du kriegst das schon hin, mach dir keine Gedanken." Nathan warf ihr einen kurzen Blick zu. Das satte Grün, das sonst in diesen zu sehen war, wurde von der Schwärze verschluckt.
"Ja, ich weiß, ich hab ja schon mal in einer Bar gearbeitet", Nylah machte seufzend eine Pause und ließ sich tiefer in den Beifahrersitz sinken, "aber das kommt mir irgendwie alles zu leicht vor. Ich komme nach New York und finde sofort eine WG, in der ich wohnen kann und außerdem auch einen Job. Da ist doch irgendwas faul. So als ob jeden Moment etwas Furchtbares passieren müsste, um das ganze Glück, das ich in den letzten Tag hatte, auszugleichen."
Nathan zog eine Augenbraue nach oben. "Warum so paranoid?", fragte er nach.
Nylah öffnete den Mund und schloss ihn anschließend wieder. Sie wusste die Antwort, aber sie wollte sie gerade nicht mit Nathan teilen. Denn die Antwort auf seine Frage war Kol. So wie Kol, die Antwort auf alles zu sein schien. Egal, wo Nylah war, wie viel Mühe sie sich gab ihn aus ihrem Kopf zu schlagen: Sie konnte den Mann mit den haselnussbraunen Augen, der fünf Jahre lang an ihrer Seite gewesen war, nicht vergessen.
Dass Kol mit ihr Schluss gemacht hatte, war aus dem Nichts gekommen. Es hatte ihr den Boden unter den Fußen weggerissen und ein klaffendes Loch in ihrer Brust hinterlassen, welches unaufhörlich blutete. War es Nylah da zu verübeln, dass sie vorsichtiger geworden war?
Als Nathan merkte, dass Nylah nicht antworten würde, ergriff er erneut das Wort: „Jetzt im Ernst, mach dir keinen Kopf. Sei einfach froh, dass alles so gut läuft. Es wird mit Sicherheit Zeiten geben, in denen es wieder schwieriger wird. Also genieß einfach die Momente, in denen es dir gut geht und mach dir nicht so viele Sorgen um die Zukunft."
Nylah blickte Nathan von der Seite an. Die Art und Weise wie er mit ihr redete und sie ansah, gab ihr das Gefühl, als würde er sie verstehen, ohne dass sie ein Wort sagen musste.
"Mit sowas bist du leider an der falschen Adresse bei mir. Ich bin von Natur aus eher ein pessimistischer Mensch", gab Nylah mit einem resignierten Lächeln zu.
"Das war ich auch lange Zeit." Nathan parkte das Auto in der Garage, die zu seiner Wohnung gehörte.
"Und wie hast du diese Einstellung abgelegt?", fragte Nylah und schnallte sich ab, blieb jedoch noch sitzen.
Nathan ließ sich Zeit, sich ebenfalls abzuschnallen und blieb mit seinem Oberkörper in Nylahs Richtung gedreht. Er machte eine dramatische Pause, bevor er ihre Frage beantwortete.
"Ich habe einfach angefangen, in mein wahnsinnig gutes Aussehen zu vertrauen", erklärte Nathan mit todernstem Gesicht.
Für einige Augenblicke blieb Nylahs Gesicht ausdruckslos, da sie in jenem Moment mit einer ernsthaften Antwort gerechnet hatte. Nun prustete sie jedoch los und spürte sogar, wie ihr ein paar Tränen in die Augen stiegen vor Lachen.
"Dein Ego ist wirklich beeindruckend", lobte Nylah Nathan, nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte.
"Meinen Exfreundinnen nach ist das nicht das Einzige beeindruckende an mir." Nathan grinste überheblich, woraufhin Nylah nur den Kopf schüttelte. Er umrundete das Auto und gemeinsam liefen die beiden von der Garage zur Tür des großen Wohnhauses, in wessen dritter Etage sich Nathans Wohnung befand.
In jenem Moment fühlte sie sich federleicht. Die New Yorker Nacht hatte eine beruhigende Wirkung auf sie und das Scherzen mit Nathan lenkte sie zumindest kurz von ihren düsteren Gedanken ab.
Die beiden verstummten nun, da sie die Treppen des Gebäudes hochliefen und nicht die ganze Nachbarschaft aufwecken wollen. Die Schicht von Nathan und Nylah hatte nämlich bis vier Uhr gedauert.
Schließlich kamen sie vor der tatsächlichen Wohnungstür an, woraufhin Nathan aufschloss und die beiden eintraten.
Nachdem Nylah ihre Jacke an die Garderobe und ihre Schuhe von ihren Füßen geschoben hatten, lief sie in die Richtung ihres vorübergehenden Zimmers, bevor sie sich nochmal zu Nathan drehte: "Gute Nacht."
In der Wohnung war es zu dunkel, um Nathans Gesichtszüge zu erkennen, aber als er ihr ebenfalls eine gute Nacht wünschte, meinte Nylah ein Lächeln aus seiner Stimme herauszuhören.
Sie schloss die Zimmertür hinter sich, streifte ihre Klamotten ab und legte sich direkt ins Bett. Eigentlich hätte sie noch ins Bad gemusst, um sich noch abzuschminken, aber sie war viel zu erschöpft dazu. Sie hatte vergessen, dass es durchaus anstrengend war, in einer Bar zu arbeiten.
Sie schloss die Augen und war anfangs der Meinung gewesen, dass sie sofort einschlafen würde, aber schnell spürte sie, dass dem nicht so war. Ein weiteres Mal beschlich sie jenes Gefühl, dass sie mittlerweile nur zu gut kannte.
Sehnsucht.
Es war schon schwierig die Gedanken an Kol am Tag von sich fernzuhalten, aber Nylah merkte, dass es besonders schlimm war, wenn sie abends alleine im Bett lag.
Ihr ganzes Wesen schmerzte, wenn sie an Kol dachte. Die Art und Weise, wie er sie geküsst hatte, als ob sie das wertvollste auf diesem ganzen Planeten wäre. Oder wie seine Stimme geklungen hatte, als er ihr gesagt hatte, dass er sie geliebt hatte. Es hatte sich jedes Mal so angefühlt, als ob ihr Herz zerbersten würde. Damals vor Glück, heute jedoch von der unbändigen Sehnsucht, die sie verspürte.
Nylah wünschte sich nichts mehr, als in jenem Moment in Kols Armen zu liegen, die ihr immer das Gefühl gegeben hatten, als ob alles gut werden würde.
Nylah hatte nie eine von den Mädchen sein wollen, die ihr ganzes Leben nach einem Mann richteten. Doch an der Art und Weise, wie hilflos und machtlos sie sich fühlte, merkte sie, dass sie das die ganze Zeit getan hatte.
Sie war abhängig von Kol. Und obwohl sie die Wahrheit kaum vor sich selbst zugeben konnte, wusste sie, dass es stimmte.
Es fühlte sich an, als ob er etwas von ihr mitgenommen hatte, als er gegangen war.
Nylah spürte, wie die Tränen, die sie die ganze Zeit hatte unterdrücken wollen, aus ihren Augen hervorquollen und ihre Wangen herunterrollten.
Nylah weinte um Kol. Weil sie ihn verloren hatte.
Aber Nylah weinte auch, weil sie sich selbst verloren hatte.
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